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Drittes Kapitel.

Führt mit einemmale in Schwierigkeiten und Salzwasser. – Ich befinde mich auf einem unstatthaften Fuße und gerathe in Zank. – Werde von meiner Seekrankheit kurrirt und erhalte einen erstaunlichen Unterricht in der Seemannskunst.

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Der Nordostwind blies mit einer so boshaften Beharrlichkeit, daß ich ihn mit nichts besser, als mit der Rede einer scheltenden Keiferin zu vergleichen vermag, welche in der Uebung ihrer polternden Eigenschaften stets neue Kraft gewinnt. Er sauste den ganzen, lieben, langen Tag. Einige Segel wurden eingenommen, andere aus den Leiken geblasen, und als die Nacht einbrach, glaubten wir, daß endlich ein Nachlassen eintreten werde – eine Voraussetzung, in welcher der Meister ein Extraglas zu sich nahm, sich frühe zu Bette begab und so zwischen Rum und Betäubtheit in seiner Hängematte jene Ruhe fand, welche sich weder auf dem Decke, noch am Himmel oder auf der Oberfläche des Wassers zeigen wollte.

Die Brigg war, so weit sich dies von einem derartigen schwimmenden Fasse sagen ließ, gut aufgetakelt, und da außerdem die Leichtigkeit ihrer Ladung in der Quantität des Ballastes das gehörige Gleichgewicht fand, so benahm sie sich gut genug. Ich fühlte mich sehr unwohl. Wenn ich mich auf das Deck begeben wollte, so konnte ich nicht auf den Beinen stehen, und unten war die dumpfe, stinkende Luft fast unerträglich. Dies sind allerdings nur sehr gewöhnliche Uebelstände, wurden aber für einen Menschen von meinen früheren Gewohnheiten, meiner pünktlichen Reinlichkeit und meiner bisherigen Lebensweise zu herben Plagen.

Gegen acht Uhr Abends wurde meine Noth völlig unerträglich; denn zu den ekelhaften Ausdünstungen der dumpfen Kajüte und dem schrecklichen Krachen des Schiffsgebälks kam noch der Zorn über das geräuschvolle Schnarchen des betrunken Meister Tomkins, welcher sich sein Bett in der nebenanliegenden Kajüte auf einer Art von Schrank zubereitet hatte. In meiner schlaflosen Nervenaufregung konnte ich noch außerdem deutlich das Ticken der Todtenuhr unterscheiden – eine Empfindung, die in einem solchen Zustande wie ein langsames Rädern erscheint, mir aber dennoch in Vergleichung mit dem rohen, unablässigen Grunzen meines Quälgeistes wie wahre Musik vorkam.

Fast zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich in meinem Innern die Wirkungen des Zornes – ein seltsames Gefühl, wie wenn ich Jemanden umbringen könnte. Ich vergegenwärtigte mir anfangs mit Entsetzen, dann aber mit grimmigem Vergnügen die Lust, die ich empfinden würde, wenn ich dem Elendem das Hirn ausschlagen dürfte. Ich schauderte bei meinem eigenen Gedanken, gewann ihn aber zuletzt wider Willen lieb und wunderte mich über meine eigene Verderbtheit – ein zitterndes Gefühl bemächtigte sich meiner bei diesem plötzlichen Blick in mein Inneres, und ich mußte mir mit grimmiger Beschämung sagen, daß ich ein Sohn Adams und ein Bruder Kains war. »Oh!« rief ich, als ich mich auf meinem ruhelosen Bette umherwarf, »wenn sich diese Mordlust nach einem so geringfügigen Anlasse deiner schon bemächtigt, Ardent Troughton, was vermag deine Hand zu zügeln, wenn Ungerechtigkeit, Kränkung und Hohn dich unter die Füße tritt. Es glostet eine schwarze Kohle mit unheiligem Feuer in deinem Herzen – lösche sie aus – lösche sie schnell aus, oder sie wird dich verzehren.«

Ich riß mich von meinem Lager los und kroch gedemüthigt, krank und elend auf das Deck. Welch' ein trostloser Anblick! Mit unserer Entfernung von dem Lande hatten sich die Wogen mehr und mehr gehoben, aber mit ihnen war auch die üble Laune und Verdrießlichkeit des Maten, welcher die Wache hatte, gestiegen. Das Schiff steuerte seinen Kurs nach der Meerenge von Gibraltar und hatte die Bö auf seiner Backbordvierung, ohne derselben mehr als ihre gerefften Focksegel und die Sturmstagsegel entgegen zu setzen. Die Brigg machte einen raschen Weg, aber die Nacht war ungemein finster, und die Bitterkeit der Kälte wurde noch durch die Schlossen erhöht, die quer über die Decken trieben.

