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Freimaurerei und Christenthum.

Wenn man der Meinung Vieler, und unter diesen, leider, auch Brr. Fr., ohne Weiteres folgen wollte, so wäre unser Bund nicht mehr berechtigt, zu bestehen, sondern müsste, da er von seinem eigentlichen Inhalte das Meiste verloren und an die Aussenwelt abgetreten habe, seine Mission also erfüllt sei, zu den ehrwürdigen Ruinen der Vergangenheit gezählt werden. Bei flüchtiger Beurtheilung würde man dieser Auffassung zustimmen müssen; denn, was den Inhalt der Fr. in früheren Zeiten ausmachte, ist allerdings zum grössten Theile heute Gemeingut geworden. Die Anschauung von Gott und Welt, gestützt auf Philosophie und Naturwissenschaft und im Gegensatze zu den Dogmen der verschiedenen Kirchen, wird vom Katheder herab und in ungezählten Druckwerken und Zeitschriften erörtert, denn die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei geworden. Duldung und Wohlthun, früher ebenfalls von der Fr. als besonders zu pflegende Arbeit angesehen, werden heute in den verschiedensten Vereinigungen, in Volksversammlungen und Volksvertretungen besprochen und auch, theilweise wenigstens, durch Landesgesetze ausgeübt und unzählige Wohlthätigkeitseinrichtungen sind bemüht, sich der Verlassenen und Verkommenen, der Kranken und Elenden anzunehmen. Die schönen Formen und Gebräuche der Fr. sind ebenfalls von anderen Vereinigungen angenommen und realen Zwecken dienstbar gemacht worden. Man denke hierbei nur an die verschiedenen, der Fr. entlehnten Gebilde (Odd fellows, an den jüdischen Geheimbund Bnai Brith, an die Druiden, Guttempler, Winkellogen u. s. w.), um sich von der Richtigkeit des Gesagten zu überzeugen. Endlich aber müssen wir unseren Widersachern zugestehen, dass es auch innerhalb unserer Logen nicht immer so ist, wie es sein müsste und dass neben wahrhafter Begeisterung, wirklicher Erbauung und inniger Freundschaft, auch viel Phrasen, Eitelkeiten und mancherlei Eigennutz zu finden sind.

Dennoch besitzt die Fr. auch heute noch eine Macht von ganz besonderer Bedeutung, mit welcher sie in unsere Zeit wohlthätig einzugreifen vermag, nämlich: ihre religiöse Grundlage! Die Fr. ist allerdings keine Kirche, keine Sekte, kein durch einen kirchlichen Lehr- oder Glaubenssatz gebildeter Bund; aber sie hat Religion, sie ist eine religiöse Vereinigung und würde sich von ihrem Herkommen und ihren Aufgaben lossagen, falls sie sich dieses, ihres religiösen Fundamentes entäussern wollte.

Der Grund, worauf die Fr. ruht, ist aber reines, von jeder späteren Um- und Ausgestaltung freies, von jedem Glaubens- oder Lehrsatz unbeeinflusstes Christenthum.

Mag man die Entstehung der Fr. den alten Steinmetzbruderschaften oder den naturphilosophischen Gesellschaften oder endlich den Tempelrittern zuschreiben; immer wird sie hierbei auf das Christenthum zurückgeführt werden müssen.

Dass die Steinmetzen-Bruderschaft dem Christenthume angehört und christlichen Geist gepflegt hat, das beweisen die von diesen Steinmetzen erbauten Dome, Kirchen und Kapellen zur Genüge; das beweisen die noch erhaltenen Urkunden; das beweisen die von denselben geübten Gebräuche. Wenn diese Steinmetzen, denen man, wenigstens in ihren Meistern und Gehülfen, als den Erbauern von Wunderwerken der Gothik wohl mehr als Handwerkertechnik zutrauen muss, sich hier und da bei ihren Bauwerken in Friesen, Konsolen, Portalschmuck etc., über Auswüchse und Entartungen des Priester- und Klosterlebens lustig machten, so beweist das nur, dass sie unbeirrt vom Glanze und der Macht der Kirche das Wesentliche der christlichen Religion im Auge behielten und unter sich zur Geltung brachten.

