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Humanität und Humanitätsmaurerei.

Liebe Brr., in der Loge und in den Logenreden werden oft die Worte »Humanität und Humanitätsmaurerei« gebraucht. Ich weiss nicht, ob diese Worte von allen Brn. richtig verstanden werden; sie scheinen mir manchmal unverstandene Redensarten zu sein, und es ist mir Bedürfniss, dieselben einmal in ein klares Licht zu stellen, nach der Auffassung, die ich von diesen Begriffen habe. Denn es ist nicht gut, wenn in der Loge Begriffe gebraucht werden, die halb oder falsch verstanden bleiben, und so von Mund zu Mund weiter gehen. Ich liebe keine nebelhaften Begriffe.

Die Humanitätsmaurerei wird meist der christlichen Mrei entgegengestellt; d. h. diejenige Mrei, die sich auf so allgemeinen sittlich-religiösen Boden stellt, dass auch Israeliten daran theilnehmen können, derjenigen Mrei, die so specifisch christlich gefärbt ist, von ihrer Vergangenheit her und durch ihren geschichtlichen Ursprung, den sie sich beilegt, dass Israeliten sich verhindert fühlen dürften, daran theilzunehmen. Und so unterscheidet man zwischen den Logen, welche auf dem Boden jener Humanitätsmaurerei stehend, Israeliten aufnehmen, und denen, welche grundsätzlich dies nicht thun. Man sagt also: diejenigen Logen treiben Humanitätsmaurerei, welche Israeliten aufnehmen und setzt das als eine fortgeschrittene Weitherzigkeit dem ausschliessenden Geiste jener anderen Logen entgegen, der durch ihre christliche Färbung bewirkt werde. Ich bemerke für diejenigen, die es nicht wissen, dass unsere Loge in ihren Ritualen früher mehr christliches Gepräge gehabt hat, – ist doch jetzt noch in den Lehrlingslogen die Bibel aufgeschlagen bei dem Johannis-Evangelium, einer: dem alten Judenthum sich scharf entgegensetzenden Schrift des Neuen Testaments. Durch eine vor zwei Jahren, theilweise schon früher stattgefundene Aenderung der Rituale ist dieses christliche Gepräge verwischt worden. Es ist damit allerdings, und es ist das nicht bloss mein persönliches Gefühl, sondern auch das Gefühl anderer Brr., die an der Spitze unserer Loge stehen – eine gewisse Verflachung und Verblassung hineingekommen, die aber nach den Grundsätzen unserer Loge, die sie den israelitischen Brn. gegenüber beobachtete, nothwendig war.

Diese vorausgeschickten Gedanken haben mir schon seit längerer Zeit die Absicht nahe gelegt, über Humanität und Maurerei einmal klar und deutlich in der Loge zu sprechen.

Was ist Humanität? Humanität heisst Menschlichkeit, oder deutlicher gesagt: menschliche Gesinnung und menschliches Leben. Nun wissen Sie, meine Brr., dass das menschliche Leben nicht überall auf der Erde dasselbe ist, und nicht zu allen Zeiten der Menschheit dasselbe war. Sie werden den Kafferneger nach dieser Seite hin nicht auf eine Stufe stellen mit dem wahrhaften Christen, ja auch nicht mit dem Chinesen oder dem mohammedanischen Araber, obgleich diesen nach ihren Religionen edle Momente menschlicher Sittlichkeit nicht fehlen. Die Menschlichkeit oder menschliche Gesinnung und menschliches Leben stellen sich uns also in verschiedener Gestalt und Ausprägung in der Menschheit dar, es ist darin eine stufenweise Entwickelung von unten nach oben bemerkbar. Es giebt eben nicht eine Humanität oder Menschlichkeit, sondern verschiedene Formen derselben. Es giebt nicht Obst schlechthin, sondern Beeren, schlechte und edlere, und Aepfel, Birnen, Pflaumen etc. Nun hat man sich freilich daran gewöhnt, die höchste edelste Form der Menschlichkeit, die bis jetzt in der Geschichte der Menschheit aufgetreten ist, schlechthin Humanität zu nennen, aber eine gewisse Form und Stufe von Humanität können wir ja keinem Volke absprechen. Wir müssen uns nur darüber klar sein, wo und wann die bis jetzt höchste und vollkommenste Form der Humanität in der menschlichen Geschichte eingetreten ist.

