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Vom Ursprung der Freimaurerei.

Eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprunge dessen zu finden, was seit dem Jahre 1717 öffentlich als Freimaurerei bezeichnet wird, ist nicht schwer, wenn man den Angaben, die entweder die alten Acten der Gr. L. L. d. Frm. v. D. in der Eckleff'schen und in der Nettelbladt'schen Redaction oder die sogenannten Constitutionen der englischen Grossloge darüber enthalten, unbedingten Glauben beimessen will; wenn man aber geschichtliche Beweise für diese Angaben verlangt, so ist eine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Ursprunge der Freimaurerei sehr schwer. Ja mit Br.·. Alexis Schmidt schliesse ich mich auch heute noch der Aeusserung von Speth unbedingt an: »Wer dreist behaupten wollte, er sei in der Lage, die Frage des Ursprunges der Freimaurerei zu lösen, der weiss entweder gar nichts, nicht einmal, dass er unwissend ist, oder er ist ein Charlatan.« Wir haben es eben hier mit einer sehr schwierigen und verwickelten Frage zu thun, zu deren Beantwortung die letzten dreissig Jahre allerdings werthvolle Beiträge geliefert haben, deren endgültige Lösung aber immer noch aussteht und vielleicht auch nicht so bald gefunden werden wird. Soviel steht indess heute schon unbedingt fest, dass für die Templerüberlieferung der alten Acten der Gr. L. L. d. Frm. v. D. die nothwendigen geschichtlichen Beweise wahrscheinlich nie zu erbringen sind, und dass ferner die deutschen Bauhütten und vornehmlich die englischen Werkmaurervereinigungen für die Entwickelungsgeschichte der Freimaurerei nur als Hüllen, aber keinesfalls als geistige Quellen in Betracht kommen können. Weder die »ritterbürtige« noch die »zunftgeborene« Freimaurerei können vor den Ergebnissen kritischer maurerischer Geschichtsforschung bestehen.

Die Templerüberlieferung der Acten der Gr. L. L. d. Frm. v. D. behauptet bekanntlich, dass zwischen dem im Anfange des zwölften Jahrhunderts gestifteten und zwei Jahrhunderte später untergegangenen geistlichen Ritterorden der Templer und der Freimaurerei ein Zusammenhang bestehe, indem diese die Pflegstatt der jenem überlieferten uralten Geheimlehre geworden sei. Die uralte Geheimlehre von den Mitteln und Wegen, den Formen und Uebungen, wodurch der Mensch in sich selbst das Licht ewiger Wahrheit finden und entzünden kann und die heute noch aller und jeder Freimaurerei, woher sie sonst ihren Ursprung ableite, zu Grunde liegt, diese uralte Geheimlehre ist – so behaupten die Acten der Gr. L. L. d. Frm. v. D. – auch an den Templerorden gekommen, und zwar kaum ein Vierteljahrhundert nach Stiftung dieses ursprünglich rein katholisch-orthodoxen Ritterordens. Auf Grund dieser ihm überlieferten Geheimlehre habe sich dann im Templerorden selbst ein mit dessen äusserer Einrichtung eng verknüpfter Geheimbund ausgebildet, dessen Kundschaft nach dem Untergange des Ordens von einigen eingeweihten Templerbrüdern nach Schottland gekommen und mit der dortigen Bauhütte verbunden worden sei. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts sei dann dieser Freimaurer-Ritterorden neben den zünftigen Freimaurerlogen in England eine ebenso wichtige Grundlage und Quelle für die im Jahre 1717 gestiftete englische Grossloge geworden. An der Arbeit dieser Grossloge hätten sich die Mitglieder des Freimaurer-Ritterordens unter voller Anerkennung des neuen erhabenen Weltzweckes der modernen Freimaurerei zunächst betheiligt, sich aber bald wieder davon abgewendet, weil sie einsahen, dass die neue englische Grossloge die Königliche Kunst verflache und willkürlich ausübe. Im bewussten Gegensatze zur englischen Grossloge hätten sie nunmehr ihre eigene Wissenschaft in den Jahren 1725 bis 1730 in zwölf Büchern schriftlich niedergelegt. Diese Acten seien darauf theils in das südöstliche Frankreich und nach Genf, dann 1733 nach Florenz in Italien, später nach Schweden und Dänemark und schliesslich 1766 von Stockholm aus durch den damaligen Ordensmeister der 1759 gestifteten Gr. L. L. von Schweden, Br.·. von Eckleff, nach Deutschland an den Br.·. v. Zinnendorf gekommen, der danach 1770 in Berlin die Grosse Landesloge der Freimaurer von Deutschland einrichtete.

Nach den Eckleff'schen Acten, die mit späteren Ergänzungen und Umgestaltungen die Grundlage des sogenannten schwedischen Systems bilden, ist also die Freimaurerei die aus der Verbindung mit der schottischen Bauhütte hervorgegangene geistige Erneuerung des mittelalterlichen Templerordens.

Die Glaubwürdigkeit dieser Templerüberlieferung ist von Brüdern anderer freimaurerischer Systeme und Lehrarten sofort angezweifelt worden, und vor Jahrzehnten schon haben auch geschichtskundige Brüder der Gr. L. L. d. Frm. v. D. selbst wohlbegründete Bedenken dagegen erhoben. Diese Bedenken waren es, die den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preussen, den späteren Kaiser Friedrich III., bestimmten, beim hundertjährigen Stiftungsfeste der Gr. L. L. d. Frm. v. D. am 24. Juni 1870 als deren Ordensmeister jene denkwürdige Rede zu halten, worin er die Nothwendigkeit betonte, die Templerüberlieferung auf ihre geschichtliche Begründung hin zu prüfen. Das ist durch unseren leider viel zu früh verstorbenen Br.·. Schottmüller geschehen. Sein im Jahre 1887 erschienenes Werk » Der Untergang des Templerordens« weist überzeugend nach, dass dieser geistliche Ritterorden zur Zeit seiner Aufhebung im Jahre 1312 nicht im Besitze einer Geheimlehre gewesen ist, wie sie der Freimaurerei zu Grunde liegt. Die Gr. L. L. d. Frm. v. D. hat denn auch durch Beschluss ihrer Gesetzgebenden Versammlung im Jahre 1888 die Templerüberlieferung fallen lassen und ihre Acten einer entsprechenden Umarbeitung unterworfen, von der indess die Acten der Johannis-Grade in keiner Weise betroffen worden sind. Das konnte sie um so leichter, weil sie bereits erkannt hatte, dass die Ableitung der Freimaurerei vom Templerorden für ihr System und dessen Lehrart keine praktische Bedeutung mehr habe. Aber sehr wohl verständlich ist es, dass die Gr. L. L. d. Frm. v. D. der Templerüberlieferung so lange Glauben geschenkt hat, bis deren Unhaltbarkeit geschichtlich nachgewiesen war.