Was die naturphilosophischen Gesellschaften anbelangt, deren Begründung wir in der Renaissance- bezw. Reformationszeit zu suchen haben, so wissen wir, dank dem in neuester Zeit Erforschten, dass diese Gesellschaften bestrebt waren: Gott in der Natur zu erkennen, dass sie aber gleichzeitig das Bestreben besassen, die religiösen Gegensätze zu überbrücken und ein Gottes-Reich auf Erden nach den Lehren Jesu gründen zu helfen. Liegt darin kein Christenthum?

Hat nicht der Begründer der neueren Naturwissenschaft, Bacon of Verulam, durch seine Nova Atlantis den Beweis seiner rein christlichen Anschauung gegeben? Indem Bacon in dieser dichterischen Erzählung das Bild eines Idealstaates zu entrollen bestrebt ist, betont er ganz besonders das christliche Bekenntniss der Bewohner und führt den Umstand an, wie durch ein Wunder »das Land von dem Unglauben, wie die Reste der alten Welt von den Gewässern, errettet worden ist mit Hülfe der apostolischen wunderbaren Verkündigung des heiligen Bartholomäus«. Nebenbei sei erwähnt, dass gerade die Schilderung Bacon's von diesem Idealstaat und seinen besonderen Einrichtungen vielfach die Vermuthung aufkommen liess, dass Bacon Freimaurer gewesen sei und einer schon zu seiner Zeit bestehenden Loge angehört haben müsse.

Die Tempelritter endlich sind als ein christlicher Orden ohne jeden Zweifel anzusehen. – Dass dieser Orden, im Gegensatze zum Papstthum, freieren Anschauungen gehuldigt und ketzerische Geheimlehren gehabt haben soll, verschlägt hierbei nichts; vielmehr hat gerade diese Seite seines Daseins dahin geführt, seine nahe Verwandtschaft mit der Fr. auf christlicher Grundlage zu behaupten.

Mag nun die Fr. aus der einen oder anderen dieser Institutionen hervorgegangen oder durch Verquickung der einen mit der anderen entstanden sein, so ist die religiöse Basis derselben stets das Christenthum gewesen. –

Unsere heute noch geübten Gebräuche, unser Ritual und unsere Symbolik weisen zweifellos ebenfalls auf das Christenthum hin und würden ohne diesen Hinweis theilweise unverständlich sein. –

Aber, so könnte man hierauf erwidern, wenn dies Alles auch zugestanden werden muss, so widersprechen dieser Auffassung doch die »Alten Pflichten!« Sagen doch diese »Alten Pflichten«, Gott und Religion betreffend, klar und deutlich:

»Der Maurer ist durch seinen Beruf verpflichtet dem Sittengesetze zu gehorchen und wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein dummer Atheist noch ein Wüstling ohne Religion sein. Obwohl aber in alten Zeiten die Maurer in jedem Lande verbunden waren, von der jedesmaligen Religion dieses Landes zu sein, so hat man es doch jetzt für dienlicher gehalten, sie nur zu der Religion zu verpflichten, in welcher alle Menschen übereinstimmen und ihnen ihre besonderen Glaubensmeinungen zu überlassen, d. h. sie sollen gute und treue Männer oder Männer von Ehre und Rechtschaffenheit sein, durch was immer für Religionsnamen oder Glauben sie unterschieden sein mögen, denn dadurch wird die Freimaurerei zum Mittelpunkt der Vereinigung und das Mittel, echte Freundschaft unter Personen zu stiften, die sonst in beständiger Entfernung hätten bleiben müssen.«

»Der Maurer ist durch seinen Beruf verpflichtet, dem Sittengesetze zu gehorchen.«