Meine Brr.! Ich will mich mit den niedrigst stehenden Völkern jetzt nicht beschäftigen, sondern nur mit drei Formen der aufgetretenen Humanität, zunächst aber noch Folgendes vorausschicken. Das menschliche Leben oder der Mensch hat drei Hauptbeziehungen, nämlich: zu seinem letzten Ursprung und Daseinsquell, von dem er abhängig ist, oder zu seinem Schöpfer, d. i. die religiöse Beziehung; und dann zu dem, was ausser ihm da ist, d.i. die Welt und darin besonders das gleichartige Geschöpf, der Mensch, und zu sich selbst; das sind die sittlichen Beziehungen des Menschen. Alle drei gehören zusammen, keine darf in dem vollen Begriffe der Humanität fehlen, sie liegen in ihrem Wesen tief begründet. Ich kann darum auch in der Humanität keine volle ganze Humanität erblicken, welche die religiöse Beziehung verliert und streicht, und nur die sittliche beibehält. Das religiöse und sittliche Verhältniss der Menschen gehören zusammen, bedingen einander im tiefsten Grunde. Ich weiss zwar, im gewöhnlichen Leben kommen Religion und Sittlichkeit in einer gewissen Unabhängigkeit von einander vor, und es giebt Menschen, die sind in ihrer Gesinnung und ihrem Handeln sittlich und sittlich achtungswerth, ohne eigentliche religiöse Bedürfnisse ihres Herzens zu pflegen und zu befriedigen; aber immerhin ist das eine Halbirung, die in der Natur der Sache, in dem Wesen der Humanität nicht liegt. »Von Anfang an ist das nicht also gewesen, was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.« Thatsächlich sehen wir auch überall die religiöse und die sittliche Beziehung in der Geschichte der Völker oder der Humanität verbunden.

Aber, ich wiederhole, diese Humanität stellt sich uns verschieden dar. Es giebt eine heidnische Form derselben; wir werden darin nicht die höchste Form der Humanität finden. Ich will da nur an diejenige erinnern, die Plato aufstellt, gewiss einer der erleuchtetsten edelsten Geister des heidnischen Alterthums. Er stellt in einer seiner Schriften das Bild des Staates auf, wie er sich denselben in seiner Vollkommenheit denkt. In diesem Staate hat die wahre Humanität eigentlich nur der Mann, und zwar der gesunde gebildete Mann, der Philosoph ist der Mensch. Der Staatszweck ist so allmächtig, so alles bestimmend und beherrschend, dass der Werth des Menschen sich nur danach bestimmt, was er für den Staat ist und leistet, und dass die Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen verschwindet gegenüber und in dem Ganzen des Staatszweckes. Jeder ist nur ein Werkzeug für diesen. Das Streben, die Freude, das Glück, das Eigenthum, das Gewissen des einzelnen hat nichts zu bedeuten, alles hat sich nur dem Staatsganzen unterzuordnen, es darf zu ihm nie in Gegensatz treten. Religiöse Gewissensfreiheit und religiöse Kultusfreiheit ist in solchem Staate nicht möglich, ebenso wenig das persönliche Eigenthum, die Familie; Weibergemeinschaft ist das Gesetz dieses Staates, das Weib ist nur das Mittel, über das verfügt wird, um gesunde Staatsbürger zu erzeugen; die Erziehung ist gemeinschaftliche, Staatserziehung. Die Sclaverei wird in diesem Staate beibehalten, unbrauchbare, leistungsunfähige Menschen werden am besten beseitigt. So überwiegt in diesem Platonischen Ideal von Humanität die eine grosse bestimmende Idee der menschlichen Gesellschaft, nämlich das Wohl des Ganzen, dem wir einzelnen zu dienen haben, so sehr, dass die andere Idee, das Recht der Persönlichkeit, darüber völlig zu Grunde geht. Ich weiss nicht, meine Brr., ob Ihnen diese Form der Humanität gefällt, oder – die heutige Socialdemokratie mit der von ihr angestrebten Gesellschaftsordnung hat Recht. Oder sind wir für diese platon.-socialistische Gesellschaftsordnung noch nicht reif? Ist es doch das Ideal der Zukunft! Nun, ich glaube vielmehr, die Form der Humanität wird die ideale und zukünftige sein, in der sich die möglich freieste Bewegung der einzelnen Persönlichkeit mit dem Wohl des Ganzen zusammenzufinden verstanden hat.