Man darf nicht glauben, daß ich das Verdeck in der gemüthlichsten Stimmung erreichte, und als ich über der Lücke erschien, hörte ich den Mann am Steuer mit einem verächtlichen Umherrollen seines Kautabaks sagen:

»Da kömmt der lange Uferlaffe.«

Ich stolperte über die Luvseite des kleinen Raumes, welchem der hochtönende Titel eines Halbdeckes beigelegt worden war, und kam, gewiß ganz ohne Absicht von meiner Seite, mit dem sauertöpfischen Maten in Berührung. Er hieß Gavel. Ja, ich erinnere mich, James Gavel war der Name dieses Mannes mit der unglücklichen Gemüthsart.

»Aus meinem Wege da, Sir,« sagte er zu mir, indem er mich mit dem Arme bei Seite schob.

»Dies mir?«

»Ja.«

»Ihr seid grob, Sir.«

»Ich habe meine Schuldigkeit zu thun. Ihr seid mir im Wege. Und wäret Ihr des Königs Sohn und Ihr hindert mich in Ausübung meines Dienstes, so würde ich Euch so auf die Seite schicken.«

Und er stieß mich nach dem Lee hinüber. Ich stolperte unter der heftigen Bewegung der Brigg, stürzte mit Macht gegen die eisernen Belegnägel und erlitt eine bedeutende Beschädigung. Diesen Schmerz fühlte ich damals nicht. Die Handlung des Maten konnte nicht gerade ein Schlag genannt werden – sie war ein Stoß, eine Geberde, wie wenn man ein Hinderniß auf die Seite räumt. Ich warf einen grimmigen Blick auf meinen Angreifer und blickte hastig nach einer Waffe umher, um die Unbill zu rächen. Sogar Bounder, der große Neufoundländerhund, dessen ich bereits ehrenhafte Erwähnung gethan habe, ergriff trotz unserer neuen Bekanntschaft für mich Partei. Er stellte sich in feindseliger Haltung vor mir auf, als wolle er mich gegen weitere Verunglimpfung schützen, und knurrte trotzig meinem Widersacher entgegen. Dieses plötzliche Geberden von Seite des Hundes schien Gavel am empfindlichsten zu berühren, denn er rief mit einem schrecklichen Fluche:

»Ist denn Alles, was athmet, mein Feind?«

Ich fühlte, wie mich die Leidenschaft überwältigte; aber der Rückblick auf jenen schrecklichen Drang in der Kajüte ließ mich eine Kraftanstrengung machen, durch welche ich sie glücklich niederkämpfte. Welch' ein geheimnißvolles Ineinanderschlingen von Gedanken und Gefühlen ist nicht der menschliche Geist! Wegen einer unabsichtlichen Belästigung hatte ich eben erst nach Blut gedürstet, und nun, nachdem mir Schimpf und Kränkung sehr unverholen angethan war, dachte ich nur an Rache für die verletzte Ehre und an einfache Züchtigung meines Beleidigers.

Nachdem sich der erste Ausbruch meiner Empfindlichkeit gelegt hatte, ging ich auf Gavel zu, legte meine Hand schwer auf seine Schulter und sagte zu ihm mit langsamer Bestimmtheit:

»Ihr habt mich gröblich beleidigt und müßt mich um Verzeihung bitten.«

»Lieber will ich Euch vorher verdammt sehen.«

»Ihr müßt. Hier auf Eurem Elemente und auf Planken, auf denen ich kaum zu stehen vermag, bin ich unfähig, gleich mit Euch zu kämpfen, denn mein Geist ist angegriffen, und ich fühle mich furchtbar geschwächt durch meine Krankheit, die Euch freilich nur wieder Anlaß zum Spott gibt. Aber um Eurer selbst und um meinetwillen rathe ich Euch, mir nicht Mordgedanken in den Kopf zu setzen. Leistet Abbitte – ich flehe Euch sogar darum.«

