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Freimaurerei und Jesuitismus.

Als im Anfange des vorigen Jahrhunderts die Freimaurerei nicht, wie Viele irrthümlich annehmen, erst begründet, sondern nur unter dem neuen Namen »Freimaurerei« in veränderter äusserer Gestalt eine längst vorhandene Geheimgesellschaft mehr an die Oeffentlichkeit getreten war, da glaubte der Jesuitismus anscheinend zunächst in ihr ein vortreffliches Mittel zur schnelleren Verwirklichung seiner Pläne gefunden zu haben. Jesuiten liessen sich aufnehmen in Freimaurerlogen und übten auf manche, namentlich auf die des Clermontschen Systems in Frankreich, einen entscheidenden Einfluss aus. Bald aber erkannten wohl die Väter Jesu, dass sie von der Freimaurerei für ihre durchaus anders gearteten Bestrebungen nicht nur nichts zu erwarten, sondern die äusserste Gefährdung zu befürchten hätten. Da bestimmten sie den völlig von ihnen beherrschten Papst Clemens XII. im Jahre 1738, den Kirchenbann über Alle auszusprechen, die freimaurerischen Versammlungen anwohnen, sich in Freimaurerlogen aufnehmen lassen, oder die Freimaurerei in irgend einer Weise begünstigen und unterstützen würden. Das Verdammungsurtheil Clemens XII. ist dann von seinen Nachfolgern, den Päpsten Benedikt XIV., Pius VII., Leo XII., Pius VIII., Gregor XIV. und Pius IX. bestätigt worden. Auch der gegenwärtige Träger der dreifachen Krone, Papst Leo XIII., hat unterm 20. April 1884 ein Rundschreiben gegen die Freimaurer erlassen, worin er sagt: »Daher bestätigen und bekräftigen Wir durch Unsere apostolische Autorität Alles und Jedes, was die römischen Päpste, Unsere Vorgänger, zur Vereitelung der Anschläge und Bemühungen des Freimaurerbundes verordnet und zur Abschreckung vom Eintritte in dergleichen Gesellschaften oder zur Förderung des Austrittes aus ihnen festgesetzt haben«. Niemand darf es nach dem Rundschreiben Leos XIII. »aus irgend einem Grunde für erlaubt halten, der Freimaurersekte beizutreten, wenn ihm sein katholischer Glaube und sein Heil soviel gilt, als es gelten soll«. Nach päpstlicher Anschauung sind die Freimaurer die Vertreter des bösen Princips. Sie sind, wie Alle, die sich weigern, »dem ewigen göttlichen Gesetze zu gehorchen, und die Vieles ohne Gott, Vieles gegen Gott anstreben«, in der Macht und Gewalt des Satans. »Denn, ohne ihre Pläne zu verheimlichen, stacheln sie einander auf das Frechste gegen Gottes Majestät auf, streben ganz offen das Verderben der heiligen Kirche an und zwar mit der Absicht, die christlichen Völker der durch unseren Heiland Jesus Christus erworbenen Heilswohlthaten, wenn es möglich wäre, gänzlich zu berauben«. Die Päpste erklären offen, »dass die Maurersekte einen unrechtmässigen Bestand hat und nicht minder dem Christenthume als dem Staate verderblich ist«, und sie haben deshalb unter den Strafen, womit die Kirche in schweren Fällen gegen Schuldige einschreitet, den Beitritt zu diesem Bunde verboten. Die Freimaurerei ist nach jesuitischer Papstlehre Teufelswerk.

Wie das so kam und so kommen musste, wird klar, wenn man sich Wesen und Ziel einerseits der Freimaurerei, andererseits des Jesuitismus vergegenwärtigt; denn, wie gesagt, das Papstthum ist gegenwärtig nichts weiter als der Vollstrecker des Jesuitenwillens.