Wenn ich noch etwas über die heidnische Humanität des Alterthums hinzufügen darf: die Philosophie der Stoiker hat viel Schönes über die Humanität, das Recht des einzelnen Menschen, des Weibes, der Sclaven, gelehrt; aber wenn einer der edelsten derselben, der Philosoph Seneca, der Lehrer des Kaisers Nero, in seinem religiösen Glauben an das alles beherrschende Fatum so wenig religiösen Halt findet, und die damalige elende römische Gesellschaft ihm so schlecht erscheint, dass er sich in den Mantel seiner einsamen Tugend hüllt und sich dieser Welt durch den selbstgewählten Tod entzieht – ich bezweifle, ob das das höchste Ideal der Humanität ist.

Blicken wir auf die Form des menschlichen Lebens, welche das Judenthum hervorgebracht hat; ich halte mich dabei nur an das Alte Testament als Urkunde der altjüdischen Religion. Sie steht höher und ist reiner als die heidnische. Die religiöse Verehrung wird dem einen geistigen heiligen gerechten Gotte dargebracht, aber freilich er ist nur der Nationalgott, der nur sein auserwähltes Volk liebt und begnadigt, und seine Verehrung ist noch an gewisse Formen und Satzungen gebunden; aber wo die Zugehörigkeit zu einem Volke an ein gewisses Bundeszeichen gebunden ist, die Beschneidung, und die Religion noch mit bestimmten religiösen Ceremonien und Gebräuchen aufs engste verbunden ist, da grenzt sich das Volk ab von den anderen, und hat das Bewusstsein, das allein wahre Volk zu sein. Das ist das Bewusstsein der alten Völker überhaupt: mit seinen bestimmten Gottheiten und religiösen Cultusformen glaubt jedes, das Volk schlechthin zu sein.

Die Verehrung Gottes im alten Bunde war eine inbrünstige, aber wie der Gott der alten Gesetzesreligion selbst eifersüchtig wacht über seinem Gesetz, und den Uebertretern bis in ferne Geschlechter dauernde Strafen androht, so wird er von seinen Verehrern um schreckliche Rache an den Feinden angerufen, und von seinem Zorn und Grimm wird menschliches Leiden und Vergänglichkeit abgeleitet. Das Gesetz sagt. Du sollst deinen Nächsten lieben, – aber noch zu Jesu Zeit ist es eine jüdische Doctorfrage: wer ist mein Nächster? Das Gesetz sagt: plage und quäle die Fremden in deinem Lande nicht, und erweise auch dem irrenden Thiere deines Feindes eine Wohlthat, auch findet sich sonst manche humane Bestimmung in dem Gesetz, aber es steht da auch: Auge um Auge, Zahn um Zahn etc. Ein Glanzpunkt des jüdischen menschlichen Lebens ist das Familienleben gewesen, die Pietät der Kinder gegen die Eltern; aber die väterliche Gewalt ist doch noch eine zu übermächtige, der Vater ist der absolute Fürst in seinem Hause, und Bestimmungen über die Dienstboten, wie sie 2. Mos., 21. K. stehen, können wir nicht als humane anerkennen.