Was die englische Grossloge als Ziel und Inhalt der Freimaurerei hingestellt hatte: eine allgemeine Völkerverbrüderung auf der Grundlage religiöser Duldung, war gewiss ein sehr hoher reiner und edler Gedanke. Aber die Hülle, in der sie diesen Gedanken darbot, um ihn zu pflegen, zu verbreiten und seiner Verwirklichung entgegenzuführen, die Andersonschen Constitutionen und ein höchst unfertiges und unklares Ritual, war so unscheinbar und dürftig, dass Alles, was zu ihrer Verbesserung und Vervollkommnung beitragen konnte, bei tiefer denkenden Brüdern unbedingt Anklang finden musste. Das leisteten die schwedischen Acten. Mit einem durchgebildeten, sinnreichen Rituale geben sie Aufschlüsse über den geistigen Ursprung der Freimaurerei, die weit annehmbarer erschienen, als Anderson's Constitutionen, die schon Br.·. Lessing eine »kahle Rhapsodie« genannt hat, »worin die Historie der Baukunst für die Historie des Ordens untergeschoben wird«. Der Templerorden, der im heldenmüthigen Kampfe für das Christenthum zu hoher weltgeschichtlicher Bedeutung gelangt und, wie man annahm, wegen einer Geheimlehre vernichtet worden war, die eine von der römischen Papstkirche unabhängige, freiere geistige Auffassung des Christenthums bot, dieser hohen, idealen Zielen huldigende Ritterorden wurde mit viel grösserer Wahrscheinlichkeit als eigentliche Quelle der Freimaurerei hingestellt, wie die englische Bauhütte des 17. und 18. Jahrhunderts, von deren idealen Bestrebungen durchaus nichts bekannt war und der dazu nicht mehr wie Alles zu fehlen schien. Die Gr. L. L. d. Frm. v. D. hat denn auch die Templerüberlieferung nicht deshalb fallen lassen, weil diese an und für sich durchaus unglaubwürdig und unwahrscheinlich ist, sondern weil sie nicht in der Lage ist, die heute verlangten geschichtlichen Beweise dafür zu erbringen, und weil etwaige neue Versuche, die Freimaurerei aus dem im Anfange des 14. Jahrhunderts ganz und für immer untergegangenen Templerorden abzuleiten, jede praktische Bedeutung verloren haben. Hat sich doch Br.·. Schottmüller selbst gegen die Schlussfolgerung verwahrt, dass, weil er bei seinen Studien über den Untergang des Templerordens keine Spur von einer in diesem Orden vorhandenen Geheimlehre, wie sie die Ueberlieferung der schwedischen Acten annimmt, entdeckt hat, nunmehr auch bewiesen sei, eine solche Annahme sei überhaupt falsch.

Nur an zwei Stellen seines umfangreichen Werkes kommt Br.·. Schottmüller auf die behauptete Entstehung der Freimaurerei aus dem Templerorden ausdrücklich zu sprechen. An der einen Stelle sagt er: »Diese Behauptung tritt erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Kritik entgegen und ist bis jetzt durch irgendwelche sichere Nachrichten, die für den Historiker von Werth wären, nicht verbürgt.« Und an der zweiten Stelle, wo er den Templerorden mit einer »aristokratischen Gemeinde« vergleicht »von derben, praktischen, kühnen Männern, deren leitende Elemente sich nur dem Dienste der Waffen gewidmet hatten, die sich nur in voller Rüstung und hoch zu Ross stark fühlten«, wirft Schottmüller im Hinweise auf die Statuten des Templerordens, die Aussagen der überwältigenden Mehrheit der angeklagten Ordensleute und auf die Zeugnisse ehrlicher, unbescholtener, hochangesehener Männer aus allen Theilen der Welt, die von ihm selbst nirgends verneinend beantwortete Frage auf: »Und diese Genossenschaft, deren Glieder sich, wenn sie das Kreuz geschlagen und ihre Seele der Jungfrau Maria empfohlen hatten, blindlings in den verzweifeltsten Kampf stürzten, deren Grossmeister sich gleich den anderen Ordensobern beim Verhöre damit entschuldigt, er sei nur »ein einfacher, ungelehrter Ritter ohne Ross und Waffen« und »verstehe die vor Gericht übliche Sprache nicht«, diese Genossenschaft, deren Brüder lieber fröhlich den Humpen schwangen, als dass sie sich mit Bücherweisheit gequält hätten, diese soll nach der einen Auffassung in speculativer Mystik eine Geheimlehre geschaffen haben, zu der nur das Grübeln in mussereicher Einsamkeit zu führen vermag?« Das ist Alles, was in Br.·. Schottmüller's vortrefflichem Werke über den Ursprung der Freimaurerei »von einem im Templerorden vorhanden gewesenen Geheimbunde« zu finden ist. Beim Untergange des Templerordens findet sich keine Spur mehr von einer solchen Geheimlehre, das hat Br.·. Schottmüller mit allen Mitteln historischer Kritik nachgewiesen, und es ist so gut wie ausgeschlossen, dass durch etwaige Auffindung früher vorhandener Actenstücke, die ihm nicht zugänglich gewesen sind, an diesem Ergebnisse seiner Forschungen etwas Wesentliches geändert werden könne. Die im vorigen Jahrhundert unternommene und auch in unserem Jahrhundert noch theilweise weitergeführte Verwendung des Templerordens als Vermittler für die Ueberlieferung einer alten Geheimlehre an die moderne Freimaurerei kann daher nicht mehr aufrecht erhalten werden. Aber die Frage, ob der Templerorden auch in seiner Blüthezeit nicht im Besitze einer solchen Geheimlehre gewesen sei, ist immer noch offen. Ihre Beantwortung hat heute jedoch, wo die eigentlichen Quellen der Freimaurerei schon ziemlich sicher erkannt sind, keine praktische Bedeutung mehr, sondern nur noch ein allerdings nicht unwichtiges culturgeschichtliches Interesse.

Die Frage nach dem » ritterbürtigen« Ursprünge der Freimaurerei ist damit erledigt.

Wie ist es nun um die » zunftgeborene« Freimaurerei bestellt?

Die Art der Entstehung der englischen Grossloge und das im Auftrage dieser Grossloge von Br.·. Anderson ausgearbeitete und mit ihrer Genehmigung veröffentlichte Constitutionenbuch haben zur Ableitung der Freimaurerei aus der zunftmässigen Werkmaurerei den ersten Anstoss gegeben. Dann trat am Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Nichtmaurer, der Abbé Grandidier in Strassburg, mit der Vermuthung auf, dass »die Gesellschaft der Freimaurer« lediglich eine »Nachahmung der alten und nützlichen Bruderschaft der Werkmaurer sei, deren Hauptquartier ehedem in Strassburg war«. Diese Vermuthung fand natürlich bei den deutschen Freimaurerbrüdern grossen Anklang, und sie bemühten sich, den Ursprung der Freimaurerei aus der mittelalterlichen deutschen Bauhütte mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu begründen. So entstand das Märchen von der »zunftgeborenen« Königlichen Kunst, das um so leichter als Entstehungsgeschichte der Freimaurerei Annahme fand, weil es in den Formen urkundlicher Beglaubigung dargeboten wurde.