Als den Zweck der Freimaurerei bezeichnet das »Handbuch für die Brüder der Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland«, dass die Verbrüderung geschlossen sei »zur Ehre Gottes, zur eigenen Veredlung und zur Veredlung der Brüder, zur Förderung der allgemeinen Liebe und zur Erhöhung der Würde und des Wohles der Menschheit«. Das Ziel der Freimaurerei oder der Königlichen Kunst ist nach demselben Handbuche, »den Menschen nach jeder Richtung auf die höchste Stufe der Vollendung zu erheben«; sein Denken, Wollen und Handeln soll eins werden mit dem göttlichen Geiste selbst. »Der Freimaurer ist«, wie die Acten der Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland sagen, »ein freier Mann, der seine Neigungen zu überwinden, seine Begierden zu mässigen und seinen Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen weiss«. In ähnlicher Weise erklären alle freimaurerischen Systeme den Begriff des Freimaurers. Wesen und Ziel der Freimaurerei besteht also darin, die einzelnen Menschen zu dem zu machen, was die Voraussetzung jedes wahren Kulturfortschrittes der Menschheit ist: zu sittlich freien und geistig selbständigen Persönlichkeiten. Die Freimaurerei kennt deshalb keinen blinden Autoritätsglauben und keinen sogenannten Cadavergehorsam; sie verlangt keine unbedingte Unterwerfung unter die Herrschaft starrer und vernunftwidriger Dogmen oder gar eines unfehlbaren Menschenwillens; sie bekämpft vielmehr allen Zwang in Sachen des Glaubens und Gewissens und ist eine entschiedene Gegnerin aller Herrschsucht und Unduldsamkeit, alles Aberglaubens und aller Heuchelei, kurz alles dessen, was nur immer die geistige Erleuchtung und die sittliche Vervollkommnung des Menschen hindern kann. Die Freimaurerei lässt Jeden nach seiner Art selig werden und hütet sich vor jedem Eingriffe in die freie Entwickelung der Persönlichkeit. Sie zeigt dem einzelnen Menschen lediglich den Weg und giebt ihm die Mittel an die Hand, wie er durch eigene geistige Arbeit, durch Beobachtung der Natur, durch das Studium der Geschichte und durch Erforschung des eigenen Herzens zur Erkenntniss seines Ursprungs aus Gott und der Wesenseinheit alles Lebendigen gelangen kann. Dies geschieht durch die der Freimaurerei eigenthümliche, an symbolische Zeichen, Griffe und Worte gebundene Lehre, wie der Mensch nach einer uralten, aus den höchsten Erfahrungen entnommenen Methode zur Sammlung des Gemüthes und zu geistiger Freiheit gelangen und sich durch Tugend zu dem Lichte erheben kann, das immer in die Finsterniss scheint, aber von der Finsterniss nicht begriffen wird. Durch ihre Symbolik fördert die Freimaurerei die freie Forschung, indem sie Jeden zwingt, sich selbst klar zu werden über Werth und Ziel seines eigenen Daseins, über seiner eigenen Seele Kräfte und Wesen und über seine eigenen Beziehungen zur Natur und zur Menschheit, über den Zusammenhang aller Dinge und Menschen unter einander und über das Walten und Wirken des göttlichen Geistes in ihm selbst und in der Welt. Die freie Entwickelung der Persönlichkeit ist ein heiliges Bedürfniss der menschlichen Natur. Das befriedigt die Freimaurerei, indem sie den Menschen zur höchsten Stufe sittlicher und geistiger Freiheit zu erheben sucht. Frei soll der Freimaurer sein von den Lehrmeinungen vergangener Jahrhunderte, frei gegenüber den Anforderungen der Welt, worin er lebt, frei von den Trieben seiner eigenen Sinnlichkeit. Frei von jedem Vorurtheile, soll er seine Weisheit nur aus der Tiefe seiner eigenen Seele schöpfen, und nur aus dem eigenen Gewissen soll er die Gründe seines Thuns und Handelns entnehmen. In ihm selbst soll sich das Verlangen entzünden, die ganze Menschheit liebend an sein Herz zu drücken und sich Gott in Wahrheit und Liebe zu nähern. Darum ist auch die Freimaurerei keine Wissenschaft, die eine bestimmte philosophische oder religiöse Lehre mittheilt, sondern sie ist eine Kunst, durch deren Uebung der Mensch geschickt wird zu einem freien sittlichen und geistigen Leben in reiner Gotteserkenntniss und reiner Liebe zur Menschheit. Kurz, die Freimaurerei ist die Königliche Kunst, die durch Zeichen, Griff und Wort als Werkzeuge den von Natur einem rohen, unbehauenen Steine gleichen Menschen zu einem vollkommenen Cubus gestaltet, der die göttliche Idee des Menschen verkörpert. Die Freimaurerei kennt, um ihren idealen Zweck zu erreichen, keine anderen Mittel als die Erzeugung einer auf reinster Gotteserkenntniss und einer vernünftigen Erkenntniss vom Wesen des Menschen und der Welt beruhenden tugendhaften Gesinnung, woraus die edelsten Thaten der Gerechtigkeit und wahrer Menschenliebe hervorgehen. Auf rein sittlicher Grundlage ruhend, erstrebt die Freimaurerei die höchsten sittlichen Ziele mit rein sittlichen Mitteln.