Die Propheten freilich, die zu den grössten Erscheinungen aller Zeiten gehören, haben nach verschiedenen Seiten hin das Bild eines höheren, vollkommeneren menschlichen Lebens gezeichnet, die Verehrung des gnädigen barmherzigen Gottes, eine Verehrung, die das Opfer nicht bringen soll, ohne entsprechendes sittliches Leben, ja in der dieses sittliche Leben entschieden das Wesentliche ist gegenüber dem Opfer; die religiöse und friedliche Vereinigung der Völker, die Bethätigung der Religion vor allem in Rechtschaffenheit und thätiger Menschenliebe und Barmherzigkeit. Allein das war wie ein Vorklang besserer Zeiten, die Zeit war für diese Humanität noch nicht erfüllt, noch nicht reif. Ich kann freilich jene grossen Gottes- und Volksmänner und Patrioten von einem Vorwurfe nicht ganz freisprechen, dass sie nämlich zum Theil mit ihren Weissagungen den Traum politischer Weltherrschaft in ihrem Volke genährt haben. Und selbst ihre grössten Propheten reden manchmal eine Sprache wider die Feinde ihres Volkes, z. B. Jer. Klagel. 3: Vergilt ihnen, Herr, wie sie verdient; lass ihnen das Herz erschrecken und deinen Fluch fühlen, verfolge sie mit Grimm und vertilge sie unter dem Himmel –, eine Sprache, die zu der edelsten Form der Humanität nicht stimmt.

Die Erfüllung jener prophetischen Weissagung edlerer Humanität kam mit dem Christenthum. Ich halte mich wieder an seine älteste Urkunde. Es rief in die Welt hinein: ihr Juden und Heiden habt einen Vater im Himmel, erkennt es und kommt, reicht euch die Bruderhand, ihr seid gleichberechtigte Kinder eures Vaters, und er verlangt keine andere Verehrung von euch, als euer kindliches Vertrauen, und die Bethätigung desselben in der Menschenliebe; eure ganze Religion, Opfer, Busse, ist Geist, Gesinnung, Leben. Ihr Männer und Frauen, ihr Herren und Sclaven, ihr Jungen und Alten, habt gleiche Menschenwürde und Menschenrecht, erkennt es und führt es durch. Die Bruderliebe werde in euch zur allgemeinen Menschenliebe. Niemandem, der in seiner Noth deiner Barmherzigkeit bedarf, sollst du sie versagen, jeder ist dein Nächster ohne Unterschied des Volkes und der Religion. Dein Leiden siehe an als die Erziehungsschule, in die dich dein himmlischer Vater nimmt, und anderer Leiden sei dir eine Uebungsschule der Barmherzigkeit. Die sündige und nothleidende Welt sollst du nicht verachten und verdammen, sondern dich ihrer erbarmen, und sie dadurch erlösen, erretten, bessern, zum Reiche Gottes machen und dein Leben dafür hingeben. Du sollst nicht herrschsüchtig sein und nie nach Herrschaft trachten, sondern sollst demüthig sein und überall nur dienen. In der christlichen Humanität vereinigt sich dein persönliches Recht, bis in deine heiligsten Angelegenheiten hinein, mit dem Wohle des Ganzen, dem du dienst, bis zur Selbstaufopferung, aber nicht gezwungen durch Staatsgesetz, sondern in freier Hingebung.