»Habe schon gesagt, daß es nicht geschieht. Wenn ich einen Mann, der ein Mann ist, nicht wie einen Mann behandelt habe, so bin ich von Herz und Seele bereit, ihn um Verzeihung zu bitten; aber daß ich, ein befahrner Matrose, mich so weit erniedrigen sollte, einem zähnepolirenden, nach Pomade duftenden, weißhändigen Stärkmehlklumpen, wie Ihr seid, Abbitte zu leisten? – nein, das geschieht nicht, und wenn Ihr mir das Stilett auf die Brust setztet, das Eure verfluchten, memmenhaften Landsleute so gerne in Anwendung bringen. Euch um Verzeihung bitten? Wenn die Spitze davon schon in mein Herz dränge, so würde ich Euch verfluchen und in meinem letzten Sterbezucken verachten. Ha, Ihr greift nach Eurem Messer oder Eurem Dolche, wie? Recht so – da ist meine breite Brust; stoßt zu, wenn Ihr es wagt! Ich will ebenso gerne von der schnöden Hand eines spanischen Bastards sterben, als dieses Hundeleben fortführen, denn ich bin dieser Welt satt und übersatt sammt Allem, was darauf ist.«

Der Hauptinhalt dieser Rede hatte mich in hohen Zorn versetzt, aber der letzte Satz war in so ergreifendem und tiefem Tone der Wehmuth gesprochen – einem Tone, der einen so völligen Gegensatz mit der übrigen wilden, rücksichtslosen Haltung des Mannes bildete, daß ich plötzlich die Absicht einer summarischen Rache zügelte, obschon ich kaum wußte, wie ich dieselbe hätte zur Ausführung bringen können. Ich hielt mich daher an dem Luvtakelwerk fest und antwortete mit einer Ruhe, die mich selbst überraschte:

»Mr. Gavel, Ihr verweigert mir Gerechtigkeit, weil Ihr mich nicht für einen Mann, sondern – Eurer eigenen Ausdrücke zufolge – für ein Geschöpf haltet, das unter demselben steht. Euer Beruf ist nicht der meinige – auch kann ich mich Eurer Kenntnisse und Eurer Fähigkeit, Gefahren zu ertragen oder bei diesem schrecklichen Wogengebrause festen Fuß zu fassen, nicht rühmen. Aber man kann dieser Eigenschaften entbehren und doch ein edles Herz, einen festen Willen und einen hohen Muth besitzen, den der Ungebildete nicht einmal zu begreifen vermag. Ich will mir zwar nicht anmaßen, daß ich diese Befähigungen in besonders hohem Grade besitze, hoffe aber doch, daß genug davon in meinem Innern wohnt, um mich ebenso gut einen Mann zu nennen, als es James Gavel, der erste Mate von meines Vaters gemieteter Brigg, der Jane, ist.«

»Beweist es,« versetzte mein Gegner stöckisch.

»Ich will es beweisen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet – und wenn dies geschehen ist, so werdet Ihr Euren Irrthum einsehen und mich um Verzeihung bitten. Dies ist der erste Streit, den ich in meinem Leben gehabt habe, und ich bitte demüthig zum Himmel, daß es der letzte sein möge – denn öftere Wiederholungen könnten mich in einen Teufel umwandeln.«

»Gut, Ihr sprecht ehrlich, Mr. Troughton. Gelegenheiten werden sich ehestens von selbst bieten. Dies ist ein dem Untergange verfallenes Schiff. Die Todtenfeuer haben gestern Nacht eine ganze Stunde um die Fockmastspitze gespielt, und der alte Huggins sah vorne ein seltsames Thier, halb Fisch, halb Hyäne – es nährt sich von dem Fleische der Matrosen und weiß besser, als der Hayfisch, wenn fette Leichen bald in die See stürzen werden. Nimm dies, du Tölpel,« fuhr er fort, indem er dem Manne am Rade einen so furchtbaren Schlag in's Gesicht versetzte, daß im Augenblicke das Blut nachlief, und zu gleicher Zeit die Speiche selbst ergriff, um den Kurs des Schiffes rasch zu richten – »nimm dies und lerne auf dein Rad Acht haben. Du brauchst uns nicht vor unserer Zeit auf ein Riff zu führen.«