Ganz anders der Jesuitismus, der überall da uns entgegentritt, wo unter dem Vorwande, dass es »zur grösseren Ehre Gottes« oder »zum Heile der Menschheit« geschehe, die Entwickelung sittlicher Freiheit und geistiger Selbständigkeit gehemmt und verhindert wird, um eigennützige und selbstsüchtige Herrschaftsbestrebungen zu fördern und die Menschheit dem Joche vernunftwidriger Satzungen zu unterwerfen. Jesuitischer Geist und jesuitische Bestrebungen sind ja leider in unserer Zeit weit über die Gesellschaft hinaus verbreitet, von der der Jesuitismus seinen Namen hat, und suchen sich immer stärker geltend zu machen. Denn Jesuitismus findet sich nicht ausschliesslich bei den Jesuiten im engeren Sinne, er tritt vielmehr überall da in der menschlichen Gesellschaft auf, wo man den eigenen Vortheil höher stellt als das allgemeine Wohl, das sittliche Ideal; wo man nach dem Grundsatze »Der Zweck heiligt die Mittel« handelt; wo der Wille nicht auf das Rechte und Gute gerichtet ist; wo Aufrichtigkeit und Gewissenhaftigkeit nicht die Richtschnur des Handelns sind; wo Hinterlist, Aberglaube und Vorurtheil herrschen, und wo sich der Muth ehrlicher Ueberzeugung nicht bethätigt. Aber die eigentlichen Vertreter des Jesuitismus sind doch die Väter Jesu, die Mitglieder jenes Ordens, der nun schon länger als drei und ein halbes Jahrhundert seine verderbliche Thätigkeit entfaltet und die Menschheit seiner Herrschaft zu unterwerfen trachtet. Auf seine Fahne schreibt er zwar die Herstellung einer christlichen Kirche und eines die ganze Menschheit umfassenden Gottesreiches, aber in dieser einen Kirche herrscht nicht der Geist christlicher Wahrheit, Freiheit und Liebe, sondern der wahrheitsfeindliche, unfreie und unduldsame Jesuitengeist, und in diesem einen Gottesreiche ist die schöpferische Kraft des göttlichen Willens durch die geistliche Zwangsgewalt des vom Jesuitengeneral gelenkten unfehlbaren Papstwillens ersetzt. Unter dem Vorwande, Christi Reich zu befestigen, haben sich die obersten Leiter des Jesuitenordens selbst an Christi Steile gesetzt. Ihrer Meinung nach sollen die Päpste durch sie, sie durch die Päpste herrschen. Dem ihnen gehorsamen Papste soll die ganze Christenheit Gehorsam leisten, und in dieser Unterwerfung sollen katholischer Glaube und katholische Frömmigkeit bestehen. Aber je weniger sich solche Ziele im Geiste und in der Wahrheit erreichen lassen, um so mehr muss man zu unsittlichen Mitteln seine Zuflucht nehmen. Das letzte Ziel des Jesuitismus, Eroberung und Beherrschung der Welt mit Hülfe des unfehlbaren Papstes und des von diesem völlig abhängigen katholischen Clerus, ist unsittlich, und nur durch unsittliche Mittel kann es erreicht werden. Das künstliche Gebäude einer universalen Weltherrschaft, das die Jesuiten aufführen wollen, und wofür sie des freien Gottesreiches Rechte in Anspruch nehmen, kann nur auf Unfreiheit gegründet werden und ohne Hinterlist und Gewalt gar nicht bestehen. Darin liegen die sittlichen Grundschäden des Jesuitismus, und daher kommt alles Andere. Um sein letztes Ziel zu erreichen, muss der Jesuitismus jede geistige Selbständigkeit und sittliche Freiheit untergraben und vernichten; er muss die Unfreiheit geradezu zum bestimmenden Grundsatze machen und die ganze Menschheit in die Alles umfassende und Alles beherrschende Schablone eines religiös-asketischen Systems zwängen. Für ihn können die grossen, in echt freimaurerischen Anschauungen wurzelnden Lehren der Reformation keine Geltung haben, dass keine menschliche Gewalt das Recht hat, sich bevormundend zwischen Gott und unser Gewissen einzudrängen, dass in der Wahrheit allein das Heil ist, dass die Wahrheit nur auf dem Wege freier Ueberzeugungsbildung ergriffen werden kann, dass endlich alle bürgerliche und gesellschaftliche Freiheit ohne Werth und Halt ist, wenn sie nicht ruht auf der inneren sittlichen Freiheit der allein in ihrem Gotte gebundenen, geistig selbständigen Persönlichkeit.

