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Ueber die Entwickelung zur Freimaurerei.

(Aus einem Vortrage.)

In seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit hat Br.·. Herder den Satz ausgesprochen und ausgeführt, dass der jetzige Zustand des Menschen wahrscheinlich das verbindende Mittelglied zweier Welten sei. »Alles ist in der Natur verbunden,« so sagt er, »ein Zustand strebt zum anderen und bereitet ihn vor. Wenn also der Mensch die Kette der Erdorganisation als ihr höchstes und letztes Glied schloss, so fängt er auch eben dadurch die Kette einer höheren Gattung von Geschöpfen, als ihr niedrigstes Glied, an; und so ist er wahrscheinlich der Mittelring zwischen zwei in einander greifenden Systemen der Schöpfung. Auf der Erde kann er in keine Organisation mehr übergehen, oder er müsste rückwärts und sich im Kreise umhertummeln; stillstehen kann er nicht, da keine lebendige Kraft im Reiche der wirksamsten Güte ruhet: also muss ihm eine Stufe bevorstehen, die so dicht an ihm und doch über ihm so erhaben ist, als er, mit dem edelsten Vorzuge geschmückt, ans Thier grenzet.«

Diese, im Jahre 1784 geschriebenen Worte sind auch heute durch bessere Gedanken nicht überholt. Was der geistreichste Verfechter einer solchen Evolutionstheorie zu ihrer Begründung sagt, ist freilich, wie alle Speculation, kein Beweis. Aber ich frage, sind wir in Bezug auf derartige Erkenntniss heute weiter, auf festeren Boden gekommen? Auf anderen wohl; aber lässt sich der Monismus, lassen sich materialistische oder atheistische Theorien erweisen? Eine löst die andere ab, und gerade heute erleben wir wieder, dass der flache Monismus überholt wird von dem Zugeständnisse des Räthselvollen im menschlichen Dasein, auch von Seiten ernster, naturwissenschaftlicher Kreise; und der rohe Materialismus und Atheismus hat sich längst schon in jene Kreise geflüchtet, die den Abhub wissenschaftlicher Forschung als bestes Gericht ausgeben und schmatzend preisen.

Solche Kreise sind nicht die unseren; weit weg weisen wir die Gemeinschaft mit ihnen. Wir glauben mit Br.·. Herder an eine Entwickelung des Menschen über das Erdenleben hinaus. Wir glauben; und indem wir unseren Glauben formuliren, haben wir ein Dogma. Dieses viel gebrauchte und viel missbrauchte Wort darf uns nicht schrecken. Ein Dogma hat jeder Mensch, der sich überhaupt mit Gedanken ausserhalb der simpeln Erfahrungswelt abgiebt; auch die Lehre des Monisten, auch materialistische und atheistische Lehren sind weiter nichts als Dogmen.

Der Mensch auf der obersten Sprosse der Thierleiter ist sich seiner Thierheit bewusst. Aber eben dieses Bewusstsein, ihm allein unter allen Geschöpfen der Erde eigen, regt auch das weitere von seiner überirdischen Natur; ohne jenes würde er dieses nicht haben. Und das ist der Menschheit allgemein; es giebt kein Volk der Erde, wo es sich nicht in dieser oder jener, wenn auch noch so rohen und unvollkommenen Form fände. Indem das Bewusstsein von seiner überirdischen Natur erwacht, löst sich auch der Gottesbegriff aus, als der Gedanke an Herkunft und Quell der ganzen menschlichen Art. Langsam, in steter Entwickelung, bei bevorzugten Stämmen reiner und deutlicher, bei zurückstehenden dunkler und verworrener, erwachsen auf solchem Gedankenpaare alle seine übersinnlichen Begriffe. Es erwächst der Kern eines Sittengesetzes aus der Vorstellung von seiner höheren Natur; es erwächst zugleich die Vorstellung seiner Abhängigkeit von jenem Quell seiner Art und seiner engen Verbindung mit ihm. Das Band, welches mit diesem Urquell verbindet, ist der Grund aller Religion: vinculo pietatis obstricti deo et religati sumus, unde religio nomen cepit, sagt der alte Kirchenvater Lactantius.

