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Urchristenthum und Freimaurerei.

In neuester Zeit wird von verschiedenen Seiten als Haupthinderniss, das den Einigungsbestrebungen in der deutschen Freimaurerwelt hemmend in den Weg trete, der Gegensatz bezeichnet, der zwischen christlicher Freimaurerei und Humanitätsmaurerei bestehen soll. Es wird damit künstlich ein Gegensatz geschaffen, der historisch in keiner Weise berechtigt ist. Ein Blick in den Entwickelungsgang der christlichen Kirche zeigt, dass die Grundanschauungen der Freimaurerei auf christlichem Boden erwachsen sind. Besonders lehrreich ist nach dieser Richtung hin die Schrift des Archivraths Dr. Keller über » die Reformation und die ältesten Reformparteien«, sowie desselben Verfassers kürzere Abhandlung über » altevangelische Gemeinden«. Ich glaube den Brüdern einen Dienst zu erweisen, wenn ich aus diesen Arbeiten diejenigen Punkte herausgreife, die mir für die Behauptung: »Die Freimaurerei ist auf christlichem Boden erwachsen«, besonders beweiskräftig erscheinen.

Der Stifter der christlichen Kirche hat seinen Jüngern kein fertiges Lehrsystem hinterlassen; er hat sich damit begnügt, ihnen die leitenden Gesichtspunkte zu offenbaren, nach denen das Christenthum aufgebaut werden sollte. Damit war aber auch zugleich die Möglichkeit gegeben, dass solcher Aufbau in sehr verschiedener Weise erfolgen konnte. Und in der That ist, wie die Geschichte lehrt, dieser Aufbau in zwei verschiedenen Formen erfolgt. Die eine Richtung entwickelt sich, um den Unterschied, wenn auch nicht erschöpfend, so doch kurz zu bezeichnen, zur Priester-, die andere zur Laienkirche.

Zur Apostelzeit stehen die von diesen Sendboten gegründeten Gemeinden gleichberechtigt neben einander. Wie aus den Briefen eines Paulus, Petrus, Jakobus und Johannes hervorgeht, hat keine Gemeinde sich eines Vorzuges vor der anderen zu rühmen. In bewusstem Gegensatze zur alttestamentlichen, jüdischen Auffassung herrscht in allen Gemeinden die Ansicht, dass die weltliche Macht nicht befugt sei, Zwang auszuüben in Glaubenssachen.

Alle diese Verhältnisse ändern sich mit einem Schlage, als durch Kaiser Konstantin die christliche Religion zur Staatsreligion erklärt wird. Sofort drängt sich auch in die christliche Kirche die Vorstellung von der Zusammengehörigkeit der staatlichen und religiösen Einheit ein, wie sie auch dem Heidenthum geläufig gewesen war. Und da nun Konstantin die christliche Religion nur in der Form als Staatsreligion anerkannt hat, in welcher dieselbe in Rom zur Herrschaft gelangt ist, so ist es nur natürlich, dass diese Form das entscheidende Uebergewicht gewinnt. Es ist ferner nur natürlich, dass zur weiteren Festigung ihres Einflusses die Geistlichkeit der nun herrschenden Kirche die Theorie von der Nothwendigkeit der Zwangsgewalt in Glaubenssachen zu einem wesentlichen Theile ihres Lehrsystems macht. Noch heute wird von der römisch-katholischen Kirche jede Abweichung von der durch sie festgesetzten Lehre für ein staatlich zu bestrafendes Verbrechen erklärt; noch heute lehren Autoritäten dieser Kirche, dass die weltliche Macht die Pflicht habe, alle Anordnungen der Kirche zu vollziehen, vor allem durch gewaltsame Unterdrückung jeder Häresie die Einheit des Glaubens aufrecht zu erhalten.