Welch tiefe sittliche Schäden an der Art und Weise haften, wie der Jesuitismus sein Ziel zu erreichen sucht, das hat vor wenigen Jahren ein Mann wiederum gezeigt, der selbst 13 Jahre lang ein eifriges Mitglied der Gesellschaft Jesu gewesen ist. Es ist Graf Paul v. Hoensbroech, der 1893 die Welt mit einer Denkschrift überraschte, worin er die Gründe darlegte, die ihn zum Austritte aus dem Jesuitenorden bestimmt hatten. Die beiden Sätze, worin Graf v. Hoensbroech diese Gründe zusammenfasst, bezeichnen zugleich den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Freimaurerei und Jesuitismus. Sie lauten: »Der Jesuitismus unterdrückt, ja bis zu einem gewissen Grade vernichtet die Selbständigkeit, den Charakter, die Individualität des Einzelnen« und »Der Jesuitismus unterdrückt, ja bis zu einem gewissen Grade vernichtet das berechtigte Nationalitätsgefühl, den berechtigten Patriotismus«.

In schweren inneren Kämpfen hatte Graf v. Hoensbroech diese Erkenntniss errungen. Begeistert für die idealen Ziele, die er angeblich verfolgt, war der 26jährige deutsche Edelmann in den Jesuitenorden eingetreten, 13 Jahre lang hat er mit sich selbst gerungen, um mit Hülfe der ihm vom Orden gebotenen Mittel das zu werden, als was er sich anfänglich das Jesuitenideal vorstellte, ein wahrer Christ; aber je mehr er rang und kämpfte, desto deutlicher erkannte er, dass er nicht auf dem rechten Wege war. Die Schilderung der schweren inneren Kämpfe, die ihn nach langjähriger Zugehörigkeit zur endgültigen Scheidung vom Orden führten, dem er sich einst in edelster Jugendbegeisterung voll Eifer und Vertrauen angeschlossen hatte, waren das Beste, was Graf v. Hoensbroech in seiner Schrift zur Beurtheilung des Jesuitismus bietet. Die aus den Thatsachen der Geschichte und den jesuitischen Schriften längst gewonnene Erkenntniss vom Wesen des Jesuitismus wurde hier durch einen ehrlichen Jesuiten aus seiner eigenen innersten und in schweren Kämpfen mit sich selbst erworbenen Erfahrung heraus bestätigt und zugleich begründet. Das war das Neue und Bedeutungsvolle an der Schrift des Grafen v. Hoensbroech.

