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Humanität.

Verschiedene freimaurerische Zeitschriften haben in letzter Zeit die Anschauungen solcher Brüder über Humanität gebracht, die der Freimaurerei die Berechtigung absprechen, das sogenannte christliche Princip aufzustellen oder die Lehren und das Vorbild Jesu bei ihren Bestrebungen gelten zu lassen. Sie meinen, die Humanität könne und solle nichts anderes sein, als die Fähigkeit, die dem Menschen innewohnenden Anlagen des Gemüthes und des Verstandes zu einer möglichst hohen und harmonischen Entfaltung zu bringen. Hierdurch müsse naturgemäss »ein Vollgefühl des Daseins« und damit der Genuss und die Glückseligkeit entstehen. Tritt hierzu noch das Bewusstsein erfüllter Pflicht, so sei dem Menschen, als dem nach Tüchtigkeit und Tugendhaftigkeit Strebenden, seine wahrhafte Wohlfahrt verbürgt. Das Humanitätsgefühl bekunde sich ferner, vor Allem, im Gegensatz zur Brutalität; es lasse Menschenfreundlichkeit und Menschenliebe zur Ausgestaltung gelangen, gebe daher Mitleid, Mitgefühl, Mitfreude und gewähre jedem Einzelnen, und dadurch auch der Menschheit Wohlfahrt, Genuss, Glückseligkeit. Alles das auch ohne Christenthum, ohne Berufung auf die Lehren Jesu und auch ohne Befolgung des Gebotes: »Du sollst Gott über alle Dinge lieben!«

Blicken wir doch einmal hinein in das buntbewegte Leben um uns her, auf dessen culturelle Entwickelung wir so stolz sind und namentlich auf unser deutsches Geistes- und Gesellschaftsleben. Finden wir da nicht eine Unzahl sogenannter humanitärer Einrichtungen; werden nicht Wohlthaten im reichsten Maasse gespendet; werden uns nicht geistige Genüsse an allen Ecken und Enden geboten und giebt es nicht pflichttreue Persönlichkeiten im Nähr-, Wehr- und Lehrstande? Finden wir nicht fast durchweg bei den Gebildeten die Ueberzeugung humanen Denkens und Handelns? Und dennoch empfinden wir überall, trotz Pflicht- und Berufstreue, trotz Reichthum und Ehrungen aller Art, trotz Genuss und Wohlleben eine Leere, eine Fried- und Freudlosigkeit, eine Blasirtheit, gegen die alle Zerstreuungen, die so überreichlich geboten werden, nicht wirken wollen. Und nun gar bei den Armen, bei dem sogenannten kleinen Manne, bei den gering und auch besser situirten Arbeitnehmern: Neid, Groll, Hass, Unzufriedenheit und Auflehnung, trotz aller humanitären Anstrengungen, trotz aller zu ihren Gunsten errichteten Wohlfahrtseinrichtungen. Woher das Alles? Weil man die Ausgestaltung des Menschenthums auf das Zweckmässige, rein Nützliche gestellt hat und die religiöse Empfindung darüber vernachlässigte oder letztere auf die äusserliche Zugehörigkeit zu einer der vielen Bekenntnisskirchen beschränkte. – Die Humanität im Sinne Jesu schliesst über Alles das Gottesbewusstsein, die Gottinnigkeit in sich ein und verlangt mit der Entwickelung, Pflege und Ausgestaltung der uns von Gott verliehenen Gaben auch diese in unserem seelischen Empfinden ruhende Macht, als vornehmste, höchste und allein Frieden gewährende. – Erst dann, wenn wir uns dieser Gottinnigkeit bewusst werden und auf ihrem Grunde das Zweckmässige, Tüchtige, Tugendhafte aufbauen, werden wir mit dem Zweckmässigen auch das Gute, mit dem Nützlichen auch das für unser Heil, für unsere Glückseligkeit und für das Heil und die Zukunft der Menschheit Nothwendige schaffen. Mag man sich noch so sehr dagegen aufbäumen: die in unserem Seelenleben ruhende, religiöse Empfindung lässt sich nicht wegdisputiren und selbst ernste Naturforscher haben vor dieser nicht zu beschreibenden und dennoch unwiderlegbaren Macht, als dem Quell wahrhafter Sittlichkeit Halt machen und ihr Haupt beugen müssen.