Ich bedauerte diese Züchtigung durchaus nicht, obgleich sie strenge genug war. Der Bursche war im Nu eingeschüchtert und nahm, ohne das Blut von seinem Gesichte abzuwischen, sein Amt wieder auf. Während er auf den Maten horchte, hatte er den Steuergang vernachlässigt und die Brigg so weit beidrehen lassen, daß der Wind ganz gegen ihre Seiten kam und eine wahre Sündfluthwoge darüber wegfegte. Da jedoch alles gut festgemacht war, so erwuchs daraus kein weiterer Schaden, als daß wir zu dem Regenbade, das wir geduldig erstanden, auch eine Salzwasserlauge erhielten.

»Ihr glaubt also, Mr. Gavel, daß wir in Gefahr sind?«

»Weiß es – thut mir nicht leid – habe die Welt satt. 's gibt doch keine Beförderung für einen Mann, der seinen Dienst thut. Betrachtet dieses Vieh, unsern Schiffer Tomkins – mit seinen Mitteln könnte ich glücklich sein und es meiner alten Mutter gemächlich machen.«

»Aber gilt er nicht für einen guten Seemann?«

»Wohl, Sir; er ist just passend, dieses oder jedes andere Schiff in vierundzwanzig Stunden zweimal dreißig Minuten zu kommandiren – denn so lange braucht er allemal dazu, bis er dick betrunken ist. Ehe er eine hinreichende Quantität hat, um sich aufzuziehen, ist er so furchtsam, wie ein Hase und so schwach, wie eine verzärtelte Dame, die von grünem Thee lebt; hat er aber zuviel, so ist er so unbesonnen und rücksichtslos wie ein zu Grunde gerichteter Spieler mit einem Weib und einer jungen Familie. Mit Ausnahme der zwei erwähnten halben Stunden befindet er sich stets entweder in dem einen oder in dem andern dieser Zustände. Doch gleichviel – jetzt ist Alles eins; auch für ihn ist sein grünes Leichentuch bereit, und er wird es, schätz wohl, weit genug finden. Ehestens wird er ein tieferes Grab haben, als sein Vater.«

»Aber warum alle diese Besorgnisse? Ihr wißt, daß ich mich bis jetzt nur erbärmlich auf der See ausnehmen konnte, sonst hättet Ihr mich nicht so ungestraft bei Seite stoßen sollen, obschon Ihr mir noch dafür Rede stehen werdet. Warum aber alle diese Besorgnisse in Betreff unserer Sicherheit? Das Schiff rollt allerdings, scheint aber doch nicht in größerer Gefahr zu sein, als im Laufe der letzten achtundvierzig Stunden. In der That, Eure unheimlichen Vorhersagungen sehen ganz wie Aberglauben aus.«

»Meint Ihr? Nun, nennt's wie Ihr wollt. Die Ratten sind in solchen Dingen weit bessere Beurtheiler, als wir armen blinden Sterblichen. Merkt auf – dieses alte Schiff da wurde seither immer von jenen weisen Gentlemen mit langen Schwänzen und schwarzen Backenbärten überlaufen. Kein Schiff in der Themse von der Londoner Brücke an bis zu dem Noreleuchtthurm war je mit einer schöneren Kolonie versehen. Aber Gott soll mich holen, wenn ich sie nicht in der Nacht, in welcher Ihr an Bord kommt, ganz gemächlich und ordentlich wie Soldaten, die zur Parade ziehen, die Kettenkabel hinuntermarschiren sah; sie sprangen, drei Abtheilungen bildend, in's Wasser, und einige von den Alten hatten ihre Jungen zwischen den Zähnen.«

»Unglaublich.«

»'s ist wahr. Die eine davon schwamm an Bord des Indienfahrers George: – der ist ein sicheres Schiff für seine Reise. Wenn's den Eigenthümern zu Ohren gekommen wäre, hätten sie sich die Versicherung sparen können.«

