Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ueber Humanität.

Der Sieg der Humanität ist das Ideal, welches bereits seit den Uranfängen der Geschichte die edelsten Menschen begeisterte, dessen praktische Verwirklichung besonders den Stiftern unseres Bundes als schönstes Ziel vor Augen schwebte und noch jetzt das Dichten und Trachten jedes wahren Maurerherzens ist; dessen Vollendung hingegen, wie so mancher Ideale der Menschen sich uns oft, nachdem wir bereits frohen Muthes wähnten, sie im Geiste zu schauen, als ein luftiges Traumgebilde erwies, welches bei unserem Erwachen in Nebel zerfloss.

In solchen Augenblicken schmerzlicher Enttäuschung mochten dann wohl Zweifel über den Werth unseres Ideales in uns entstehen; glaubten wir nicht die Unmöglichkeit, es je zu erreichen, dann klar vor Augen zu sehen, drang nicht hohnlachend die Stimme der sinnlichen Welt in unser Ohr, welche im Glauben, schon gelehrige Jünger in uns zu finden, die Aneignung ihrer Grundsätze uns als den Inbegriff der höchsten Weisheit pries? Sie wollte uns eigen machen den Grundsätzen der Selbstsucht, welche sich für die Triebfeder alles Bestehenden hält und nach welcher der allein den Ruhm eines Weisen verdient, welcher unbekümmert um das Wohl oder Wehe seiner Mitmenschen, vor Nichts zurückschreckt, wo es nur gilt dem Götzen seines geliebten Ichs zu opfern, dem nichts auf der ganzen Welt heilig ist, als nur der eigene zügellose Wille. – Solche Grundsätze finden wir im Leben leider so viel verkörpert, und mit verletzender Frivolität finden wir sie ja vertreten in der anstössigen Inschrift über der Pforte jenes »freireligiösen« Friedhofes: »Macht euch das Leben gut und schön; kein Jenseits giebts, kein Wiedersehn.«