Freilich fehlt ja zunächst viel zu einem geläuterten Begriffe dieses Bandes. Der dumpfe menschliche Sinn verbindet den Gedanken des Sittengesetzes, das der thierischen Natur des Menschen Schranken auferlegt, die das Thier nicht kennt, mit dem Gedanken an das höchste Wesen, von dem er abhängig ist, und die Vorstellungsreihe von Rechten, die den menschlichen Pflichten entsprechen, ist erwacht. Das höchste Wesen belohnt mich, wenn ich meiner Abhängigkeit von ihm voll entspreche; es entzieht mir die Belohnung und giebt statt dessen Strafen, wenn ich die Pflichten meiner höheren Natur vernachlässige. Von dieser Vorstellungsreihe sind alle Religionen beherrscht, trete sie in gröberer oder geklärterer Weise hervor: sie liegt dem Fetischismus so gut zu Grunde, wie der altjüdischen Religion, wenn 3. Mos. 26, 3 u. f. verkündet wird: werdet ihr in meinen Satzungen wandeln und meine Gebote halten und thun, so will ich euch Regen geben zu seiner Zeit, und das Land soll sein Gewächs geben, und die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen ... werdet ihr mir aber nicht gehorchen, und nicht thun diese Gebote alle, und werdet meine Satzungen verachten, und eure Seele meine Rechte verwerfen, dass ihr nicht thut alle meine Gebote, und werdet meinen Bund lassen anstehn, so will ich euch auch solches thun, und will euch heimsuchen mit Schrecken, Schwulst und Fieber, dass euch die Angesicht verfallen und der Leib verschmachte. Sie beherrscht die Vorstellung vom Elysium und Hades bei den alten Griechen, von der Walhalla und der Hellia bei den Germanen, sie zeigt sich im Mohammedanismus sogut wie in den christlichen Lehren von Himmel und Hölle, vom Fegefeuer und von dem Gnadenschatz.

Alle solche Begriffe erscheinen wenig geläutert und haben etwas heldenhaft Unfertiges an sich. Je mehr sich der fortschreitende denkende Mensch in die Vorstellungsreihe von seinem Verhältniss zum Ueberirdischen vertieft, desto weniger wird er sich als Bekenner von Gedanken verpflichten wollen, die ihm nur Etappen auf der geistigen Bahn sind, welche die Menschheit in fortwährender Arbeit an sich durchmisst; und Vielen innerhalb und ausserhalb unseres Bundes sind Schiller's Worte aus der Seele gesprochen:

Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
Die du mir nennst. »Und warum keine?« Aus Religion.

Ueber Religion in dem Sinne des Lactantius kommen wir Alle nicht hinweg. Jeder trägt ein mehr oder weniger deutliches Gefühl seiner Abhängigkeit von einer Macht ausser uns mit sich herum, und es ist nichts als ein Streit um Worte und ein thörichtes Prahlen, wenn Einer sagt, es giebt keinen Gott: »die Thoren sprechen in ihrem Herzen, es ist kein Gott«, singt der Psalmist; man sieht, der Atheismus ist schon sehr alt, aber es ist ihm nicht beschieden, sich aus seinem öden Standpunkte heraus weiter zu entwickeln.

Aber weil das geschilderte Gefühl ein rein persönliches ist, ist ein gemeinsames Religionsbekenntniss, das nicht bloss an der allgemeinen Grundlage haftet, sondern sich auf festgelegten Ausbau in Einzelheiten erstreckt, nur so lange allenfalls möglich, als in einem Volke, einer grossen Menschengemeinschaft die Personen rücksichtlich der Mannigfachheit ihrer Denkart sich noch nicht wesentlich von einander abheben. Wo der König denkt wie der Bauer, wo Hoch und Niedrig eine Gedankenrichtung umschliesst, wo diese Gedankenrichtung sich unter gemeinsamem Antheil Aller fortsetzt und entwickelt, ohne Kritik, wenigstens ohne maassgebende Kritik zu erfahren, da ist ein ausgearbeitetes Religionsbekenntniss, das im Sinne Aller abgelegt wird, noch zu denken. Aber jemehr in der Ausbildung der Menschheit die Persönlichkeit, das in sich selbst gefestigte Einzelwesen aufkommt und Einfluss auf Denken und Fühlen Anderer erlangt, dadurch das gemeinsame Gedankenband lockernd – desto mehr ist das gemeinsame Religionsbekenntniss in Gefahr, zurückgedrängt zu werden. Und die Spitze dieser Entfaltung der Persönlichkeit nach dem übersinnlichen Denken hin ist die Religionslosigkeit aus Religion.