Ihr seid zur Freiheit berufen, zur Freiheit der Persönlichkeit bis in das Familienleben hinein; das ganze christliche Familienleben beruht auf grösserer Freiheit der einzelnen Glieder zu einander, aber die Liebe, in der ihr einander dient, soll das Band sein, das euch zusammenhält. Keinem Menschen sollst du Böses mit Bösem vergelten, sondern Böses mit Gutem überwinden; keinen sollst du in deinem Herzen als Feind betrachten, sondern, wenn er es dir ist, sollst du ihn segnen und ihm wohlthun. Der tiefste Grundzug deines Lebens soll Freude und Friede sein, denn du trägst als Kind Gottes das Gefühl der Erlösung und Versöhnung in dir, du hast alle Furcht überwunden, und der Geist Gottes in dir ist dir das Unterpfand deiner Unsterblichkeit. Darum suchst du auch andere in dieses Gefühl der Erlösung und Versöhnung aufzunehmen und ihnen diesen Besitz mitzutheilen; in allen Kindern der Erde siehst du Söhne Gottes und Brr., und suchst auch sie zu dieser Erkenntniss zu führen, damit » eine Bruderkette werde, theilend Wahrheit, Licht und Recht«.

So hat die christliche Humanität die jüdische vollendet, hat die geschichtlichen Consequenzen derselben gezogen, als die Zeit erfüllt war. Das ist die Wahrheit, welche uns das grosse Weltgesetz der geschichtlichen Entwicklung lehrt.

Nun, meine Brr., auf dem Boden dieser christlichen Humanität ist die Freimaurerei geschichtlich erwachsen, konnte sie auch nur erwachsen, in einer Zeit, wo eine Theilnahme von Israeliten an der Loge noch gar nicht denkbar war, wegen der ganzen damaligen gesellschaftlichen Stellung der Israeliten.

So kann unter Humanitätsmaurerei im Grunde nur eine solche Mrei verstanden werden, die zu ihrer Grundlage die christliche Humanität hat, denn die christliche Humanität ist eben die Humanität, die wahre, die vollkommenste, umfassendste. Die Loge steht geschichtlich und thatsächlich auf dem Boden der christlichen Humanität, ich kenne keinen Unterschied zwischen Humanitätsmaurerei und der richtig verstandenen christlichen Mrei, ich kann darin keinen Gegensatz finden. Freilich verstehe ich unter der christlichen Humanität nur diejenige, die auch nur die allgemeinen religiös-sittlichen Ideen des Christenthums umfasst, ohne alle späteren dogmatischen Formulirungen und Anklänge. Die Loge nimmt eben nur die reinste Form der Menschlichkeit zu ihrer Grundlage.

Was folgt nun aus dieser Auffassung der Humanitätsmrei? Zunächst, dass die Frmrei nicht religionslos ist. Das ist sie nie gewesen, im Gegentheil, es lässt sich, glaube ich, behaupten, dass in der Loge die Religion stets eine treue Pflegestätte gefunden, dass die Frmr. meist fromme Männer im besten Sinne des Wortes gewesen sind, und religionslose Männer selten die Loge gesucht haben. Gott, Tugend oder Freiheit, und Unsterblichkeit, jene drei Worte, von denen Schiller sagt: »dem Menschen ist aller Werth geraubt, der nicht an die drei Worte glaubt«, die Stichworte der Aufklärungszeit des 18. Jahrhunderts, sind auch die Hauptideen der Logen gewesen; Goethe und Lessing sind weit entfernt gewesen, Religionsfeinde im modernen Sinne, im Sinne des Materialismus, zu sein. Die sogenannten »Alten Pflichten« der Frmr. sagen: »wer die k. K. recht versteht, wird kein thörichter Gottesleugner sein«; und jedem Suchenden wird auf seiner Wanderung zugerufen: »der Frmr. muss Gottesverehrer sein; das menschliche Leben ist ein Zirkel, dessen Mittelpunkt die Verehrung des A. B. a. W. ist«. Wir fordern zwar von dem Suchenden kein directes religiöses Bekenntniss, aber wir sagen ihm, auf welchem Grunde die Loge steht, was sie von ihren Jüngern erwartet und fordert. In neuerer Zeit hat man erst versucht, die Frmrei religionslos zu machen. Der grosse Orient von Frankreich, dem Lande, von dem manche schlechte Mode ausgegangen ist, hatte den Beschluss gefasst, Gott und Unsterblichkeit hinauszuwerfen. Dafür wurde ihm von den englischen und den deutschen Grosslogen die Freundschaft gekündigt. Auch in Deutschland hat man wohl versucht, die Loge religionslos zu machen, und den A. B. a. W. zum alten Eisen zu werfen, – jener neu aufgetauchten Lehre des Materialismus zu Gefallen, die einige Jahrzehnte wie eine Modekrankheit die Geister erfüllt und berauscht hat, und welcher der Katzenjammer des Pessimismus gefolgt ist; der Materialismus ist aber jetzt von der tiefer grabenden Naturwissenschaft und Philosophie als oberflächlich und ungenügend, das Räthsel der Welt und des Lebens zu lösen, wieder über Bord geworfen, und wissenschaftlich als überwunden zu betrachten. Gegen diese vorüberrauschenden Geistesstürme, von denen ich freilich nicht sagen will, dass sie nicht auch ihr Gutes gehabt haben, mag auch die Loge der Fels sein, auf dem die vernünftige Gottesverehrung der Menschheit sicher ruht.