Mochten nun vielleicht in düsteren Augenblicken des Lebens auch uns Zweifel in ihren Bann nehmen, zeitweilig auch unsere Sinne trüben, nachhaltigen Einfluss auf unsere Weltanschauung zu gewinnen vermochten sie jedoch nicht. Eine innere Stimme rief uns zu: »Lass nicht augenblickliche Enttäuschung den Sieg über deine Vernunft davontragen, bewahre dir den Glauben an die Lebensfähigkeit deines Ideals – dieser Glaube allein ist im Stande, dich das Leid dieser Erde vergessen zu lassen, dich mit deinem Schicksal zu versöhnen«. Und in der That! Welchen Ersatz für den Verlust unseres Ideals könnte wohl der Materialismus jener Sinnenwelt uns bieten, der, obschon auf schwachem Menschenwissen lediglich ruhend, dennoch glaubt das Privilegium einer höheren Erkenntniss und Einsicht für sich in Anspruch nehmen zu können? Sollten wir dem gegenüber fortan darauf verzichten können, selbst zu denken, möchten wir uns in der unwürdigen Rolle gefallen wollen, gedankenlose Nachbeter der Meinungen Anderer zu sein und unsere auf festem Grunde aufgebaute ideale Weltanschauung blindlings einer Erkenntniss aufzuopfern, welche auf so haltlosem Fundamente ruht? Es ist das Geschick des menschlichen Wissens von heute, dass es dem oft ganz entgegengesetzten von morgen weichen muss, wie ja auch das Wissen der Vergangenheit vor dem der Gegenwart dahinschwinden musste, denn alles Wissen der Menschen ist stetem Wechsel unterworfen, weil es eben immer nur unvollkommenes Wissen – Stückwerk sein kann. Stückwerk wird es selbst im günstigsten Falle, sogar bei den auf der denkbar höchsten Culturstufe befindlichen Menschen ewig bleiben, ganz abgesehen von handgreiflichen Irrthümern, deren Bestimmung es dereinst sein wird, vollständig über Bord geworfen zu werden, denen dann nur noch vom Geschichtsschreiber ein historischer Werth für die Entwickelungsgeschichte der Menschheit beigemessen wird. Armseliges Menschenwissen, klägliches Zerrbild der allein dem Lenker des Alls eigenen, von keinem endlichen Wesen je auch nur annähernd fassbaren Realität, wir müssten auf Sand bauen, wollten wir dir unser ganzes Wohl und Wehe anvertrauen! Unmöglich können wir als Voraussetzung einer Behauptung etwas gelten lassen, was selbst noch im höchsten Grade eines Beweises bedarf. So gern wir der Wissenschaft überall da den gebührenden Beifall schenken, wo es ihr gelang, uns mit einem bisher unerforschten Rade im Uhrwerke des grossen Weltorganismus bekannt zu machen, so lebhaften Dank wir ihr spenden für Alles, was sie hier herrliches geleistet, wir können ihr dennoch nicht folgen im frevelnden Versuch, sich in titanenhafter Verblendung und Selbstüberhebung über den das Weltall nach einheitlichem Plane der vollkommensten Weisheit lenkenden Geist zu setzen, den Quell alles Seins und Lebens und sein Wesen mit dem beschränkten Menschenverstände ergründen zu wollen, jene ewige Kraft zu verstehen, deren Einwirkungen sich zu entziehen auch der Gelehrteste machtlos ist! Wenn wir in einem Hohlspiegel unser Antlitz betrachten, so erscheint uns dasselbe verzerrt. Wüssten wir nicht aus Erfahrung, dass unser auf solche Weise gewonnenes Bild kein uns ähnliches sei, wäre die besondere Eigenschaft des Hohlspiegels uns bisher unbekannt geblieben, weil wir nie Gelegenheit gehabt hätten, ein zutreffendes Abbild von uns in einem normal construirten Spiegel zu gewinnen, so könnten wir uns wohl versucht fühlen, dieses unserem Auge durch den Hohlspiegel erscheinende Bild für ein der Wirklichkeit entsprechendes zu halten. Auch das Wissen der Menschen gleicht solchem Hohlspiegel, welcher bei jedem einzelnen Individuum, und in jeder Culturstufe verschieden geartet, stets die verschiedensten Bilder entstehen lässt, welche zwar den trügerischen Schein von Wirklichkeit zu erwecken vermögen, während in Wahrheit kein solches den thatsächlichen Verhältnissen entspricht. Wie Viele lassen sich täuschen, und halten solche Bilder, welche ihnen der Hohlspiegel ihres Wissens von den ausser ihnen befindlichen Dingen und Verhältnissen entwirft, für zutreffend und wollen auch aus übermässigem Selbstgefühl nichts davon hören, dass das Instrument, vermöge dessen sie ihre Wahrnehmungen gemacht, ein fehlerhaft construirtes, mithin ein zum wahren Erkennen völlig ungeeignetes sei.

Erscheint uns daher Menschenwissen zu schwankend, um es zur alleinigen Grundlage unserer Weltanschauung wählen zu können, so besitzen wir doch einen anderen Quell der Wahrnehmung, der unstreitig in uns Allen wirksam und auch nicht gleich dem Wissen, dem Wechsel unterworfen ist, und unbedenklich dürfen wir hierauf unsere Welt- und Lebensanschauung aufrichten.

Die uns Allen vernehmbare Stimme des grossen Weltenmeisters ist es, welche im kategorischen Imperativ »Du sollst« uns eine sichere Richtschnur unseres Handelns giebt, uns sagt, was wir erhoffen dürfen, wenn wir nur den festen Vorsatz fassen, uns von ihr leiten zu lassen. Und weil diese Stimme es ist, die uns versichert, dass unser Streben nach der Verwirklichung unseres Ideals kein verlorenes ist, so wollen auch wir ihr folgen und fest darauf bauen, dass allem Hohn und Spott der Welt zum Trotz dieses Streben nicht umsonst gewesen sein kann, und der Glaube an den Fortschritt der Verwirklichung unseres Ideals soll uns immer wieder aufs Neue mit froher Zuversicht erfüllen.

