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Es muss doch Frühling werden.

Ueber den Freimaurerbund ist gleichsam der Winter hereingebrochen. Der grösste Feind alles ernsten Schaffens, die Gleichgültigkeit, liegt wie eine schwere Schneedecke auf dem Arbeitsfelde der Maurer. Durch die wunderlichen Satzungen des deutschen Grosslogenbundes, nach welchen zu jedem Beschluss vollkommene Stimmeneinigkeit erforderlich, ist der Bund zur Unthätigkeit verdammt. Jede Schaffensfreudigkeit ist durch diese Bestimmung vollständig erstickt, denn auch das Beste kann nicht durchdringen, da sich immer noch Jemand findet, welcher aus Sonderinteressen sein veto dagegen einlegt.

Man hätte aus der Weltgeschichte die Lehre ziehen können, dass eine derartige Bestimmung den Bund zu Grunde richten müsse. Das grosse Polenreich ist hieran zu Grunde gegangen. Die Bestimmung der vollkommenen Stimmeneinigkeit im Parlamente war der Todeskeim, welcher den Untergang des Reiches zur Folge hatte. Da keine Einigkeit zu erzielen war, konnte nichts geschehen. Zank und Streit brach aus. Das Reich ging unter.

Wie man hätte voraussehen können, ist es auch bei uns gekommen. Die Minorität majorisirt die Majorität und lässt nichts zu Stande kommen. Die Folge hiervon ist Zank und Streit in allen Ecken. Schon ist der Streit aus den Mauern der Loge in die Aussenwelt verpflanzt. Mit Staunen sieht die Welt den Bund der Liebe sich gegenseitig aufs Heftigste befehden; sie kommt zu dem Urtheile: der Maurerbund hat sich überlebt.

Und wahrlich, auf dem jetzigen Wege sind wir nicht mehr weit hiervon entfernt. Wie viele geistige Kräfte werden noch Lust haben, die Sisyphusarbeit, eine vollkommene Uebereinstimmung zu erzielen, weiter zu verrichten.

Uns kann nur eins helfen – das ist eine reinliche Scheidung – durch Auflösung des deutschen Grosslogenbundes in seiner jetzigen Gestalt und durch Wiedervereinigung zu einem solchen auf neuer Grundlage. Lassen wir die Geister, die stets verneinen, ruhig ziehen, und schliessen wir uns einig und fest zusammen. Dann werden wir ein Fähnlein weniger in unserem Heere haben, aber, durch Einigkeit gekräftigt, uns viel stärker wie heute fühlen. Wir wollen die Ansicht jener kleinen Minorität gerne achten und diesen Bbr. auch fernerhin in Liebe die Bruderhand reichen – aber mit ihnen zusammen arbeiten können wir nicht, denn sonst ist es uns nicht möglich, unserer Aufgabe, die menschliche Glückseligkeit zu fördern, gerecht zu werden. Die Kluft, welche uns von Jenen trennt, ist zu gross, als dass sie überbrückt werden könnte – uns trennt von Jenen das Fehlen der geistigen Ideengemeinschaft. Um Geistesarbeit gemeinsam verrichten zu können, ist jedoch unbedingt geistige Ideengemeinschaft erforderlich.

Unsere Arbeit ist Geistesarbeit, denn die kleinen materiellen Unterstützungen, welche wir, um materielle Noth und Armuth zu lindern, leisten, sind im Verhältniss zu dem, was andere Gesellschaften in dieser Hinsicht aufbringen, so bedeutungslos, dass sie kaum erwähnt werden können.

Unsere Arbeit liegt eben auf ganz anderem Felde, Wir sollen ein Culturfactor sein. Wir bezwecken den Bau eines unsichtbaren Tempels der Verehrung Gottes im Geiste und in der Wahrheit. Damit ist nicht gesagt, dass wir uns mit einem stillen Glück für uns begnügen sollen, sondern wir sollen hiervon zeugen in der Aussenwelt, damit alle Menschen dereinst dieses Glückes theilhaftig werden; damit sich unser Gebet erfülle:

Lass den Bau vollendet werden
Dem wir fügen Stein auf Stein,
Lass ihn bald ringsum auf Erden
Aller Menschen Tempel sein.

