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Können und Wollen.

Wenn das Wort, »der Mensch kann alles, was er ernstlich will«, eine allgemeine Wahrheit enthält und somit auch für uns Maurer und unsere Verhältnisse gilt, dann ist es mit dem Wollen der deutschen Freimaurer übel bestellt. Denn so vieles, was in unserem Bunde als zeitgemässe Forderung und Nothwendigkeit gelten muss, haben wir weder erreicht, noch scheint es in absehbarer Zeit erreichbar.

Ueberall, im politischen und socialen Leben, sehen wir, dass sich festgeschlossene und wohlgeordnete Vereinigungen bilden, die unter einheitlicher Leitung den vorschwebenden Zielen nachstreben und die Lehre vorn Drucke der Massen auf das bürgerliche Leben anwendend, gute Erfolge gewinnen. Die Maurerwelt nur will den Werth eines solchen Zusammenstehens und gemeinschaftlichen, einheitlichen Wirkens nicht erkennen: die maurerischen Gruppen stehen sich oft ablehnend gegenüber und hindern oder heben auf die freie Entfaltung der Kräfte. Die grossen politischen Ereignisse, welche unser Vaterland einigten und es zur Weltmacht erhoben, blieben bedeutungslos für die Entwickelung und Geschichte der deutschen Freimaurerei. Niemand von uns scheint zu fühlen oder unter dem Eindrucke zu leiden, dass die zahlreichen Grosslogen ein Abbild der ehemaligen politischen Zerrissenheit des Vaterlandes sind und dass der Verband der Grosslogen einen Vergleich mit dem einstigen Bundestage in Frankfurt geradezu herausfordert. – Wir Maurer, die wir in Culturfragen führen und leiten wollen, sind somit weit hinter der Gegenwart zurückgeblieben und stellen in unserer Organisation die trübe Zeit dar, in der das Vaterland ohne Macht, Ansehen und Achtung war. Ebenso scheint meistenorts das Einsehen zu fehlen, dass wir unsere Zukunft in Gefahr bringen, wenn wir die Errichtung einer deutschen Grossloge und damit einer einheitlichen Maurerei noch weiter hinausschieben. – Die Verflachung unseres Logenlebens, das Wegbleiben so vieler berufenen Elemente, worüber oft geklagt wird, dürften in Zukunft ein weit berechtigterer Grund für Sorge und Klage werden. Indem wir unthätig dasitzen und alles beim Alten lassen, treiben wir unerfreulichen Zuständen entgegen, die in einer zunehmenden Versumpfung unseres maurerischen Lebens oder in schweren Krisen einer Neugestaltung desselben bestehen; während wir jetzt mit leichter Mühe und gutem Willen uns neu organisiren und lebenskräftig umgestalten können. –

Wir könnten uns zu einer einigen und einzigen deutschen Grossloge zusammen schliessen, die, auf gemeinsamer Grundlage aufgebaut, einheitlich verfährt in der Aufnahme ihrer Mitglieder, ohne dass dabei die historisch werthvollen Eigenthümlichkeiten der jetzt bestehenden Systeme beseitigt zu werden brauchen: wir wollen aber nicht einsehen, dass diese segensreiche, dem Bunde und seinen Zielen förderliche Aenderung, die mit geringen Opfern geschaffen werden kann, schliesslich doch, und dann mit um so grösserer Gefährdung der bestehenden Verhältnisse eintreten muss.

Soll uns die Freimaurerei nichts anderes sein, als die dogmen- und formenfreie Religion, die in uns lebt und unser Handeln regelt, dann brauchen wir keine Formen, keine Organisation und Leitung: Jeder mit seinem Gemüthsleben bildet ein selbstständiges Ganzes, das ohne Beziehung zu anderen für sich und durch sich wirkt. In solchen Verhältnissen befanden sich die Männer, die, getrieben von dem Gefühle der Einsamkeit und Ohnmacht, einst zusammen traten und unseren Bund gründeten. In gemeinsamer Arbeit und dadurch erfolgreich, sollen die Maurer dem grossen Ziele der Entwickelung und Vervollkommnung nachstreben. Wie die Thätigkeit der Werkmaurer, verlangt auch die unsere eine sichere, einheitliche Leitung, die das Ziel nie aus dem Auge lässt. Was würden wir sagen, sehen wir an einem Baue mehrere von einander unabhängige Bauleiter beschäftigt, die, öfters in Widerspruch unter sich, jeder nach seiner Idee den Bau weiterführten und schmückten.