Man führt mit Vorliebe bei der Darlegung dessen, was man unter Humanität begreift, die Pythagoras, Plato, Cicero und vor Allem Sokrates in das Gefecht und geht über die Person Jesu gern zur Tagesordnung über; man übersieht aber bei der Aufzählung jener Geistesheroen, dass sie zwar Schulen gegründet, Wahrheiten festgelegt und vertheidigt haben, dass sie selbst aber nur in einem kleinen Kreise von Auserwählten verstanden wurden und ihn geistig beherrschten, niemals jedoch zu einer dem Meister von Nazareth ähnlichen Entfaltung der Persönlichkeit gelangten, die eine Welt voller Liebe, Hingebung an Gott und Menschen, Lebensfreudigkeit, Siegesgewissheit, Duldung und Demuth in sich vereinte. Man greift, wenn von den Lehren und Gleichnissen Jesu die Rede ist, gern zurück auf Moses, Buddha, Confucius und Zoroaster, aber man vergisst, dass jene Religionsstifter in ihren Lehren und Thaten mehr dem Pessimismus huldigten oder den nationalen und klimatischen Verhältnissen Rechnung trugen, oder dem zornigen, grossen, unnahbaren Gotte Altäre bauten, während Jesus den Gott der Liebe, des Erbarmens predigte, den Menschen, ohne Unterschied des Volkes und Stammes, die Gotteskindschaft brachte und ein Reich Gottes, des Vaters aller Menschen aufrichtete.

Will man mit der Humanität, ohne christliches Fundament, eine Moral herstellen, welche, wie etwa die ethischen Gesellschaften und Vereine, das Gute und Tugendhafte aus Zweckmässigkeit und Nützlichkeit zum Ziele haben soll, nun gut, so versuche man es auf diesem Wege. Es wird eine Wintersonne sein, die zwar leuchtet, aber nicht wärmt. Meint man unter »Reich Gottes« die Stellung des einzelnen Menschen zum Weltganzen bezeichnen zu können, so thue man es ebenfalls; es verschlägt an sich nichts. Diejenigen jedoch, welche in dem Reiche Gottes eine Vereinigung der Menschen sehen, die das Bewusstsein der Gotteskindschaft in sich tragen, glauben auch als Freimaurer in der Freimaurerei ein solches Reich Gottes im kleinsten Maassstabe zunächst zu finden und sehen in Jesus von Nazareth nicht den Asketen, nicht den Religionsstifter, der Kirchen erbauen, Altäre stiften und das Leben verachten lassen will, sondern den Helden, der wie kein Zweiter sein Leben ausgestaltet hat zu dem schönsten Menschenthum, zu dem herrlichsten Sichausleben in Gott, seinem Vater – unserem Vater!

Dieser Erlöser der Menschheit, dieser Menschensohn kann jedem Bruder als Vorbild eines echten Menschenthums, als Schöpfer wahrhafter Humanität gelten. Die Freimaurerei hat ein Recht mit dem Apostel Paulus (Capitel I, Vers 16) auszusprechen: »Denn ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig machet Alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen.«

Der Einheitsbund sieht in dem Meister von Nazareth Vorbild und Führer und will in der von ihm gelehrten und vorgelebten Humanität den Weg geben, welchen jeder Freimaurer gehen muss, um Gott näher zu kommen und ihm ähnlich zu werden. – Es mehren sich die Männer ausserhalb unseres Bundes, welche das dogmatische bei Seite setzend, die Persönlichkeit Jesu, den nach Religion dürstenden Menschen erlösend näher bringen. Möchte doch die Freimaurerei an der Spitze dieser religiösen Bewegung gehen und das Ziel wahrhafter Humanität im Auge behalten und im Herzen!

» Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib, denn Ihr seid allzumal Einer in Jesu« (Gal. 3, Vers 25).

Br. J. Bertrand.


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