Dieses Ziel ist aber nicht damit zu erreichen, dass wir uns traulich zusammensetzen, uns gegenseitig schöne Reden halten und dann mit dem glückseligen Bewusstsein nach Hause gehen, eine Stätte gefunden zu haben, wo das Treiben und die Unruhe der Welt uns nicht erreicht, wo unser Herz mit Himmelsfrieden erfüllt wird, sondern nur dadurch, dass wir das Heil, das wir gefunden, der Welt offenbaren und in die Herzen der Menschen den himmlischen Frieden giessen, der uns geworden. Unsere Aufgabe ist es also, die geistige Noth zu lindern, der geistigen Armuth zu steuern. Das ist unser Arbeitsfeld.

Und wie sieht es auf diesem Felde aus? Mitleid und Wehmuth muss uns erfassen, wenn wir unsere Blicke dahin lenken. Das religiöse Gefühl schwindet immer mehr und mehr und mit ihm wahre Sittlichkeit.

Unsere grösste Religionsgemeinschaft, die christliche Kirche, ist nicht überall im Stande, dieser fortschreitenden Zersetzung auf religiösem und sittlichem Gebiete Einhalt zu thun. Alle Anstrengungen, welche in dieser Hinsicht gemacht wurden, sind leider erfolglos geblieben, da die christliche Kirche die Macht über die Gemüther der Massen nicht genügend mehr besitzt.

Freilich kann man manchen Kreisen des christlichen Bekenntnisses den Vorwurf nicht ersparen, dass sie durch starres Festhalten an veralteten, mit unseren täglichen Wahrnehmungen in directem Widerspruch stehenden Glaubenssatzungen gegen ihren Willen nicht zum geringsten Theile dazu beitragen, das religiöse Gefühl im Volke zu benachtheiligen. Denn die grosse Masse des Volkes urtheilt nur oberflächlich, und wenn sie unter den Glaubenssatzungen, welche ihr aufgezwungen werden, einige findet, welche mit ihrer eigenen Wahrnehmung in directem Widerspruch stehen, so ist sie sehr geneigt, das Kind mit dem Bade auszuschütten, und verfällt so dem Unglauben. Die Sache liegt heute schon so, dass verschiedene grosse Kirchengemeinden eigentlich nur noch dem Namen nach existiren; in ihrem Herzen sind die meisten Gemeindemitglieder längst schon abtrünnig geworden. Wenn solche Kirchengemeinden nicht den gewohnheitsmässigen Zuzug durch die Geburt erhielten, sondern die einzelnen Mitglieder aus eigenem, freiem Entschluss die Aufnahme in die Kirchengemeinschaft nachsuchen müssten, würden recht viele Kirchen schon jetzt leer sein. Manche Glaubenssatzungen christlicher Gemeinschaften entsprachen dem Geiste und den Anschauungen der Zeit, in welcher sie entstanden, stellen aber heute an die Glaubenskraft der Massen, wo auch der Geringste im Volke schon mehr oder weniger aufgeklärt ist, zu starke Ansprüche, da das Denkvermögen eines Jeden nicht so weit reicht, um etwas Unglaubliches sich glaubhaft zurecht zu legen oder als ein Gleichniss aufzufassen. Mit dem Kernpunkte der christlichen Kirche haben diese Glaubenssatzungen nichts gemein; darum müssten dieselben fallen gelassen werden. Leider ist jedoch in absehbarer Zeit hierzu keine Aussicht vorhanden, da manche christlichen Gemeinschaften nur durch starres Festhalten an diesen Glaubenssatzungen sich behaupten zu können glauben und durch Fallenlassen derselben den Halt, welchen sie noch besitzen, zu verlieren fürchten. Es wird daher, wenn dieser Weg weiter verfolgt wird, nicht mehr lange dauern bis zu dem Zeitpunkte, wo religiöses Gefühl und Gottesglaube gänzlich aus der grossen Masse des Volkes verschwunden sein werden.

