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Die Liebe hört nimmer auf.

(Zur Trauerloge.)

Es war ein wehmuthsvoller Gang, der uns heute hierher führte, hierher in diese feierliche Trauer-Versammlung, hierher an den Sarg. Sinnend bleiben wir vor demselben stehen und schauen im Geiste noch einmal in das verklärte Antlitz unserer entschlafenen Brüder. Die Suchenden haben ihre Wanderung beendet. – Doch die Trauerloge gilt nicht allein der Erinnerung an deine verstorbenen Brüder, sondern auch der Mahnung an deinen Tod. Wie lange wird es dauern, dass auch du Abschied nehmen musst von alle dem, das dir auf dieser Erde lieb und theuer ist! Bist du bereit? Kannst du jetzt dem Allwissenden getrosten Muthes Rechenschaft ablegen? Wohin geht dein Weg? Etwa gar in Schmach und Schande, in Elend und Verderben? Nun, dahin führt der Weg des Freimaurers nicht, wir ziehen nach der Heimath, ins Vaterhaus. Dahin führt aber nur ein Weg, die Liebe, die Liebe zu den Brüdern, die Liebe zu Gott. Drum laute unser Gelübde an diesem Sarge:

Unsere Liebe soll nimmer aufhören

1. zu unseren Todten,
2. zu unseren Lebenden und
3. zu unserem Gott.

1. Unsere Liebe zu unseren Todten soll nimmer aufhören.

Weshalb kamen wir doch heute hierher? Zunächst doch wohl deshalb, um unseren entschlafenen Brüdern die letzte Ehre zu erweisen, um unserer Liebe zu ihnen noch einmal an dieser geweihten Stätte schmerzbewegt Ausdruck zu geben. Ja, wir liebten sie, sie gehörten zu uns, sie begehrten gleich uns einst als freie Männer von gutem Ruf Einlass an jener Pforte, sie legten wie wir ihre Hand auf Bibel und W., sie arbeiteten gleich uns an dem Sinnbilde des unvollkommenen inneren Menschen, sie trockneten die Thränen der Armen und Nothleidenden, sie suchten Gottes Reich unter ihren Mitmenschen zu verbreiten, bis der Herr über Leben und Tod ihnen gebot: Kommt wieder, Menschenkinder! Thut Rechnung von eurem Haushalten! – Wir aber nehmen Abschied von ihnen. Und was für einen Abschied! Es ist ein langer, vielsagender Blick, den wir ihnen in die Ewigkeit nachsenden.

Unsere Liebe zu ihnen soll nimmer aufhören.

Im Geiste treten wir heute hin noch an so manches theure Grab, an das Grab des treuen Vaters – o, sie haben einen guten Mann begraben, doch mir war er mehr! – an das Grab der sich für ihren Sohn aufopfernden Mutter – du kannst alles in der Welt wiederfinden, nur nicht das Mutterherz, das so heiss für dich schlug, – an das Grab der unvergesslichen Gattin, die dir die beste Freundin auf dieser liebesarmen Erde war, an das Grab deines geliebten Kindes, das die innigste Freude deines Lebens ausmachte, an das Grab des treuen Freundes. Auch auf eure Gräber, ihr Verklärten, legen wir heute mit wehmüthigen Gedanken die Kränze der Liebe und der Dankbarkeit, aber auch des Glaubens und der Hoffnung. Wir werden, wir können euch nicht vergessen. Unsere Liebe zu euch soll nimmer aufhören. Auf Wiedersehen! –

Meine Brüder! Wohl ist es recht und billig, dazu für uns tröstlich und heilsam, unseren Todten unauslöschliche Liebe zu bewahren; doch lasst uns darüber nur nicht die Liebe zu den Lebenden vergessen! An diesem Sarge wollen wir auch geloben:

