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Zweiundvierzigstes Kapitel.

Miß Troughton in ihrem Heimwesen. – Nicht die Zahl der Gäste, sondern ihre Geselligkeit macht das Mahl zu einem Genusse. – Ein kleiner aldermanischer Exceß. – Nach der Labung kömmt Nachdenken. – Gravität, ein vortrefflicher Mantel.

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Nach der Festlichkeit des vorhergehenden Tages wurde mir das Glück, welches er erzeugt hatte, unaufhörlich durch den stets wiederkehrenden Gedanken verbittert: »Wie wird dies enden?« Ich hatte zwar meiner Schwester diese ernste Frage untersagt, aber sie tönte stets in meinen Ohren, und die einzige Antwort, die ich darauf geben konnte, lag in den einfachen großartigen Schriftworten: »Fliehe vor dem künftigen Zorne.« Ja, Alles was ich mir unter dem entzückendsten Glücke – unter einem Glücke dachte, das in seinem Uebermaße jeden Wunsch nach dem Himmel in mir zerstören und mir den Gedanken an das Jenseits abscheulich machen konnte, lag für mich – und nur für mich – in den schrecklichen Worten: »Der künftige Zorn.«

Ich floh. Vergebliche Anstrengung; meine Schwester war stets in meiner Nähe. Selbst in dem tiefen Schatten der Wälder, die fast eben so alt waren, wie dieses schöne Land, sah ich die lächelnde, blühende, Liebe einflößende Honoria vor mir, die mir in ihrer Abwesenheit noch weit bezaubernder vorkam, als wenn ich wirklich an ihrer Seite gewesen wäre. Ich fand endlich, daß sie mir in diesem phantastischen Verkehre doppelt gefährlich wurde, denn sie war, handelte und sprach dann gerade, wie es der Dämon, der in meinem Inneren herrschte und mich in's Verderben drängte, von ihr haben wollte. Nur zu oft, wenn mich die wahnsinnige Leidenschaft in der Einsamkeit fast zu verbrecherischen Entschlüssen hetzte, suchte ich Schutz gegen mich selbst in der Reinheit ihrer Nähe und in der Heiligkeit ihres unschuldigen Blickes, der mich wieder zur Vernunft brachte und mir die ehrfurchtsvolle Erinnerung an unsere gemeinschaftlichen Eltern in's Gedächtniß rief.

Ich raffte mich auf, warf die mit Rosen umwundenen ehernen Ketten der Betrachtung ab und versuchte, mich der Weisheit zu erinnern, die ich in den viel geehrten Büchern gefunden hatte. »Beständige Thätigkeit des Leibes ist das beste Schutzmittel gegen die hinterlistige Krankheit einer üppigen Einbildungskraft« – dies war ein Aphorismus, der keck vorne anstand und auf meinen Fall völlig anwendbar zu sein schien. Ich machte den Versuch und arbeitete übermäßig, indem ich sogar den bisher unermüdlichen Jugurtha mit neuen Unternehmungen zu erschöpfen und durch neue Erfindungen außer sich zu bringen begann. Diese unablässige Anstrengung des Köpers sowohl, als des Geistes, verbreitete einen üppigen Anstrich von Civilisation um uns her. Obgleich mir mein schwarzer Freund in den ersten Anfängen der Kunst, das bloß thierische Dasein zu erhalten, unendlich überlegen war, so übernahm ich im Weiterschreiten doch bald die Leitung, und er folgte mir ohne Zweifel oft sehr verdrossen, da er sich durchaus nicht denken konnte, welchem Genusse, geschweige denn welchem Zwecke meine Verschönerungen entsprechen sollten.

»Wen erwartest du denn, mein Ardent?« lautete die beständige Frage meiner Schwester, wenn ich am Morgen irgend eine große Verbesserung in unserer Wohnung, in unserem Möbelwerk und in unseren Pflanzungen zur Sprache brachte, oder wenn ich Abends todtmüde von meiner Arbeit zurückkehrte.