Da die englische Grossloge, mit deren Entstehung sich die Freimaurerei zuerst im öffentlichen Leben bemerkbar gemacht hatte, durch die Vereinigung von vier alten Londoner Werkmaurerlogen am 24. Juni 1717 gestiftet worden war, da ferner die Form des Grosslogenthums, in der sich die Freimaurerei seit dem Anfange der dreissiger Jahre des vorigen Jahrhunderts über Europa verbreitet hatte, thatsächlich aus England stammte, da endlich sowohl der Name wie manche Gebrauchthümer der Freimaurerei an die zünftige Werkmaurerei erinnerten, so galt es als erwiesen, dass alle Freimaurerei überhaupt aus der zünftigen englischen Werkmaurerei hervorgegangen sei. Da weiterhin unter den Baugewerken des westlichen Europas gewisse internationale Beziehungen bestanden haben sollten, die sich namentlich in der Gemeinsamkeit geheimer Erkennungszeichen und Begrüssungsgebräuche geäussert hätten, so war es nur natürlich, dass man sich bemühte, nach Beweisen für den inneren Zusammenhang der Freimaurerei und ihrer Brauchthümer mit den festländischen Baugenossenschaften und namentlich mit den im Mittelalter zu geschichtlicher Bedeutung gelangten Bauhütten der Steinmetzen in Deutschland zu forschen.

Zu sicheren Ergebnissen konnten indess diese Forschungen um so weniger führen, als sie meist von Brüdern angestellt wurden, denen weder die Anforderungen noch die Mittel kritischer Geschichtsforschung hinreichend bekannt waren und die ausserdem von Ursprung und Wesen der englischen Werkmaurergesellschaften sowohl wie der mittelalterlichen deutschen Bauhütten keine richtige Vorstellung hatten. Kritiklos nahmen diese Forscher Alles hin, was ihnen eine Bestätigung für ihre vorgefasste Meinung vom werkmaurerischen Ursprunge der Freimaurerei zu bieten schien; diese ihre vorgefasste Meinung selbst auf ihre geschichtliche Begründung hin zu prüfen, fiel ihnen jedoch nicht ein. Für die Freimaurerei überhaupt und für die Gr. L. L. d. Frm. v. D. insbesondere ist es aber sehr nachtheilig und verhängnissvoll gewesen, dass bis auf unsere Tage die maurerischen Geschichtsschreiber mit wenigen Ausnahmen ihrer Aufgabe in so geringem Maasse gewachsen waren; denn dadurch ist die heute noch herrschende leidige Verwirrung der Ansichten über Ursprung, Wesen und Ziel der Freimaurerei entstanden. Gerade die unwissenschaftlichsten und oberflächlichsten, dazu häufig noch mit grösster Parteilichkeit abgefassten sogenannten »Geschichten der Freimaurerei« fanden mit Hülfe buchhändlerischer Reclame die weiteste Verbreitung und den meisten Anklang. Auch die von Br.·. Findel herausgegebene »Geschichte der Freimaurerei von der Zeit ihres Entstehens bis auf die Gegenwart«, ist ein durchaus parteiisches, nicht überall streng wissenschaftlich gehaltenes Geschichtswerk. Von der Benutzung solcher Werke ist auf das Entschiedenste abzurathen, mindestens ist ihnen gegenüber äusserste Vorsicht zu empfehlen.

Die Annahme, dass sich die Geheimlehre der Freimaurerei von Alters her unter dem gleichnamigen Handwerke, der Werkmaurerei, erhalten habe, ist schon von Br.·. Lessing, dem grossen deutschen Denker des vorigen Jahrhunderts, bestritten worden. Auch in den Augen der Gr. L. L. d. Frm. v. D. galt die Werkmaurerei von jeher nur als eine Hülle, womit sich die Freimaurerei zeitweise umkleidet hat. Heute darf es geschichtlich feststehend angesehen werden, dass die werkmaurerischen Bauhütten oder Baubrüderschaften für die Entwickelungsgeschichte der Freimaurerei nur insoweit in Betracht kommen, als die Freimaurerbrüder sich vorübergehend mit ihnen verbanden und für die Dauer dieser Verbindung ihre Schicksale in mancher Beziehung theilten, auch Manches von ihren Gebrauchthümern und Einrichtungen annahmen. Im Uebrigen hat die Geschichte der Werkmaurerei für die Freimaurerei gar kein Interesse.

Zunftmässig werkmaurerischen Ursprunges könnte die Freimaurerei ja doch nur sein, wenn nicht bloss ihr Name, sondern auch ihre wichtigsten und wesentlichsten Einrichtungen und Gebrauchthümer, vor Allem aber ihre ganze geistige Grundlage den Zünften der Bauleute entstammte.

Die Bauhütten des deutschen Mittelalters sind nun wohl von allen Handwerkerverbänden der Vorzeit am häufigsten und eingehendsten wissenschaftlich untersucht worden. Sie sind danach Vereinigungen von Steinmetzen zur Wahrung rein gewerklicher Interessen gewesen. Es sind uns eine ganze Reihe mittelalterlicher Steinmetzordnungen überkommen, aber in keiner findet sich eine Spur höherer geistiger Bestrebungen. Ihr Inhalt unterscheidet sich in keiner Weise von dem anderer Handwerksordnungen und erschöpft sich in Bestimmungen über das Handwerk, über die Verpflichtungen der Meister, Gesellen und Lehrlinge, über die sittliche Aufführung der Genossen, über das Verhältniss zu Gott und zur Kirche, über die Geheimhaltung alles dessen, was das Steinwerk und die Bauhütte angeht. Eine besondere geistige Bedeutung haben also die Bauhütten der mittelalterlichen Steinmetzen in Deutschland keinesfalls gehabt, und wo es so scheinen könnte, da ist dies das persönliche Verdienst einzelner geistig hervorragender, freier denkender Mitglieder, das aber die Bauhütten als solche nimmermehr für sich in Anspruch nehmen dürfen. Mit der Freimaurerei haben die mittelalterlichen deutschen Bauhütten in der That nichts weiter zu schaffen, »als dass«, wie Br.·. Walden sagt, »einige Brauchthümer weniger erheblicher Art, die sie mit den englischen Steinmetzen gemein hatten, von diesen den Freimaurern überkommen sind«. Und selbst, wenn Br.·. Findel's Behauptung zuträfe, »dass die Bauhütten für alle freier Denkenden und vom kirchlichen Fanatismus Verfolgten stets eine sichere Zufluchtsstätte waren«, – und in gewisser Beziehung trifft dies zu –, so wäre damit noch nicht das Geringste für den werkmaurerischen Ursprung der Freimaurerei bewiesen.

