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Johannisfest.

Nicht an dem gewohnten Tage feiern wir heute unser Rosenfest, die Johannisfeier; den gestrigen Tag hat der laute leidenschaftliche Kampf der politischen Parteien in Beschlag genommen und uns zu unserer friedvoll stillen Feier keine Zeit gelassen. So treten wir verspätet in den Tempel ein, und eine Nachfeier schier nur ist es des Johannistages, die wir heute veranstalten.

Doch nicht minder frohen, glücklichen Sinnes als sonst haben wir die Stätte betreten, in deren Frieden das unheilvolle Gelärm des Tages nicht dringt; gekommen sind wir in der Erkenntniss wiederum: der Mensch lebt nicht vom Brote allein, materiellen Sorgen und Genüssen; höhere Bedürfnisse der Seele zu befriedigen drängt ihn sein Ursprung und seine Bestimmung; todt ist sein Leben, wenn er sein inwendig Theil nicht nährt mit der Speise und dem Tranke idealer Gesinnung, wenn er nicht durch die Flamme idealen Strebens Herz und Gewissen läutern und reinigen und mit heiligen Antrieben zum Guten erfüllen lässt. Was Goethe in sehendem, erkenntnissklarem Verlangen seinen Faust sagen lässt:

»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu; dein Herz ist todt!
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenroth!«

Das ist eine Erkenntniss, die jedem Sterblichen, der nicht am Staube und Schmutze der niederen Sinnenwelt haftend im irdischen Leben nur vegetiren will, unausweichbar klar wird und ihn zu rechtem Verständniss des anderen Dichterwortes führt:

»Nicht an die Güter hänge das Herz, die das Leben vergänglich zieren!«

Zu solcher beseligenden Erkenntniss zu führen, ist das Ziel unserer Maurerei, die wir gerade darum die Königliche Kunst zu nennen uns erlauben dürfen, weil sie den Menschen durch ihre Kraft auf die höchste reinste Stufe wahren seelischen Adels heben will, wo

»Hinter uns, im wesenlosen Scheine
Liegt, was sonst alle bändigt, das Gemeine!«

Je mehr darum Lasten des Tages mit ihren grauen Sorgen uns drücken und schier erdrücken, je mehr die Hochfluth materialistisch-skeptischen Sinnes heranstürzt, der – weniger noch in der Wissenschaft als im praktischen Leben – zum grossen Theile das Zeichen unserer Zeit ist, je mehr Hader, Neid, Missgunst und Hass und andere egoistische Triebe der Menschennatur zu heissem und häufig so widerlichem Kampfe politischer und religiöser Tagesmeinungen Mensch gegen Menschen, Stand gegen Stand, entflammen, – – um so mehr ist es uns allen tief empfundenes Bedürfniss des Herzens, von jedem wahren Maurer aufrichtig gewollte Aufgabe seines Lebens, die Seele gesund zu baden in dem Jungbrunnen des Friedens, der unseren Tempel erfüllen soll, und mit reinem Herzen, erfüllt von hohen Gedanken auf die Verwirklichung der ewigen Ziele des Menschengeschlechtes unseren Blick zu lenken.

So wollen wir denn auch am heutigen Tage, geliebte Brüder, uns wiederum stärken, trösten, weihen und unseren inwendigen Menschen ausreifen lassen; wir wollen es thun, indem wir auf den unseren Blick lenken, dessen Namenstag wir heute begehen und nachdem wir unsere Logen Johannislogen nennen, auf Johannes den Täufer.

Fragen wir das am heutigen Tage in Kürze, was auch in heutiger Zeit noch er unserer Königlichen Kunst bedeutet, und wir von ihm zu lernen haben, um in seinem Sinne zu rechten Brüdern einer Johannisloge zu reifen.

