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Die neue Zeit.

(Ansprache beim Stiftungsfest.)

Bei der Feier des Jahrestages unseres Bestehens blicken wir zurück in das abgelaufene und dann vorwärts in das neue Jahr.

In dem Rückblicke erfüllt Dank gegen den ewigen Meister und hohe Freude unser Herz. Wir haben hier miteinander gestanden in dem alle Erdenschatten überstrahlenden Lichte des Maurersterns. Bei allem Kampfe und allen Zerwürfnissen des uns umfluthenden Lebens haben wir an dieser Stätte Frieden und Eintracht gefunden. In unserer Liebesgemeinschaft sind wir immer glücklich gewesen.

Und noch ein besonderes Glück ist uns im verflossenen Jahre zu Theil geworden. Wir, die wir mit voller Ueberzeugung dem Humanitätsprincip anhängen, haben für die weitere Durchführung desselben unsere Stimme erhoben, indem wir den Humanitätsgedanken auf seinen Ursprung zurückzuführen und ihn dadurch für die Allgemeinheit annehmbar zu machen suchten.

Wir haben das von uns vorgeschlagene Programm mit seiner genauen Klarstellung des maur. Gedankens hier in unserer Loge bereits zur Grundlage unserer Arbeit gemacht.

Und wir freuen uns, dass wir das gethan haben. Wir freuen uns, dass wir die zur Gewohnheit gewordene Negation abgeschüttelt haben. Uns ist zu Muthe, als wenn ein schwerer Druck von uns genommen wäre.

Aber, wenn wir auch für uns das zur Gestaltung gebracht haben, was uns als hohes Ideal des Maurerthums vorschwebt, das allein kann uns doch nicht genügen. Denn für uns allein sind wir nichts, unsere Stärke beruht auf der Kraft der Maurerei im Allgemeinen, auf der Kraft eines einheitlich verbundenen deutschen Maurerthums im Besonderen.

Wir haben den Muth, auch in diesem weiteren Sinne zu hoffen und zu streben. Und wir glauben an einen Erfolg. Es werden andere Kräfte über unsere Anregung nachdenken. Und indem sie das thun, werden sie auch mit uns zu der Ueberzeugung gelangen, dass es so, wie es ist, nicht mehr weiter gehen darf, dass der Zersplitterung und Zersetzung ein Ende gemacht werden muss.

O dass wir alle Abneigung, alle Glaubensüberfülle und alle Glaubenslosigkeit, alles Ruhebedürfniss überwinden könnten mit unserer Anregung, dass wir treue Genossen finden möchten, welche den Bund vor seinem Niedergang retten und ihn führen wollen in eine neue lichtvolle Zeit!

Des Baues Einsturz droht in ernsten Zeichen,
Weil wir vom rechten Baugrund uns getrennt.
Seht ihr nicht auch des Tempels Säulen weichen?
O helft erneu'n das alte Fundament!
Mag, wer es will, am Thurm von Babel bauen
Wir bauen an dem Tempel, treu geschaart,
Dess Eckstein einst im stillen Morgengrauen
Von Bethlehem der Welt sich offenbart.

Die Verhältnisse der Freimaurerei haben vielfach eine Gestaltung gewonnen, dass man von einem Tempel nicht viel mehr erkennt.

Wenn wir die grosse, um den Erdball sich ziehende Bundeskette überblicken, so finden wir zwar überall noch die symbolische Anlehnung an das Bauhandwerk, aber nicht mehr allerwärts Freimaurerei. Auf welches Bauwerk könnte bei den zweifelhaften Genossen die Form einer Bauthätigkeit noch hinweisen? Auf einen Tempel sicherlich nicht, höchstens auf einen zwecklosen Thurm, auf eine ziellose, oberflächliche Spielerei. Durch allerlei Abirrungen und Gegensätze ist es auch in unserem Bunde, welcher die ganze Erde umfassen soll, geworden, wie beim Thurmbau von Babel. Die Bauleute verstehen sich unter einander nicht mehr. Auch die Welt versteht uns nicht. Sie lächelt über den Thurm und über die ungleichartigen Elemente, welche in finsterer Heimlichkeit sich daran beschäftigen. Je weniger wahrer Bundesgeist, um so mehr Heimlichkeit und leerer Handwerksbrauch.