»Und wohin gingen die beiden andern Abtheilungen?«

»Hab's nicht weiter verfolgt, aber schätz wohl ein gut Stück weiter den Fluß hinunter. Ich hätte es wohl auch selbst gern wissen mögen, aber der letzte Zug, welcher die Brigg verließ, hatte mich zu sehr in Anspruch genommen. Es war eine große, alte, graue Ratte darunter. Als sie auf dem letzten Gliede der Kettenkabel stand und eben in's Wasser springen wollte, wandte sie sich noch einmal ganz gemächlich herum und schüttelte den Kopf nach dem Schiffe, just mit so viel Gravität und Weisheit, wie ein Richter auf der Bank. Ich hatte gute Lust, ihr den Mordpfriem nachzuwerfen, den ich zufällig in der Hand hatte, dachte aber, wir seien ohnehin nicht zum Besten mit Vorräthen versehen. Mein Seel, ich hatte es gewaltig im Sinne, selbst auch meinen Stecken zu schneiden und mit ihnen zu ziehen.«

» Hieraus schließt Ihr also, daß wir zu Grunde gehen werden?«

»Gewiß. Außerdem haben wir auch einen Mörder an Bord.«

»Schrecklich!« rief ich, und meine eigenen entsetzlichen Gedanken in der Kajüte traten als Richter gegen mich auf. »Das ist eine schwere Beschuldigung, Mr. Gavel! Wie könnt Ihr dies wissen?«

»Die That wurde vielleicht noch nicht begangen, ist aber vorherbestimmt, und der Mann, der sie verüben wird oder schon verübt hat, ist jetzt in diesem verurtheilten Schiffe.«

»Wenn aber, Eurem lächerlichen Vorzeichen zufolge, das Schiff sobald zu Grunde gehen soll und der Mord noch nicht begangen wurde, so kann überhaupt von keinem Morde die Rede sein, da wir dann Alle ein gemeinsames Schicksal theilen.«

Ich sprach dies mit scheuem Mißtrauen gegen mich selbst.

»Kann sein – kann sein auch nicht. Ist die That noch nicht geschehen, so kann auch noch in unserer kurzen Zeit Gottlosigkeit genug verübt werden, um uns Alle in die Hölle zu stürzen. Ihr selbst habt eben erst eine Miene gemacht, als verlangtet Ihr, mir die Gurgel abzuschneiden, blos weil ich Euch aus meinem Wege geschoben habe. Hättet Ihr just ein Messer zur Hand gehabt, ich wette darauf, es stäcke jetzt in meinen Rippen. Ihr schaudert? – Ei, Master Troughton, welch' ein geringfügiger Umstand hat nicht zwischen Euch und einem Morde gelegen! Ihr solltet Euch vor Euch selbst schämen.«

Meine Wangen brannten vor Schaam über diesen Vorwurf von Seiten des rauhen, grämlichen Seemannes, obschon ich zu stolz war, meine Gefühle in Worten zu verrathen. Ich erwiederte daher kalt:

»Ihr werdet mir Genugthuung geben für jene Kränkung, sobald Ihr mich erprobt habt; denn man kann einen Streit wohl aufschieben, ohne daß man ihn vergißt. Inzwischen laßt uns großmüthig gegen einander handeln. Ich habe bereits Eure gediegenen Eigenschaften achten gelernt und weiß, daß die Rettung dieses Schiffes, wenn es zu retten ist, nur von Euch abhängt; es ist schade, daß Ihr diese guten Eindrücke durch Euer rohes Benehmen beeinträchtigt.«

»Lassen wir das rohe Benehmen, wie Ihr es zu nennen beliebt; aber in Betreff des anderen Punktes ist das Schiff nicht zu retten, falls wir den Mörder nicht wie einen zweiten Jonas über Bord werfen. Wenn er in jenem Strudel dort im Lee zappelte, so könnten wir in Zeit von einer Stunde schönes Wetter und eine ruhige See haben. Wollte Gott, daß wir ihn dort hätten!«

»Mr. Gavel, Ihr erfüllt mich mit Entsetzen! Sind dies auch die Gedanken eines Christen? Es ist in der Ordnung, daß Verbrechen gestraft werden; sich aber an der Strafe zu freuen, ist unmännlich, unnatürlich – ja sogar teuflisch, denn passender läßt sich ein solches Gefühl nicht bezeichnen.«

»Selbsterhaltung, Master Troughton – doch horcht! da ist wieder eine frische Hand an den Bälgen; und habt nur Acht, mein schöner, zarter Herr, wie pechschwarz es plötzlich geworden ist. Ihr seid jetzt nicht mehr seekrank – nein, die Furcht hat dies hinweggenommen. Hebt Euren Kopf auf und schaut über das Bollwerk, wenn Ihr so keck seid; Ihr könnt mir dann sagen, was Ihr seht.«

Ich gehorchte mit beklommenem Herzen. Anfangs benahm mir der Ungestüm des Windes fast den Athem, und die Schlossen blendeten mich; als ich jedoch theilweise mein Gesicht mit den Händen beschattete, war ich im Stande festen Fuß zu fassen und mich auf einer kurzen Strecke umzusehen.

