Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Ein Gewebe von Nothbehelfen. – Es ist hart, ein gutes Gesicht zur Sache zu machen, wenn nur wenig zur Aussicht vorhanden ist, die Zähne zu gebrauchen. – Ich finde, daß ich auf der Stufenleiter der Kletterthiere sehr niedrig stehe.

—————

Wir lenkten nun unsere Schritte nach der Gruppe von Cocosnußbäumen, bei welcher Gelegenheit wir beide fühlten, wie sehr unsere physischen Kräfte nothgelitten hatten, obschon jedes von uns eine Stärke zu zeigen bemüht war, die es nicht besaß, um uns wechselseitig zu ermuthigen und wo möglich zu unterstützen. Als wir unter den Bäumen angelangt waren, welche vorderhand die einzigen Vorrathshäuser waren, von denen wir unser Leben fristen konnten, fanden wir die Frucht weit außer unserem Bereich, weshalb es eine eigentliche Fügung der Vorsehung war, daß fünf überreife Nüsse heruntergefallen waren. Von diesen fünfen enthielt bloß eine den erfrischenden Milchsaft, welcher so sehr beliebt ist. Wir theilten ihn unter uns und verzehrten den größeren Theil des Kerns. Dies war die erste Mahlzeit, die wir auf dieser Insel (denn dafür hielten wir sie) einnahmen – in der That ein ärmliches und rohes Mahl, das uns aber doch wieder neue Lebenskräfte gab.

Nachdem wir uns gelabt hatten, blieben wir auf dem Sande sitzen. Als auch hier die ferne Brandung in unsere Ohren brauste, schien die Vorstellung unserer gänzlichen Verlassenheit gleichzeitig unsere Seelen mit Furcht zu erfüllen, denn nachdem wir uns gegenseitig einige Augenblicke ängstlich angesehen hatten, brachen wir mit einander – Honoria in spanischer und ich in englischer Sprache in den Ausruf aus:

»Wie schrecklich ist diese Wildniß!«

»Und doch,« fuhr ich fort, »müssen wir nicht höchst dankbar sein? Gebe Gott, daß unsere Einsamkeit nicht noch verlassener werde. Wenn Eines dem Anderen entrissen würde, so wäre es mir lieber, das Wrack hätte mich mit in den Abgrund gezogen.«

»Diese Einsamkeit werde ich nie kennen lernen, Ardent, denn ich würde und könnte dich um keine Stunde überleben. Aber sieh, die Sonne hat sich bereits hinter die Berge versteckt. Die Schatten der Nacht überfallen uns, und es wird kühl.«

»Zage nicht, meine geliebte Honoria.«

»Oh nein, Ardent – mein Geist wird im Gegentheil immer leichter. Mein Herr und König – denn gewiß müßt Ihr der Souverän des Landes sein – ein armes schiffbrüchiges Mädchen erbittet sich von Eurer königlichen Gastfreundlichkeit ein Kämmerlein, ein Lager und einen Arzt, denn meine Glieder werden müde, und die Wunde, die mir irgend ein gefrässiges Thier auf Eurer Majestät Besitzungen geschlagen hat, macht mich ganz steif.«

»Schöne Prinzessin,« sagte ich mit einem matten Lächeln – »denn ohne Zweifel könnt Ihr, obgleich Ihr als seefahrender Jüngling verkleidet seid, um Eurer Schönheit und Eurer würdevollen Haltung willen nicht weniger sein, – ich will Euch nicht nur die Hälfte, sondern das Ganze meines Königreichs geben. Nehmt mich selbst zu Eurem Arzte an, und da wir einen wunderbaren Mangel an Dienerschaft leiden, so will ich auch Euer Kammerherr und Euer Hüter im Laufe der Nacht sein. Freilich muß ich mit Bedauern beifügen, daß Euer Schlafgemach noch nicht gefunden ist. Doch tönt dieser Scherz nicht hohl und höhnend? Honoria, wir haben uns bis jetzt nur der Sprache der Liebe bedient, während es doch zuerst unsere Pflicht gewesen wäre, für diese mehr als wunderbare Erhaltung in frommem Gebete zu danken.«

»Du hast Recht, mein Bruder. Er, der dem Vogel sein Nest und dem wilden Thiere seine Höhle gibt, wird uns zuverlässig nicht ganz verlassen, so lange wir gebührend seinen Namen ehren und uns unterwürfig unter seinen heiligen Willen beugen.«

»Und wir werden nicht mehr gesondert beten, wie früher, Honoria.«

»Gewiß nicht, mein Ardent; fortan und für immer ist dein Gott mein Gott und dein Glaube an ihn mein Glaube. Du bist beredter als ich; leihe dem dankbaren Aufschwung meiner Seele Worte – bete, aber bete laut.«