Meine einzige Antwort auf diese zärtlichen Fragen konnte nur darin bestehen, obgleich sie keine Ahnung hatte, welche tiefe Wahrheit darin lag – »ich arbeite nur für dein Glück.«

»Dies wird eher geschehen, mein Bruder, wenn du mir mehr von deiner Gesellschaft schenkst. Was brauchen wir denn jetzt noch?«

»Oh, noch sehr Vieles. Bedenke nur das Einzige – Wir dürfen nicht erschlaffen, wenn es unser Schicksal sein sollte, unsere ganze Lebenszeit hier zuzubringen. Ich muß jetzt zwölf Stunden des Tages arbeiten, um, wenn mich einmal das Alter beschleicht, im Stande zu sein, fast ohne Arbeit auszureichen.«

»Wie vorsorglich du bist, Ardent. Aber wenn's doch gearbeitet sein muß, so laß mich deine Mühe theilen.«

»Du bist ohnehin schon mehr thätig, Honoria, als nöthig ist. Bleibe zu Hause und in der Nähe deiner Wohnung, um das zu verzieren und zu veredeln, was Jugurtha und ich, zwar kräftiger, aber mit geringerer Geschicklichkeit, nur rauh zu behauen im Stande waren.«

Ungefähr vierzig Tage jagte, grub, fischte und arbeitete ich in der Gesellschaft meines Negers mit einer Hast, welche an Wahnsinn grenzte. Wäre ihm die Macht der Sprache verliehen gewesen, so würde ich mich weniger elend gefühlt haben.

Aber ungeachtet aller körperlichen Ermattung konnte ich die tobenden Gedanken nicht erdrücken. Ich wurde ein Casuist und kreuzigte die große Frage meines Innern mit allen möglichen Argumentationen. Ich forschte nach dem Willen Gottes, oder meinte es wenigstens zu thun, während ich die ganze Zeit über nur auf meinen eigenen hörte. Mein Herz bröckelte unter der heftigen Gluth meines Inneren in bittere Asche zusammen.

Und dennoch entdeckte ich einige Wahrheiten, obschon wir in keiner Zeit leben, die für deren Veröffentlichung paßt. Welche Seiten, welche Kapitel und welche dicken Bände könnte ich nicht schreiben, wenn ich, wie Jean Jaques Rousseau eine Geschichte meines Geistes, aus dieser Periode seiner schwersten Heimsuchungen geben wollte! Wenn das Leben nach Handlungen zu ermessen, und der Gedanke die Haupthandlung des Lebens ist – welche Menschenalter von Elend drängten sich dann nicht bei mir in wenige Monate zusammen. Mittlerweile blühte Honoria mit jedem Tage schöner auf, ohne eine Ahnung von der Ursache oder der Ausdehnung des Schmerzes zu haben, der mich schnell an den Rand des Wahnsinnes hetzte. Von ihr unbemerkt, hatte ich – ja, wohl stundenlang ihre fast göttliche Lieblichkeit betrachtet, und wenn sie endlich plötzlich ihren leuchtenden Blick auf mich warf, so fuhr ich zusammen, stieß einen Schrei aus, als ob mir ein Pfeil in die Brust gedrungen sei, stürzte in's Freie hinaus und jagte wahnsinnig am Rande des Flusses hin. Thor, der ich war – als ob ich meinen eigenen Gedanken hätte entrinnen können!

Oh, es war ein furchtbarer, ein peinlicher Kampf widerstreitender Grundsätze, und der Tummelplatz, wo sie ihren wüthenden Krieg führten, mein elendes Innere wurde dermaßen verödet und zu Grunde gerichtet, daß ich keine Hoffnung des Friedens fassen konnte.

Die Wuth, mich durch Handgeschäfte zu überarbeiten währte kaum so viele Tage, als die Hoffnung einer künftigen Menschheit auf den von Gott gesandten Wassern schwamm. Mancher Gedanke schied als Rabe aus der Arche meines Busens, aber keine rückkehrende Taube brachte mir das schöne Symbol des Friedens, den Oelzweig. In jener Periode versank ich in die melancholische Phase meines Geistes. Alles um mich her nahm eine düstere Gestalt an. Es ist wahr, daß ich noch immer die Sonne an dem wolkenlosen Himmel stehen und den Blitz seine pfeilartigen Feuerströme vom östlichen Horizont entsenden sah; aber die eine hatte ihre Herrlichkeit, der andere seinen erschütternden Glanz für mich verloren. Die ganze Natur schien sich in ein trübes Leichentuch gehüllt zu haben – die funkelnden Sterne, das lebhafte Grün der Bäume, die bunte Pracht der Blumen – Alles hatte für mich einen Grabton angenommen. Das Antlitz der Natur schien einem plötzlichen Verfalle preisgegeben zu sein, alles Lebende dem Tode entgegenzureisen und das Seelenlose in Asche zusammenzubröckeln. Alles! Habe ich Alles gesagt? – Thor, der ich bin. Oh, nein, nicht bei Allem war dies der Fall. Die herrliche Ausnahme warst du, meine namenlos geliebte Honoria. Wenn ich auf dich blickte, erschienst du mir blendender, als der Urquell des Lichts. Du warst in meinen Augen die Grundlage einer neuen Lebensordnung, ein Bote des Ewigen, um mir eine andere, glänzendere Welt, eine bessere Erde und einen schöneren Himmel zu bringen. Und dann vor Allem der entzückende Gedanke an ein edles Geschlecht von Wesen, um den Höchsten zu verherrlichen, sich gegenseitig zu lieben und glücklich zu sein! Aber an dieser hohen Vollendung sollte ich keinen Theil haben – ja – auf diesem Segensmeere lag der Fels nicht verhüllt und von lächelnden Wassern bedeckt, sondern greifbar und bestimmt in all' den Schrecken des Lasters.