Für das Abendland des Mittelalters gab es eine bis in die kleinsten Einzelheiten ausgebildete, allgemeine Religionsvorstellung. Ihr Kern war ein recht einfacher: eine machtvolle Persönlichkeit, die noch heute ein Jeder mit höchster Ehrfurcht nennt, wenigstens nennen sollte, hatte, allerdings auf Grund in langer Zeitfolge gegebener cultureller Entwickelung, die uralte, einfachste, religiöse Idee, von der Abhängigkeit von einem höchsten schaffenden und regierenden Wesen, zu der Vorstellung von einem Verhältniss des Sohnes zum Vater weiter gebildet. Das einfachste und innigste menschliche Verhältniss war mit allen seinen Voraussetzungen und Folgerungen auf das Verhältniss des Menschen zum Uebersinnlichen übertragen: jetzt fühlt der Mensch seinen nächsten unvergänglichen Zusammenhang mit dem Urquell alles Seins in einer Vorstellung, der die unmittelbarste Wahrhaftigkeit innewohnt, er weiss auf einmal seine überirdische Natur erklärt; und das Sittengesetz in seiner Brust ist in organische Verbindung mit jener Vorstellung gebracht. Ihn erhebt der Gedanke, nun rufen zu können: Abba, lieber Vater! und ihn begeistert der Vorsatz, durch Pflichterfüllung das Göttliche in sich herauszuarbeiten und dem Vater ähnlich zu werden, soweit die Kräfte vermögen. Der Bündnissgott, das Rechten um Mein und Dein in Pflicht und Recht verschwindet; das Verhältniss ist menschlich gefasst, so menschlich, dass es währen muss, so lange die Menschheit währt.

Auf diesem Kerne hat sich nun die Religion der Culturstaaten des Mittelalters entwickelt. Nicht in gerade fortschreitender Linie: solche Wunder geschehen im Gebiete des Geisteslebens nicht. Noch sind neben der urchristlichen Vorstellung vom Menschen als einem Gotteskinde genug heidnische und jüdische übrig, um maassgebenden Einfluss auf die Weiterbildung jenes Begriffes erlangen zu können. Das junge, brausende Völkerleben des Germanenthums (denn von germanischem Geiste ist die ganze Entfaltung des Mittelalters abhängig) thut das Ihrige dazu, tausenderlei phantastische Vorstellungen, von überall her eindringend, werden aufgenommen, in einander und mit einander, verwoben und dem urchristlichen Kerne angeschmolzen, und so entsteht die abendländische Kirche des Mittelalters und ihre Religion, ein stolzes Gebäude, von ziemlich allgemeiner Empfindung gestützt und gehoben.

Von ziemlich allgemeiner Empfindung, aber doch nicht von der eines Jeden. Das persönliche Moment, welches in jeder Religionsempfindung steckt, kann zurückgedrängt, nicht verdrängt werden. Nur in den einfachsten Grundzügen des religiösen Denkens ist menschliche Gemeinschaft möglich, gerade wie in allen anderen menschlichen Dingen überhaupt auch; Gedanken und Vorstellungen theilen sich um so mehr, je weiter sie sich ausbilden, wie der Baum aus dem einen Kerne und Stamme Aeste und Zweige in den verschiedensten Spaltungen treibt. Und so hat es zu allen Zeiten des Mittelalters nicht an Leuten gefehlt, die ihre Persönlichkeit für anderes religiöses Denken einsetzten; Ketzer gab es immer. Aber ihrer waren wenige, die wenigen einflusslos, man wurde mit ihnen fertig, so oder so, denn sie waren von der Uebereinstimmung mit einer Menge nicht getragen.