Durchaus abweichend von dieser Priesterkirche entwickelt sich die vorhin kurz als Laienkirche bezeichnete Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, mit deren Grundanschauungen und Verfassung die Grundanschauungen und Verfassung des heutigen Freimaurerbundes so viel Verwandtes aufweisen, dass der innere Zusammenhang beider für jeden unbefangen urtheilenden Freimaurer auf der Hand liegt. Der Schwerpunkt jener Gemeinschaft liegt nicht in der Lehre, auch nicht in den Gnadenmitteln, sondern in der Gemeindeverfassung. Nach der Ueberzeugung dieser ältesten Christen ist, nachdem Christus sich selbst zum Opfer dargebracht, die Vermittelung mit Gott ein für alle Mal erreicht. Fortan bedarf es des alttestamentlichen Opfers und des daran geknüpften Priesterthums nicht mehr. An seine Stelle tritt das allgemeine Priesterthum der Gläubigen, die christliche Gemeinde selbst. Diese christliche Gemeinde ist nach altchristlicher Auffassung keine Rechtsgemeinschaft, sondern ein freiwilliger Bund von Brüdern, die ihren Willen kund gegeben haben, fernerhin nach Willen und Vorbild ihres Herrn ihr Leben zu führen. Sie beruht auf dem Grundsatze der Freiheit und Freiwilligkeit. Daher kennt die christliche Gemeinde unter ihren Gliedern auch keinen Unmündigen oder Unselbständigen; sie kennt keinen Gewissenszwang. Sie kennt auch keine gesellschaftlichen Unterschiede. Jeder, der Christi Willen zu erfüllen strebt, ist dem anderen an innerem Werthe gleich. Die vor der Welt Sklaven oder Freie, Vornehme oder Geringe, Römer oder Juden waren, sie sind innerhalb der Gemeinde weder das Eine noch das Andere, sie sind Christen und als solche Brüder, gleich an Rechten wie an Pflichten, soweit nicht die Wahl der Gemeinde dem Einzelnen eine besondere Vertrauensstellung zugewiesen hat.

Für diese altchristlichen Gemeinden ist der Glaube festgelegt durch die prophetischen Bücher des alten Testamentes, durch die Worte, das Vorbild und das Leben Jesu. Mit voller Bestimmtheit geht aus den Schriften der apostolischen Väter hervor, dass die altchristlichen Gemeinden keinen anderen Kanon besitzen als die Herrenworte. Nun aber hat Jesus selbst als vornehmste Aufgabe seines Lebens die Herbeiführung des Reiches Gottes bezeichnet, das Trachten nach demselben obenan gestellt unter die Aufgaben seiner Jünger. Dadurch wird die ganze Energie der ersten Christen auf die Gestaltung des sittlichen Lebens und die Erfüllung des Gebotes gerichtet, das Christus ihnen im Befehle der Nachfolge hinterlassen hat. Sie haften nicht an einem bestimmten Lehrsysteme; von Theologie oder theologischer Gelehrsamkeit kennen sie wenig; ja, sie binden das Heil so wenig an ceremonielle Formeln, dass sie auch nach Aufrichtung eigener Gemeinden immer noch die jüdischen Religionsvorschriften befolgen. Hat doch Christus selbst den Austritt aus der kirchlichen Gemeinschaft seines Volkes nicht zur Heilsbedingung gemacht, hat er sie doch nur gelehrt: »Daran werde ich erkennen, dass ihr meine wahren Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt.« Und solche Bruderliebe bethätigen sie in festgeschlossener Gemeinde. In Noth und Kummer, in Sorge und Angst des Lebens stehen Alle für Einen, steht Einer für Alle. So fest und innig sind die Pflichten dieses Bruderbundes, dass alle natürlichen Lebensbande, alle Verwandtschaft und Freundschaft zurücktreten, wenn die Pflicht mit den Pflichten des Christen in Widerspruch geräth.