Freilich kann die Menschenliebe immer nur in bescheidenem Maasse Verwirklichung finden, so lange noch die sinnliche Welt ein so grosses Uebergewicht besitzt. Dieses Uebergewicht macht ihr jedoch die dem selbstsüchtigen Leben entgegenstehende Welt des Geistes streitig. Wenn sie auch gegenwärtig noch nicht stark genug ist, jene nach Wunsch zu beeinflussen, so wird sie dennoch allmählich immer mehr Herrschaft über sie gewinnen, bis sie zuletzt auf Erden thatsächlich überwiegt.

Auch bei uns Maurern macht sich zu stark noch die Sinnenwelt geltend. So häufig sehen wir uns aus der Sphäre unserer geistigen Welt durch die Last unserer Materie wieder hinabgezogen in den Staub des Alltagslebens, aber immer wieder aufs Neue werden wir dem Staube entrissen, fühlen uns emporgehoben aus ihm zu jener Welt des Geistes, in welcher unser Ideal heimisch ist. Und immer mehr wird die geistige Welt über die Materie in uns, wie auch über die ganze übrige Körperwelt an Einfluss gewinnen. Immer mehr Menschen werden sich losreissen vom Staube, den festen Vorsatz fassen, fortan Bürger jener geistigen Welt zu sein, in welcher das herrliche Ideal der Menschenliebe regiert.

Zwar wissen wir, dass diese im Bereich der Erde befindliche Geisteswelt nie die Fähigkeit erlangen kann, das Ideal der Menschenliebe in höchster Vollendung zu erreichen; sind doch schwache, mit vieler Schwachheit und endlichem Willen ausgerüstete Menschen nicht im Stande, einen so hohen Idealzustand in ihrer Erdenwelt zu schaffen, wie er unter Göttern allein möglich wäre. So werden denn guter Wille und gute Vorsätze stets in ihren Erfolgen zu wünschen übrig lassen – aber dennoch kann das Humanitätsprincip in verhältnissmässig beträchtlichem Umfange unter uns an Boden gewinnen. Und wenn sogar eine unvollkommene Erfüllung desselben auf Erden ewig ein schöner Traum bleiben müsste, so würde doch das blosse Streben nach diesem hohen Ziele allein schon uns innere Befriedigung verleihen, uns glücklich machen.

Wie dem die Sandwüste durchirrenden Wanderer das liebliche Bild der Fata Morgana erscheint mit den schattigen Palmen und rieselnden Quellen, so spiegelt sich als Abglanz des ewigen Willens das hehre Ideal der Menschenliebe in unserem Geiste wieder. Und wie das Erscheinen der Fata Morgana im Stande ist, den ermatteten Wüstenpilger zu neuer Thatkraft anzufeuern, so reift durch die herrliche Erscheinung des Ideals in uns der feste Vorsatz, der Erstrebung desselben unser Leben zu weihen. Unser schwacher guter Wille tritt heraus aus uns in die Hand des ewigen Willens, wird das unauflösliche geistige Band, welches uns mit dem Vater aller Geister und durch Ihn als Mittler, auch mit allen unseres Gleichen verknüpft. Auf den Flügeln des Ideals schweben wir nun im Geiste empor zu jenen reinen Sphären der Unendlichkeit und Vollendung – unsere Psyche streift die Raupenhülle ab, hinweg sich setzend über das Schicksal der vergänglichen, dem Moder geweihten Materie.

Aber die Erfüllung unseres Ideals scheint uns doch auch mehr als ein schöner Traum. In uns bleibt der Glaube lebendig, dass wir dereinst noch in einem besseren Jenseits seiner Vollendung entgegenreifen. Denn weil eben in unserem gegenwärtigen Leben trotz aller Mühe nur Bruchstücke des Ideals gewonnen werden können, die in uns lebende Stimme uns hingegen kein Stückwerk, sondern volle Erfüllung verheisst, wollen wir der Hoffnung nicht entsagen, dass unser Ideal bestimmt ist, in einem auf das gegenwärtige folgenden höheren Leben von Stufe zu Stufe der Vollendung zugeführt zu werden und dass uns der Wille, das Gute redlich gewollt zu haben, für die That selbst angerechnet wird.