Und dann raffte ich mich aus meiner Betäubung auf, um meine Lage metaphysisch zu betrachten. Ich raisonnirte darüber und brachte meine Gedanken in eine vortreffliche logische Ordnung. Ich hatte meinen major und minor – meine Propositionen und meine Data – und nun ging's an's Werk. Aber plötzlich hielt ich wieder inne, wie ein Mensch, der auf einem sicheren Wege vorwärts zu schreiten meint und jählings einen schroffen Absturz unter seinen Füßen findet. Ich entdeckte bald, daß ich Alles beweisen konnte, aber unmittelbar darauf, daß ich im Stande war, mit derselben Leichtigkeit das wieder umzustoßen, was ich eben so genügend bewiesen hatte. Es lag keine Wahrheit in mir. Nur das konnte ich deutlich begreifen, daß ich es mit einem fast unwiderstehlichen Triebe zu thun hatte, gegen welchen das Gewissen mit seinem bitteren Stachel ankämpfte.

Inmitten derartiger Geisteszuckungen stahl ich mich in einer schönen Nacht, als der junge zunehmende Mond eben unter dem frischen Blätterwerk im Westen verschwunden war, wie ein Mann, der auf ein Verbrechen ausgeht, von meinem Bette fort und suchte bei dem klaren, heiteren Licht der Sterne den Weg nach einem Haine, der, ein wenig von unseren Hütten entfernt, einen niedrigen, aber steilen Hügel krönte. Es war einer von den Ehrenplätzen der Natur – eine Stelle, an welchen man in den Tagen der Opfer und der symbolischen Anbetung in würdiger Weise dem lebendigen Gotte einen Altar hätte errichten können. Dort wachte ich und – darf ich mich vermessen, es zu sagen? – betete bis zum Aufgang der Sonne.

Ich will nicht sagen, daß ich durch das Geistesringen jener langen Nacht wieder neu belebt oder erfrischt war. In einem Sinne fühlte ich mich allerdings kräftiger, denn ich hatte wenigstens eine gewisse Stärke des Willens gewonnen. Mein Entschluß stand fest, obschon der Werth desselben erwogen werden kann, wenn ich in den Hallen der Ewigkeit vor dem Richterstuhl des Allmächtigen zittere. Wenn ich nach den Meinungen der Menschen urtheile, so hätten von jener schrecklichen Nacht an die Schmerzen meiner Versöhnung beginnen sollen; auch waren sie nicht flau in ihren Fortschritten.

Als ich nach meiner Wohnung zurückkehrte, traf ich Honoria, welche eben erst aufgestanden war, und nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit daran teilnehmenden Herzen und Gesichte ihre Morgenhymne sang. Ich betrachtete sie mit der Ehrfurcht, welche man unsterblichen Wesen schuldig ist, wenn sie an uns abgeschickt sind, eine himmlische Botschaft auszurichten. Ich begann ein abgemessenes und feierliches Gespräch, in welchem ich, meinen oft eingeschärften Weisungen zuwider, von der Zukunft mit ihr zu reden begann. Ich ließ mich sehr pathetisch über die hohen Zwecke vernehmen, welche wir Sterblichen in der Schöpfung verfolgen können, wurde sehr beredt über eingebildete Pflichten und legte ihr die Lehre ernst an's Herz, daß wir bisweilen nicht glücklich sein könnten ohne Sünde – wenigstens nicht in dem einfachen Zustande der Seligkeit, dessen wir uns in der letzten Zeit so voll erfreut hätten.