Was von den deutschen Bauhütten geschichtlich feststeht, das gilt nun erst recht von den englischen Baugewerken, deren im Vergleich zur politischen Selbständigkeit jener völlig unfreie Stellung noch weit weniger die Entwickelung und Bethätigung eines höheren geistigen Lebens und Strebens begünstigte. Das ist geschichtlich so überzeugend festgestellt, dass auch nicht der geringste Zweifel daran mehr aufkommen kann.

Die Behauptung einer besonderen Idealität ihrer Bestrebungen ist, wie für die mittelalterlichen deutschen Bauhütten, so ganz unbedingt für die englischen Werkmaurervereinigungen eben nur eine Behauptung, die jeder geschichtlichen Begründung entbehrt. Die »zunftgeborene« Freimaurerei ist, wie Lessing sagt, »Staub! und nichts als Staub!« ein Wahngebilde, das vor dem hellen Lichte kritischer Forschung sofort verschwindet, aber leider nur allzu lange Verwirrung und Entzweiung in die Freimaurerbrüderschaft hineingetragen und sie vom rechten Wege zur Erkenntniss ihres eigentlichen Ursprunges und ihres wahren Zieles abgelenkt hat.

Doch wo ist denn nun der Ursprung der Freimaurerei zu suchen, wenn Alles, was die Logenüberlieferungen darüber enthalten, entweder geschichtlich nicht zu begründen oder als Täuschung erwiesen ist?

Eine völlig abschliessende Antwort auf diese Frage ist, wie gesagt, heute noch nicht gefunden, aber der Schlüssel zur Lösung des Räthsels ist bereits in unseren Händen. Der Schleier, der das Urbild der Königlichen Kunst der Freimaurerei verhüllt, ist zwar noch nicht völlig gehoben, aber er ist schon so durchsichtig geworden, dass die Umrisse dieses Urbildes bereits hindurchschimmern. Die Quelle der Freimaurerei ist noch nicht entdeckt, aber ihr Rauschen vernehmen wir bereits, und die Pfade, die zu ihr führen werden, erschliessen sich immer mehr den spähenden Blicken kundiger Forscher.

Schon Lessing ahnte das Rechte, wie seine » Gespräche für Freimaurer« zeigen, von denen Br.·. Widmann, einer der erleuchtetsten und unterrichtetsten Brüder der Gr. L. L., sagt, dass sie wohl das Tiefste enthalten, was ein deutscher Mann über das Wesen der Königlichen Kunst und das Merkwürdigste, was ein solcher über die verschiedenen Erscheinungsformen dieser Kunst und über die jüngste Erscheinungsform, die wir Freimaurerei nennen, je geschrieben hat.

Lessings Ansichten über Freimaurerei vertritt in diesen Gesprächen Falk. Der erklärt nun seinem Freunde Ernst: die Freimaurerei ist nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches, sondern etwas Nothwendiges, das im Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Ihrem Wesen nach ist die Freimaurerei ebenso alt als die bürgerliche Gesellschaft. Beide konnten nicht anders als mit einander entstehen. Indess hat sich die Freimaurerei immer und aller Orten nach der bürgerlichen Gesellschaft schmiegen und biegen müssen, denn diese war stets die Stärkere. So mancherlei die bürgerliche Gesellschaft gewesen ist, so mancherlei Formen hat auch die Freimaurerei anzunehmen sich nicht entbrechen können, und jede neue Form hatte, wie natürlich, ihren neuen Namen.

Der Ursprung der Freimaurerei fällt also für Lessing mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft zusammen, aber das, was gegenwärtig Freimaurerei genannt wird, hat, wie Lessing meint, nicht immer Freimaurerei – englisch Masonry oder Freemasonry – geheissen, sondern ist bis zur Stiftung der englischen Grossloge im Jahre 1717 mit dem Namen Masoney bezeichnet worden. Diese Masoneien waren vertraute geschlossene Tischgesellschaften, die ihren Ursprung in Deutschland hatten und durch die Angelsachsen nach England verpflanzt wurden. Besonders berühmt waren die Masoneien der Tempelherren, von denen sich eine auch nach der Aufhebung des Ordens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in aller Stille in London erhalten hatte, wo Christoph Wren, der Baumeister der St. Paulskirche, zu ihren Mitgliedern gehörte.

» Christoph Wren« – so behauptet nun Lessing weiter – »hatte schon ehedem den Plan zu einer Societät der Wissenschaften entwerfen helfen, die speculative Wahrheiten gemeinnütziger machen sollte. Auf einmal fiel ihm das Gegenbild einer Gesellschaft ein, die sich von der Praxis des bürgerlichen Lebens zur Speculation erhöbe ... Dort, dachte er, würde untersucht, was unter dem Wahren brauchbar, und hier, was unter dem Brauchbaren wahr sei. Wie, wenn ich einige Grundsätze der Masoney exoterisch, d. h. für Viele zugänglich machte? Wie, wenn ich das, was sich nicht exoterisch machen lässt, unter die Hieroglyphen und Symbole des Maurerhandwerks versteckte und, was man jetzt unter dem Worte Masonry versteht, zu einer Free-Mansonry erweiterte, woran Mehrere theilnehmen könnten? – So dachte Wren, und die Freimaurerei ward!«

Lessing steht also mit seiner Ansicht über den Ursprung der Freimaurerei durchaus auf dem Boden der nunmehr im wahren Sinne des Worts zu den Akten gelegten Templerüberlieferung der Gr. L. L.; aber das ist nicht der Grund, weshalb ich sagte, Lessing habe bereits die rechte Ahnung vom Ursprünge der Königlichen Kunst gehabt; diese Ansicht stützt sich vielmehr darauf, dass Lessing den geistigen Inhalt der Freimaurerei von Deutschland nach England übertragen und dort mit werkmaurerischer Hülle umkleidet werden lässt. Denn was Lessing geahnt hat, das wird bestätigt oder wenigstens in einem hohen Grade wahrscheinlich gemacht, nicht durch »eine sorgfältig aufbewahrte Ueberlieferung«, die, wie er sagt, »soviel Merkmale der Wahrheit hat«, dass sie den Mangel an geschichtlichen Beweisen ersetzt, sondern durch die Ergebnisse maurerischer Forschung, die heute vorliegen. Die Ueberlieferung »durch schriftliche Vorzeigungen« zur Geschichte zu erheben, ist nicht gelungen, aber die Anregung Lessing's, aus den angeblichen schriftlichen, d. i. urkundlichen Beweisen für diese Ueberlieferung länger kein Geheimniss zu machen, hätte, wenn sie sofort befolgt worden wäre, die maurerische Geschichtsforschung vor manchen Abwegen und Irrungen bewahren und die deutsche Freimaurerei schon längst aus den Wirren hinausführen können, unter denen sie bedauerlicherweise heute noch leidet. Allein fast ein Jahrhundert verging, bis Lessing's Gedanken über Freimaurerei überhaupt erst gehörig beachtet und gewürdigt wurden. Nun aber gaben sie den Anstoss, die freimaurerischen Ueberlieferungen zunächst einmal auf ihre geschichtliche Begründung hin zu prüfen. Ja, vielleicht sind gerade Lessing's » Gespräche für Freimaurer« nicht ohne Einfluss auf jene schon einmal erwähnte bahnbrechende Rede gewesen, worin Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preussen, unser unvergesslicher Br.·. Kaiser Friedrich III., als Ordensmeister der Gr. L. L. d. Frm. v. D. am 24. Juni 1870 es als eine unabweisliche Forderung der Zeit bezeichnete, die Ueberlieferung durch geschichtliche Forschungen sicher zu stellen.