Das Sittengesetz hat seine stärkste Wurzel in Gott, d. h. es ist eine mehr oder minder starke Empfindung in dem Herzen eines jeden Menschen, je nach der Vorstellung, welche er von Gott hat oder welche ihm seine Religionsstifter als solche vorgeschrieben haben, oder religiöse Erziehung ihm nahe legt. Das Sittengesetz des Buddhisten ist ein anderes, als dasjenige des Moslem; anders das Sittengesetz des Juden, als dasjenige des Christen u. s. w. Das Grundgesetz unseres Systems von Royal York führt daher näher bestimmend aus, dass die Fr. den Glauben an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele voraussetze und die Bethätigung des höchsten Sittengesetzes sei: »Liebe Gott über Alles und Deinen Nächsten wie Dich selbst«. Damit ist aber gleichzeitig ausgesprochen, dass die Fr. auf christlichem Boden ruht; denn der Meister von Nazareth ist es, welcher diese höchste und reinste Anforderung an die Menschen in ihrem Verhalten zu Gott und zu den Mitmenschen stellt. Alles das aber, was wir heute unter dem Begriffe von Humanität vereinigen, ruht nicht allein auf dieser durch Jesus verkündeten Religion, sondern ist auch durch ihn vorgelebt worden.

Das ist auch der Sinn der weiteren Ausführungen in den »Alten Pflichten«, denn unmöglich ist es anzunehmen, dass die Maurer in alten Zeiten von der jedesmaligen Religion des Landes zu sein verpflichtet waren, in dem sie lebten – also hier Protestanten oder Katholiken, dort Muselmänner oder gar Buddhisten u. s. w. Es konnten daher nur die Spaltungen innerhalb der christlichen Kirche gemeint sein, nämlich die Confessionen mit ihren verschiedenen Namen, nicht die Religionen; denn überall trieb in jenen Zeiten, namentlich in England, das Sektenwesen seine reichsten Blüthen und liess deren Bekenner im erbittertsten Kampfe gegenüber stehen. Diese Auffassung findet auch ihre Bestätigung durch eine andere Stelle in den »Alten Pflichten«. Es steht daselbst (von dem Betragen Abschn. VI) über Religionsstreitigkeiten: »Diese Pflicht ist immer streng eingeschärft und befolgt worden; besonders aber stets seit der Reformation in Britanien oder seit dem Zwist und der Trennung dieser Nation von der Gemeinschaft mit Rom.«

Die Sache der Fr. war es daher, den neutralen Boden zu schaffen, auf welchem die Brr. der verschiedensten Confessionen in Frieden mit einander verkehren konnten und ihre ideale Aufgabe: die von jedem Lehrsatz abgelösten Grundwahrheiten des Christenthums festzuhalten, damit alle dem Bunde Angehörigen sich zu demselben zu bekennen vermochten.

Lässt man aber selbst den Wortlaut jener »Gott und Religion« betreffenden »Alten Pflichten» gelten und giebt man zu, dass Religionsnamen oder Glauben, auch im weiteren Sinne gefasst, von der Fr. nicht ausschliessen sollen, sondern nur »gute und treue Männer« oder »Männer von Ehre und Rechtschaffenheit« verlangt werden, welcher »besonderen« Religion oder Glaubensmeinung, ja selbst Rasse und Hautfarbe (von letzteren sagen die »Alten Pflichten« nichts) sie auch sonst angehören mögen, so stehen diese Männer, wenn sie das höchste Sittengesetz des Meisters von Nazareth anerkennen, mit allen übrigen Brn. Freimaurern auf den Grundsätzen der allgemeinen Religion der Fr. und damit auf denjenigen des Reiches Gottes. Die Lehre des Meisters von Nazareth gilt nicht nur einem auserwählten Volke, sein Leben und sein Tod haben nicht die Gründung von Kirchen und Priesterthum herbeiführen wollen, sondern sind dem Reiche Gottes auf Erden und der festen Zuversicht auf ein Vereintwerden der Menschen mit Gott zum Opfer gebracht worden. Das Reich Gottes aber umfasst alle Menschen unter gleichen Voraussetzungen.

