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Unsere Culturaufgabe.

Die Culturentwickelung der Menschheit vollzieht sich nicht in einer geradezu aufsteigenden, sondern in einer Schlangenlinie, die Vertiefungen und Höhepunkte aufweist. Manche sind der Ansicht, wir befänden uns jetzt in einer solchen Vertiefung dieser Linie. Das dürfte von Zeitgenossen schwer zu beweisen sein, da ein Urtheil hierüber erst Nachlebenden, die das Ganze zu überblicken im Stande sind, möglich ist. Jedenfalls befinden wir uns in einer Zeit, in der der Kampf zwischen Neuem und Altem, zwischen überwundener und werdender Anschauung heftiger tobt als sonst. Hinter uns liegt eine Periode, in der die Naturwissenschaft die Führung hatte. Grosses hat sie in dieser Zeit geleistet, ungeahnte Probleme gelöst, den Fortschritt der Menschheit gewaltig gefördert. Bezüglich der Erkenntniss des letzten Grundes der Dinge aber durch die Naturwissenschaft ist in ihrem Namen von berufenem Munde ein ignoramus und sogar ein ignorabimus gesprochen worden. Wenn die Zeichen nicht trügen, wird die Führung wieder an die Philosophie und Religion übergehen. Eine Vertiefung und Verstärkung des religiösen Gefühls ist jedenfalls in den letzten Jahren erkennbar geworden.

Es ist kein Wunder, dass ein wesentlich naturwissenschaftlich gerichtetes Zeitalter bei oberflächlichen Beurtheilern und bei der Menge auch auf anderen Gebieten des Lebens der Ausbildung einer sogenannten materialistischen Weltanschauung förderlich gewesen ist. Die Güter dieser Welt sind sehr im Werthe gestiegen. Heiss wird um sie gerungen. Das ist an sich kein Schade; wenn diese werthvollen Güter nur nicht als das Werthvollste, als das alleinige Gut angesehen und angebetet werden. Das geschieht aber leider von Vielen, wie es ja freilich immer geschehen ist. Wehe aber dem Volke, in welchem diese Vielen die Mehrheit werden oder gar die Macht in die Hände bekommen. Diesem Unheile für unser Volk, und somit bis zu einem gewissen Grade auch für die Menschheit vorzubeugen ist eine der wichtigsten Aufgaben, gewissermaassen die eigentliche Culturaufgabe der deutschen Freimaurerei, jeder echten Freimaurerei überhaupt. Die Freimaurerei soll und will in ihren Jüngern den Sinn für Ewiges erhalten, ideale Gesinnung pflegen und ihnen helfen, Idealen nachzustreben. Soll ein solches Streben aber nicht eine ergebnisslose Jagd nach Phantasiegebilden werden und auf Abwege führen, so müssen die Ideale vorstellbar und realisirbar sein. Der letzte Grund der Ideale aber, wie aller Dinge überhaupt, ist Gott. Darum gilt es für den Freimaurer, Gott in sein Empfinden, sein Denken und seinen Willen aufzunehmen, und zwar mit hinreichender Energie, um Gott, d. i. die Liebe, durch seinen Willen wieder herausstellen und im Leben wirksam machen zu können.

Gott aber ist Geist und darum nicht vorstellbar. Es giebt aber Einen, der auch Mensch war, und Gott so in seinen Willen aufgenommen hatte, dass er mit ihm eins war. Das ist Jesus, welcher war der Christ. Er hat den göttlichen Willen, das Sittengesetz und somit alle Ideale so realisirt, dass sie für den Menschen anschaulich sind. Wer also die höchsten Ideale als sein Ziel hinstellt, muss auf ihn schauen. Und das soll man nicht etwa nur unbewusst thun, sondern das darf man sagen. Es ist zweifellos, dass viele Menschen, auch solche, die sich nicht zum Christenthume bekennen, unbewusst die christliche Ethik zur Richtschnur ihres Handelns nehmen. Man soll aber das Licht nicht unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter stellen, damit die Lichtfreunde sich um es sammeln, und die, welche noch im Finstern wandeln, es zum Ziele nehmen können.

Br. W. Schuhardt.


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