Der englische Name der Freimaurerei, » Masonry«, hatte Lessing auf den Gedanken gebracht, den Ursprung unserer Königlichen Kunst in den urdeutschen und uralten Masoneien zu suchen. Die Voraussetzungen, auf denen dieser Gedanke ruht, sind irrig, aber die Art, wie Lessing seinen Gedanken verwendet, um die Entstehung der englischen Grossloge durch geistreiche Vermuthungen zu erklären, zeigt, wie gesagt, dass ihn die geniale Kraft seines Geistes den eigentlichen Ursprung der Freimaurerei ahnen liess.

Die Form, in der die Königliche Kunst unter dem Namen Freimaurerei in den Johannis-Logen sämmtlicher Systeme und Lehrarten gegenwärtig geübt wird, ist – das steht geschichtlich fest – erst seit dem Jahre 1630 etwa in England ausgebildet, in ihren Grundzügen mit der Stiftung der englischen Grossloge im Jahre 1717 festgelegt und später durch Theilung der ursprünglich einen Johannis-Loge in die drei Stufen des Lehrlings, Gesellen und Meisters vollendet worden. Im Auftrage der Grossen Loge von England verfasste einer ihrer Stifter, der Prediger Anderson, ein » Constitutionenbuch«, das im Jahre 1723 im Druck erschien unter dem Titel: » Die Constitutionen der Freimaurer, enthaltend die Geschichte, Pflichten, Vorschriften u. s. w. dieser sehr alten und ehrwürdigen Brüderschaft zum Gebrauche für die Logen.« Kurz bezeichnet man dieses älteste Constitutionenbuch der Grossen Loge von England gewöhnlich als die » Alten Pflichten«. Es wurde bei der Stiftung neuer Logen diesen übergeben, aber ohne Ritual und Symbolik, die geheim bleiben sollten und daher nur mündlich überliefert wurden. Hieraus erklären sich die Abweichungen im Rituale und in der Symbolik der auf Grund der englischen Constitutionen allmählich in Deutschland entstandenen Grosslogen; hieraus wird es aber auch verständlich, wie man zu so irrigen Meinungen über den Ursprung der Freimaurerei kommen konnte.

Der eigentliche Zweck der englischen Constitutionen, den Ursprung der Freimaurerei mit der Entstehung der Baukunst zu verknüpfen, musste erst deutlich erkannt werden, um aus diesen Constitutionen selbst werthvolle Hinweise auf die wirklichen Quellen unserer Königlichen Kunst entnehmen zu können. Dieser Zweck ist, wie Br.·. Katsch sagt, kein anderer, als »den Ursprung der Freimaurerei in eine historisch uncontrolirbare Zeit zurückzuverlegen«, um die Mitwelt über Entstehung, Wesen und Ziel der »Königlichen Kunst« zu täuschen. Die Nothwendigkeit dieser Täuschung erklärt sich aus den Verhältnissen der Zeit, wo die Königliche Kunst, damit sie ungestört und ohne schwere Gefahren für ihre Jünger gepflegt und ausgeübt werden könne, von diesen mit der werkmaurerischen Hülle umkleidet wurde.

Betrachtet man von diesem Gesichtspunkte aus die Constitutionen der englischen Grossloge, so erkennt man, dass sie nicht Erzeugnisse der Werkmaurer sind, sondern von Maurern der Königlichen Kunst herstammen. Sie waren darauf berechnet, bei den ausserhalb des beschworenen Geheimbundes der Freimaurer Stehenden, den »Profanen«, den Glauben zu erwecken, als stamme die Gesellschaft der Maurer aus dem Gewerke der Maurer; jeden Eingeweihten aber verweist das Andersonsche Constitutionenbuch von 1723 selbst ausdrücklich auf die » Königliche Kunst« als auf die Urquelle der Freimaurerei. Das hat Br.·. Katsch überzeugend nachgewiesen.

Gelingt es nun, festzustellen, wer die Maurer der Königlichen Kunst gewesen sind, die den Grund zur Stiftung der englischen Grossloge legten, so wird damit der erste und bedeutsamste Schritt zur Erkenntniss des eigentlichen Ursprungs der Freimaurerei gethan sein. Maurer der Königlichen Kunst sind nun vor Stiftung der englischen Grossloge nur in England und dort nicht früher nachweisbar als in dem Zeiträume von 1630 bis 1640, seitdem aber in ununterbrochener Reihenfolge und in immer grösserer Zahl, und zwar als Mitglieder eines Geheimbundes, der zu der englischen Werkmaurerei in Beziehung stand.

Ueber das Wesen dieser Maurer der Königlichen Kunst, die sich entweder schlechthin »Maurer« oder auch »Freimaurer« nannten, haben nun in jüngster Zeit die Brüder Walden und Katsch eingehende Untersuchungen angestellt. Br.·. Walden hat die Ergebnisse seiner Untersuchungen in vier Heften niedergelegt, die er unter dem allgemeinen Titel » Beiträge zur Vorgeschichte der Freimaurerei« in den Jahren 1889 und 1890 veröffentlicht hat. Br.·. Katsch hat ein umfassendes Werk über die » Vorgeschichte der Freimaurerei« geschrieben, das 1897 veröffentlicht worden ist.