Wir knieten mit einander auf dem Sande nieder und fanden im Gebet Trost und Stärkung. Ich untersuchte dann die Wunde oder vielmehr den Biß in Honoria's Nacken. Er war nicht von Bedeutung, obgleich er sehr schmerzlich sein mußte, wenn man aus der Entzündung einen Schluß ziehen durfte, welche die Eindrücke der beiden Zahnreihen umgab. Die Haut war nirgends losgerissen, aber dennoch konnte man die Merkzeichen jedes einzelnen Zahnes deutlich unterscheiden, wie sie denn überhaupt auf den Biß eines alten Thieres hinzudeuten schienen. Ich wußte nichts Anderes anzufangen, als daß ich ihr mein seidenes Tuch um den Hals schlang, um sie gegen die Abendkühle zu schützen. Die Hitze der Sonne hatte unsere Kleider längst am Leibe getrocknet; auch waren wir in der letzten Zeit zu viel den Witterungseinflüssen ausgesetzt gewesen, um uns sehr vor einer sogenannten Erkältung zu fürchten.

Hand in Hand wandelten wir von dem Ufer nach den Felsen hinauf, wo Bäume, Gesträuch und sonstige Pflanzen phantastisch untereinander gemischt waren. Obgleich die Entfernung nicht mehr als einige hundert Schritte betrug, war es doch um der reinen Atmosphäre willen, welche keine Lichtreflexe begünstigte, fast dunkel, ehe wir den Ort erreichten, der uns zu einem Nachtlager am passendsten dünkte. Ich sah jetzt, daß wir einen großen Irrthum begangen hatten, indem wir nicht früher auf ein ordentliches Unterkommen Bedacht nahmen, aber Honoria fügte sich mit wunderbar guter Laune darein. Ich selbst hätte mich, als ich die trockenen Blätter unter meinen Füßen rasseln hörte, vor Müdigkeit auf der Stelle niederwerfen und einschlafen mögen, ohne eine Gefahr von wilden Thieren oder giftigen Schlangen zu fürchten; aber meine Sorge für Honoria ließ mich nicht daran denken.

Ich fand bald, daß es nutzlos war, in's Innere einbringen zu wollen, weil unter dem dichten Blätterwerk bereits völlige Nacht herrschte. Ich blickte daher an der Vorderseite der einsamen Felsen hin, welche nach der See hinausgingen. Eben war ich im Begriffe, Honoria zu rathen, sie solle sich unter einem derselben, der sich beträchtlich über den sandigen Grund herausneigte, niederlegen und ausruhen, als ich an der Oberfläche eines anderen, nahestehenden Felsen eine dunkle Stelle bemerkte. Bei näherer Untersuchung stellte sich's heraus, daß etwa fünf Fuß über dem Grund in das massive Gestein eine kleine Höhle hineinging, die übrigens hinreichend ausgedehnt war, um in horizontal ausgestreckter Lage einen viel größeren Körper aufzunehmen, als der meiner Schwester war. Ich tastete mit meinen Händen umher und fand den Boden dieser Nische eben und vollkommen glatt, ohne die Spur eines Wesens darin. Der Platz war einer Schlafstätte, wie sie gegen die Schiffsseiten gebaut sind, nicht unähnlich.

»Du siehst, Honoria,« sagte ich freudig, »die Vorsehung hat uns nicht verlassen und uns sogar in diesem Felsen eine Schlafkammer bereitet. Allerdings ein hartes Lager, aber es ist doch vollkommen trocken, und du wirst gegen den Thau der Nacht gesichert sein. Hier kann dich kein wildes Thier erreichen. Vor Allem will ich aber hingehen und einige jener Blätter sammeln, die eben noch so laut unter unsern Füßen raschelten.«

»Nein, nein, Ardent, du sollst mich nicht verlassen. Und außerdem, welche Insekten würdest du mir nicht vielleicht mit dem Laube unter den Kopf legen. Ich habe von Scorpionen, Taufendfüßen und anderen abscheulichen Thieren gehört. Kein Lager kann hart genug sein, um mir eine balsamische Ruhe zu verweigern, wenn mein theurer Bruder an meiner Seite ist.«

»Du hast Recht, Honoria; ich muß dir deine Betttücher bei Tag aussuchen. Aber es wird sehr dunkel, meine Liebe; laß dich daher mit einemmale hinauflüpfen, und mögen alle guten Engel dich beschützen.«