Möge sich die Loge vor dieser religiösen Entleerung hüten, das würde sonst zu einer geistigen Verflachung und Verseichtigung führen, an der sie zu Grunde gehen würde, wie das aus demselben Grunde das Schicksal vieler deutsch-katholischen und sog. freien Gemeinden geworden ist. Die Religion wird alle Geistesstürme überdauern, die gegen sie gerichtet sind; solche können die zeitlichen, dogmatischen und kirchlichen Formen der Religion zerstören, aber nimmermehr das Wesen. Das ruht tief, ewig begründet im Menschengeiste und Herzen. Die Welt wird nicht ohne den A. B. a. W. gedacht werden können, der Menschensohn nicht ohne den ewigen Vater, das Menschenherz in seiner Noth und Schuld nicht ohne den ewigen Erbarmer, das Menschen gewissen und die sittliche Weltordnung der Geschichte nicht ohne den ewigen Gesetzgeber, der zur Vollkommenheit hinstrebende Mensch nicht ohne das ewige Ideal aller sittlichen Vollkommenheit! – Also die Humanitätsmrei darf nie eine religionslose sein, die sich etwa mit einigen moralischen Lehren behilft und begnügt. Das ist keine ganze, volle, wahre Humanität, und das Wesen der Loge nöthigt uns nicht im mindestens, die ewig schönen, tröstlichen, sittlich erziehenden und brüderlich verbindenden Ideen der Religion aus ihren heiligen Hallen zu verbannen. Die Loge ist ein Tempel, auf deren Altar ein Feuer glüht, dessen Säule nach oben steigt und die Herzen nach oben trägt, und sie eben gerade durch die gemeinsame Emporhebung zu dem, der unser aller Vater ist, innig verbindet. Gemeinsame religiöse Erhebung verbindet uns noch inniger zu Brrn. als blosse Moral, die uns sagt: ihr seid Brr. Immer bleibt die tiefere Frage: warum sind wir Brr., was verbindet uns dazu, was nöthigt uns, es zu sein? Du kannst wohl sagen: »das gemeinsame Fleisch und Blut und das gemeinsame Wohl«. Gewiss, aber diesem gemeinsamen Wesen und diesem gemeinsamen höchsten Zweck wird immer die Idee des ewigen Vaters Aller die tiefste Wurzel und die höchste Garantie der Erreichung jenes Zweckes geben.

Und nun die zweite Frage: Wie stelle ich mich nach meiner Darstellung der Humanität zu der Theilnahme der Israeliten an der Loge? Ich antworte kurz: Gerade von dem Standpunkte meiner Auffassung der Humanität, gerade vom Standpunkte der christlichen Mrei ist diese Theilnahme möglich, berechtigt und gut.