Erscheint uns unsere jetzige Welt nur als Vorbereitung für höheres, vollkommeneres Leben, so werden wir uns auch nicht entmuthigen lassen, wenn die Menschenliebe bisher unter uns noch nicht festeren Fuss gefasst hat, zumal wir wissen, dass auch die Laster Werkzeuge zur Veredelung des Menschengeschlechtes in der Hand des Allmächtigen sein können. Ein Laster hält hier auf Erden einem anderen, ihm entgegengesetzten die Wagschale, bis endlich das eine das andere überwindet und dadurch nicht allein Jenes, sondern zugleich damit auch sich selbst vernichtet. »Die Unterdrückung«, sagt Fichte, »hätte nie die Oberhand gewinnen können, wenn nicht Feigheit, Niederträchtigkeit und gegenseitiges Misstrauen der Menschen unter einander ihr den Weg geebnet hätten. Sie wird so lange steigen, bis sie die Feigheit und den Sclavensinn ausrottet und Verzweiflung den verlorenen Muth wieder weckt. Dann werden die beiden entgegengesetzten Laster einander vernichtet haben, und das Edelste in allen menschlichen Verhältnissen, dauernde Freiheit, wird aus ihnen hervorgegangen sein.« – Einen hervorragenden Beleg für die Richtigkeit dieser Behauptung bietet uns die grosse französische Revolution – trotz ihrer unmenschlichen Gräuel hat sie sich dennoch gestaltet zu einem Werkzeuge des Segens für die gesammte Menschheit. –

Der ewige Meister hatte wohl einen weisen Zweck, wenn er nicht den Menschen von vornherein als ein vollkommeneres Wesen in das Leben treten Hess; er wollte, dass wir mit den Gaben der Vernunft ausgestattet, uns im harten Kampfe um das Dasein durch eigene Kraft allmählich auf eine immer höhere Stufe der Sittlichkeit emporheben sollten. Nach schwerem Kampfe sollte sich in uns der unter dem Schutt der Materie nur schwach glimmende Funken des Geistes zur hellen Flamme entfachen, und wiedergeboren im Geiste sollten wir alsdann Theil nehmen an geistiger Freiheit und Unsterblichkeit. Herrliche Bestimmung unseres Geistes! Wie könnte es uns gelüsten, dich, selbst gegen jenen vielgepriesenen, sündlosen paradiesischen Zustand eintauschen zu wollen, der doch nur wenig der Menschenwürde entspricht. Tugend ohne Laster ist auf Erden ebenso unmöglich, wie Licht ohne Schatten. Durch das Erscheinen des Lasters fasst auch erst die Tugend unter den Menschen Fuss, denn unbewusstes Vollbringen des Guten, ohne eben zu wissen, dass es gut sei, ist keine Tugend! Diese ist vielmehr stets durch die Freiheit, auch das Böse vollbringen zu können und das Bewusstsein dieser Freiheit bedingt. Diese Freiheit aber ist es, welche erst der Menschheit den Stempel der Gottheit aufdrückt, ohne sie bliebe unsere Erde ewig zu geistiger Unthätigkeit verdammt.

War so der Eintritt der Sünde in die Welt zu unserem Heile nothwendig, mussten uns Allen Mängel anhaften, damit wir im unablässigen Kampfe gegen sie unsere Menschenwürde bethätigten, so beschränkt naturgemäss auch die dem Einzelnen verliehene unbeschränkte geistige Freiheit den vollständigen Sieg der Humanität über diese Welt, wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass das Princip der Menschenliebe auf unserer Erde dennoch immer mehr sich ausbreiten, und in immer mehr Menschenherzen Aufnahme finden wird.

Wir müssten unsere Augen ganz verschliessen, wenn wir in Abrede stellen wollten, dass die Menschheit im Allgemeinen dem Ideale der Humanität bereits wesentlich nähergerückt sei. An der Hand der Weltgeschichte werden wir inne, dass Anschauungen und Sitten der Menschen weit menschlicher geworden sind und dass somit zweifellos eine Besserung gegen früher eingetreten ist – heute sind die Schandthaten eines Nero, eines Borgia vor der Welt nicht mehr möglich!

