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Fünfzigstes Kapitel.

Ich kehre zurück – verbringe die Zeit in den angenehmen Träumen einer Berechnung meiner künftigen Revenuen. – Die kurze Wonne eines häuslichen Glücks.

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Wir müssen jetzt die Santa Anna und ihre lebendige Ladung von Elend als ein furchtbar aussehendes, graues Wrack auf den langen, feierlichen Wellen der Südsee umhertreiben lassen, um nach Honoria's Insel zurückzukehren, denn ich hatte mir fest in den Kopf gesetzt, daß der Ort, wo ich mein künftiges geträumtes Königreich Honoria gründen wollte, eine Insel sein müsse.

Ich war bereits über die Regierungsform mit mir einig geworden, und hatte mir andächtig vorgenommen, ein recht gutes, hohes Alter zu erreichen, so zwar, daß ich bereits die vierte und fünfte Generation an meinem Throne mit einemmale Kindes- und Unterthanentreue schwören sah. Als ein unschätzbares Vermächtniß wollte ich meinen Nachkommen eine Konstitution und ein Gesetzbuch hinterlassen, gegen die sich nur die Gottlosigkeit auflehnen konnte. Die Regierung der Insel Honoria sollte, für einige Generationen wenigstens streng patriarchalisch – eine absolute Monarchie sein; wenn sich dann das Reich dichter bevölkerte, sollten privilegirte Klassen, Gemeinden mit unabhängigen Rechten und feste Gesetze zum Schutz der Untertanen, welche für die herrschende Gewalt bindend wären, gebildet werden.

Höher als so weit wollte ich mich nicht versteigen; aber über Eines war ich völlig mit mir einig, daß nämlich die Reihe der Könige durch Abkömmlinge meines Leibes gebildet werden sollten – eine Erbfolgeordnung, die durch keinen, selbst den höchsten Grad des Verdienstes oder der Weisheit unterbrochen werden durfte. Meine Augen waren so fest auf eine großartige Zukunft geheftet, daß ich darüber ganz vergaß, wie meinen Voraussetzungen zufolge selbst der gemeinste Gassenkehrer, wenn er von dem Throne meines eingebildeten Königreiches Besitz nahm, in direkter Linie dem königlichen Stamm entsproßte. Wahrhaftig, wenn Adam noch lebte, so müßte er, was die Würde und die unbedingten Herrschaftsrechte betrifft, in dem Blicke auf die jetzt existirenden Söhne seiner Söhne und die Töchter seiner Töchter fast ebenso daran sein, wie ich.

Obgleich ich so viel zugestehe, bin ich doch ein Verfechter der Erstgeburtsrechte. Da ich selbst ein Despot war, obschon nur über eine kleine Anzahl von Unterthanen, so begreife ich sehr gut, daß diese Welt sammt allem ihrem Inhalt auf ewige Zeiten nur für die Erstgebornen der Erstgebornen geschaffen ist, und ich kann mich nicht genug wundern, wie die Natur diesem unanfechtbaren und höchst weisen Fundamentalprinzipe nicht dadurch dienen will, daß sie das älteste Kind stets zum stärksten, edelsten und besten macht. Wenn sie Kadetten hervorbringen will, so ist sie meiner Ansicht nach durchaus nicht berechtigt, sie mit einem hochstrebenden Geiste oder mit außerordentlichen Tugenden des Körpers und der Seele auszustatten. Sie sind zur Dienstbarkeit geboren und sollten daher nur Gaben besitzen, welche für einen solchen Zweck passen. Langes Nachdenken über diesen Gegenstand hat mich vollkommen von der Richtigkeit meiner Sätze überzeugt – um so mehr, weil ich in dem Hause Troughton und Komp., wie bescheiden es auch sein mochte, der Erstgeborne war.

Voll von dergleichen Betrachtungen setzte ich mit Bounder ruhig und gemächlich meinen Weg an dem rechten Ufer des Flusses fort. Ich hatte demselben bereits den Namen Jug beigelegt – aus zwei Gründen; einmal, um Jugurtha's Treue und hohe Eigenschaften zu ehren, und dann, weil die Namen aller großen Flüsse kurz sein sollten, um nett und lustig von den Zungen zu fließen, da sie die Bestimmung tragen, in den Mund vieler Leute zu kommen.