Geschichtlich betrachtet ist diese Theilnahme in Deutschland ja erst in unserem Jahrhundert zu Stande gekommen unter den Nachwirkungen der Zeit der Aufklärung und des Rationalismus. In England, Frankreich und den Niederlanden gab es schon im vorigen Jahrhundert Israeliten in den Logen, allerdings deshalb von ihren strenggläubigen Stammesgenossen angefeindet. In England und Frankreich trat eben die Periode der Aufklärung noch eher auf, als in Deutschland. Diese Zeit hatte einen Moses Mendelssohn gesehen, einen Juden von edler Humanität, sodass Lessing in seinem Nathan den Weisen einen Juden zeichnen konnte, dem er die Züge der reinsten edelsten Humanität gab. Hatte ja diese Aufklärungszeit überhaupt die Bekenner verschiedener Religionen und Confessionen einander näher gebracht, auch z. B. Katholiken und Protestanten, in der Zeit, in der die edlen katholischen Bischöfe Wesenberg (geb. 1774, † 1860), und Sailer, Bischof von Regensburg (geb. 1751, † 20. Mai 1832), lebten, und evangelische Geistliche, wie Herder, Schleiermacher u. A. Erst mit der Erneuerung der Orthodoxie seit Ende der 20er und seit den 30er Jahren ist diese Harmonie wieder mehr und mehr gestört worden bis zu der heute bestehenden tiefen confessionellen Zerklüftung.

Unter den Wirkungen der Aufklärungsperiode fielen die Ausnahmegesetze, unter denen die Israeliten gestanden; viele Israeliten selbst aber streiften mehr und mehr das Orientalische ab und lernten sich als Glieder des Volkes fühlen, unter dem sie wohnten, also auch als Deutsche; die Erziehung der Israeliten befreite sich mehr und mehr von dem Banne der Satzungen, unter denen diese gestanden, und die sie von den Christen geschieden hatten; so kam eine Annäherung der Racen und Confessionen zu Stande. Dazu kam, dass die von der englischen Grossloge abstammenden deutschen Grosslogen zu Hannover, Hamburg und Royal York durch die Bemühungen Schröder's und Fessler's auf die »alten Pflichten« zurückgingen, die von den Gliedern des Bundes nur den Glauben an Gott, Ehre und Rechtschaffenheit verlangen. Sie sollen weder starre Gottesverehrer, noch gottvergessene Freigeister oder thörichte Gottesleugner und gewissenlose Wüstlinge sein. So kam auch in den deutschen Logen die Israelitenfrage in Fluss, unter allerhand Kämpfen: Hamburg, Hannover, Sachsen, Bayreuth öffneten den Israeliten die Pforten ihrer Tempel, ebenso Royal York, auch die eklektischen Logen in Frankfurt, seit 1849; und so sind es jetzt noch die Grosse Landesloge in Preussen, die Grossloge zu den drei Weltkugeln, die Grossloge von Schweden und Dänemark und noch einzelne Logen, wie die Minerva in Leipzig, welche an dem christlichen Principe festhalten und die Aufnahme von Israeliten verweigern, aber sie als besuchende Brr. zulassen. Diejenigen Logen, welche die sogenannten »Alten Pflichten« zur Grundlage ihrer Mrei gemacht haben, nehmen also Israeliten auf und sie thun es auf Grund dieser Alten Pflichten mit Fug und Recht, denn diesen entspricht auch der Israelit.

Nun ist es aber eben die christliche Humanität, auf deren Grunde dieses alte Frmrgesetz erwachsen ist und erwachsen konnte. Diese Humanität, in ihrer reinen Form, ohne kirchlich dogmatische Zusätze, besitzt die Weitherzigkeit des Geistes, die dieses Gesetz schaffen und damit den Israeliten die Thore der Loge öffnen konnte. Denn diese Humanität sieht in ihnen auch. Söhne des einen himmlischen Vaters und Brüder; und wenn Kirche und Synagoge, wie sie sich in der Geschichte entwickelt haben, noch getrennt sind, so freut sich die Loge, Angehörige dieser beiden geschichtlichen Institutionen auf einem Boden vereinigen zu können und das brüderliche Bewusstsein in ihnen stärken zu können.