»Noch eine Hand an's Rad. Gebt auf's Steuer Acht, Bursche, gebt auf's Steuer Acht, Stätig jetzt – drückt nach, Jungen, drückt nach – die Brigg taumelt, wie ein betrunkener Kriegsschiffmann auf dem Point. Nun Master Troughton, was habt Ihr gesehen?« fuhr er fort, indem er sich gegen mich wandte.

Der Wind hatte mich dermaßen überwältigt, daß ich wieder zu Athem zu kommen suchte, indem ich mich über das Luvbollwerk hinunterduckte.

Alles oben war schwarz, schwarz, schwarz. Das einzige Licht schien von dem wilden Schaume der erzürnten Wogen auszugehen, und der Horizont, der durch einen blassen, schwächlichen Farbenstreifen bezeichnet war, stand so furchtbar nahe, als wolle er uns von allen Seiten zusammenpressen.

»Jenes blasse Licht, Gavel, das von den zischenden Wogen ausgeht, ist schrecklich anzusehen.«

»Ja! Aber habt Ihr nicht die Leichenlichter gesehen, die da und dort herumtanzen, just an der Stelle, wo die sich öffnenden Wasserschlünde am schwärzesten aussehen.«

»Beschreibt mir sie.«

»Oh, sie sind nichts, wenn man daran gewöhnt ist. Sie kommen mir stets vor, als ob jedes einer verdammten Seele durch die schwarzen Tiefen des Oceans zur Hölle hinleuchte, und doch sind sie am Ende nichts, als zuckende, schwächlich aussehende, blaue Flämmchen. Sie tanzten in der letzten Nacht um den großen Stengenkopf – da – da,« sagte er, indem er mit einem Simsonsgriffe meinen Arm umfaßte – »schaut nach dem Focktakelwerk, da sind sie! So wahr ein Gott im Himmel, der Mörder ist an Bord.«

Ich blickte hin und schauderte. Es waren viele draht- und schlangenförmige Strömchen elektrischen Feuers, die um die Wände spielten. Obgleich ich wußte, daß dabei natürliche Ursachen zu Grunde lagen, so konnte ich mich doch eines abergläubischen Grausens nicht erwehren, welches mir das Blut bis zum Herzen erkältete. Ich bemeisterte übrigens meine Furcht, so gut ich konnte, und wandte mich mit den Worten an den Maten:

»Diese blauen Flammen, die Ihr Leichenlichter nennt, sind nichts als Anzeichen, daß die Atmosphäre mit positiver Elektrizität überladen ist, die ohne Zweifel durch das Reiben des Holzes und Tauwerks an dem Eisen des Fockstengenkopfes angezogen wird. Sie verkünden uns keinen Mörder an Bord, sondern sind bloße Vorboten des Donners und Blitzes.«

»Das weiß ich auch, aber da haben wir wieder die Büchergelehrsamkeit. Ihr glaubt an Nichts – just wie ihr Alle mit Eurer Philosophie. Habt Ihr ja ohnehin schon alle Wahrheit aus der Bibel hinausphilosophirt – pfui, über die natürlichen Ursachen – Ihr wollt, daß Alles bewiesen und nichts geglaubt werde. Weil Donner und Blitz in der Regel diesen Leichenlichtern folgt, so ist dies kein Grund, daß sie nicht die Anwesenheit eines Mörders an Bord bezeichnen, und weil der Regenbogen blos durch natürliche Ursachen hervorgerufen wird, so ist dennoch kein Grund vorhanden, warum man ihn nicht als beharrlich wiederkehrendes Wunder betrachten soll, das Gott selbst als Zeichen hinsetzte für alle Menschen und Völker, daß die Welt nie wieder durch Wasser untergehen soll, obschon es wahrscheinlich genug ist, daß es Alle ersäufen wird, welche sich in diesem dem Untergange geweihten Schiffe befinden. Wie dem übrigens sein mag, Jem Gavel mit seinem rohen Benehmen wird seine Schuldigkeit thun bis auf den letzten Augenblick, mag es hoch oder nieder blasen. Ich wollte, dieses Focksegel wäre herunter, zweifle aber, ob wir Ochsenfleisch (d. h. Leute) genug haben, um es einzunehmen, ohne daß es in Bänder schlitzt. Meiner Seele, diese Leichenlichter machen einen lustigen Tanz darauf.«