Das änderte sich mit dem Aufkommen des Humanismus und mit der Kirchenbewegung des 16. Jahrhunderts. Die Reformation ist ein Kind des Humanismus, lange vorbereitet und von ihm ausgetragen. Und es ist vielleicht die schönste Frucht dieser kirchlichen Bewegung, dass sie uns wieder in das volle persönliche Verhältniss zu Gott gebracht hat, ohne einen anderen Mittler, als den, von dem die Idee der Gotteskindschaft ausgegangen ist. Freilich hat auch sie das mythologische Beiwerk nicht vernichtet, mit dem die Person dieses Mittlers seit den frühesten Zeiten des Christenthums mehr und mehr umgeben wurde; aber sie hat doch den Weg dazu eröffnet.

Die Reformation hat das grosse Verdienst, die Idee der Toleranz gezeitigt zu haben. Im Mittelalter gab es diese Idee nicht; wie hätte sie, da der allgemeine Glaube ohne nennenswerthen Widerspruch blieb, aufkommen sollen? Aber als nun das grosse Schisma entstanden war, als man prüfend von manchen Seiten her an den bisherigen Bestand der religiösen Vorstellungen einsetzte, ohne dass polizeiliche Maassregeln dagegen wirksam waren, da regte sich zunächst, nicht nur persönlich, sondern auch wissenschaftlich, der Skepticismus. Man kann nicht wissen, was auf dem religiösen Gebiete wahr ist; man hat keine Prüfungsmethode, als den gesunden Menschenverstand; aber auch der ist nicht gesund, und die menschliche Vernunft trüglich. Das ist der Standpunkt, den Michel de Montaigne in seinen Essays einnimmt; ein Standpunkt, den die religiöse Bewegung in England im 16. und 17. Jahrhundert ausbaut, und der nach manchen Häutungen den Begriff der Toleranz in der Schärfe feststellt, wie John Locke in seinen Briefen, deren Grundgedanke die Duldung gegen jede religiöse Ansicht und Gemeinschaft, und zwar unbeschränkte und gleichmässige Duldung ist.

Eine wissenschaftliche Bewegung von der Intensität der geschilderten, die ganz neue Richtungen der Philosophie gebiert, kann nicht ohne die weitgreifendste Befruchtung auch der Kreise bleiben, die zu den wissenschaftlichen im strengen Sinne des Wortes nicht gehören. Ohne diese Kreise würden wir keine Freimaurerei haben, und sie selbst hat sich nur ausbilden können unter der Macht der philosophischen Bewegung, die eben die weitesten gebildeten Kreise umfasste und selbst in Gesellschaftsschichten eindrang, welche als Träger altüberkommener Religionsideen sie hätten zurückweisen müssen. Wer auch nur die äussere Geschichte der Freimaurerei im 18. Jahrhundert betrachtet, der bekommt einen Begriff davon, wie weithin diese geistige Bewegung fluthete.

Dabei warf sie manche trübe Wellen. Aber aus ihnen ringt sich mit der Zeit doch ein klarer Kerngedanke heraus, der bis jetzt der Leitgedanke aller Freimaurerei geblieben ist und ferner bleiben wird, wenn sie ihrer nicht selbst vergisst: Rückkehr zu der einfachen religiösen Vorstellung von der Stellung des Menschen zu der Macht, die wir unter dem Bilde des Weltenbaumeisters verehren. Die Toleranzidee ist von vornherein durch den Zusammenhang der Loge mit der philosophischen Bewegung des 18. Jahrhunderts gegeben. Die Loge denkt, sie glaubt nicht im Sinne der Religionsgenossenschaften.

Auch das Freimaurerthum ist eine Reformation, in ihrer Wirkung bisher nicht so weitgreifend, als die des 16. Jahrhunderts, weil nur in exclusive Kreise getragen und auf solche beschränkt: aber ihre Wirksamkeit ist noch lange nicht beschlossen, ihr Höhepunkt noch nicht einmal beschritten, sie kann eine grosse Zukunft vor sich haben. Vorausgesetzt, dass sie sich entwickelt, wie sie soll.