2. Unsere Liebe zu unseren Lebenden soll nimmer aufhören.

Damit wende ich mich zuerst an euch, ihr jüngeren Brüder, die ihr erst kürzere Zeit unserem edlen Bruderbunde angehört. Wie wäret ihr bewegt in der Stunde eurer Aufnahme! O, haltet jene denkwürdige Stunde fest in eurem Gedächtniss! Gelobt heute aufs Neue an diesem Sarge: Meine Liebe soll nicht aufhören, meine Liebe zu meinen Brüdern, die mir ihr volles Vertrauen schenkten, meine Liebe zu allen meinen Mitmenschen, meine Liebe zu den Bedrückten und Elenden. Ich will es, so lieb mir der Name eines ehrlichen Mannes ist!

Und ich wende mich an euch, ihr älteren Brüder, die ihr im treuen Dienste der Loge ergraut seid. Nun gelobt auch ihr in der Erwägung, dass ihr den jüngeren Brüdern in jeder Beziehung ein nachahmenswerthes Vorbild bleiben sollt, – gelobt auch ihr an diesem Sarge: Geschlossen sei der Bund fürs ganze Leben!

Ich wende mich an euch, ihr Brüder Beamte, die ihr eine hohe Verantwortung auf euch genommen habt! Bedenkt an diesem Sarge: Ihr habt einst dem a. B. a. W. Rechenschaft abzulegen. Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern. Wir sollen in erster Linie Meister in der Ausübung der Königlichen Kunst sein und unsere Brüder durch Wort und That begeistern für die Schönheit sittlicher Vollendung, für die unvergängliche Herrlichkeit der durch Jesum verkündigten und vorgelebten Gotteskindschaft. Wir werden unser Amt gewissenhaft und erfolgreich ausfüllen, wenn wir im Hinblick auf die Ewigkeit in Liebe den Brüdern dienen. Mit fröhlicher Zuversicht auf Gottes Beistand und die Unterstützung unserer bewährten Brüder geloben wir es freudig:

Unsere Liebe soll nimmer aufhören.

Auch euch, ihr Väter, denen ein gütiges Geschick Kinder ans Herz und aufs Gewissen gelegt hat, gilt die Losung dieser ernsten Arbeit. Noch besitzt ihr sie, noch könnt ihr sie zu guten, edlen Menschen erziehen. Kommt, lasst uns unseren Kindern leben! Sorgt doch dafür, dass euch nicht der schwere Vorwurf eurer Kinder treffe: Fremde Menschen rühmten unseren Vater als einen interessanten Gesellschafter; nur schade, dass er daheim so unfreundlich und kalt war, dass wir ihn so selten zu Hause sahen! Lasst, ihr Väter, eure Liebe zu euren Kindern nie aufhören!

Ihr Gatten, die ihr noch das Glück habt, Hand in Hand mit der treuen Lebensgefährtin der Ewigkeit entgegen zu pilgern, lasst auch euch an diesem Sarge erinnern, dass eure herzliche, ungetheilte, fürsorgende Liebe vor allem der Schwester gehört. Die Loge legt Gewicht darauf, dass die Familie eines Bruders in einem guten Rufe stehe, dass das sittliche Verhalten eines jeden Bruders keusch und züchtig sei. Dass doch nie von uns gesagt werden könnte, was von jenem Treulosen berichtet wird! Jahre lang hatte er mit seinem Weibe in Zwietracht und Unfrieden gelebt. Schwer hatten sie beide zu tragen, bis der Tod dem Verblendeten die Augen öffnete. An dem Bette der Sterbenden sitzend, redete er unter Thränen von Liebe. Da klagte sie: »Ach, hättest du mir diese Liebe im Leben erwiesen! Wie glücklich hätten wir sein können! Nun ist es zu spät«. – Mein Bruder!

O lieb, so lang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.