Nachdem ich sie sanft in diesen felsigten Schlupfwinkel hinaufgehoben und sie sich zurecht gesetzt hatte, rief sie freudig:

»Ardent, da ist's schön – völlig bequem, und unter meinem Kopfe finde ich ein natürliches Kissen. Komm herein, Ardent; es ist genug Raum vorhanden.«

»Nicht für Königreiche, Honoria. Ich will hier unter dir wachen. Glaube mir, meine Liebe, daß ich weder müde, noch schläfrig bin.«

»Nein, das kann ich nicht dulden. Lieber stehe ich wieder auf und komme zu dir hinunter. Warum sollte ich's so sicher und gemächlich haben, während du allen den unbekannten Gefahren dieses einsamen Platzes, wie auch der Kälte der Nacht ausgesetzt bist? Ich sage dir, es ist hinreichend Raum an meiner Seite – komm, mein Ardent. Hast du aufgehört mich zu lieben? Bin ich nicht deine Schwester?«

»Du bist ein süßes, gesegnetes, unschuldiges Wesen; aber dränge mich nicht weiter – ich habe eben erst zu dem großen Schöpfer jener funkelnden Sterne, welche jetzt ihr reines Licht auf uns niedergießen, geschworen, die ganze Nacht über hier unten zu bleiben. Ich finde es nicht kalt und werde wahrscheinlich nach einer Weile einschlafen. Warum seufzest du so kläglich? Ich sage dir, daß ich mich ganz glücklich zu fühlen anfange. Sprich das Gebet des Herrn und lege dich dann schlafen, meine Theure.«

»Küsse mich zuvor, Ardent, und ich will es versuchen.«

Ich drückte züchtig ihre Lippen an die meinigen, empfahl sie Gottes Hut und setzte mich in tiefen Betrachtungen unten an dem Felsen nieder. Nach einer kurzen Pause traf ihre sanfte Stimme wieder mein Ohr.

»Ardent, ich kann nicht schlafen.«

»Was willst du, meine Liebe?«

»Nichts, Ardent, als deine Stimme hören. Dieses eintönige, klägliche Brausen der Brandung läßt mich nicht zur Ruhe kommen.«

»So wende dein Gesicht davon ab.«

»Ich habe es bereits gethan, höre es aber immer noch. Ich muß dabei an das Schiff und alle Diejenigen denken, die darin zu Grunde gegangen sind.«

»Singe dich in Schlaf, Honoria; du wirst's dann nicht mehr hören.«

»Ich kann nach meinem Nachtgebet nichts Weltliches mehr singen.«

»So versuche es mit einer Abendhymne an die Jungfrau.«

»Aber das ist ja katholisch, Ardent.«

»Sie ist der reine Erguß eines sündenfreien Herzens und klingt meinem Ohre angenehm; auch findet sie ohne Zweifel eine gnädige Aufnahme bei Gott.«

»Möge Er dich segnen, Ardent, wie mein Herz dich segnet, immerdar.«

Und bald nachher ertönte ihre weiche Stimme aus dem Felsen in sanften Harmonieen. Die Klänge mischten sich mit dem traurigen Brausen des Oceans – die Sterne funkelten in ihrem friedlichen Glanze am Firmamente – eine heilige Ruhe beschlich meine Seele. Ich hatte mein Haupt auf die Brust niedersinken lassen und schlief, noch ehe die Töne in meinen Ohren verhallt waren, den traumlosen Schlaf der Müdigkeit und Erschöpfung.

So entschwand und endete der erste Tag unseres Aufenthalts auf der Insel Honoria.

»Auf, du Träger – pfui, du Langschläfer!« lauteten die fröhlichen Worte aus Honoria's Munde, welche mich am folgenden Morgen weckten. »Siehst du nicht, Ardent, daß es wenigstens acht Uhr sein muß? Gib Acht, dieser Fels wird bald so heiß sein, daß er uns als Ofen für das Backen unseres Frühstücks dienen kann – die Sonne scheint mit solcher Macht auf ihn nieder.«

»Du bist fröhlich, meine süße Schwester. Bist du schon lange auf?«

»Unten, solltest du vielmehr sagen. Ja, und ich habe bereits meine Abwaschungen in dem Bade unter jenem Felsen vorgenommen, wo ich, gleich einer Undine, mein Toilette unter dem verstrickten Seegras machte. Wie sehe ich diesen Morgen aus?«

»Schön, sehr schön – doch muß ich gestehen, ein wenig sonnverbrannt und sehr sommersprossig. In der That, Schwester, du hast deine Garderobe allerliebst benützt – und nun will ich auch mein Bad vornehmen, worauf wir an's Frühstück gehen können. Ich wünschte nur, daß die Gelegenheiten für das letztere ebenso großartig wären, wie die für's erstere.«