Hemmung jeder freien geistigen Entwickelung, Unterdrückung der freien persönlichen Ueberzeugung, Knechtung der Gewissen, Heranbildung völlig gleichförmig gemodelter Schablonenmenschen, die sich willig der unumschränkten Herrschaft des vom Ordensgenerale geleiteten unfehlbaren Papstwillens unterwerfen – das ist das Ziel des Jesuitismus. Freie Entwickelung aller in uns gelegten sittlichen und geistigen Kräfte zur höchsten Stufe der Vollendung durch die selbständige Arbeit des einzelnen Menschen, um ihn zu einem vollkommenen cubischen Bausteine zu machen für den Bau des geistigen salomonischen Tempels, eines Reiches Gottes auf Erden, zu dem die Weisheit göttlicher Vernunft den Grund legt, den Schönheit edelster Menschenliebe gestaltet und den die Stärke einträchtigen brüderlichen Zusammenwirkens erhält, Freiheit der Gewissen, Wahrhaftigkeit der persönlichen Ueberzeugung, Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung von irgend einem Lehrsatze – das ist das Ziel der Freimaurerei. Fürwahr, ein Gegensatz, wie er grösser und schärfer nicht gedacht werden kann. Hier giebt es keine Versöhnung.

Das hat denn der Jesuitismus auch richtig erkannt, und darum verleumdet, verdammt und verfolgt er das Freimaurerthum »mit den gemeinsten Mitteln und zu den gemeinsten Zwecken«. Aber gerade daraus entnimmt die Freimaurerei, dass sie doch auf dem rechten Wege ist. Mögen die Jesuiten immerhin den päpstlichen Bannstrahl gegen die Freimaurer schleudern, mögen sie die Bestrebungen der Logen noch so sehr verleumden und verfluchen, den wahren Freimaurer trifft das nicht, und es kann ihn nicht irre machen an dem hohen Ziele, das ihm die Königliche Kunst gesteckt hat. Es wird ihm damit vielmehr der schlagendste Beweis dafür geliefert, dass in der Freimaurerei eine geistige und sittliche Kraft liegen muss, die den Bestrebungen der Dunkelmänner wirksam entgegenarbeitet, und dass die Freimaurerei, weit entfernt davon, sich überlebt zu haben, auch heute noch durchaus nichts Ueberflüssiges, sondern etwas Nothwendiges und Unentbehrliches, die Hüterin und Pflegerin einer noch lange nicht abgestorbenen und überwundenen, sondern einer immer noch ungemein lebenskräftigen Kulturidee ist.

Um das zu verstehen, müssen wir das Verhältniss ins Auge fassen, worin die Loge als der sichtbare Ausdruck freimaurerischer Bestrebungen in der Gegenwart zur wahren Freimaurerei steht.

»Die Loge verhält sich zur Freimaurerei, wie die Kirche zum Glauben«, so kennzeichnet Lessing in seiner Schrift »Ernst und Falk, Gespräche für Freimaurer« das Verhältniss zwischen Loge und Freimaurerei.

Der Gegenstand aller wahren Freimaurerei wie des wahren Glaubens ist das Verhältniss des Menschen zu Gott, dem ewig Lebendigen, dem Urquell alles Seins. Dies Verhältniss, auch wenn es Einem vollkommen offenbar geworden ist, derartig mit Worten auszudrücken, dass Alle, die sie vernehmen, durch diese Worte vollkommen denselben Begriff, dieselben Vorstellungen bekommen, ist ganz unmöglich; denn es betrifft etwas tief Innerliches, ein seelisches Geheimniss, das der Einzelne wohl ahnen und empfinden, sogar wissen, aber trotzdem niemals jedem Anderen verständlich aussprechen kann. Und dennoch sind im Laufe der Geschichte unzählige Versuche gemacht worden, dieses Verhältniss zu einem allgemein verständlichen Ausdrucke zu bringen, der vollkommenste in der Lehre des Christenthums von der Erbsünde und der Erlösung, die auf altarischen Ueberlieferungen beruht. Aber wie keine der bestehenden christlichen Kirchen die Lehre Christi ganz rein und unverfälscht zur Darstellung bringt, also ein Unterschied besteht zwischen dem unsichtbaren Reiche Gottes, das das wahre Christenthum aufrichten will, und jeder sichtbaren Kirche, so entspricht auch jede sichtbare Loge nur unvollkommen der unsichtbaren Loge, die das ideale Ziel wahrer Freimaurerei ist.