Die Freimaurerei hat allerdings kein Recht, sich mit dem Christus der Kirche zu befassen und denselben zu einem Gegenstande der Besprechung oder Kritik zu machen, weil sie dadurch gegen den Grundsatz verstossen würde: dogmatische Streitigkeiten nicht in die Logen zu tragen, aber die Fr. hat das Recht und die Pflicht, sich mit der Persönlichkeit Jesu, als dem Urheber auch ihres Daseins zu beschäftigen.

Die Christusidee lag seit langen Jahrhunderten in der Gedankenwelt und Vorstellung der alten Kulturvölker und trat in Sinnbildern und Mythen überall zu Tage; aber verwirklicht ist diese Idee, oder sagen wir dieses Ideal erst durch den Meister von Nazareth. Dieser historische Christus, welchen man noch am Ende des vergangenen Jahrhunderts in verschiedenen Gelehrtenkreisen für eine Art Mythus hielt, ist durch die wissenschaftlichen Forschungen der neuesten Zeit immer grösser und leuchtender geworden und überragt in seiner Eigenart die Religionsstifter Propheten und Grossen aller Zeiten als ein wahrer Friedensfürst, als ein wirklicher Heiland aller Menschen. »Jesus«, so sagte schon unser grosser Br.·. Fichte, »gehört seiner Geburt nach einem Volke, dem jüdischen an, aber seine Ideen sind Fleisch und Blut der Menschheit geworden«. Prof. Dr. Kaim in Zürich, einer der wissenschaftlich bedeutendsten Theologen, erklärt in seinem »geschichtlichen Christus« (Zürich 1865): »in der Neuheit, Völligkeit, Einzigkeit dieses Gottesbewusstseins ist die Person Jesu allerdings eine isolirte Thatsache in der Weltgeschichte«.

Wie in grossen Propheten, Dichtern, Staatsmännern und Reformatoren sich der Geist der Zeiten gewissermaassen verdichtet und zum befreienden Wort, zur erlösenden That wird, so haben die religiösen Fragen der Menschheit, all das Ringen nach Gott, nach Frieden, nach innerem Glück, sich, gleich Strahlen, in Jesus vereinigt, um von ihm aus, als Sonne des Gottesbewusstseins, die Menschheit zu erleuchten, zu erwärmen, zu beleben. Der Meister von Nazareth hat als Mensch gedacht und gerungen, wie er das ihm vorschwebende Ideal, ein Messias seines Volkes zu sein, zur Wirklichkeit werden lassen könnte; er hat dieses Ziel überholt und ist zu einem Erlöser der Menschheit geworden. Jesus hat keine Kirche gegründet, keine Dogmen niedergeschrieben oder verkündet, sondern lediglich sein Vorbild und seine herrlichen Gleichnisse wirken lassen. Im Gegensatz zu allen Grossen dieser Erde hat er nicht auf Mittel verschiedener Art gesonnen, um zu seinem Ziele zu gelangen, sondern sein Weg war der Weg der Wahrheit, und seine Mittel waren sein Lebensinhalt. Bei dem Meister von Nazareth gilt nur seine Persönlichkeit, seine Ueberzeugung und die Wahrheit seiner Lehre durch das eigene Beispiel. So ist Jesus in der That der Eckstein geworden, d. h. der Schlussstein und die Krönung des Baues, den das Suchen nach Gott, nach Frieden und nach einem besseren Jenseits durch lange Jahrhunderte zwar aufgerichtet hatte, aber unvollendet stehen lassen musste – des Tempels, in welchem wir den Altvater anbeten und uns mit unseren Mitmenschen als Brüder zusammenfinden.

Dieses Christenthum, oder sagen wir, um das Dogma auch nicht mit dem Namen zu berühren, dieses Reich Gottes nach den Lehren und dem Leben Jesu ist auch das Wesen der Frm., ist die Einheit im Geiste, die alle sich hierzu bekennenden Bbr. umschliesst, welcher besonderen Religion sie auch sonst durch Geburt und Erziehung angehören mögen.

Br. J. Bertrand,


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