Und sollten wir auch im Verfolg der Geschichte scheinbare Rückschritte wahrnehmen, so mögen wir nicht vergessen, dass, wie die zurückweichende Meereswoge stets von einer stärkeren Welle überholt zu werden pflegt, auch die scheinbaren Rückschritte in der Besserung des Menschengeschlechtes, stets bedeutendere Fortschritte nach sich ziehen. –

Welch herrliche Triumphe hat nicht schon auf Erden die Menschenliebe gefeiert, sehen wir nicht bereits im Alterthume in hervorragenden Heroen des Geistes sich das Princip der Humanität verkörpern, sehen wir diese nicht für Wahrheit und Menschenliebe sogar dem Tode trotzen? Und aus dem mit dem Blute der Märtyrer der Menschenliebe gedüngten Acker keimt und sprosst die Saat der Menschenliebe immer üppiger empor, in immer neuen Menschen Verkörperung findend, dieselben immer lebendiger für ihr herrliches Ziel entflammend, bis dann endlich jener grosse Meister erschien, welcher der in der Nacht der Selbstsucht befangenen Menschheit die höchste, göttliche, selbst den Geringsten umfassende Menschenliebe offenbarte, ja zuletzt als Opfer seiner grossen Liebe zu ihr in den Tod ging. Wurde er damals auch nur von wenigen seiner Zeit verstanden und recht gewürdigt, der Abglanz der göttlichen Liebe, welche von Golgatha sein brechendes Auge ausstrahlte in die Welt des Hasses, war jetzt bestimmt, nicht mehr wie bisher nur vereinzelte Geister zu erfassen, sondern Gemeingut grösserer Kreise innerhalb der Menschheit zu werden. Wie Schuppen fiel es jetzt von den Augen der noch in todtem Formenthum, in geistiger Knechtschaft und fanatischem Glaubenshass verstrickten Welt, der Vorhang zerriss, welcher bis dahin die Menschen vom Urquell der Liebe, von Gott trennte. Eine grosse Zahl von Märtyrern erstehet an Stelle jenes einen Edeln, der zwar den Tod eines Verbrechers auf Erden erlitt, dessen hehre Gestalt jedoch nunmehr im Lichte der Gottheit verklärt wie aus besserem Jenseits in die Nacht unserer Erde herüberleuchtet; in jedem neuen Blutzeugen der Liebe wird er gleichsam aufs Neue lebendig und todesmuthig erdulden sie Alle getreu ihrem Vorbilde den Opfertod. – Später freilich sehen wir auch den menschlichen Eigennutz unter dem Deckmantel der Menschenliebe das Banner des grossen Meisters von Nazareth entrollen, welchem selbstsüchtigen und herrschsüchtigen Gebahren sich als Bundesgenosse der wüthendste Fanatismus gesellt. Entstellt, kaum noch wiederzuerkennen ist bald durch die Selbstsucht und Thorheit der Menschen jene Botschaft der Alle umfassenden Liebe und der finstere Hass wüthet, gehüllt in ihr lichtes Gewand, mordend und sengend durch die Fluren der Erde, Scheiterhaufen lodern allenthalben gen Himmel, Verfolgungen, die unmenschlichsten Gräuel nehmen Ueberhand, und das Blut zahlloser, edler, erbarmungslos dahingeschlachteter Menschen schreit zum Gott der Liebe empor. Aufs Neue scheint die Menschheit geistigem Siechthume zu erliegen, wie der Dichter sagt:

»Kein einz'ges Licht mehr war zu schauen,
Kein freier Sinn, nur Bann und Joch,
Doch über allem nächt'gen Grauen
Schien hell das Licht, und schaffte doch« –

Ja, die Kraft des Lichtes musste doch endlich wieder die Nacht verscheuchen. Der freie Menschengeist erstarkte aufs Neue, zerbrach sein unwürdiges Joch, und heller denn je zuvor strahlte wiederum das Licht hernieder in die zu neuem geistigen Leben erblühende Welt.

Und mochten die Mächte der Finsterniss zeitweilig noch oft den Glanz jenes Lichtes hemmen, ist auch jetzt noch theilweise die Menschheit in Knechtschaft des Geistes versunken, die Lehre der allumfassenden Liebe und Duldung noch jetzt so vielfach überwuchert von hohlem Formendienst, das Licht ist nun zu mächtig um jemals wieder verdunkelt werden zu können; es wird nicht aufhören, immer weitere Kreise für die Menschenliebe zu erwärmen.