Das erste, was uns an Johannes dem Täufer als bemerkenswerther Zug hervortritt, ist der Ort seiner Predigt, seines Wirkens. Er lehrte in der Wüste, d. h. in jenen stillen, einsamen Gegenden zur Seite des Jordanstromes, die mit dem Namen Jordansaue bezeichnet werden. Hier in dem ruhigen Frieden der Natur, die ihn umgab, fern von dem Geräusch der Städte, dem Getriebe des Tages, suchte er mit seinem Worte der Menschen Herz zu packen und zu erwärmen. Geliebte Brüder, ist das nicht ein Bild des Lebens und Strebens unserer Königlichen Kunst? Auch sie will und soll nicht ins Gewühl des Tages herabsinken; da würden von der Leidenschaft ihr reines Gewand zerfetzt, ihre sanften Mahnworte übertönt und erstickt werden. Im stillen Tempel will sie unsere Herzen weihen; »gedeckt« vor Einwirkungen der Tagesnöthe und -kämpfe sollen wir in unserem Heiligthume als echte Johannisjünger dem lauschen, was die Königliche Kunst uns zu unseres Herzens Besserung, unserer Seelenerhebung zu sagen hat.

Und dem fügt sich innig ein zweites noch hinzu. Johannes ging nicht in der Welt von Ort zu Ort, von Haus zu Haus, um sein Wort wirksam sein zu lassen; nur diejenigen, die zu ihm kamen, empfanden die Kraft und den Trost seines Wirkens. Auch hieraus können und sollen wir hinsichtlich der Verwirklichung der Ziele unserer Königlichen Kunst lernen. Es giebt Brüder, die der Ueberzeugung sind, die Maurerei müsse aus ihrem stillen Frieden, aus ihrer Abgeschlossenheit heraustreten auf den Markt des Tages; im Kampfe politischer und religiöser Meinungen solle sie Partei ergreifen und sich an die Spitze der Kämpfer stellen; die Logen sollten, so meinen jene, sichtbarer hervortreten im profanen Leben. – Ich meine, dass die, die so reden, irren, und dass wir uns von Johannes Beispiel lenken und leiten lassen müssen. Wer von der Königlichen Kunst sich bereichern lassen will mit dem, was im Herzen selig und froh macht, den sollen wir nicht suchen, der muss zu uns kommen; eine Profanation der Loge wäre es, wenn sie suchend in das Tagesleben hineinstiege; aber noch mehr eine Profanation, wenn sie, ihre wahre Aufgabe vergessend, die darauf hinweist, im Wechsel der Tage das Bleibende zu finden, vielmehr ihre Pflicht glaubte darin erkennen zu wollen, gerade in den wechselnden Tagesmeinungen, Tagesparteiungen, Tagesbestrebungen selbst Partei zu ergreifen. Die Königliche Kunst würde sich selbst aufgeben und verleugnen, wenn sie solches thäte.