Aber ich sprach geheimnißvoll, indem ich auf einen wichtigen Wechsel hindeutete, der nothwendig uns beide betreffen müsse, obschon ich mich wohl hütete, denselben näher zu bezeichnen. Ich wußte damals selbst noch nicht, wie ich meinen Entschluß zur Ausführung bringen sollte, und verwirrte sie daher sehr, während ich mir zugleich in dem Lichte eines Heuchlers erschien, der sich seiner Worte nur in der Absicht einer Täuschung bediente.

Als sie sich nach dieser Morgenvorlesung mit einem wohlwollenden Lächeln von mir abwendete, hörte ich sie murmeln:

»Was kann Ardent mit allen diesen Predigten über Zukunft meinen, wenn er nicht etwa eine Kirche bauen will?«

Es ist hier nicht nöthig, zuzugestehen, was meine Absicht war, weshalb wir uns mit der Andeutung begnügen wollen, daß ich sie damals für meine Pflicht hielt; wie aber vermeintliche Pflichten und Wünsche auf beträchtliche Strecken Hand in Hand gehen, dies mögen die Geister aller der kleinen Kinder, der Sprößlinge ketzerischer Eltern, deren Körper in päbstlichen Flammen verzehrt wurden, laut verkünden.

Den ganzen Morgen blieb ich zurückhaltend und beinahe stumm. Diese ungesellige Kundgebung störte meine Schwester nicht viel, denn ich hatte sie in der letzten Zeit an auffallende Stimmungswechsel gewöhnt. Bei dem Mittagsmahle wollte ich mich eben mit gebührend feierlichem Nachdruck in Entfaltung eines meiner vorläufigen Plane ergehen, als Honoria mit einemmal die Blüthe meiner Beredsamkeit abknickte, indem sie scherzhaft bemerkte, daß Jugurtha kräftig und schön, Bounder aber so fett werde, daß er kaum mehr laufen könne.

Da ich in diesem Augenblick meinte, alle Gewalt meiner Einbildungskraft und meines Urtheils in Ausarbeitung einer erhabenen Entdeckung vereinigt zu haben, deren Tendenz ich in einer dem Thema angemessenen Sprache zu enthüllen für meine Pflicht hielt, so konnte ich nicht fortfahren. Ohne auf mein Schweigen zu achten, sprach Honoria weiter:

»Schade, mein Ardent, daß wir in dieser schönen Wildniß nicht irgend ein junges Indianermädchen entdecken können, das für unsern Jugurtha ein gutes Weib abgäbe. Ich denke, wir sollten doch die Nachforschungen in unserem Königreiche weiter ausdehnen.«

Das Kichern und das behagliche Grinsen, welches bei dieser einfachen, unschuldigen Bemerkung die Züge des Negers überflog, machte mich fast wahnsinnig. Würde ein Donnerschlag unter meinen Füßen gehallt haben, so hätte ich nicht betäubter sein können. An und für sich lag nichts in den Worten und noch weniger in der Art, wie sie ausgesprochen wurden; aber dennoch schienen sie mir die Geheimnisse und zugleich den Sinn umfangreicher Bände zu enthalten. Sie spornten mich zu einem augenblicklichen Wahnsinn, so daß ich fortstürzen mußte, um den ganzen Tag draußen umherzuwandern.

Erst spät am Abend kehrte ich wieder zurück. Ich war mir bewußt, daß meine Handlungen nicht die einer geistesgesunden Person genannt werden konnten, und um meine Leiden noch mehr zu erhöhen, fand ich Honoria in Thränen. Wie bereitwillig – wie gerne ließ sie sich trösten. Sie hatte sich mit den Gedanken getragen, daß sie mich unabsichtlich beleidigt habe; aber dennoch vermochte ich die Schwungkraft ihres Geistes nicht ganz wiederherzustellen. Sie hatte mir eine Art Geständniß abgepreßt, daß ich mich nicht ganz glücklich fühle, und bat um mein Vertrauen; aber ich konnte ihrem Drängen blos Ausflüchte und Verstellung entgegensetzen. Den Ton meiner Stimme hielt ich so zart und meine Blicke so brüderlich, als nur möglich; aber durch alles dies umgab ich meine Person mit einem Nimbus von Achtung, welchen Söhne ihren betagten Vätern zu zollen pflegen. Ich wies, so weit es ohne Härte möglich war, alle Vertraulichkeit zurück und gestattete ihr nicht mehr die Rechte körperlicher Liebkosung – ach, die holde Thörin – sie folgerte daraus, daß ich sie zu wenig liebe.

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