Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Nichts mehr von Politik!!

Nur vier Wochen in Japan und möglichst viel davon in dem unbeschreiblich beglückenden, beseligenden japanischen Theater.

Nichts von Politik! So wenig wie möglich von Politik! Diese Kontroverse in der Diät über Fünfuhrtanz im Hotel, Grundstück- und Handelsinteressen im Bordellviertel, Opposition oder Regierungspartei als Hüter der japanischen Volkstradition – war genug (wobei ich nicht ganz sicher bin, ob ich richtig berichtet habe, ob nicht etwa die Herren von der Opposition die Bordellkonzessionäre waren, die Führer der Regierungsparteien die Aufdecker!); gleichviel, vier Wochen genügten, um schaudernd einen Blick in den mefitischen Sumpf der japanischen Politik zu werfen und dann mit zugehaltener Nase und weit aufgerissenen Augen schnurstracks ins japanische Theater, das göttliche, zu entlaufen. –

 

Schon in den ersten Tagen, die er hier verbringt, ja, bereits in den ersten Stunden seiner Anwesenheit auf japanischem Boden bemerkt der Fremde an unerquicklichen Symptomen, einer ungesunden Wißbegierde, Neugier, Indiskretion, Zudringlichkeit das Wesen der japanischen Politik. – Spionage zieht um ihn immer engere Netze. Er wird ausgefragt, interviewt, umschnüffelt. Von Journalisten, Detektivs, allerlei Agenten belauert. Unter der Maske der Ehrerbietung, mit der man dem distinguierten Ausländer naht, wird er auf Herz und Nieren geprüft, werden ihm die Würmer aus der Nase gezogen, wird er über tausend wesentliche und nebensächliche Dinge ausgeholt. Man kann dieser Belästigung kaum entgehen. Ironie bleibt unverstanden. Grob darf man nicht werden. Man sieht sein Bild in den Blättern. Man ist ein bunter Hund geworden. Man hat auf Fragen nach Rußland, nach China, nach Hindenburg, nach d'Annunzio, nach 326 dem Zustand der Tempel in Peking, nach den Stiefeln der Fengarmee, nach der Influenzaepidemie in Bombay, nach dem Untergang des Abendlandes und dem Aufstieg der gelben Rasse, unter der selbstverständlich nur der Japaner gemeint ist, Antwort zu erteilen. (In der Yoshiwara hat man einen Fragebogen ausfüllen müssen, auf dem die Rubriken: Nationalität, Wohnort, Alter und ähnliches verzeichnet waren und nur die wichtigste fehlte, nämlich: ob man etwa geschlechtskrank sei oder nicht!) Was bedeutet diese asiatisch übertriebene Wißbegierde? Ist es allein Haikara? Will man vom Fremden lernen und schnüffelt seine Befähigung zum Vorbild aus? In diesem Land, in dem alle Methoden Europas und Amerikas inbrünstig nachgeahmt werden, könnte man auf die Vermutung kommen, daß man aus Harmlosigkeit, aus der Freude am Neuen, an dem Ausländischen, das dieses Volk beherrscht, Tag und Nacht seine Ruhe und Behaglichkeit einbüßen müßte. Der wahre Grund aber ist: man wittert in jedem Fremden mehr oder weniger einen politisch unbequemen, verdächtigen, irgend etwas geschickt und tückisch verheimlichenden Eindringling.

In China: ungeschminkte, eingestandene Korruption – in Japan: dieselbe Korruption, zudem noch Heuchelei. Korruptionsskandale, von denen man Stichproben machen kann, wenn man auch nur kurze Zeit sich im Lande aufhält; mächtige und populäre Führer der Parteien, die schamlos den Geheimfonds der Armee bestehlen; Nachahmung europäischer und amerikanischer Bräuche auch darin, daß ein Korruptionsskandal für die Beteiligten nicht tödlich abläuft, sondern sogar noch den Nimbus beträchtlichen Reichtums um das schuldige Haupt hinterläßt. –

 

Die Kommunisten und Anarchisten massakriert, gehängt, erschossen. Ihre Familien vernichtet. Die Geheimpolizei, vor der man keinen Schritt sicher ist: ein ungeheuerer Prozentsatz der Behörden und der vom Staat unterhaltenen Funktionäre des an sich armen Landes. Eine neue, staatlich genehmigte, von den Feudalreaktionären gewünschte und ins Leben gerufene »Arbeiterpartei«, der, wie zum Hohn, der Name einer proletarischen aufgeklebt ist und die im Grunde keine andere Funktion haben wird, als eine Scheidewand zwischen den 327 Feudaladel, das Bürgertum, die bestehenden politischen Parteien und andererseits das wirkliche Volk, das wirkliche Proletariat, die entrechteten, verelendeten, grollenden unteren Schichten Japans zu schieben, die in der »Diät« nicht vertreten sind, nicht vertreten werden dürfen, deren Recht, ja Existenz so lange verleugnet wird, bis einmal eine Explosion der Welt enthüllt, was unter dem mühsam aufrechterhaltenen Gleichgewicht Japans sich in Wahrheit verbirgt. –

 

Japan laboriert an unheilbaren Problemen: dem Problem seiner Wirtschaft – und dem Problem seiner, vom starren Festhalten an traditionellem autokratischen Feudalismus und von der Sucht, westliche Zivilisationsform nachzuahmen, zerrissenen, zerklüfteten inneren Existenz.

Japan hat eine Industrie: die Seidenindustrie. Einen Abnehmer: Amerika. Japan hat keine Rohstoffe, muß sie aus China, aus der Mandschurei holen – und Korea, das zwischen Japan und der Mandschurei liegt, wird von einem rebellischen, dem Japaner infolge systematischer Unterdrückung bis aufs Blut gehässigen Volk bewohnt. Die Notwendigkeit, Rohstoffe sich aus chinesischem Gebiet zu holen, gebietet Japan, eine starke Flotte und Armee zu unterhalten, und beide fallen der schwer kämpfenden Industrie Japans zur Last. Die Kosten trägt das immer tiefer ins Elend sinkende Proletariat des Landes. – –

Das Kaisertum, der Kaiserkult, der Kaiser-Ahnenkult ist dem Japaner identisch mit seiner Kultur überhaupt. Gibt er sie auf, so zerbricht er seine Kultur, zerschmettert er das Fundament seiner nationalen Existenzberechtigung. Andererseits aber dringt die westliche, europäische, amerikanisch-imperialistische Staatsform, die sich den wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen strebt, immer stärker in das Bewußtsein Japans ein.

An diesem Zwiespalt kann Japan zugrunde gehen. Es kann sich nicht entscheiden, wird zerrieben zwischen einander widersprechenden feindlichen Tendenzen.

Vielleicht rettet einmal ein verlorener Krieg dieses Land. – Aber, wie gesagt: Kein Wort mehr von Politik!! – – 328

 


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