So muss uns auch die Stiftung des Maurerbundes als ein herrlicher Sieg der Menschenliebe erscheinen. Männer der verschiedensten Glaubensrichtung, allen confessionellen Haders müde, hinweg sich setzend über die Vorurtheile des Standes, der Nationalität, und des sich allein selig machend wähnenden Dogmas ihrer Religionsgemeinschaft, eins jedoch in dem Glauben an den ewigen Meister, an eine höhere sittliche Weltordnung und an die Unsterblichkeit des Geistes, treten zusammen, um auf diesem ihnen Allen gemeinsamen Boden sich als Brüder die Hände zu reichen zum Bau des erhabenen Tempels der Menschen- und Bruderliebe, welcher jetzt bereits durch Jahrhunderte allen Anschlägen seiner Feinde zum Trotz, durch die unermüdliche Arbeit treuer Brüder erhalten und gefördert wurde und der auch fernerhin stehen und weitergeführt werden wird, wofern nur uns, seinen zeitigen Bauleuten, derselbe Geist und dieselbe Ausdauer eigen sind, von denen unsere Vorgänger beseelt waren.

So wollen auch wir denn schaffen für den immer herrlicheren Ausbau dieses dem Cultus eines höheren Menschenthums geweihten Tempels. Das wollen wir thun aus Liebe zu Gott, und zur Menschheit, um Gottes und der Menschheit willen; das wollen wir auch unserer selbst wegen thun. Wir wollen diesen Tempel auch ausbauen in unserem eigenen Herzen. In ihm soll unser geistiges Wesen sich vervollkommnen, sich emporheben zu dem ewigen Geiste, immer mehr in seinem Geiste sich vergeistigen und erstarken in der Liebe, die von ihm stammt. Fortdauer im Geiste bedingt geistiges Vorhandensein. Der uns vom Weltenmeister verliehene Funken seines Geistes rüstete uns aus mit der Anlage zur Unsterblichkeit – unsere Schuld, wenn dereinst wenn dieser Körper in Asche zerfällt, jener Funke wieder von uns genommen wird, weil wir uns unfähig erwiesen, ihn zum fortdauerungsfähigen Geiste heranzubilden.

Der innere Drang nach geistiger Vervollkommnung war es ja auch, welcher uns trieb, um Einlass bittend an die Pforte dieses Tempels zu klopfen, hier den Anschluss gleichgesinnter Männer zu suchen. Gelingt doch vereinten Kräften so Manches, was Einzelnen zu erreichen unmöglich ist und kann doch im engen Kreise Gleichgesinnter, fern vom Getriebe des Materiellen, wo Alle gewillt sind, ihre ganze Kraft in den Dienst eines Ideals zu stellen, derjenige Zustand von Vollkommenheit erreicht werden, welcher auf Erden überhaupt möglich ist.

So öffnete sich uns denn, nach sehnsüchtigem Harren im unvergesslichsten Augenblick unseres Lebens die Pforte des Tempels, in welchem wir aus dem Getriebe des Materiellen flüchtend, eine Pflegestätte unseres besseren, geistigen Seins, begeisterte Hingabe an die Sache der Humanität zu finden meinten, und hierin fanden wir uns auch nicht getäuscht. –

Freilich erkannten wir nach unserem Eintritt in den Bund gar bald, dass, wie bei jeder menschlichen Einrichtung, so auch hier noch Manches im Argen liege, und dass es daher auch nicht ausbleiben konnte, dass unsere in das Maurerthum gesetzten idealen Erwartungen allmählich wesentlich herabgemindert wurden. Unterliegt es doch für jeden Denkenden von uns keinem Zweifel, dass der schlimmste und gefährlichste Feind unseres Bundes weder der Orden Jesu, noch der Pietismus, noch der Materialismus ist, denn gegen äussere Feinde vermag man sich schon zu schützen und seine vorbeugenden Maassregeln zu treffen, vielmehr Mitglieder des Bundes selbst es sind, welche denselben nach jeder Richtung hin blossstellen und schädigen, sodass man angesichts dieser beschämenden Thatsache schliesslich selbst dahingelangen könnte, an der Wiederkehr besserer Zustände im Bunde zu verzweifeln, wenn solches einem Maurer anstünde. Nein, so lange noch ein Funke von Thatkraft in uns wohnt, wollen wir unausgesetzt dafür eintreten, dass den unleidlichen Zuständen in unserem Bunde endlich ein Ziel gesetzt werde.