Im Hinblick auf diesen Sarg lasst uns alle, in welchen Beziehungen wir auch zu unseren Mitmenschen stehen mögen, als Freimaurer, als freie Männer von gutem Ruf feierlich geloben:

Unsere Liebe zu unseren Lebenden, zu unseren Brüdern, zu Weib und Kind, zu Freund und Feind, zu Untergebenen und Vorgesetzten, zu Wittwen und Waisen, Bedürftigen und Betrübten, Kranken und Sterbenden, – unsere Liebe zu allen unseren Mitmenschen soll nimmer aufhören.

Dieses echt maurerische Gelübde werden wir um so gewissenhafter erfüllen, je mehr wir noch das dritte beachten:

3. Meine Liebe zu dem lebendigen Gott soll nimmer aufhören.

Unsere Todtenfeier führt uns zunächst an den Sarg, um uns zu mahnen:

Nicht an die Güter hänge dein Herz,
Die das Leben vergänglich zieren!

Doch sie will uns nicht am Sarge stehen lassen, sie weist uns vielmehr hin auf unser praktisches Leben mit dem Zuruf: Bleib deiner Pflicht eingedenk! – Unsere Feier will uns endlich hinaufführen zum Licht, zum Leben, zur Seligkeit in Gott. Erst auf dieser alles Irdische überragenden, von der Morgenröthe eines neuen Tages verklärten Höhe gewinnt unsere jedes empfängliche Gemüth tief ergreifende Trauerloge ihre rechte Weihe, ihren Verklärungsglanz, ihre Hoffnungsfreudigkeit, erst auf dieser lichten Höhe gestaltet sich unsere Todtenfeier zu einer Feier des Lebens und zwar des ewigen Lebens. Wie ein gutes Kind seinem treuen Vater, ihn fest ans Herz drückend, bekennt: »Dich hab ich immer lieb!« und sich in solcher Liebe glücklich fühlt, so wollen auch wir Kinder des himmlischen Vaters – eine höhere Stellung können wir nicht einnehmen – in der Seligkeit unseres Herzens bekennen: Meine Liebe zu dem lebendigen Gott soll nimmer aufhören.

Zu dem lebendigen Gott! Das ist freilich nicht der Gott der von der Loge grundsätzlich fern zu haltenden Atheisten, die nicht an ihn glauben wollen, obwohl eine innere Stimme ihnen sagt und ihre tagtägliche Erfahrung ihnen beweist: Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen.

Der lebendige Gott! Das ist auch nicht der Gott der Materialisten, die den absoluten und kreatürlichen Geist verneinen und an seine Stelle den Stoff mit seinem Kreislauf setzen, die als ihre letzte, keineswegs beneidenswerthe Bestimmung ansehen, einmal Dünger zu werden. – Fragt man solch einen Gottesleugner: Warum verneinst du Gott? so erhält man in der Regel als Antwort: »Ich kann Gott nicht sehen«. Darauf könnte man mit Fug und Recht erwidern: Deinen Verstand vermag ich auch nicht zu sehen, und doch behauptest du selbst, du habest Verstand, du fügst sogar bescheiden hinzu, du habest mehr Verstand, als alle deine Zeitgenossen. – Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Der lebendige Gott! Das ist auch nicht der Gott der Pantheisten, die wohl die eine ewige Substanz, das allgemeine Leben in allem, doch keinen bewussten, persönlichen Gott anerkennen, die demnach die Religion, die persönliche Hingabe an den persönlichen Gott, als sinnlos betrachten, das Gebet für einen Wahn halten, die Sittlichkeit untergraben und zu den Uebeln, die auf der modernen Menschheit lasten, noch den bodenlosen Jammer der Hoffnungslosigkeit fügen. Man sage nicht, das seien philosophische Grillen, die auf das Leben der Menschen keinen Einfluss hätten. Einen bedenklichen praktischen Commentar zu jenen philosophischen Grillen bildet die Selbstmordstatistik, die eine solche fürchterliche Sprache redet, eine Sprache, die jeder verstehen kann. Ein Leben ohne Gott ist nicht des Lebens werth. – –

Da thut es noth, dass die Loge wieder einmal unzweideutig auf ihr altehrwürdiges Grundgesetz hinweist: Die Loge fordert von ihren Mitgliedern den Glauben an den lebendigen Gott und an die Unsterblichkeit.