Br.·. Walden sieht die Geburtsstätte der Freimaurerei in einer geheimen Gesellschaft, die nach dem Vorbilde des in der Nova Atlantis Bacon von Verulams geschilderten Musterstaates Bensalem unter dem Namen »unsichtbares Collegium« um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in London gebildet, mit der englischen Werkmaurerei in Verbindung gebracht und endlich 1717 in die Freimaurergesellschaft der englischen Grossloge umgewandelt worden sei. Wie sich diese Umwandlung im Einzelnen vollzogen hat, sei nicht bekannt und werde wohl für immer unaufgeklärt bleiben, da es absichtlich verhüllt sei und die Schriftstücke, die actenmässigen Nachweis davon gewähren könnten, gänzlich vernichtet zu sein schienen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lasse sich jedoch annehmen, dass die Aenderung allmählich erfolgt ist, indem zuerst, um Antheil an den Corporationsrechten der Baugewerke zu gewinnen, der Beitritt zu diesen betrieben und die Zugehörigkeit zu einer Bauloge als Voraussetzung für die Aufnahme in die unsichtbare Gesellschaft gefordert, dann auf die Ausarbeitung der Ritualien der Baulogen in vorsichtiger Weise hingewirkt und endlich die völlige Verschmelzung beider Gesellschaften zu einer mit mehreren Graden ausgestatteten Körperschaft herbeigeführt sein werde. »Bei diesem Vorgange« – so meint Br.·. Walden – »mussten nothwendig hohe Anforderungen an die Verschwiegenheit der Brüder, die von einem Grade in den anderen, namentlich in den dritten befördert wurden, gestellt werden; denn unvorsichtige Plaudereien würden die Durchführung des ganzen Unternehmens in Frage gestellt und den inneren Frieden der Logen ernstlich gefährdet, vielleicht die Logen selbst auch mit der Aussenwelt in Hader versetzt haben. So musste es angezeigt erscheinen, den Brüdern die Pflicht der Verschwiegenheit besonders eindringlich einzuprägen und durch die Freimaurereide von Stufe zu Stufe aufs Neue einzuschärfen. Es waren wirklich Geheimnisse auch den neueintretenden Brüdern gegenüber zu wahren, und sie wurden so gut gewahrt, dass die Brüder, die die heutige Freimaurerei in neue Bahnen gelenkt haben, die thatsächlichen Vorgänge mit ins Grab genommen haben. Damit findet der Umstand, dass einer Gesellschaft von der Zusammensetzung und dem Selbstbewusstsein der Freimaurerei so rasch nach ihrer Errichtung die klare Kenntniss ihres Ursprungs verloren gehen konnte, eine Thatsache, die notwendigerweise zu vielen Irrthümern führen musste und für die Logen von den nachtheiligsten Folgen gewesen ist, ihre erklärende Begründung. Von den beiden Hauptquellen der Freimaurerei wurde die wichtigste, die dem ganzen Flusse die tiefe Unterströmung und seine eigentliche Bedeutung gegeben hat, künstlich so verdeckt und versteckt, dass sie für lange verborgen geblieben und nur eine kaum noch für ernst genommene, fast verklungene Mär von ihr im Gedächtniss der Brüder erhalten ist.«

So Br.·. Walden's Ansicht vom Ursprünge der Freimaurerei.

Br.·. Katsch leitet den Ursprung der Freimaurerei ebenfalls von einer geheimen Gesellschaft her, die jedoch nicht in England selbst entstanden, sondern dorthin von Deutschland übertragen, auf englischem Boden aber aus kirchlichen und politischen Rücksichten mit der Werkmaurerei in Verbindung gebracht worden ist.

Die Freimaurerei ist nach der Meinung des Br.·. Katsch ihrem geistigen Wesen nach deutscher Herkunft, ihrer Form nach englischen Gepräges, aber hier wie dort ist sie eine Tochter jener Vereinigung von Geistes- und Herzensaristokratie, die wir » religiöse Duldung« zu nennen pflegen, und diese sollte sich nur unter den Christen verschiedenen Bekenntnisses bethätigen. Die Freimaurerei war daher in ihrer Grundrichtung eine eigenartige christliche Einrichtung. Sie erstand am Ende des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts und wurde inaugurirt durch die Schriften: Clavis Philosophiae und Summum Bonum, diese von einem Schotten Frizius, jene vom muthmaasslichen Leiter der neuen Bewegung, einem Engländer Robert Fludd, verfasst, der selbstgeständlich den Gesammtkern der Freimaurerei aus Deutschland, nämlich von den alten und echten deutschen Rosenkreuzern, denen er mit angehörte, nach England hinüber rettete, während jede Spur dieser echten Rosenkreuzer in Deutschland bereits in der ersten Drittelszeit des dreissigjährigen Krieges erlischt. Ob jene beiden Schriften die englische Freimaurerei erst erweckten oder von der inzwischen etwa schon vollendeten Neueinrichtung der Brüderschaft auf britischem Boden den entfernter wohnenden Mitangehörigen – aber nur diesen, nicht den »Profanen« – Kenntniss geben sollten, lässt Br.·. Katsch dahingestellt sein; es sei ihm indess wahrscheinlich, dass die Neueinrichtung bereits geschehen war – natürlich nur im allerprunklosesten Rahmen – und durch jene Schriften den Wissenden in der Zerstreuung angedeutet werden sollte. Dann muss die Entstehung der Freimaurerei in England wie in Schottland etwa zwischen 1626 und 1628 angenommen werden; im anderen Falle einige Jahre später.