»Komm mit mir an die Uferfelsen rechts hinunter, und ich will dir reichliches Frühstückmaterial zeigen, wenn du dich dazu hinauswagst.«

Sie nahm mich bei der Hand und führte mich nach einer Stelle, wo Trümmer von granitischen Gebilden weit in die See hinaus vorsprangen und einen großen Wechsel von grotesken Formen zeigten. Die Felsen hatten sich zu gothischen Bogen, griechischen Säulen mit phantastischen Kapitälen und weitgewölbten Hallen gestaltet, welche nur die blauen Wellen zum Fußboden hatten. Letztere schienen hier in ewiger Stille zu liegen, denn das Ganze war durch das ungeheure Korallriff geschützt, dessen ich schon so oft Erwähnung gethan habe. Auch fanden wir einige Grotten, deren Boden aus festerem Material, als aus Wasser bestand, und die in der Hitze des Mittags kühle, angenehme Bergewinkel abgaben.

Als ich mich unter diesen wunderlichen und oft so schönen Naturbauten befand, konnte ich einen Ausruf des Erstaunens und Vergnügens nicht unterdrücken.

»Du hast mich nach Wasserpalästen gebracht, Honoria, und wir müssen hier während des Tages wohnen. Sieh', welche schöne Sitze diese Felsschichten in dem fast octogonartigen Raume bieten. Wie hoch ist die Decke, und wie schön ihre Verzierung. Aber das Frühstück – du weißt, dies ist unerläßlich.«

»So komm nur ein Bischen weiter hinaus – da ist das Wasser klar genug. Wenn mich meine Augen nicht täuschen, finden wir in nicht großer Tiefe Austern von der Größe eines Suppentellers. Ich habe die Seeleute von Muscheln erzählen hören – sieh, du findest sie hier zu tausenden – und welche herrliche Schaalen. Auch dieser Vorsprung ist, wie es mir scheint, ganz von einer Muschelart bedeckt. Und wie die schönen Fische so rasch ab- und zuschwimmen. Komm, Ardent, ich bin zum Frühstück bereit.«

»Ich auch, Honoria; aber wir werden es doch bei unsern Freunden, den Cocosnußbäumen, suchen müssen. Die schöne Durchsichtigkeit des Wassers täuscht dich über seine Tiefe, und die Orte, welche alle diese Schätze bergen, müssen wenigstens drei oder vier Faden unter der Oberfläche liegen. Leider ist meine Erziehung so mangelhaft, daß ich nur wenig schwimmen und gar nicht untertauchen kann. Hätten wir Jugurtha hier, so könnten wir freilich jeden Tag ein üppiges Mahl halten. Im Grunde bin ich doch nur ein armes, hülfloses Geschöpf, Honoria.«

»Sprich nicht so; ich mache mir nicht viel aus animalischer Kost – und ein Cocosnußfrühstück ist auch ein Hochgenuß. Ich will hingehen und einige der schönsten auslesen.«

Ich benützte ihre Abwesenheit, um gleichfalls meine Toilette zu machen, und war nach dem kühlen Seebad so erfrischt, daß ich mich vollkommen wohl und kräftig fühlte. Hiedurch ermuthigt, machte ich sogar den Versuch, einige der Schaalthiere, welche nicht allzutief schienen, loszumachen; aber obschon ich deren etliche erreichen konnte, vermochte ich doch nicht lange genug, unter dem Wasser zu bleiben, um sie von ihren Lagern loszumachen.

Als ich zu Honoria zurückkehrte, sagte ich ihr nichts von meinen erfolglosen Versuchen. Ich traf sie unter den Bäumen, wie sie die Früchte betrachtete. Sie waren allerdings da, aber einem behaglichen Frühstück lag doch ein kleines Hinderniß in dem Weg, denn die leckere Kost hing etlich und vierzig Fuß über dem Munde, der darnach wässerte.

»Ach, Ardent!«

»Nun, Honoria?«

»Da sind ihrer viele – einige Nüsse mit Milch würden vorderhand ausreichen.«

»Ja, aber wie sollen wir dazu kommen?«

»Schüttle den Baum.«

»Wir wollen's versuchen. Nein, das geht nicht – et ist so unbeweglich, wie der Felsen.«

»Du mußt hinaufklettern, Ardent.«

Ich hatte nie zuvor Kletterversuche gemacht, weshalb ich nicht zum Voraus wissen konnte, wie ich damit zu Stande kommen würde; aber ich hatte doch einige Bedenken über die Sache. Die Baumstämme waren völlig kahl und fast glatt, so daß ich fürchtete, es werde mir ebenso wenig gelingen, wie das Schwimmen und Untertauchen. Ich machte jedoch mein bestes Gesicht zu der Sache, und brachte es so weit, meine Füße wenigstens ein paar Fuß über den Boden zu erheben, aber mit dem Kopf wollte es nicht vorwärts gehen.