Darum müssen wir uns endlich einmal aus der Gleichgültigkeit emporreissen und unsere ganze Kraft einsetzen, um die Menschheit von dem Abgrunde, welchem sie entgegengeht, zurückzureissen, denn ein Volk, welches religiöses Gefühl und ideale Gesinnung verloren hat, ist degenerirt und geht unter.

Wollen wir eingreifen, so ist es jetzt die höchste Zeit; sonst dürften wir es später bitter bereuen, es nicht gethan zu haben. Wir müssen aber eingreifen, wenn wir unserer hohen Aufgabe gerecht werden wollen, wenn wir es vermeiden wollen, dass nicht dereinst die Weltgeschichte über uns als eitle Schwärmer zur Tagesordnung übergehen soll.

Wie können wir aber der Menschheit die Erlösung vom Unglauben bringen? Einzig und allein dadurch, dass wir den Kernpunkt der christlichen Kirche herausschälen und ihn frei von Formenthum und Glaubenssatzungen dem Volke bieten.

Der Kernpunkt der christlichen Kirche ist einzig und allein die Lehre Jesu von der Gotteskindschaft der Menschen. Dieses ist die Botschaft, welche einst die Herzen entflammte, welche die Gemüther im Sturme dahinriss. Diese Lehre allein ist es, welcher die christliche Kirche ihr Blühen durch so viel Jahrhunderte hindurch verdankt.

Diese Grundlage haben wir mit der christlichen Kirche gemein. Die Lehre Jesu von der Gotteskindschaft der Menschen ist Anfang und Stütze aller Humanität. Sie ist das Fundament unserer Loge sowie der weitaus grössten Anzahl der Logen des deutschen Grosslogenbundes. Sie soll und muss das Fundament aller deutschen Logen werden.

Erst wenn dieses Licht von der Kuppel unseres grossen Tempels herabstrahlt in die Welt, wird der Schnee auf dem Arbeitsfelde der Maurer schmelzen, wird der lange Winter der Unthätigkeit des Maurerthums einem neuen Frühlinge weichen. Dann wird die Welt inne werden, dass unser Reden nicht leerer Schall ist, dann wird sie sich überzeugen, dass in unseren Hütten nicht, wie so vielfach angenommen wird, Unglaube herrscht, sondern dass wir wahrhaftig einen Tempel der Verehrung Gottes im Geiste und in der Wahrheit bauen. Dann werden wir unseren Einfluss in der Welt zurückerlangen und auf das religiöse Gemüth des Volkes einwirken können. Dann wird es uns möglich sein, der Menschheit die Erlösung vom Unglauben zu bringen und sie zu wahrem Gottesglauben zurückzuführen.

Dann wird der Maurerbund der Reformator der christlichen Kirche werden. Nicht wollen wir Altäre stürzen, sondern wir wollen dem wankenden Altare, von welchem zuerst die Lehre der Liebe und der Gotteskindschaft der Menschen verkündet wurde, einige feste Pfeiler unterschieben, damit er dauere in alle Ewigkeit.

Um dieses zu können, müssen wir einig sein. Darum müssen wir zur Einheit gelangen. Unsere Loge hat das Schwert gezogen, um diese Einheit zu erkämpfen. Viele starke Streiter haben sich um unsere Fahnen geschaart, fest entschlossen, das Schwert nicht eher aus der Hand zu legen, bis die deutsche Maurerei geeinigt ist.

Möge es noch manchen Kampf und Streit kosten; der Sieg wird unser sein. Dann kommt für uns der Frühling, der Frühling einer neuen Zeit.

Wie auch in der Natur, so weicht der Winter nicht ohne Kampf dem Frühling. Unwetter und Sturm sind die Vorboten des Frühlings. Schon nahen sich diese Vorboten. Brausend fegt der Sturm durch die Lande und weckt die Gemüther auf zu neuem Leben. Wir freuen uns dieses Sturmes, denn wir wissen, dass er uns den Frühling bringt. Diese Zuversicht lässt uns die dräuenden Wolken am Horizonte vergessen, lässt uns die Mühen des Kampfes ertragen. Getrost schauen wir in die Zukunft, unsere Blicke nach Osten gerichtet.

Br. Friedrich Holtschmidt junior.


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