Es ist leider eine Thatsache, mit der wir uns abfinden müssen, dass neben überzeugungstreuen Maurern der alten idealen Schule, neben den Geschäftsmaurern, welche es stets gab, und auch wohl stets geben wird, die mit Zeichen, Griff und Wort mitunter recht einträgliche Geschäfte treiben, eine stattliche Anzahl von gleichfalls überzeugungstreuen Gegnern unserer idealen Lebensanschauung durch eine zu weitgehende Nachsicht bei der Aufnahme in unseren Bund hineingelangt sind, welche denselben zum Kampfplatz für ihre Sonderinteressen sich erkoren haben, die zum Glück zwar weitaus in der Minderheit, doch bei jeder sich bietenden Veranlassung zum offenen Fenster herausreden, womit sie dann in der Aussenwelt vielfach den Glauben erwecken, als ob ihre, dem Geiste wahren Maurerthums widerstreitenden Anschauungen in unserem Bunde die herrschenden seien.

Der Begriff der Humanität, auf welchen der Maurerbund jetzt vielfach gestützt ist, ist leider viel zu allgemein und verschwommen gehalten, und das nur allein bietet eine Erklärung dafür, wie wir zu so heillosen zerfahrenen Zuständen im Bunde haben gelangen können.

Als unser Meister vor dem Landpfleger Pilatus stand, und diesem darlegte, wie er dazu geboren und in die Welt gekommen sei, dass er die Wahrheit zeugen solle, da antwortet Pilatus verächtlich, »was ist Wahrheit«, denn er war wohlbekannt mit den herrschenden philosophischen Systemen, welche alle vorgeblich die Wahrheit lehren sollten, während sie doch nicht im Stande waren, den Wahrheit Suchenden über ihre grossen Mängel und ihre innere Haltlosigkeit auf die Dauer hinwegzutäuschen. Und wie dort der Begriff »Wahrheit«, so wird hier bei uns der Begriff »Humanität« leider von so Vielen missverstanden, und in einer von unseren Grundsätzen durchaus abweichenden Weise ausgelegt.

Wenn wir Maurer den Begriff Humanität zum Grundsatze unseres Bundes machen, dann können wir auch nicht gleichgültig an der Person dessen vorübergehen, welcher das hehre Banner der Menschenliebe zuerst in unserer Welt aufgepflanzt hat, und für den Sieg seines Ideales litt und starb.

Diejenigen, welche glauben, den Begriff Humanität mit dem Christenthum in einen Gegensatz stellen zu können, bedenken nicht, wie irrig eine solche Auffassung ist. So wenig wie man Moses vom Gesetz, dessen Personification er selbst war, trennen, oder sogar einen künstlichen Gegensatz zwischen Beiden construiren könnte, ebenso wenig liesse sich auch Jesus von Nazareth, der Träger der Humanitätslehre unserer herrschenden Kultur, von eben dieser Lehre trennen, oder könnte man ihn gar in Gegensatz zu derselben bringen. Ohne Moses war kein Gesetz, ohne Jesus gab es keine Humanität, wenigstens nicht für uns, und in dem Sinne, in welchem diese von unserer Zeit verstanden wird. Buddha, dessen Humanitätslehre vielleicht mit unserer von Jesus zuerst ausgesprochenen Humanitätslehre vielfache Anklänge aufweist, kommt für unsere Kultur und die Humanitätslehre derselben nicht in Betracht, abgesehen davon, dass die Humanitätslehren Beider aus durchaus verschiedenen Anschauungen entspringen. Jesus lehrt die Menschenliebe im Hinblick auf die Unsterblichkeit des Geistes und ein ewiges Leben, Buddha im Hinblick auf das Nirwana, d. h. ein Verlöschtwerden, ein vollkommenes Ausgewehtwerden wie das Licht einer Lampe, welches keine Spur zurücklässt, welche Idee bekanntlich Schopenhauer als Endziel seines Pessimismus aus der Lehre Buddhas entlehnt hat.