Es ist weiter eine allbekannte Thatsache, dass das Christenthum in den ersten Jahrhunderten zunächst in den Kreisen der Bürger und Handwerker festen Fuss gefasst hat. Paulus selbst, der grosse Heidenapostel, hat nicht etwa als Geistlicher, sondern als wandernder Handwerker die Botschaft von Christo durch die gottesarme Welt getragen und zuerst bei den Handwerkern Verständniss für eine Lehre gefunden, die dem jüdischen Schriftgelehrten ein Aergerniss, dem griechischen Philosophen eine Thorheit war. Diese römischen Handwerker aber pflegen sich, dem grossen, auf genossenschaftliche Vereinigung gerichteten Zuge des römischen Volkes entsprechend, in Corporationen zusammenzuschliessen. Es giebt Vereinigungen aller Art: Handwerkergilden, Begräbnissvereine, Baugenossenschaften, literarische Vereine, und die meisten dieser Vereine sind zugleich Cultvereine, d. h. neben den gemeinsamen gewerblichen Interessen bildet die Pflege irgend welcher religiöser Mysterien das einigende Band. Haben nun in eine solche Gilde oder Bruderschaft christliche Anschauungen Eingang gefunden, so verschwinden die heidnischen Bilder; christliche Gottesdienste treten an die Stelle heidnischer Mysterien, die übrigen Formen aber bleiben unverändert. So kommt es denn, dass besonders in den grossen Städten des Reiches die ersten Christen, die ohnehin keine Kirche in alttestamentlichem Sinne bilden wollen, ihre Gemeinden in Form von Genossenschaften organisiren, die dem Staate gegenüber den Charakter der Handwerkergilden beibehalten, deshalb auch ungestört ihre regelmässigen Zusammenkünfte abhalten, ihre Beamten wählen, auch Vermögen erwerben dürfen. Begünstigt wird diese Art von Gemeindebildung besonders durch den Umstand, dass es zur Gemeindebildung keines Geistlichen bedarf. »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen«, hat sie Christus gelehrt; deshalb ist die Möglichkeit der Gemeindebildung auch da gegeben, wo nur Laien sich zusammenfinden. Noch um das Jahr 300 heisst es in der apostolischen Constitution: »Wer da lehret und sei er auch ein Laie, wenn er nur erfahren ist im Worte und von reinem Lebenswandel, der möge nur immer lehren, denn es heisst, wir werden alle von Gott gelehret sein.«

Solche Gemeindebildung hat ihre nicht zu unterschätzenden Vortheile gehabt in einer Zeit, in welcher der heidnische Staat seine gesammten Machtmittel aufbietet, die eben emporspriessende Saat mit Gewalt zu unterdrücken. Wohl fallen Tausende von Bekennern dem Verfolgungswahne der Cäsaren zum Opfer, aber im schützenden Dunkel der Genossenschaften überdauert die christliche Gemeinde den Sturm. Ja, sie überdauert in ihrem Schutze auch noch weiter die Gefahren, die ihr später aus den Reihen der eigenen Glaubensgenossen erwachsen. Selbstverständlich muss der in diesen Laiengemeinden gepflegte Geist persönlicher Freiheit der Herrschsucht der Priester, die ihre persönliche Auffassung als die allein maassgebende den Gewissen der Glaubensgenossen aufdrängen wollen, aufs Aeusserste unbequem werden. Daher kann es nicht Wunder nehmen, wenn zu Konstantins Zeit sich jene altchristlichen Gemeinden der christlichen Staatskirche gegenüber bald in dasselbe Verhältniss gedrängt sehen, das sie vorher der heidnischen Staatskirche gegenüber eingenommen hatten. Wo ihre Vertreter sich in der Oeffentlichkeit unter kirchlichen Formen zu organisiren suchen, da stossen sie auf den heftigsten Widerstand der herrschenden Partei. Schon von Kaiser Konstantin werden sie mit den Ketzern auf gleiche Stufe gestellt; ihre Gottesdienste werden verboten, ihre Bücher vernichtet. Aber was dem heidnischen Staate nicht gelungen, das vermag auch trotz ernsthaftesten Willens die christliche Kirche nicht. Allerdings werden die altchristlichen Gemeinden in die Zwangslage versetzt, sich in den äusseren Formen der Weltkirche unter zu ordnen; doch bleibt ihnen zu Folge ihrer Grundsätze eine solche Existenzweise ebenso möglich, wie es den ersten Gemeinden möglich gewesen war, sich am Tempeldienste zu betheiligen. Im Schutze des Geheimnisses erbt ihre Lehre weiter von Geschlecht zu Geschlecht.

Es würde zu weit führen, wollten wir hier alle die Namen aufführen, mit denen im Laufe der Jahrhunderte diese Gemeinden bezeichnet worden sind. Nur einen dürfen wir nicht übergehen, den Namen der Genossenschaften, die vollständig auf dem Boden jener altchristlichen Gemeinden stehend, vom 13. bis 16. Jahrhundert auf das gesammte Geistesleben des deutschen Volkes, zumal in den Bürgerkreisen, den tiefgehendsten Einfluss ausgeübt und dadurch der späteren Reformation die Wege geebnet haben, das sind die Waldenser, deren Sendboten von den eigenen Anhängern auch als »Gottesfreunde« bezeichnet werden.