Würden wir nicht mit herbem Spott solches Thun verurtheilen und von dem Bauwerk erwarten, dass es der Lächerlichkeit anheimfallen müsse? Sind wir mit unseren acht Grosslogen nicht in der Lage solcher Werkmaurerei? Wir können keine einheitliche Leitung rinden, weil wir, die dem reinen Gottesglauben in den Bauhütten dienen, in Secten zerfallen sind und statt der allgemeinen Formen uns ein neues Gebrauchsthum geschaffen haben, von dem wir nicht lassen mögen. Es ist ein überaus betrübender Zustand, dass dieses Halten und Hängen an Formen und Formeln uns nicht zu dem Einsehen kommen lässt, dass wir in einem Wust von Nebendingen begraben sind und an die Hauptsache wenig denken. Die Forderung, dass eine einige deutsche Freimaurerei unter einheitlicher Spitze arbeite, ist, so oft sie ausgesprochen wurde, ohne grösseren, dauernden Erfolg geblieben. Die Kreise, welche bisher für diese Angelegenheit eintraten, sind niemals umfangreich gewesen und die Kraft Hess bald nach, wenn man einsah, dass die Wirkung nicht gleichen Schritt mit der Hoffnung auf Erfolg hielt.

Die Antwort der leitenden Kreise war kühle Ablehnung oder freundliche Vertröstung, die im Princip zuzustimmen schien, in Praxis aber zurückwies: die grosse Menge der Brüder verhielt sich gleichgültig oder gab energielos seine Zustimmung. Kein Ruf hat die deutsche Maurerwelt geweckt; keine Kraft fand sich in unserem Kreise, die fähig war, das schwer zu überwindende Trägheitsmoment der ruhenden Masse, die unsere Maurerei darstellt, aufzuheben und dieselbe in Bewegung zu setzen.

So sind wir äusserlich getrennt und leider auch nicht selten innerlich; sobald die Interessen der einzelnen Gruppen zusammenstossen, entstehen Conflicte, deren Verlauf recht oft denselben Charakter zeigt, wie ein Streit im Getriebe des öffentlichen Lebens. Diese Zwistigkeiten und Anfeindungen, an sich ärgerlich und hässlich für den Freimaurerbund, werden es um so mehr, als sie nicht kurzer Hand von der leitenden Behörde beigelegt werden können. Die Machtvollkommenheit des Grosslogenbundes ist nicht gross genug, um dessen Entscheidungen unbedingte Fügsamkeit und Anerkennung zu sichern. Dazu kommt, dass die Vertreter der einzelnen Grosslogen ihr Votum als Mitglied des betreffenden Systems und nicht als Freimaurer überhaupt abzugeben geneigt sind. So sehen wir im Schosse unserer obersten Behörde nicht unabhängige Brüder, sondern Vertreter einer gewissen Gruppe, nicht Richter, sondern Anwälte sitzen. Dadurch mindert sich das Ansehen einer solchen Behörde: die Entscheidungen erscheinen Vielen nicht Rechtsprüche, sondern Parteibeschlüsse; der Zurückgewiesene kann ferner noch behaupten, das gute Recht sei auf seiner Seite, ohne dass er jene Behörde kränken will; zähe oder angesehene Beschwerdeführer geben sich mit dem ersten Entscheide nicht zufrieden, sondern arbeiten in ihren Kreisen darauf hin, dass eine neue Erörterung und ein günstigeres Urtheil beim nächsten Grosslogentage erfolge. Der Grosslogenbund besitzt deshalb nicht das Ansehen, das ihm gebührt als dem Vertreter der deutschen Maurer; die Brüder, die in demselben mühevolle Arbeit verrichten, ernten nicht den Dank, der ihrem guten Willen zukommt: viele von ihnen werden fühlen, dass sie auf keinem festen Boden stehen, dass alles unsicher und nur künstlich gehalten ist. Der Grosslogentag, statt zu meistern, muss kleistern – d. h. die Gegensätze künstlich verdecken und überbrücken, statt die widerstrebenden Elemente heranzuziehen und Einigkeit dauernd zu schaffen. Wie im Concert der Staaten, wogt im Grosslogenbunde wechselnd die Parteigruppirung durcheinander, die Entwürfe scheinen heute gesichert in ihrer Fassung für eine Annahme und müssen morgen wieder völlig umgearbeitet werden. Wie lange wird es noch dauern und dem Grosslogentage wird der Antrag vorgelegt werden, die Winkel-Logen anzuerkennen und damit von demselben verlangt werden, sich und seinem Ursprünge, Princip und seiner ganzen Vergangenheit einen Schlag ins Gesicht zu geben.