Ein weiteres zeigt sich uns in hervortretender Weise bei Johannes. Er lebte auf die einfachste Art, grobes Gewand, aus Kameelshaaren gewebt, kleidete seinen Leib; er nährte sich in bedürfnisslosester Weise. Es ist das kein Zufall, meine geliebten Brüder. Es ist eine feststehende Thatsache, dass nichts mehr die Seele des Menschen verweichlicht, schwächt und von der Erreichung wahrhaft hoher Ziele abhält, als eine Versenkung in so materiell Irdisches, wie Ueppigkeit und Wohlleben sie darstellen. Und da scheint es doch fast, als ob gerade diese Lebensweise des Johannes so recht theilweise auch eine Mahnung für das Logenleben unserer Zeit wäre. Hat nicht das Streben unserer Zeit, das auf Ueppigkeit und Wohlleben geht und in materialistischer Weise in sinnlichem Genüsse schwelgt, theilweise auch schon sehr auf das Leben mancher Logen Einfluss geübt, gleich üppig gleissendem Unkraut, das das Edelkraut der Königlichen Kunst zu überwuchern und zu ersticken droht? Kurze Logenarbeit, lange Tafelfreuden; magere geistige Anregungen, eine lange Reihe gesellschaftlicher Vergnügungen – –, das ist zum Theil wirklich ein Uebelstand, der im Logenleben unserer Tage zur Erscheinung tritt und manche Logen fast zu blossen geselligen Vereinigungen zu erniedrigen droht. Wenn man von manchen Logen hört, wie sie ihre Räumlichkeiten dem täglichen Billard- und Kartenspiel der Brüder, Kaffeekränzchen der weiblichen Angehörigen der Brüder, Bällen und Tanzvergnügungen in überaus häufiger Wiederkehr öffnen, da kommt einem unwillkürlich der Gedanke: Zieht nicht manchen Suchenden, der solcher Loge beitritt, theilweise wohl der Gedanke dahin, vorzugsweise frohe Gesellschaftsfreuden zu finden und nicht vor allem das sehnende Gefühl, die Seele zu heben und zu adeln? Besser wäre es wohl für das wirkliche Gedeihen der Logen und ihr inneres Wachsthum und Ausreifen, wenn überall, ohne dass dabei im geringsten die wirkliche Freude und Erhebung brüderlichen Beisammenseins gemindert würde, gesellige Vergnügungen auf ein knappes Maass eingeschränkt werden könnten. Wenn dann einige Suchende weniger in die Logen kämen, die jetzt der Gedanke geselligen Wohllebens lockt, die Königliche Kunst hätte fürwahr daran nicht Schaden, sondern Gewinn.

Was wir an Johannes schier am meisten bewundern, ist der Mannesmuth ehrlicher treuer Ueberzeugung, mit dem er ohne falsche Rücksichtnahme darauf, ob das, was er sagt, gefallen oder missfallen würde, offen und ehrlich seine Ansicht, sein Urtheil ausspricht. Dem Könige Herodes, den Gewaltigen und Wortführern seines Volkes ebenso wie den Niedrigen und Armen zeigt er schonungslos die inneren Schäden ihres Wesens; er reisst die gleissende äussere Prachthülle herunter, auf die in selbstgerechtem Dünkel der Mensch schaut, und weist auf die Erbärmlichkeit hin, die darunter sich birgt; er dringt auf Busse, d. h. Erneuerung des Sinnes. – Gleicht nicht die Aufgabe unserer Königlichen Kunst auch hierin der Arbeit des Johannes? Auch sie will aus der Welt des Luges und Truges uns durch Selbsterkenntniss herausführen in Reinheit der Gesinnung, sie hält uns in so manchem sinnigen Gebrauche bei Aufnahme und Beförderung in die einzelnen Grade immer wieder von neuem es vor, wie nackt und bloss und eitlen Ruhmes bar der Mensch vor seinem Schöpfer steht; auch sie – die Königliche Kunst – will, indem sie uns zu steter Arbeit an uns selbst mahnt, doch nichts anderes thun als uns zurufen: Erneuert den Sinn, auf dass es Himmel werde in Euerem Innern! – Auch die Königliche Kunst soll und muss diejenigen ihrer Jünger, die ihr wahrhaft dienen, andererseits dahin bringen, dass sie, was sie in treuer Arbeit für ihren inwendigen Menschen gewonnen haben, ohne eitle Rücksichtnahme und Menschenfurcht als beseligende Lebensgrundsätze im Inneren der Logen nicht bloss, sondern im ganzen Leben treu und offen, ehrlich und fest vertreten und auszugestalten suchen; ein Jünger der Königlichen Kunst soll das Gold, welches sie dem treu Suchenden bietet, ausmünzen und gebrauchen im täglichen Leben. – – Und auch das Sinnbild der Wassertaufe, ist es uns nicht etwas, das uns unwillkürlich an Gebräuche und Ritual unserer Königlichen Kunst erinnert? Als neue Menschen, gereinigt durch des Geistes Kraft und Gewalt, – als neue Menschen, wandelnd in Reinheit des Leibes und der Seele, – als neue Menschen, in Wahrheit der Adel des Menschengeschlechtes, so sollen wir Jünger der Königlichen Kunst uns mühen, sehend zu werden und aufzuerstehen zu lauterem Leben im Licht.