Von Zeit zu Zeit machte ich kurze Ausflüge in die Wälder und Prärieen, um nach meinen Unterthanen zu sehen, aber vergeblich, denn ich hatte bis jetzt noch keine menschliche Seele aufgefunden. Gegen Abend bemerkte ich, daß der Fluß einen andern Charakter annahm, denn er erweiterte sein Bette zu einer Art See. Dieser schien sehr seicht zu sein, so daß er sich höchstens für die Nautik eines Waschzubers qualificirte. Ein schwerer Schlag für mich! Ich zitterte bei dem Gedanken, wie sehr solche Untiefen den Handel meines künftigen Königreichs beeinträchtigen mußten, und wie leer es in meinem Staatsschatz aussehen dürfte, da so geringe Zolleinnahmen in Aussicht standen.

Ueber der ganzen Fläche des See's ragten zerbrochene Felsen hervor, welche so nahe bei einander lagen, daß man ziemlich von einem auf den andern hinübertreten konnte. Zwischen durch schleppte sich die träge Strömung des Flusses – aber das Wasser war von der durchsichtigsten Klarheit und schlich auf hartem Felsgrunde weiter.

Ich beschloß, auf dem rechten Ufer des Jug die Nacht zu verbringen, am andern Morgen früh aber den Strom zu durchwaten und meine Reise auf der linken Seite fortzusetzen.

Wie gewöhnlich in diesen Himmelsstrichen, brach der Morgen herrlich an. Nachdem ich mich gebadet und gefrühstückt hatte, begann ich mit leichtem Herzen und sicherem Tritte die See zu kreuzen – allerdings ein etwas mühsames Geschäft, da ich abwechselnd waten und über zerbrochene Felsen klettern mußte. Bounder machte sich's dabei viel leichter – er kümmerte sich nichts um das Gestein, sondern schwamm, wenn ihm ein Fels in den Weg kam, um denselben herum und hielt sich ausschließlich im Wasser. Endlich erreichten wir das andere Ufer und damit ein Land, welches wo möglich noch schöner war, als das eben verlassene. Wohlgemuth wanderten wir weiter, und das Auge meines Geistes sah bereits rings umher zierliche Hütten, Schaafheerden auf dem weiten Waideland, wohlbepflügten Ackergrund und die Thürme einiger fernen Städte. In der That, wir sind am glücklichsten, wenn wir uns am meisten täuschen.

Bald nachher verengerte sich der Fluß wieder und gewann eine rasche, gleichförmige Strömung, deren Geschwindigkeit ich aus dem Trifftholze oder einem schwimmbaren Gegenstand, den ich hineinwarf, ermessen konnte. Das Wasser schien sich auf einer geneigten Fläche fortzubewegen, und die Ufer wurden zu beiden Seiten abschüssig.

Im Fortschreiten schien der Fluß sich immer tiefer und tiefer unter mir zu senken, während das Land, aus welchem ich ging, wie eine vollkommene Ebene aussah. Die Ufer waren nicht länger geneigt, sondern senkrecht; auch verengerte sich das Flußbette mehr und mehr, während das Wasser bald das Aussehen einer Stromschnelle annahm.

Ein paar Büchsenschüsse weiter, und die See – die offene, weite, unbegränzte See that sich vor meinen Blicken auf. Ich hatte die äußerste Spitze des Tafellandes erreicht. Sie endigte in einem wenigstens zweihundert Fuß tiefen Absturz, der unten von den Meereswellen bespült wurde. Der schmale Fluß lag nun weit unter mir, hatte sich fast in einen Fall umgewandelt und stürzte durch eine enge Kluft zwischen den Felsen schäumend in die See, wo sein weißlichtes Wasser weithin die Amalgamation mit dem tiefen Blau des Oceans zu vermeiden schien. Er hatte bereits mehrere Sandbänke aufgeworfen, welche durch das durchströmende Wasser recht hübsch getheilt erschienen.

So verhielt sich der Jug von der kleinen Stadt an bis zu seiner Mündung. Der Fluß war nur ein hungriges Kind der Natur und bedurfte noch vieler Jahrhunderte, ehe er sich ein glattes und schiffbares Bette ausgewühlt hatte, um sich eben und majestätisch, gleich unserer Themse, in den Schoos der Ewigkeit – in den Ocean ergießen zu können. Da ich, trotz meines sanguinischen Schwindels, nicht erwarten konnte, das Schiffbarwerden dieses Stromes zu erleben, so trat ich mit nüchterneren Schritten meinen Heimweg an.

Während meiner Rückkehr erwog ich bei mir, daß es verlorene Mühe sein würde, wenn ich und Jugurtha mit Feuer eine Kanone aushöhlen oder ein Stromboot bauen wollte; es müßte denn sein, daß wir darin nur kleine Ausflüge nach dem See zu machen gedachten. Wir hatten übrigens bereits eine Art verlängerter Tonne auf dem Wasser, in welcher wir, wenn wir Lust dazu hatten, über den Jug setzten, oder unsere Fischreusen in die Mitte des Stroms legten, weshalb ich beschloß, vorderhand mich mit dem damaligen Zustand meiner königlichen Marine zufrieden zu geben.