Wir überspringen ein Jahrtausend und versetzen uns von Konstantin in den Anfang des 14. Jahrhunderts. Die päpstliche Macht steht auf ihrem Höhepunkte. Von den Vertretern der kirchlichen Wissenschaft ist der Glaubenssatz aufgestellt: »Nur die Gewalt des Papstes stammt von Gott; alle weltliche Macht ist nichts als ein Amt, das vom Papste verliehen wird.« Aber die Kirche muss es erleben, dass solche Theorie als ein Abfall von Christi Lehre bezeichnet wird. Kaiser Ludwig der Baier, den das begeisterte Auftreten eines Marsilius von Padua für die Annahme waldensischer Anschauungen gewonnen, erhebt Widerspruch. Papst Johann XXII. verhängt über das Deutsche Reich das Interdict. Keine Kirchenglocke soll läuten im deutschen Lande, kein Gottesdienst abgehalten, kein Sacrament gespendet werden. Doch einhellig erheben sich zur Unterstützung des Kaisers die deutschen Städte. Da ist es vor allem Strassburg, das die den Gottesdienst weigernden Priester aus seinen Mauern jagt. Da lässt in Reutlingen der Rath öffentlich ausrufen, dass Niemand bei schwerer Busse einen Priester aufnehmen dürfe, der dem Papste Gehorsam leiste; da zwingen in Nürnberg die Zünfte Rath und Geschlechter, mit dem Kaiser gemeinsame Sache zu machen wider den Papst. Und ebenso erheben sich noch viele andere Städte für den Kaiser, besonders die Städte in Süddeutschland und am Rhein. Auch hier ist es das erstarkte Bürgerthum, das sich auf des Kaisers Seite stellt. Die freien Gewerke und Zünfte sind es, die ihren Willen auch gegenüber den mehr dem Papste zuneigenden Geschlechtern zur Geltung zu bringen wissen und an der Spitze dieser Gilden steht der Bund der deutschen Bauhütten, der auf alle ihm nahestehenden Kunstgewerbe: Goldschmiede, Glockengiesser, Eisenschmiede, Bildhauer, Maler, Formschneider tonangebend einwirkt.

Dem gemeinsamen Widerstande aller dieser Kräfte gelingt es, während Kaiser Ludwigs Lebzeiten den Kampfplatz zu behaupten. Erst nach seinem Tode gewinnt die geschlossen vorgehende päpstliche Macht über die nicht mehr vom Kaiser unterstützten Städte die Oberhand. Aber die Saat, welche während Kaiser Ludwigs Regierung, besonders auf religiösem Gebiete, gestreut ist, geht auch in der Folge nicht unter. Ist bis dahin die Ueberzeugung herrschend gewesen, dass, wer von Rom geschieden sei, damit auch sein Seelenheil eingebüsst habe, so dringt fortan in immer weitere Schichten der Bevölkerung die Ansicht ein, dass die Verbindung mit dem römischen Oberpriester für den »rechten Christen« nicht geringe Gefahren mit sich bringe; es bildet sich allmählich eine Weltanschauung heraus, die zwei Jahrhunderte später auf Luthers Anstoss zur förmlichen Lossagung von römischer Geistesknechtung führt