Also die christliche Humanität ist es gerade, welche auch dem suchenden Israeliten, der an der Pforte des maur. Tempels klopft, dieselbe öffnet. Freilich können es nicht altgläubige orthodoxe Juden sein, die noch ganz unter dem Banne alter Satzungen stehen. Solche werden die Loge nicht suchen, ebenso wenig wie streng orthodoxe Christen. Der ultramontane Katholik verflucht uns, und der feudal orthodoxe Protestant wühlt und eifert wider uns. Die Satzungsmenschen der Synagoge und der Kirche finden in der Loge nicht, was sie suchen, nicht ihr Besonderes, was sie mit dem Wesen der Religion vereinerleien. In der Loge begegnen sich Christen und Israeliten, die in ihrer Humanität einander nahe gekommen sind, die in der Atmosphäre derselben Humanität leben, in denen im Grunde dieselbe Gesinnung lebt, jedenfalls jene eine, grosse treibende Macht der Geschichte: der Geist der Freiheit, der jener anderen Macht gegenübersteht, der Autorität des Dogmas und der Satzung.

Ich begrüsse darum vom Standpunkte der christlichen Humanität das 19. Jahrhundert, dass es auch in Deutschland den Israeliten die Pforte der Loge geöffnet, und ich freue mich, dass es einen neutralen Boden, eben die Loge, giebt, wo das Bewusstsein und Gefühl ihren Ausdruck finden, dass der Christ in den Israeliten seine Mitkinder Gottes und Brr. sieht; und ich wünsche, dass auch die an den christlichen Principien festhaltenden Logen Deutschlands sich voll und ganz auf den Boden der »Alten Pflichten« stellen lernen, und den specifisch christlichen Standpunkt verlassen. Denn ich sehe eben darin das heilsame Wesen der Frmrei im Gegensatze zur Kirche und Synagoge, dass sie Bekenner verschiedener Confessionen und Religionen, die in ihrer Grundgesinnung einander nicht fern stehen, auf einem Boden vereinigt, von dem ich freilich behaupte, dass er erst auf dem Grunde der christlichen Humanität möglich war, erst von ihr geschaffen werden konnte. Möchten so die Logen Deutschlands vornehmlich mit helfen, die Frage principiell und praktisch zu lösen, die über Germanen und Israeliten schwebt. Möchten aber auch beide ernstlich bestrebt sein, sich den Geist reiner edler Humanität anzueignen, der das brüderliche Zusammenleben beider in der Loge möglich macht. Erkenne Dich selbst! beherrsche Dich selbst! veredle Dich selbst! Diese heilige Trias der Loge verlangt, dass wir vollen Ernst mit ihr machen, und dass wir die Fehler ablegen, die dieses friedliche Zusammenleben in unserem Volke und den Logen manchmal beeinträchtigt haben. Meine Brr.! gerade in der brüderlichen Vereinigung von Christen und Israeliten in der Loge sehe ich den Advent der Anbahnung einer besseren Zukunft der Menschheit. Es giebt die Weissagung: »es wird ein Hirt und eine Herde werden«; diese Weissagung wird sich erfüllen, wenn die alte orthodoxe Form der Kirche zerfallen wird, wenn sie zu einem Tempel wird, wo die reine Humanität als Priesterin waltet. Dann wird sie ihre Thore weit öffnen, und die Völker werden hereinströmen, um alle in einer Humanität den Vater im Himmel anzubeten und unter einander Brr. zu sein. Einstweilen ist die Loge dieser Tempel, der Advent des Tempels der zukünftigen Menschheit! –

Br. A. Portig.


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