Auf meinem Heimwege blieb ich auf dem linken Ufer des Flusses und machte dabei Ausflüge in's Innere, ohne jedoch auch nur die mindeste Spur eines menschlichen Wesens zu entdecken – geringe Aussicht also, für Jugurtha, ein Weib mitzubringen. Am vierten Tage meiner Wanderung, eine Stunde vor Sonnenuntergang, tauchte ich mit Bounder aus dem Dickicht auf, welches unmittelbar unserer Wohnung, oder vielmehr der Hauptstadt meines Reiches gegenüber lag. Honoria und Jugurtha hatten mich auf der andern Seite des Stromes erwartet, zu welchem Ende letzterer in den Gipfel eines hohen Baumes hinaufgestiegen war. Der Sprung Bounders in's Wasser zog zuerst ihre Aufmerksamkeit auf mich, und Jugurtha wäre beinahe von seinem Wachthurme heruntergepurzelt, denn er kam so rasch auf den Boden, daß es fast wie ein Sturz aussah. Ungeachtet einer solchen Eile hatte übrigens Honoria dennoch bereits das Fahrzeug losgemacht und war bis in die Mitte des Flusses gerudert, ehe mein schwarzer Freund das Ufer erreicht hatte.

Es war ein entzückender Augenblick, als Honoria und ich einander in die Arme sanken. Wenn in Anbetracht der hohen Beweggründe, welche damals meinen Busen schwellten, die Umarmung zu lang und zu leidenschaftlich für die Zuneigung eines Bruders war, so bin ich doch überzeugt, daß mir Gott meinen Irrthum vergeben hat. Die arme Honoria konnte vor Lachen nicht weinen, und vor Weinen nicht lachen. Wir ruderten uns hinüber, und ich wurde von Jugurtha mit inniger Liebe bewillkommt. Das Wiedersehen war eines der glücklichsten, dessen ich mich je erfreut habe.

Ich meinte, Honoria sei weit schöner geworden, als sie je gewesen. Zuverlässig hat sie keine Evastochter je an Liebenswürdigkeit übertroffen. Ich hatte sie schon in unterschiedlichen Kostümen und sogar in einer Glorie gesehen, mit welcher wir nur himmlische Naturen zu umgeben pflegen; aber dennoch däucht es mich, kein Anzug lasse ihr so gut, als der von reichem Pelzwerk und prächtigen Federn, womit ihr eigener Geschmack und Jugurthas treue Sorgfalt sie versehen hatte. Halb sah sie aus wie eine Amazone, halb wie ein Engel.

Ich liebe den Putz – er hat seine Poesie. Wer anders kann ihn verschmähen, als ein wüster, roher Mensch oder ein Wilder? Honoria hatte in Betreff des Anzugs die größte Erfindungsgabe mit dem reinsten Geschmack gepaart; ihr eigenes Innere gab ihr den Spiegel der Wahrheit, der ihr nur das wirklich Schöne wiederstrahlte. Nicht einmal die gewöhnlichsten Dinge konnte sie auf den Tisch setzen, ohne daß sie ihnen die zierlichste Lage, deren sie fähig waren, anwies. Selbst in den unvortheilhaftesten Lagen habe ich doch in meinem Leben nie gesehen, daß sie etwas gethan hatte, was nicht anmuthig gewesen wäre. Es war unmöglich, ihr einen linkischen oder lächerlichen Gesichtspunkt abzugewinnen.

Selbst Jugurtha fühlte den Einfluß ihrer Anwesenheit und hatte etwas von ihren Manieren angenommen. Er war von Natur groß, hager und knöchern, so daß seine Außenseite mehr Kraft, als Anmuth an den Tag legte. In seinem Ernste benahm er sich unbehülflich, in seiner Heiterkeit grotesk; aber jetzt charakterisirte eine Art Würde seine ernsteren Augenblicke, und auch in den ungenirten Aeußerungen seines Frohsinns gab sich nunmehr eine gewisse Harmonie der Geberdung kund.

Mit ihrer zarten Empfänglichkeit für das Schöne und Rechte hatte Honoria ihr eigenes Ich aufgeben müssen, wenn ihr Geist sich anders, als in der vollkommensten Reinheit des Gedankens und Handelns hätte ausdrücken können.

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