Aber einen grossen Vortheil hat die sichtbare Loge vor der sichtbaren Kirche unbedingt voraus. Trotz vielfacher Versuche in allen Jahrhunderten und unter allen Völkern ist die Loge niemals zu einer organisirten weltlichen Macht und Gewalt gekommen wie die Kirche, und, durch bittere Erfahrungen belehrt, hält sie endlich an dem, in Deutschland wenigstens jetzt überall unbedingt befolgten Grundsatze fest, überhaupt nicht nach weltlicher Herrschaft zu streben. Und damit haben die Logen eben einen unermesslichen Vortheil über die Kirchen erlangt.

Jede sichtbare Kirche hat bisher unter dem Vorwande, eine unsichtbare Kirche bauen zu wollen, nach Selbstverherrlichung als sichtbare Kirche gestrebt und deshalb die Erziehung des einzelnen Menschen zu sehr nach den Zwecken der sichtbaren Kirche geleitet und gemodelt, dadurch aber unwillkürlich die Unfreiheit hineingetragen, ja in ihren weitestgehenden Bestrebungen die Unfreiheit geradezu zum bestimmenden Grundsatze gemacht, wie die katholische Kirche unter der Herrschaft der Jesuiten. Jede sichtbare Loge dagegen ist zum Glück nur mangelhaft organisirt und ohne entsprechende weltliche Gewalt geblieben und hat daher mehr den Einzelnen und seine Selbsterziehung zu geistiger Freiheit nach den Zwecken der unsichtbaren Loge im Auge behalten können und müssen. So hat die sichtbare Loge gerade durch ihre irdische Knechtschaft und Gebundenheit mehr von der unsichtbaren Loge in sich behalten als die stolzen irdischen Kirchen vom unsichtbaren Reiche Gottes. Frei vom Streben nach weltlicher Macht und Gewalt, hat die sichtbare Loge jene uralten Ueberlieferungen von den Mitteln, wodurch der Einzelne die Erweckung des Funkens göttlicher Vernunft in ihm und sein unsterbliches Erbtheil wieder gewinnen kann, besser gewahrt und gepflegt, als die sichtbare Kirche. Es soll nicht gesagt werden, dass der Geist des Herrn aus der sichtbaren Kirche gewichen sei; aber sie ist nicht schuld daran, wo das Göttliche bei ihr und in ihr geblieben ist, und sie hat es auch nicht zum ausschliesslichen Mittelpunkte, wie es heute noch jede die Königliche Kunst echter Freimaurerei rein ausübende Loge haben kann. Darum sollte aber auch jede wahre Religiosität anstrebende und von jesuitischen Herrschaftsgelüsten freie Kirche in der Freimaurerei viel eher eine werthvolle Gehülfin als eine Gegnerin oder gar eine grundsätzliche Feindin sehen. Denn jede Freimaurerloge, die ihre Aufgabe recht erfüllt und nach allen Regeln der Königlichen Kunst arbeitet, ist eine echte und rechte Pflegstatt wahrer, ungeheuchelter Religiosität. Ein Glaube ohne Irrwahn und Aberglauben, eine Frömmigkeit ohne Frömmelei, ein Suchen der über dem Menschen mit Vaterliebe waltenden Gottheit in allen ihren Segensspuren, eine Gemeinschaft mit ihr im steten Bewusstsein ihrer unsichtbaren Nähe, ein Geheiligtsein durch den Gedanken an sie, die den Menschen erschaffen hat, in der er seine Stärke findet und die ihn wieder aufrichtet, wenn des unvermeidlichen Todes kalte Hand ihn hingestreckt hat, das ist des Freimaurers Religiosität, und darum wird von ihm gefordert »reine Ehrfurcht gegen das höchste Wesen und Gehorsam gegen Obrigkeit und Gesetz«.