Nach dem übereinstimmenden Zeugnisse ihrer Gegner sind es in erster Linie die Lehren der Waldenser, die diesen Umschwung bewirken. Da sind es neben den Schriften des bereits erwähnten Marsilius von Padua – ich erwähne dessen »Friedschirmbuch« (defensor pacis) –, die Schriften eines Tauler, eines Meisters Eckhardt, die dem deutschen Volke die Augen öffnen über die mit Christi Lehre im schroffsten Widerspruche stehende Anmaassung des päpstlichen Stuhles. Und tiefer, nachhaltiger noch wirkt auf alle denkenden Kreise das von der Sittenlosigkeit des römischen Clerus so gewaltig abstechende sittenreine Leben der waldensischen Gemeinden. Bruderliebe, Treue, Verschwiegenheit, Wahrhaftigkeit und Barmherzigkeit sind die Forderungen, die von den Gemeinden an ihre Glieder gestellt werden. Gegenseitige Hülfsbereitschaft ist strenge Pflicht; strenge Pflicht auch thätige Arbeit, Nüchternheit und Sparsamkeit für jeden, der zu erwerben im Stande ist. Niemals ist es erlaubt, dass Brüder, unter denen etwa Streit entstanden, sich an die Gerichte wenden. Seitens der Gemeinde werden Schiedsrichter ernannt, die den Streitfall zu prüfen haben; gegen deren Spruch giebt es keine Berufung an eine höhere Instanz. Ueberhaupt liegt der Schwerpunkt der ganzen Verfassung bei den Waldensern, gerade wie bei den ersten Christen, in der Gemeinde. Die Gemeinde wählt ihre Magistri (Meister) aus ihrer eigenen Mitte. Diese Magistri haben die geistlichen Functionen zu üben, doch ist dazu durchaus nicht erforderlich, dass dieselben studirte Theologen sind. Ja, es werden in den seltensten Fällen solche gewesen sein, denn jeder, der das (mündlich überlieferte) Ritual beherrscht, darf absolviren, predigen und Gottesdienst abhalten.

Vergleichen wir mit solcher Verfassung die Satzungen der in jener Zeit im höchsten Ansehen stehenden Bauhütten, welche auffallende Uebereinstimmung! Im 15. Jahrhundert, etwa 100 Jahre nach Kaiser Ludwigs Tode, als die ursprüngliche mündliche Ueberlieferung bereits abzublassen beginnt, werden von den Vertretern der vornehmsten Bauhütten die alten Ordnungen schriftlich gesammelt. Wahrscheinlich enthält diese Sammlung manche Eigenart der ältesten Satzungen nicht mehr; im Grossen und Ganzen aber darf in ihr eine Zusammenfassung uralter Regeln erblickt werden. Diese Ordnung, die bis auf unsere Tage gekommen ist und von Heldmann unter den ältesten Denkmalen deutscher Freimaurerei angeführt wird, will nur die allgemeinen Grundsätze für des »Steinmetzen Brauch und Gewohnheit« aufstellen; sie gewährt den einzelnen Hütten ausdrücklich die Freiheit, die Artikel zu mildern, je nach der Zeit und des Landes Nothdurft. Diese allgemeinen Grundsätze aber tragen ganz offenkundig den Stempel waldensischen Geistes. Da werden ausdrücklich genaue und strenge Bestimmungen religiöser Natur getroffen. Mit einem Steinmetzen, der sich nicht nach »christlicher Ordnung« hält, soll jede weitere Gemeinschaft abgebrochen werden. Keuschheit, Mässigkeit, Nüchternheit werden betont; empfindliche Strafen stehen auf leichtfertigem Spiel. Auch in Streitfragen rein privater Natur sollen die Brüder nicht an die Gerichte gehen. »Wäre es auch«, heisst es ausdrücklich, »dass zwei Meister spännig (uneins) würden in Sachen, die Steinwerk nicht betreffen, so sollen sie doch einander um solche Spänne nirgendwo anders vornehmen, denn vor Steinwerk, und die sollen sie auch richten und vertragen nach dem Besten nach all ihrem Vermögen« – also genau dieselbe Bestimmung, der wir auch bei den Waldensern begegnen. Eine solche Uebereinstimmung erklärt sich aber auf sehr einfache Weise.

Bekanntlich besitzen alle Gilden im Mittelalter das Recht, auch blossen Liebhabern des Handwerkes, also Nichtfachleuten, den Eintritt in den Bund zu gestatten. Es darf als feststehend angenommen werden, dass in jener Zeit selbst angesehene Personen den Anschluss an eine Bruderschaft aufsuchten, wenn diese einflussreich und geachtet dastand. Daher ist es nur natürlich, dass, als nach Kaiser Ludwigs Tode die heftigsten Verfolgungen über die Waldenser hereinbrechen, diese in den Bruderschaften der geistesverwandten Bauhütten eine Zufluchtsstätte suchen und auch finden. Besitzt die Kirche in den nach Ludwigs Tode erlassenen Ketzergesetzen auch wirksame Waffen gegen die Häretiker, an die Bauhütten kann das geistliche Gericht nicht heran. Eine ernste Schule der Verschwiegenheit und Bruderliebe, die jedes echten Steinmetzen erste Pflicht ist, hat selbst die jüngeren Leute gelehrt, vor dem Feinde auf der Hut zu sein. Wohl erregen die geheimen Zusammenkünfte der Steinmetzen das Misstrauen des geistlichen Gerichts; aber Geheimniss ist ja alter Handwerksbrauch; der Maurer hütet sich, religiöse Ansichten vor fremden Ohren zu erörtern.