»Wie allbekannt«, so schreibt Br.·. Katsch, »waren die Christen Europas um jene Zeit – wie ja heutzutage nicht minder, wenn auch weniger gewaltthätig – unter der unheilvollen Führung ihrer fanatischen Geistlichen vor Allem darauf bedacht, ihre kirchlichen Spaltungen so tief und so blutig wie möglich abzugrenzen, statt sie zu überbrücken. Der Bund musste demnach auch in Britannien werden, was er in Deutschland hätte sein müssen, nämlich ein Geheimbund rücksichtlich der Bundesbrüder. Den Zweck ihres Bundes aber hatten dessen fruchtlose Vorkämpfer so in Deutschland wie später in England laut und öffentlich bekannt gemacht, und zwar in abermals ganz eigenartiger Form, nämlich theils in gelehrter Sprache für Gelehrte, theils für das grosse Volk in volksthümlicher Weise und in mannigfacher Einkleidung, die von den verschiedensten Standpunkten aus gleichwohl stets den gleichen Endzweck unverrückbar im Auge behalten. Je höher aber erst in Deutschland und dann nur allzu bald auch in England die Wogen der vorzugsweise religiös gefärbten Politik emporbrandeten, um so schweigsamer musste sich die Brüderschaft verhalten. Denn die wilde Zeit war und ward von Jahr zu Jahr nicht nur immer tauber, sondern auf beiden Seiten immer erbitterter gegen den Friedensruf. Daher war es ebenso in England wie früherhin in Deutschland nicht gefahrlos, sich offen zur Brüderschaft zu bekennen; wenn nicht heut, so konnte morgen eine unvorsichtige Aeusserung in den Kerker und aus dem Kerker gar leicht auf das Schafott führen. Daher und noch aus anderen Gründen war der Bund als solcher ein Geheimbund. Nur wenige hervorragende Gelehrte bekannten sich offen als Rosenkreuzer, denn in den weiteren Kreisen des Volkes traute man – und das obenein nicht einmal ganz zu Unrecht – den echten und wirklichen Rosenkreuzern nicht nur hohes Wissen, sondern überdies geheimnissvolles Können zu. Angesichts der Misshelligkeiten, die gerade durch den letzten Umstand den rosenkreuzerischen Gelehrten und ihrem guten Namen in Deutschland erwachsen waren, wurden die englischen Rosenkreuzer gewitzigter. Sie wählten für ihr Auftreten im praktischeren England eine Maske, und zwar maskirten sie sich vor der Zudringlichkeit des grossen Publicums als Maurer. Nur diese Wahl gestattete ihnen das stete Wechselspiel zwischen »Handwerksbrauch und Gewohnheit« und den tiefsinnigen Allegorien, die sie einer damals bei den Wissenden noch hoch angesehenen Geheimlehre, der Kabbala, entnahmen. Vermöge dieser sinnenden Wortspiele gelang es ihnen in der That, nicht nur die ganze Aussenwelt, nämlich die »Profanen«, sondern nicht minder auch alle die zu täuschen, die in den Vorhöfen des natürlich rein ideellen » Tempels« entweder dauernd, wie die » angenommenen Werkmaurer von Profession, oder die bis zur errungenen Aufnahme in den Kreis der » fellows«, der » Wissenden«, auf unbestimmte Zeit als » heirs«, » Erben«, später » apprentices«, » Lehrlinge« bereits im »Tempel« selbst zu verharren hatten wie noch jetzt unsere Brüder Lehrlinge. Die ersten englischen Rosenkreuzer machten Propaganda in allen Schichten der Bevölkerung, wie es die deutschen gethan hatten. Allein, durch das Schicksal ihrer deutschen Vorgänger gewarnt, fingen sie es ungleich klüger an. Wen sie »zulassen« wollten, der wurde eben nicht »Rosenkreuzer«, sondern schlechtweg nur »Maurer«; und schlichte Werkmaurer, » labourers« oder Handwerker, wie sonst alle ihre Werkgenossen, waren es, die jedwedem »Zuzulassenden«, dem eigenen Standesgenossen wie dem Manne der höheren Stände, die erste Aufnahmeceremonie mussten angedeihen lassen. Diese unerlässliche erste Aufnahme wurde in schlichtem Handwerksbrauche vollzogen, natürlich aber dem Schema gemäss, das ihre vornehmen Gönner, nämlich die Rosenkreuzer des »Tempels«, dem Handwerkerwesen angepasst hatten. Diese »fünf bis sieben Männer vom Gewerk« waren eben brave, auserlesene Arbeiter, die eine entstehende Loge an sich zu fesseln wusste; sie waren der Grundstock der Mitgliedschaft, die wir »dienende Brüder« nennen, also »Freimaurer« so gut wie der etwa soeben von ihnen aufgenommene Lord. Sie hatten und bewahrten das »Passwort« und die sonstigen »Geheimnisse« dieser untersten Stufe. » Fellows« aber – also in den höheren Grad beförderte und mitbeschliessende »Rosenkreuzer« – konnten und sollten sie natürlich nicht werden. In der Folgezeit freilich missbrauchten hier und da – und zwar in England sowohl wie in Schottland – einige dieser Brüderschaftshandwerker das ihnen geschenkte Vertrauen aus Geldgier. Sie nahmen auf eigenen Kopf und auf eigene Rechnung – nicht also nur im Auftrage der »Freimaurerloge« – auf, wen sie mochten, verfügten aber anfänglich nur über das Geheimniss ihres eigenen untersten Grades. Demgegenüber befanden sich die »Logen« in übler Lage, und einige waren sogar schwach genug, den oder jenen der Rebellen bei sich in höhere Grade zu befördern. Die jedenfalls einschneidendste und radicalste Hülfsmaassregel, ja offenbar der Hauptgrund der Londoner Reform, wodurch die » Grossloge« eingeführt wurde, war nun eben der, dass die niedere Werkmaurerschaft – also die »labourers« oder Handwerker – gänzlich und grundsätzlich von der Ceremonie des »Erstaufnehmens zum Maurer« aus den Logen ausgeschlossen wurde, also dass die »labourers« ein für alle Mal von den »Freimaurern« an die Luft gesetzt wurden. Dieser Maassregel des »Grosslogenthums« schlossen sich alsbald viele »Logen« an. Andere, befangen in der »Werkmaurer«-Legende, auf deren Auswendiglernen die »Logen« zu ihrer eigenen Sicherheit ganz rigoros und unter Androhung zum Theil recht ansehnlicher Geldstrafen gedrängt hatten, verwechselten die Schale mit dem Kerne, das ursprünglich rosenkreuzerische Kunsterzeugniss der »Maurerloge« mit dem Kerne der »Freimaurerei«. Sie traten dem Grosslogenverbande zögernd, zum Theil erst spät bei, allein sie folgten mit der Zeit eben alle und überall. Seitdem fanden die »Werkmaurer«-Logen ihr natürliches Ende.«

Dies die Meinung des Br.·. Katsch über das Verhältniss unserer »Freimaurerei« zur »Werkmaurerei«, also zum zünftigen Handwerke.

Wenn auch schon früher, zuerst von dem Freunde Lessings, Friedrich Nicolai, in dessen 1806 erschienenen » Bemerkungen über den Ursprung und die Geschichte der Rosenkreuzer und Freimaurer«, und dann von Br.·. Höfig in den 1873 in der » Zirkelcorrespondenz der Gr. L. L.« veröffentlichten » Beiträgen zur Quellenkunde der Acten und zur Vorgeschichte der heutigen Freimaurerei«, auf den Zusammenhang der Freimaurerei mit den älteren deutschen Rosenkreuzern hingewiesen worden ist, so hat es doch bisher nicht nur an einer gründlichen Untersuchung dieses Zusammenhanges gefehlt, sondern es war noch nicht einmal sicher festgestellt, ob diese älteren Rosenkreuzer, die durchaus von den in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auftretenden, ganz albernen » Gold- und Rosenkreuzern« zu unterscheiden sind, überhaupt jemals ein geschichtliches Dasein geführt haben.

Das geschichtliche Dasein der älteren Rosenkreuzer in Deutschland seit dem Jahre 1614 spätestens, ihr Verschwinden in Deutschland unten den Wirren des dreissigjährigen Krieges, ihr Wiedererscheinen in England um das Jahr 1630 etwa, ihr Wirken für religiöse Duldung und für Freiheit des Glaubens und Gewissens, um über die kirchlichen Gegensätze hinweg die Besten aller christlichen Bekenntnisse in einem Bruderbunde zu einen, das Alles hat Br.·. Katsch in den von ihm vorliegenden Veröffentlichungen überzeugend nachgewiesen. Von überzeugender Kraft sind auch seine überaus scharfsinnigen und geistreichen Ausführungen über den Zusammenhang der Freimaurerei mit den älteren deutschen Rosenkreuzern.