Mögen die Naturforscher sagen, was sie wollen, der Mensch ist kein Kletterthier, wie die Bären, die Eichhörnchen und die Affen.

Honoria konnte, trotz der Verdrießlichkeit unserer Lage, nicht umhin, herzlich zu lachen. Sie bot mir ihre Schulter an, die ich denn auch annahm. Vermittelst dieses Beistandes gelang es mir, mich ungefähr fünf Fuß über den Boden zu erheben, aber weiter ging es nicht, und für geraume Zeit war ich zu ärgerlich, wieder herabzusteigen. Da blieb ich denn in medio – tutissimus est, hätte man sagen können, aber die Maxime ließ sich nur auf die Cocosnüsse anwenden. Endlich sah ich mich genöthigt, mit zerrissenen Beinkleidern und zerkratzten Händen wieder herunterzukommen.

»Welch' ein hülflofes Geschöpf ist nicht dein Bruder,« sagte ich, mich entschuldigend.

»Durchaus nicht – du bist natürlich ebenso wenig ein Affe, als ein Wilder, wirst aber mit der Zeit schon klettern lernen. Wir sind hungrig, brauchen aber nicht zu verzweifeln, da wir ja das Innere einer oder der andern gefallenen Cocosnuß essen können. Frisches Wasser wird leicht zu finden sein; aber könnten wir nicht mit Stöcken und Steinen die Nüsse herunterwerfen, wie ich in Spanien böse Buben mit den Wallnüssen thun sah?«

Aber da waren weder Steine noch Stöcke, denn das Ufer bestand blos aus feinem, weißem Sande und der höher gelegene Grund aus fetter Erde, in welcher höchstens ganz kleine Kiesel zu finden waren. Als letztes Hülfsmittel lasen wir daher drei oder vier der besten alten Nüsse auf, und zogen uns dann mehr in's Innere, um nach Wasser zu sehen. Das im Westen liegende Gebirg belehrte mich, daß das Land groß sei und nicht allein Bäche, sondern sogar beträchtliche Flüsse besitzen müsse; aber die Vegetation war so dicht, daß ein Vorwärtskommen unmöglich schien. Unsere Nahrung mit uns tragend gingen wir einige Schritte vorwärts, als Honoria plötzlich stehen blieb und in ein boshaftes Gelächter ausbrach.

»Ardent,« sagte sie, »wir sind die liebe Unschuld selbst und werden nie im Stande sein, auf einer verödeten Insel zu leben. Wir haben da fast zwei Stunden verloren, eh es unsern einfältigen Köpfen einfiel, daß wir eine Cocosnuß mit der andern herunterwerfen könnten – wenigstens lohnt sich's des Versuches.«

Ich kehrte zurück, hatte übrigens keine Lust, Honoria's Heiterkeit zu theilen.

»Meine arge Dummheit und mein Mangel an Erfindungsgabe werden dich und mich dem Hungertode preisgeben, Honoria. Wir haben über uns und unter uns, in der Luft und unter dem Wasser Nahrung genug, aber ich bin nicht im Stande, sie beizuschaffen. Gott helfe mir, wie habe ich mich in mir selbst getäuscht!«

Ich ging jedoch rüstig an's Werk, schälte drei oder vier von den alten Cocosnüssen, und begann nach den riesigen Trauben oben zu werfen. Von zehn Würfen traf ungefähr einer, und wenn dieser endlich auch gelang, so übte er doch nur geringe Wirkung, da der Baum seine Frucht hartnäckig festhielt. Endlich, nachdem ich durch diese neue Anstrengung erschöpft war, brachte ich ein paar herunter, die vortrefflich und voll Milch waren. Honoria's mädchenhafte Heiterkeit schien schnell wieder zurückzukehren. Sie ermuthigte mich mit ihrer Stimme, und als ich endlich meinen Zweck erreicht hatte, jubelte sie in lautem Triumphe hinaus. Es war bereits außerordentlich heiß; wir kehrten daher mit unsern Früchten nach unserem neuaufgefundenen Seepalast zurück, bohrten dann in die Augen der Nüsse und tranken die kühle, köstliche, erfrischende Milch.

*


 << zurück weiter >>