Er hatte diese Worte kaum gesprochen, als ein Krachen, wie wenn der Himmel geborsten wäre, begleitet von einem grellen, blendenden Lichtstrahl uns Alle in einen Zustand augenblicklicher Betäubung versetzte. Die große Stenge war gesplittert und fiel mit ihrem wichtigen Takelwerk nach dem Lee hinüber. Der furchtbare Donnerschlag hatte eine augenblickliche Windstille zur Folge. Bisher hatte mich das Brausen des Windes das eintönige, zornige Anschlagen der Wellen nicht hören lassen. Die ganze Meeresfläche schien nun plötzlich in zahllosen Stimmen zu erdröhnen, und nah und ferne erscholl ein Geächze, wie das Stöhnen einer sündigen Welt in ihren Gräbern am furchtbaren Tage der Auferstehung. In schrecklichem Gegensatze zu diesem allgemeinen Jammerrufe unten, war oben Alles wieder dunkel und unnatürlich stille.

»Alle Hände an's Focksegel – klärt das Wrack!« brüllte der Mate. »Jetzt ist's Zeit – o, nur ein halbes Dutzend guter Hände – hinauf – hinauf!«

Aber ehe der erste Mann von der Wache scheu den Kopf über die Luke herausgesteckt hatte, erneuerte der Sturm seine Wuth mit verdoppelter Kraft, obschon fast von entgegengesetzter Richtung, und warf das Focksegel todt gegen den Mast. Im Nu deinsete die Brigg furchtbar, das Rad sprang herum, und der Mann am Steuer wurde durch den Stoß beinahe über Bord geworfen, während das Ruder hart in die falsche Richtung geklemmt wurde. Dies übte die Wirkung, daß das zurückgeworfene Focksegel und die Neigung der Fockraa ein Ueberhielen des Schiffes nach dem Backbord veranlaßten. Der Mate und ich eilten augenblicklich an das Rad, aber wir konnten es nicht bewegen. In weniger als einer Minute waren die Kajütenfenster eingedrückt, und die Kajüte füllte sich mit Wasser, so daß Mr. Tomkins, unser betrunkener Meister, im Hemde aus seinem Lager und nach der Hinterluke hinausgewaschen wurde.

Der Elende wußte sich vor Angst nicht zu helfen. Er lief händeringend umher und flehte zu Gott um Verzeihung. Er versuchte keine Anstrengung, gab keine Befehle, und Niemand achtete auf ihn. Das Schiff deinsete furchtbar. Das Wasser strömte durch das Kajütenfenster hinein und füllte das Schiff schnell, so daß Niemand unten bleiben konnte, da die Lässigen durch die kalten Wellen aus ihren Hängematten herausgetrieben wurden.

»Alle Hände nach vorn!« brüllte Gavel; »wir müssen den Fockmast kappen; dies ist unsere einzige Aussicht! – Hurtig, hurtig, meine Jungen – kommt mit, Troughton. Sollen wir den blödsinnigen Trunkenbold da seinem Schicksal überlassen?« Er deutete dabei auf den Meister. »Der Mast wird auf ihn fallen und ihn zerschmettern.«

»Wer wäre da der Mörder in Gedanken, Gavel? Nein.«

Wir rissen ihn daher nach der Back mit fort. Der Mate ergriff eine Axt, und ein großer, rühriger Schwarzer langte nach einer zweiten. Gavel hieb auf den Fockmast los, der Neger auf die Fockstengenstagen, und in weniger als einer halben Minute lagen sämmtliche Masten vorn und hinten auf dem Deck. Die Wirkung dieses Manövers war plötzlich. Die Brigg hielte augenblicklich rund um und bot dem Winde ihre Breitseite. So war denn unser Leben vorderhand gerettet.

*


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