Können wir es uns somit nicht nehmen lassen auch in der Loge, als einer Pflegestätte wahrer Humanität, in Dankbarkeit und Liebe desjenigen zu gedenken, ohne dessen Wirken und Leben wir niemals an dieser Stätte würden stehen können, so erachten wir andererseits es als billig, dass man auch Nichtchristen, die den gestellten Anforderungen entsprechen, und welche sich mit uns auf den Boden der uns von unserem Meister überlieferten Lehre der Menschenliebe stellen wollen, die Pforte des Maurertempels nicht verschliesst. Wir wollen, dass der Israelit, der aus alter Anhänglichkeit vom Glauben seiner Väter nicht lassen mag, sich jedoch sonst ganz auf den Boden der vom Meister von Nazareth gelehrten Menschenliebe stellt, nicht geringer geachtet werde, wie jeder Christ, welcher sich zur Aufnahme bei uns meldet. Wir dürfen in der Loge weder Juden noch Christen in kirchlichem Sinne sein, dieses sind wir in unserer Kirchengemeinschaft, welche wir als Maurer keineswegs für überflüssig erachten, und für den Christen ist, wie wir wissen, Jesus von Nazareth mehr, wie der erhabene Lehrer und das leuchtende Vorbild der Menschenliebe. Aber wir thun unserem Kirchenthum sicherlich keinen Abbruch, wenn wir, sowohl Juden wie Christen, als Mitglieder der Loge nur Anhänger der Lehre des grössten Menschenfreundes sein wollen. Der vorurtheilslose Jude, und nur eben dieser eignet sich für unseren Bund, kann unmöglich an diesem aus seinem Volke hervorgegangenen Edlen irgend wie Anstoss nehmen.

Möchten doch Diejenigen, welche sich nicht auf dem Boden des christlichen Humanitätsprincips mit uns zu gemeinsamer Arbeit vereinigen können oder wollen, sich lieber ein anderes Feld für ihre Thätigkeit suchen, im Freimaurerbunde sind dieselben gewiss nicht an ihrem Platze, so achtungswerth dieselben auch sonst sein mögen. – Das Missverstehen und grundsätzlich verschiedene Auslegen der Humanitätsbegriffe hat lange genug in unserm Bunde Unheil und Verwirrung angerichtet. Der unheilbringenden Vielheit in der Auffassung unseres Grundbegriffs musste endlich ein Ziel gesetzt werden, sollte der Bund als solcher nicht in seiner Fortdauer gefährdet erscheinen, eine Aufgabe, welche der »Einheitsbund deutscher Freimaurer« übernommen hat. Aus der babylonischen Verwirrung der Anschauungen über das herrschende Grundprincip will er alle vorurteilsfreien Jünger der Königlichen Kunst, seien sie Juden oder Christen, auf den Boden der unerreichten und vollkommenen Humanitätslehre des grossen Meisters von Nazareth zurückführen zur Einheit und zum Frieden.

Kein Sieg ohne Kampf! Darum du Maurer, der du erfüllt bist von Begeisterung für die Ideale, welches Jesus von Nazareth der Welt, also auch dir gebracht, tritt mannhaft und ohne Menschenfurcht ein für den Sieg dieses wahren Humanitätsprincips in unserem Bunde, dann werden wir sicher in diesem Zeichen auch siegen, und nicht allein dir, sondern auch der Aussenwelt wird immer mehr klar werden, dass im verjüngten Maurerbunde die Menschenliebe einen ihrer hervorragendsten Vorkämpfer gefunden hat, welcher in immer weitere Kreise ihr leuchtendes Banner hinausträgt, und dass aus ihr heraus ein belebender Hauch des Geistes unsere egoistische Welt streift, welcher Blüthen der Menschenliebe allenthalben immer herrlicher hervorbringt.

Br. Wilhelm Holtschmidt.


 << zurück weiter >>