Bisher stecken wir nämlich in den Kinderschuhen dieser Entwickelung, und allerhand thörichtes Beiwerk, was sich in unseren Bauhütten breit macht, und allerhand ungenügendes Menschenmaterial, was leichtsinnig aufgenommen wird, macht klaren Ein- und Ausblick schwierig. Aber soviel ist doch jetzt schon klar: als Aufgabe der Loge wird überall schlechthin die Herstellung der einfachen religiösen Vorstellung von dem Verhältniss des Menschen zu der göttlichen Macht und von den daher rührenden sittengesetzlichen Verpflichtungen anerkannt. In welcher Weise das formulirt wird, ist diesem ersten Grundsatz gegenüber unerheblich. Ich sehe keinen grossen Unterschied darin, ob die Einen ihre Lehrart auf Grund des »dogmenfreien« Christenthums aufbauen, die Anderen auf Grund der Humanität.

Humanität, das soll heissen: Aufgabe der Loge ist, in ihren Mitgliedern und durch sie in der Welt das rein Menschliche im Menschen herauszubilden und zu pflegen, ohne Rücksicht auf Glaubenssatzungen. Sagen wir statt des rein Menschlichen das Göttliche, so drücken wir uns vielleicht besser aus. Denn das rein Menschliche im Menschen ist eben das Göttliche, im Gegensatz zur thierischen Natur. Es ist das Bewusstsein, göttliches Wesen in sich zu tragen.

Diese Vorstellung ist rein, schön und einfach, eben wegen ihrer Reinheit und Einfachheit ewig, und mit der Entwickelung der Menschheit nothwendig aufs Innigste verbunden. Vergessen wir dabei nur nicht, wem wir sie verdanken und wer der Mann gewesen ist, der sie zuerst als Kern seiner Religionslehre hinstellte in jenem vorher berührten Bilde, das unmittelbar an das menschliche Herz greift. Wer unsere Kulturentwickelung mit dem Auge des Historikers verfolgt, der sieht, dass unsere heutige Kulturwelt, mögen Einzelne sich noch so sehr gegen die Annahme dieser Wahrheit sträuben, unter dem Zeichen dieser religiösen Vorstellung steht. Kein Mensch entzieht sich ihr; und von ihrer siegenden Macht zeugt die triviale Wahrnehmung, dass viele ihrer Folgesätze bei uns bereits zum »anständigen Benehmen« gehören. Die Logen des Humanitätssystems, mögen sie an verschiedenen Glaubensgenossen aufnehmen wen sie wollen, sind in der That nur christliche Logen, und der Andersgläubige, wenn überhaupt noch ein Gläubiger, ist von dem Augenblick an, wo er sich als Freimaurer bekennt, von einer Vorstellung erfüllt, deren directer Quell Jesus und seine Lehre ist.

Anderes wollen ja aber auch die sogenannten christlichen Logen nicht, wenn sie als Kern ihrer Lehrart das dogmenfreie Christenthum setzen. Sie verlangen christliches Bekenntniss, das kann doch auch nur heissen, dass man sich zu jenem Kern der christlichen Sittenlehre mit allen Folgerungen bekennt. Ein Mehreres zuzugestehen wäre mir wenigstens, der ich in einem der christlichen Systeme aufgenommen worden bin, unmöglich gewesen.

So kann ich die Kluft, die die christlichen und Humanitätslogen trennt, als im Grunde vorhanden gar nicht anerkennen. Die Ursachen, eine solche Kluft hinzustellen, liegen weniger auf sachlichem, als auf psychologischem Gebiete. Ich habe es als eine erlösende That des Br.·. Holtschmidt empfunden, dass er seinen Einheitsbund schuf, und bin von der ersten Zeit an sein Anhänger gewesen, aus Erwägungen, die ich im Vorstehenden auseinanderzusetzen mir erlaubt habe.

In dem Satz des Br.·. Holtschmidt liegt unsere Zukunft. Diese kann erhaben werden, wenn wir die Zeichen der Zeit verstehen und danach zu handeln wissen. Wer ist heute noch ein Christ im Sinne des Mittelalters, im Sinne des 16., selbst des 18. Jahrhunderts? Wer bekennt sich noch zu den Dogmen, die bis heute starr in Kirche und Schule gelehrt werden müssen? Weithin erblicken wir Abfall, Abfall namentlich in den Kreisen, denen von jeher die Führerrolle in der Bewegung der Geister zugefallen ist. Diese geistige Strömung wird wachsen; aber in dem Wachsthum liegt auch die Gefahr der Verflachung. Wie Viele giebt es schon heute, die zu eindringendem anhaltendem Denken nicht gewillt oder dessen nicht fähig, Alles über Bord werfen und, unglücklich genug, sich auf das unmittelbar Greifbare beschränken! Und es ist manche Seele darunter, die bei solchem rabiatem Entschluss in Stunden stiller Selbstbeschauung sich tief unglücklich fühlt. Denn der tiefer angelegte Mensch kommt vom Uebersinnlichen nicht los.