Der Grundgedanke, den die echten Rosenkreuzer lebendig verwirklichen wollten und der in ihren Schriften aus der Zeit von 1614 bis 1640 überall deutlich hervortritt, war brüderliche Versöhnung und Einigung durch völlige Aufgabe aller Kirchenstreitigkeiten und durch einmüthiges Zurückgehen auf die unmittelbarste, aber von allen Wortdeuteleien freizulassende Grundlehre Jesu von Nazareth, in der sämmtliche Christengemeinschaften letztlich übereinstimmen. Das ist derselbe Gedanke, den die altevangelischen Gemeinden des Mittelalters vertraten, die » Waldenser«, die » Armen von Lyon«, die » Lombardischen Armen«, die »Begharden« und wie sie sonst im Volksmunde und bei ihren Verfolgern heissen, die sich selbst aber einfach » Christen« und » Brüder« nannten. Diese altevangelischen Gemeinden leiteten ihren Ursprung von den Schülern und Aposteln Christi her und verwirklichten in kleineren oder grösseren Gemeinschaften die Urgestalt der christlichen Gemeinde. Der herrschenden Kirche sprachen sie die ausschliessliche Befugniss, den Weg des Heils zu öffnen und zu schliessen, mit voller Entschiedenheit ab, und in den finsteren Zeiten unduldsamer Priesterherrschaft waren sie die wirklichen Träger des grossen Gedankens der Freiheit des Glaubens und Gewissens und des versöhnenden Grundsatzes religiöser Duldung. Zu den deutschen Bauhütten des Mittelalters standen sie in enger Beziehung, wie Ludwig Keller in seinen Untersuchungen über » Die Reformation und die älteren Reformparteien« nachgewiesen hat.

Diese kurz angedeuteten Zusammenhänge, welchen Ausblick eröffnen sie uns auf den eigentlichen Ursprung unserer Königlichen Kunst, und wie sehr sind sie geeignet, die Verschiedenheit der Ansichten über die Entstehung der Freimaurerei zu erklären und zu vereinen!

Sind die älteren deutschen Rosenkreuzer die geistigen Väter unserer heutigen Freimaurerei, so sind deren Urväter die altevangelischen Gemeinden des Mittelalters, und die eigentliche Geburtsstätte unserer Königlichen Kunst ist die urchristliche apostolische Gemeinde. Aus dem Zusammenhange, in dem die altevangelischen Gemeinden mit der mittelalterlichen deutschen Bauhütte standen, erklärt es sich dann aber auch, wie die Jünger der Königlichen Kunst in England darauf kamen, sich der Oeffentlichkeit, den »Profanen«, gegenüber in die werkmaurerische Hülle zu kleiden. Und warum sollten nicht die altevangelischen Gemeinden, wie zur mittelalterlichen Bauhütte, so auch zum Templerorden in geistigen Beziehungen gestanden haben, zumal die Blüthezeit dieses Ritterordens gerade mit dem geschichtlich bedeutsamsten Auftreten jener Gemeinden zusammenfällt?

Worin denn das eigentliche Wesen der Freimaurerei besteht, was für eine Bedeutung der Bund hat und welchem Ziele er zustrebt, das Alles ist nur zu erkennen und zu begreifen, wenn wir uns klar geworden sind über Ursprung und Ziel der Bestrebungen, aus denen die Freimaurerei hervorgegangen ist. Nur so werden wir der Gefahr entgehen, unserem Bunde Zwecke und Ziele unterzuschieben, die seiner Entstehung geradezu widersprechen. Dahin gehören alle jene unklaren Humanitätsduseleien, die sich in Schlagworten, wie » Allgemeiner Menschheitsbund«, »Verbrüderung aller Menschen und Völker« und ähnlichen äusseren, mit denen Niemand eine praktisch zu verwirklichende Vorstellung verbinden kann und die an derselben unsinnigen Verschwommenheit leiden, wie die bekannte Humanität, die für Negerkinder neue Strümpfe strickt, bevor sie die zerrissenen der Kinder des eigenen Hauses gestopft hat. Am allergefährlichsten aber sind für den Bestand unseres Bundes die Versuche, ihn dahin zu drängen, wohin er seiner ganzen Natur nach nie und nimmer gehört, nämlich »an die Spitze der geistigen Entwickelung«, oder die ihm gar eine politische Rolle zuweisen möchten. »Seine Stifter waren«, wie Br.·. Katsch durchaus zutreffend sagt, »kampfesmüde Männer, die die Nutzlosigkeit eingesehen hatten, die Ansichten verschiedener Individuen und vollends verschiedener Völker über metaphysische Probleme unter einen Hut zu bringen. Sie griffen aus diesem immer höher und immer wilder brandenden Streite über Dogmen und philosophische Definitionen religiöser Begriffe das rein Christliche, das allen civilisirten Menschen Gemeinsame heraus: Duldung Andersgläubiger und werkthätige Menschenliebe. Der Bund sollte ein Friedenshafen sein für Alle. Wer im Kampfe des Lebens gestanden, gewirkt und gelitten hatte, der sollte in seiner Loge ein stilles verborgenes Heim unter Brüdern finden, wo er zugleich Ruhe und Erhebung geniessen und seine Kräfte zu neuem Einzelkampfe prüfen und stählen könne.«

»Dies«, sagt Br.·. Katsch, »war der ursprüngliche Zweck der Brüderschaft. Wer aus diesem Friedenshafen eine drohende Festung schaffen will, der möge sich auch nicht wundern, wenn sie im Kampfestoben zerstört wird.«

Aber noch ein Zweites empfiehlt Br.·. Katsch unserem Nachdenken.

»Die alten Brüder«, sagt er, »brauchten wenig für sich, viel für Andere. Sie hatten es nicht nöthig, mit den Aufnahmen zu schleudern; Autorität galt ihnen mehr als Majorität, Herz und Geist mehr als der Geldbeutel. Sie wiesen die gefeiertsten Gelehrten, die vornehmsten Männer ab, wenn deren Charakter sie nicht zu einem »Bruder« empfahl. Sie wollten nicht »Bahn brechen«, sondern sammeln, was an »Licht und Freiheit« erworben war draussen von jedem Einzelnen im Einzelringen mit der Zeit und ihren Aufgaben. Ihr »losamentum«, ihre Loge, war ihr heiliger Gral, ein unversiegbarer Schutz.«

Ihrem Ursprunge nach kann und soll die Freimaurerei nichts Anderes sein als die brüderliche Gemeinschaft aller Derer, die, erhaben über alle religionsfeindlichen Kirchenstreitigkeiten und unchristliches Dogmengezänk, im Streben nach reiner Gotteserkenntniss dem G. B. d. W. im Geiste und in der Wahrheit dienen wollen, die sich aus rauhen unbehauenen Steinen zu vollkommenen kubischen Steinen gestalten wollen, um lebendige Bausteine zu werden für den geistigen Tempel des Reiches Gottes, dessen Eckstein Jesus von Nazareth ist, jenes geistigen Tempels, zu dem die Weisheit reiner Gotteserkenntniss den Grund legt, den die Stärke reinen Wahrheitsstrebens erhält und den die Schönheit reiner christlicher Bruderliebe gestaltet. » Daran wird Jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt«, sagt Jesus bei Johannes.

Br. Otto Kuntzemüller.


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