Damit wir aber ein solches Ziel erreichen, müssen wir auf ein Letztes bei Johannes achten, das Bedeutsamste und Herrlichste: Er weist auf Christum hin! Ihn preist er als den, in dem die vollendete Gottesoffenbarung sich zeigt. – Und dies ist das Grösste und Schwerste was wir von Johannes lernen sollen; auch unsere Königliche Kunst muss auf Christum hinweisen. Ich bitte, meine geliebten Brüder, mich da nicht falsch zu verstehen. Ich will nicht im mindesten – und glaube das vorhin ja deutlich ausgesprochen zu haben – in unseren Tempel hinein dogmatisches Christenthum verpflanzt sehen, ich fordere auch nicht, dass ein Suchender, der in den Tempel der Königlichen Kunst eintritt, irgend einer christlichen Confession angehören müsse. Ich stehe vielmehr fest auf dem Standpunkte: »unter allerlei Volks, wer Gott fürchtet und recht thut, ist ihm angenehm«. Aber wenn wir es nicht eine blosse Phrase sein lassen wollen in unserem Logenleben, dass wir die Bibel als »grosses Licht« verehren, so müssen wir doch das anerkennen, dass wir Christo erst die Erkenntniss verdanken, dass wir Menschen alle unter einander Brüder sein sollen, die einen Vater lieben und verehren, mit einer Zunge suchen müssen den A. B. a. W. zu preisen und mit einer treuen Liebe ihm dienen. Aus den engen Schranken einer Volksreligion, aus den noch viel engeren Schranken der scheuen Furcht vor Gott, hat Christus uns Menschen herausgeführt zu der Erkenntniss: ihr seid Brüder, die einander in Liebe dienen sollen, indem sie die Selbstsucht tilgen und tödten; ihr seid Kinder eines Vaters, zu dem ihr in kindlicher Liebe aufblicken dürft, ehrfurchtsvoll seinem Willen Euch beugend, vertrauend auf seinen Wegen wandelnd.

Und ich meine, meine geliebten Brüder, dies ist gerade auch Kern, Inhalt und Loosung einer jeden wahren Loge, das wird der Inhalt des werkthätigen Bestrebens eines jeden maurerischen Einzellebens sein müssen, mag er nun Christ sein oder Jude. Wer nicht nach Christo diese warme Gottesliebe und Nächstenliebe lernen will, die er zuerst uns gelehrt und vorgelebt hat, dessen Maurerthum bleibt doch – verzeihen Sie das Wort – ein tönend Erz und eine klingende Schelle ohne Leben und Wahrheit!

Ich bin zu Ende, geliebte Brüder, und ich schliesse mit dem treuen Wunsche, dass wir mit dem heutigen Tage ein frohes gesegnetes Jahr lauterer Arbeit und steten Fortschrittes in echtem Johannisgeiste in unserer Loge sowohl wie im Einzelleben beginnen mögen. Dann werden wir auch die »Johannisrosen«, mit denen uns ja der heutige Tag so froh beschenkt, nimmer im künftigen Leben zu entbehren brauchen; dem Auge der Welt unsichtbar werden sie uns doch schmücken und zieren, mit ihrem Dufte uns erfreuen und stärken und uns zu rechten Johannisjüngern erziehen. So werden wir dann im Garten der Welt selbst dann schliesslich den Rosen gleichen, von denen der Dichter so schön sagt:

Wenn die Rose selbst sich schmückt,
Schmückt sie auch den Garten!

Des walte der A. B. a. W.

Br. R. Diestelmann.


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