Haben nun schon vorher die Hütten auf christliche Ordnung Gewicht gelegt, so muss durch den Eintritt solcher »Liebhaber des Handwerkes« die Tendenz des »geistigen Bauens« noch ganz erheblich verstärkt werden. Fortan bauen die deutschen Hütten nicht nur stolze Münster und himmelanstrebende Dome, es beseelt sie zugleich das Streben, aus Menschenseelen Tempel Gottes zu bauen. Interessant ist es zu sehen, wie um das Jahr 1430 die berühmte »Reformation des Kaisers Sigismund« über die Macht dieser Bruderschaften, »die jetzt bereits unter sich Gesetze machen; wie früher die Städte es gethan haben; die in vielen Städten den Rath ordnen u. s. w.« in die schmerzlichsten Klagen ausbricht. Man hat vergeblich versucht, diese innere Kraft der »Hütte« aus der Vortrefflichkeit, ihrer Organisation, dem Geheimniss ihrer Bräuche und anderen Aeusserlichkeiten herzuleiten. Sieht man der Sache auf den Grund, so sind es nicht Handwerksgriffe, es ist die geistige Einheit, die innere Uebereinstimmung in den heiligsten Ueberzeugungen gewesen, die den Bund der deutschen Bauhütten wie zu den grossartigsten Leistungen auf künstlerischem Gebiete, so auch zur Wahrung und Vertheidigung der höchsten Ideale befähigt hat.

Und dieser tief religiöse, dabei aber auch zugleich die eigene Gewissensfreiheit unentwegt festhaltende Sinn hat weitergelebt in den folgenden Jahrhunderten. Nachweislich hat unser berühmter Luther selbst sich unter Staupitzen's Leitung aufs Eifrigste in das Studium waldensischer Schriften, besonders des Tauler, vertieft. Der Jubel, mit dem Luthers mannhaftes Auftreten in ganz Deutschland begrüsst worden ist, die Schnelligkeit, mit der sich der Protestantismus in ganz Deutschland aus gebreitet hat, sie liefern den vollgültigen Beweis dafür, dass die von den Waldensern vertretenen Anschauungen in die tiefsten Schichten des deutschen Volkes eingedrungen sind. Im folgenden Jahrhundert geht in den Gräueln des dreissigjährigen Krieges dieser Geist der Freiheit allerdings in Deutschland unter, aber er findet eine Freistätte in England, und hier wieder besonders in der seit Beginn des 18. Jahrhunderts dort kräftig emporblühenden Freimaurerei.

Die rationalistische Strömung des vorigen Jahrhunderts, die sogenannte Aufklärungsperiode, ist auch an dieser Freimaurerei nicht spurlos vorübergegangen. Neben das ursprüngliche christliche Princip ist das Humanitätsprincip getreten, und im letzteren ist der ursprüngliche christliche Grundgedanke, das christliche Lebensideal abgeblasst. Aber auch das diesem Humanitätsprincipe vorschwebende Ideal edelsten Menschenthums ist ohne religiösen Hintergrund gar nicht denkbar. Zurückdrängen der Eigenliebe, Bethätigung der auch von der Humanitätsmaurerei geforderten Bruderliebe ist unmöglich ohne Festhalten an der höchsten sittlichen Idee, dem Glauben an Gott. Theologische Streitfragen, confessionelle Unterscheidungslehren, dogmatische Spitzfindigkeiten dürfen dem Freimaurer gleichgültig sein. Was ihm aber nicht gleichgültig sein darf, das ist der ernste Wille, dem Vorbilde nachzuleben, welches der »Menschensohn« ihm gegeben. Haben wir das zu unserer Lebensaufgabe gemacht, dann wird, des sind wir gewiss, auch unser innerer Mensch zum winkelrechten Bausteine am Tempel der Verehrung Gottes im Geiste und in der Wahrheit.

Br. W. Dahl.


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