Wir haben, wie es erfreulicher Weise auch in manchen anderen Ländern der Fall ist, in Deutschland noch den Glauben an Gott und Unsterblichkeit als Bedingung der Aufnahmefähigkeit festgehalten. Aber der Ansturm dagegen ist stark genug gewesen und hat sich verschiedentlich wiederholt. Auch heute giebt es in Deutschland noch Bundeskreise, welche auf eine Beseitigung jener Bestimmungen hinarbeiten. Auch haben wir manche Genossen, welche die bestehende Vorschrift unwirksam zu machen suchen. Gesetz der Schwere und Kreislauf der Materie – damit finden sie sich mit den Begriffen »Gott und Unsterblichkeit« ab. Das sind aber keine Brüder, welche für Tempelbau schwärmen können.

Unser Tempelbau muss deutlicher hervortreten. Wir müssen ihm eine Deutung geben, welche jede dem Bundesgeiste widerstrebende Auslegung verhindert. Und darum müssen wir das alte Fundament wiedergewinnen. Dieses Fundament ist die Lehre Jesu von einem alle wahre Gottesverehrung und alle Völker umfassenden Reiche Gottes auf Erden. Unser Tempelbau ist ganz dasselbe.

Der dogmatische Christus kommt in der Loge nicht in Betracht, sondern nur die Lehre vom Reiche Gottes. Der Freimaurerbund ist zu dem bestimmten Zweck gegründet, diese Humanitätslehre Jesu in ihrer Reinheit zu bewahren und der Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit frei von allem Confessionalismus eine sichere Stätte zu schaffen. Der Stern, welcher über dem Stalle von Bethlehem glänzte, ist unser Stern geworden. Er ist nicht untergegangen, wenn er auch für Viele wieder unsichtbar wurde. Er leuchtet nun in unserem Osten.

Unter diesem Stern unterscheidet man nicht Christen, Juden und Heiden – es sind alle miteinander Kinder Gottes. Unter diesem Sterne giebt es keinen Glaubenshass, keinen Hochmuth und keinen Knechtsinn. In der Freiheit der Kinder Gottes sind alle gleich und verbunden durch Liebe.

Wir haben so manche Autoritäten, wir berufen uns vielfach auf Lessing. Sein Gleichniss von den drei Ringen wird mit vollem Rechte als eine Declaration maur. Denkens bezeichnet.

Aber woher hat Lessing diesen lichtvollen Gedanken? Nur aus der Humanitätslehre dessen, über welchem der Stern von Bethlehem leuchtete. Hat Jesus nicht jenen Grundsatz gelehrt? Er war der Bahnbrecher für Liebe und Duldung. Er hat gesagt, dass frommes Gebahren und Anrufung Gottes an sich werthlos seien, dass es nur darauf ankomme, den Willen Gottes zu thun. Er lehrte, dass man die Religion nur an ihren Früchten erkennen könne.

Wir haben neben so manchen Philosophen des Unglaubens und Weltschmerzes auch viele Denker und Dichter, welche Führer sind zum Lichte. Aber Alles, was von Licht an ihnen ist, kommt nur von jenem ersten grossen Lichte, von dem alles Licht ausgeht, welches alle kleinen Lichter überstrahlt. Warum sollen wir an Planetenlicht uns genügen lassen, wenn wir in das Licht der Sonne uns stellen können?

Im Schein des Mondes können wir Manches erkennen, aber dieses Licht giebt keine genügende Klarheit. Und es hat keine Wärme. Ohne Sonnenwärme wird es nicht Frühling. Auch wir werden bei allem Mondschein verkümmern und in Erstarrung versinken. Darum müssen wir dem Sonnenlicht die Bahn frei machen, damit es Frühling werde in uns und durch uns in der Menschheit.

Die Sonne wird durchkommen. Die erleuchteten Geister des deutschen Maurerthums werden sich verbinden zu einer Neugestaltung des Bundes. Sie werden zunächst Klarheit schaffen und den Weg zur Einheit frei machen im deutschen Vaterlande.

O hoher Anblick – über Todesschatten
Seh' ich ein blaues Sternenbanner weh'n;
Es regt sich in den alten Kasematten
Und stolze Krieger seh' ich d'raus ersteh'n.
Nun bildet sich die rettende Colonne,
Die besten Streiter steh'n zum Kampf gereiht,
Auf ihrer Rüstung glänzt die Morgensonne,
Die Morgensonne einer neuen Zeit.

Der Morgensonne dieser neuen Zeit entgegenblickend, lasst uns erneuern treue Waffenbrüderschaft und den Bund inniger Bruderliebe für das neue Jahr.

Br. Friedrich Holtschmidt.


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