Vielleicht wäre ein solches Ereigniss, und selbst dieser Beschluss zu wünschen; es dürfte dadurch eine Besserung der Verhältnisse geschaffen werden: denn oben wie unten müsste man sich über die Unhaltbarkeit der jetzigen Zustände klar werden und die Neuordnung in unserem Sinne fördern. Wollte man das Unglaubliche thun und jene Logen anerkennen, so darf man mit Gewissheit erwarten, dass die Gründung weiterer Grosslogen bald erfolgen würde, und durch die zunehmende Zahl derselben wird das Chaos geschaffen, aus dem leichter und vollkommener eine Schöpfung neu hervorgehen kann, als aus den ungefügten Trümmerstücken einer alten Welt, deren jedes eine Welt für sich sein will. Eine solche Gestaltung der Verhältnisse würde die tiefgreifendste Erschütterung bewirken, aber sie würde nicht eine dauernde Gefährdung unseres Bundes sein. In einem Volke, wie das deutsche, kann der maurische Gedanke nicht untergehen, und auch die heutige Form der Freimaurerei wird sich bei uns am längsten halten. Eine solche Umwälzung würde nach kurzer und vielleicht heftiger Krise zu einer Gesundung unserer Verhältnisse führen. Neues Blut und Leben würde in unsere Bauhütten kommen, in denen jetzt so vielfach die Hände nur säumig gerührt werden, und frischer und froher würde die Arbeit gefördert werden. Die dumpfe Luft, veranlasst durch Competenzconflicte, Erörterungen über den Werth der Systeme und andere Fragen der heutigen Zeit, die man brennende zu nennen geneigt ist, weil sie Asche und Dunst aufwirbeln lassen, wird aus unseren Tempeln verschwinden und frische, reine Luft dieselben durchwehen; ungetrübt und ungebrochen wird das Licht der Wahrheit das Feld unserer Arbeit beleuchten. So viele, die zu uns gehören, und die sich jetzt von uns fern halten, werden dann zum Schurze greifen und sich unserer Arbeit anschliessen; die Besten und Edelsten, die durch Gesinnung und Charakter berufen sind zu führen und Vorbild zu sein, werden es der Mühe werth halten, in unserem Kreise zu wirken. Sie werden erkennen, dass wir den einzigen Sammelpunkt bilden für Bestrebungen, die dem Gedeihen und dem Fortschritte unseres Geschlechtes gelten. Um so leichter und eher wird diese Erkenntniss kommen, je einiger und fester wir zusammenstehen und uns frei zeigen von Phrase und inhaltsleerer Form. Mag der Tag jener Neugestaltung bald oder dann erst kommen, wenn keiner von uns mehr lebt, er wird gewiss kommen; mögen sich die Reformen allmählich aus dem Bestehenden herausbilden, oder mag ein Bismarck unserem Bunde erstehen und uns durch gewaltige Kämpfe zu diesem ersehnten Ziele führen, die neue gute Zeit wird gewisslich kommen, in der alles Trennende beseitigt ist und ein System uns alle umschliesst. Mit treuem Wollen können wir Brüder des Einheitsbundes vieles thun, die Gegenwart zu bessern, die schöne Zukunft vorzubereiten und zu beschleunigen, indem wir den Boden vorbereiten, die Saat ausstreuen, die eine reiche, glückliche Ernte verheisst. Wir wollen als ernste Maurer und treue Brüder die Uebelstände zu beseitigen suchen, indem wir stets von Neuem darauf hinweisen; wir wollen in Bruderliebe für unser Programm werben und wirken, um alles Trennende zu beseitigen, alles Einigende zu stärken und zu festigen. Nicht wie Stiefbrüder, die einen Vater und verschiedene Mütter haben, wollen wir um die Vorzüge der Mütter streiten, sondern gleich rechten Brüdern einen Vater und eine Mutter haben. So soll der Zufall, der uns dem einen oder anderen Systeme zuführte, nicht das Recht haben, unsere Anschauung so zu beeinflussen, dass wir unser System als das allein seligmachende erklären. Wir wollen dasselbe erstreben: trennen wir uns frivol und aus kleinlichen Gründen in Gruppen, so zerreissen wir die Kette, die wir schliessen sollen. Die Einigkeit, die wir uns gern versprechen, können wir nicht bethätigen in Zeiten des Sturmes und Dranges; eins nur hält uns unlösbar zusammen – das ist die Einheit, die wir unserem Bunde schaffen, indem wir eine feste Basis für alle gründen, ein festes Dach alle beschirmen lassen. Wir können stark und mächtig sein, wenn wir eins sein wollen durch gemeinsames Leben und Streben, wenn wir festhalten wollen an jenem schönen Worte der Reformation: in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas.

Br. Hermann Schäfer.


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