Die Freimaurerei hat einen Weg gezeigt, der für jeden religiös gestimmten Menschen gangbar ist, sofern er sich nach genossenschaftlicher Vereinigung mit Gleichgesinnten sehnt. Sie ist das Kind einer philosophischen Bewegung, die den menschlichen Geist gegenüber unglaublichen Verirrungen, die in dem credo quia absurdum est Tertullians einen sprechenden Ausdruck fanden, wieder in seine unveräusserlichen Rechte einsetzte, sein Wesen und seine Art aus sich selbst heraus zu erforschen und seine Bedürfnisse zu ergründen. Sie, deren Hallen Jedem offen stehen sollen, der geistig so weit heran erzogen ist, dass er ihre Lehren nicht nur versteht, sondern auch fähig ist, ein Apostel derselben zu werden durch eigenes Beispiel wie durch Wort, sie hat in einer beinahe zweihundertjährigen Entwickelung sich durchgerungen zu der einfachsten und reinsten religiösen Vorstellung, die Alles umfasst, was der Mensch braucht und was den Menschen hoch hebt, und die Gewähr bietet, zu bleiben, so lange Menschen sind: auf ihrer Grundlage kann sich jedes menschliche Einzelwesen frei und schön entfalten in den Eigenschaften, die ihn, wie Br.·. Herder sagt, zum Gliede einer Kette höherer Wesen machen. Die Freimaurerei bietet dabei nichts Eigenes, sie giebt nur die Lehre, die in beinahe zweitausendjähriger Formulirung immer ihre Lebenskraft behalten und bewährt hat, trotz der erstickenden Ranken, die aus dem üppigen Boden der Phantasie eng um sie wuchsen. Die göttliche Art, die Gotteskindschaft des Menschen, ihre Herausarbeitung aus der Hülle der niederen Menschlichkeit, das muss zugleich Bekenntniss und Arbeit der Freimaurerei sein.

Und in diesem Sinne haben wir, wie im Eingange berührt, ein Dogma. Unsere religiösen Vorstellungen sind gegründet auf die Unsterblichkeit der Seele und den allmächtigen Geist, dessen Art wir tragen, und Jeder, der bei uns eintritt, wird darauf verpflichtet. Aber ich möchte das weniger ein Dogma nennen, als ein lebendiges freies Bewusstsein. Denn Dogma ist Zwang, und wir sollen auf gemeinsamem Grunde frei uns gegenüber stehen. Es sind mancherlei Gaben, aber es ist ein Geist.

In den freimaurerischen Vorstellungen erblicke ich die Religion der Zukunft. Verstehen die BBr. ihre Pflicht, so sind sie berufen Grosses zu leisten; verstehen sie sie nicht, so werden Andere sich ihrer Ideen bemächtigen und sie durchführen. Denn durchgeführt werden sie; ist die Vergangenheit die Prophetin der Zukunft, so weist der Verlauf der Religionsgeschichte mit Sicherheit darauf hin.

Und ich wünschte einer Gemeinschaft, an der ich mit ganzer Seele hänge, die Macht dazu. Freilich wird sie nur kommen bei viel sorgfältigerer Auslese der Kräfte, als die verschiedenen Bauhütten sie heute noch für nöthig halten; nur kommen bei Heranziehung tüchtiger und gewillter Draussenstehender und unnachsichtlicher Entfernung Unfähiger und Lauer; wir müssen etwas von dem Geiste der ersten Christen wieder bekommen. Unsere Bauhütten müssen Sammelstätten der höchsten und begeistertsten Interessen werden, und es darf nicht von ihnen heissen: Mein Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt – ein Casino daraus gemacht.

Br. M. Heyne.


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