Der lebendige Gott! Das ist der Gott, von dem wir mit Millionen und aber Millionen der Gegenwart und Vergangenheit in seliger Gewissheit und fester Ueberzeugung bekennen: Wir glauben an Gott, den Vater, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde.

Der lebendige Gott! Das ist der Gott, der die Welt, den Himmel mit seinem Sternenheer und die Erde mit ihren zahllosen Geschöpfen ins Dasein gerufen hat, der das Weltall in wunderbarer Weise erhält und regiert, der die Geschichte der Menschheit, der auch dein Leben einem herrlichen Ziele, dem der Vollendung zuführen will und zwar aus lauter göttlicher, väterlicher Liebe.

Der lebendige Gott! Das ist der Gott, der in unserem Gewissen, der Stimme Gottes in der Menschenbrust, zu uns redet, der sich in der Seligkeit unseres Herzens offenbart.

Der lebendige Gott! Das ist der Gott, der unseren unsterblichen Geist, den Hauch aus ihm, zu einem ewigen Leben berufen hat, zu dem ewigen Leben, dem der Tod nichts anhaben kann, zu dem ewigen Leben, wo der Pilger seine Heimath und der Kämpfer seinen Frieden, wo alles Schöne sein Vorbild und jedes Räthsel seine Lösung findet, wo Nacht in Licht sich wandelt und die trüben Erdennebel versinken vor dem befreiten Geist.

Zu diesem Gott soll unsere Liebe nimmer aufhören. Ich bin tief ergriffen gewesen, als ich vor langen Jahren die Erzählung von jenem durch viel Trübsal gereiften Greise hörte, der, von seinem heidnischen Richter aufgefordert, Gott zu verleugnen, entgegnete: »86 Jahre hat mir mein Gott nur Gutes erwiesen. Wie kann ich ihn verleugnen?« Jeder, der von uns auf sein vergangenes Leben zurückschaut, muss ebenfalls bekennen: Gott hat mir nur Liebe erwiesen, Liebe in der Freude, Liebe auch im Leide. So lasst uns ihn auch wieder lieben, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüth! Auf ihn wollen wir unser ganzes Leben, unser Denken, Reden und Thun beziehen. Er bleibe das verheissungsvolle Ziel unserer durch irdische Dinge nicht zu stillenden Sehnsucht, er bleibe das hohe Ziel unserer Wanderung! –

Dann wirst du als Freimaurer an jedem Orte deine Pflicht erfüllen, dann darfst du mit frohem Muthe deine Strasse ziehen. (Ps. 23, 6).

Dann kannst du getrost deiner Sterbestunde entgegengehen. Die lichten Engel der Liebe, des Friedens und der unvergänglichen Freude werden dein Sterbelager umstehen und deine erlöste Seele hinüber tragen in die himmlischen Gefilde, wo endlich aller Kampf und Hader aufhört, wo Gott abwischt alle Thränen von deinen Augen, wo die Noth gestillt und der Tod besiegt sein wird. Dann wird es ein seliges Erkennen sein, ein seliges Erkennen der Deinen, die du wiederfindest, ein seliges Erkennen und Nahen zu Gott in demüthiger dankbarer Freude. Dann, ja dann, wird die Liebe im herrlichsten Sinne nimmer aufhören.

Darum nehmt, meine Brüder, aus dieser ergreifenden Trauerloge das heilige Gelübde mit hinaus ins Leben: Ich will in der Liebe treu bleiben meinen Todten, meinen Lebenden und meinem Gott! Meine Liebe soll nimmer aufhören.

Br. G. Schlott.


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