Darum ist die Freimaurerei aber auch niemals eine Gegnerin und Feindin der Kirche gewesen, im Gegentheil, sie hat in der Kirche stets eine gute Bundesgenossin gesehen. Und auch zwischen ihr und der katholischen Kirche hat so lange ein freundliches Verhältniss bestanden, als die Jesuiten nach Aufhebung ihres Ordens durch Papst Clemens XIV. im Jahre 1773 ihrer herrschenden Gewalt über die katholische Kirche beraubt waren. Voll Achtung jedes Eingriffes in die Angelegenheiten und Berechtigungen des Staates wie der Kirche sich enthaltend, sind die wahren Freimaurer ihren stillen und bescheidenen Weg durch die wechselvollen Zeiten gegangen, und gerade in grosser und bewegter Zeit haben sie unverrückt jenes hohe und edle Ziel im Auge behalten, das Band der Eintracht und des Wohlwollens zwischen Menschen zu werden, die sonst durch selbstgeschaffene Religionsbegriffe, durch Erziehungsvorurtheile und Nationalitätsverhältnisse in ewiger Trennung lebten. Dies Ziel zu erreichen oder ihm wenigstens immer näher zu kommen, ist der Freimaurer Hoffnung; und jede Hoffnung auf ein gerechtes und vollkommenes Menschengut ist nur möglich in einer starken, von reinem Frieden erfüllten Seele, in einem Herzen voll echter Frömmigkeit, in einem Geiste, der mit Gott, der Welt und sich selbst einig ist. Damit ist aber Feindschaft gegen die geheiligten Einrichtungen des Staates und der Kirche undenkbar. Aber ebenso undenkbar ist auch eine jede Versöhnung zwischen Freimaurerei und Jesuitismus. Die Freimaurerei führt jedoch den Kampf gegen den Jesuitismus in anderer Weise, als sie selbst vom Jesuitismus bekämpft wird. Nicht Verleumdungen und Flüche sind ihre Waffen, sondern sie sucht die einzelnen Menschen zu sittlich freien und geistig selbständigen Persönlichkeiten zu machen, geeignet zu Bausteinen für den Tempel der Erkenntniss und der Wahrheit, von dem die Strahlen des Lichtes ausgehen, um die Schatten des Irrthums zu zerstreuen, und zu dem die göttliche Liebe den Grund legte, damit der Menschen Geschlecht nicht in Nacht und Dunkel untergehe, jenen geistigen Tempel des Reiches Gottes auf Erden, dessen Grund- und Eckstein Jesus von Nazareth ist, der da gesagt hat, seine Jünger werde man daran erkennen, dass sie Liebe unter einander haben.

Die Freimaurerei ist ihrem wahren Ursprunge nach mit nichten ein »confessionsloser Bund«; sie ist nicht eine »freireligiöse Gesellschaft«, wohl aber eine »freie Gemeinde jedweden Christenthums«, das nichts anderes plant, »als auf Jesu Vorbild sich stützen zu wollen«. Der Freimaurerei ihren unbezweifelbaren christlichen Grundcharakter absprechen und sie in völliger Missdeutung der ersten Vorschrift der sogenannten alten Pflichten des englischen Constitutionenbuches von 1723 zu einem auf blosse »Humanität« gegründeten »Allgemeinen Menschheitsbunde« stempeln zu wollen, heisst Ursprung, Wesen und Zweck der Freimaurerei völlig verkennen. Die Schwärmerei für eine begrifflich niemals gemeingültig gefasste »Humanität«, worunter sich daher jeder denken kann, was ihm beliebt, was ihm das Liebste und Behaglichste ist, hat die Freimaurerei in unserer Zeit auf ähnliche Abirrungen vom alten Wege geführt, wie etwa die Ritterträumereien in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, und hat sie in der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe schwer beeinträchtigt. Hieraus sind die Gegensätze und Missverständnisse zwischen den einzelnen freimaurerischen Lehrarten entstanden, die so viel dazu beigetragen haben, das Ansehen der Freimaurerei zu schädigen und ihren Gegnern Angriffswaffen zu liefern. Man suche diese Gegensätze und Missverständnisse auszugleichen und zu beseitigen durch Erkenntniss des eigentlichen Ursprunges und Wesens der Königlichen Kunst, und die Freimaurerei wird sein und bleiben, was sie ursprünglich war und was jede Loge auch heute sein soll und kann:

Ein Hort allgemeiner Duldung,
ein Bollwerk der Geistesfreiheit!

Br. Otto Kuntzemüller.


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