Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Stop

Seit jenem Sonntage Reminiscere drei Monate.

Der Arm geheilt. Kein Kreditbrief. Kein Paß. – American Expreß sichert sich durch Formulare, Erklärungen, Unterschriften tüchtig gegen meinen Verlust. Zurück: Jerusalem, Alexandrien, Venedig. Und da sitze ich wieder an meinem Berliner Schreibtisch, vor der knallroten Backsteinkirche des Heiligen Ludwig. Die Glocken im Turm, im Kriege vor Wonne verstummt, haben Nachfolger erhalten. Sie schwingen, schwingen, wollen mit Gebimmel, Baumel gar nicht aufhören. Immer wenn man glaubt: genug, jetzt ist's zu Ende, kommt vom 77 lockeren Klöppel noch ein Nachtrag. Zudem sind sie laut und grell, die alten waren's nicht, diese da ersetzen, wirklich zeitgemäß, was an Substanz fehlt, durch Radau. Ach, ich sitze wieder in Berlin! Atmosphäre dieses gottverfluchten entgötterten Okzidents, kaum zu atmen, dick vor Lügen, Dummheit, Niedertracht, Gefühlsträgheit. Stumpfes Sichbescheiden, ohnmächtiges Herumdemonstrieren der Niederen, Schwachen, dafür gewalttätiger Übermut der anderen, zeitlichen Machthaber dieser ephemeren Epoche, die mit Krach und Hallelujah in Trümmer stürzt. Inflation, Deflation – herrliche Sinnbilder der Zeit, Erzengel zu beiden Flanken des Thrones, auf dem dieser stupide Götze sitzt: Fortschritt des Behagens.

Wahrhaftig, der Krieg vergessen. Als ob's nie Krieg gegeben hätte. Als ob's nicht schon wieder Krieg gäbe, dieser Äquator der Apokalypse von Marokko über Syrien bis China, Menetekel in ausgesprochen kyrillischen Lettern an den Horizont geschrieben, vor dem der Bürger den Kopf in dem Sand versteckt hält.

Schütter unterbrochene Flammenkette, hier, dort, jäh aufzüngelnd.

O Ceylon, Benares, Penang, wundervolles fernes China, du heilige Geburtsstätte immer erneuter Legenden der Weisheit, der Befreiung, aufwachender, neu erstehender Götterorient! – Ferner!

Dafür hier sitzen, mitten in diesen öden Mechanismus, dieses Getriebe geraten, in dem zu leben man verdammt ist, von Ekel übermannt, geschüttelt vom Gekläff des Gesindels. Und dabei dieses Staunen, diese an Entsetzen grenzende Überraschung: der Motor hält nicht, nicht stillzukriegen, immer noch stößt das Blut in gesunden stetigen Stößen zum Herzen, vom Herzen: der Zweite Band wird fertig, die »Lebensgeschichte« bis an diesen heutigen Tag vorwärts und zu Ende gebracht, das letzte Wort unter die letzte Seite gesetzt . . . ahhh! Da –

am Tage nach dem Schlußwort, das dies Buch, diese Lebensperiode beendet – ereignet sich etwas!!

Ein Brief liegt plötzlich auf dem Tisch, ein Brief aus Kairo vom Konsul. Im Keller des Hotels ist der Kreditbrief (intakt), der Paß (an den Rändern leicht beschmutzt), das Notizbuch, das heißt: alles, bis auf die Brieftasche und die wenigen Pfunde englischer und ägyptischer Währung, die sie enthielt, gefunden worden. Die Diebe haben 78 all dies (vermutlich schon in der Nacht nach dem Diebstahl) durch das Kellerfenster in das Souterrain des Hotels geworfen, dessen Portier sie mich vom Waggon aus herbeirufen hörten. Es waren offenbar kleine Taschendiebe, Diebe kleinsten Kalibers, keine von den großen, internationalen; mit Paß und Kreditbrief haben sie nichts anzufangen gewußt, sie brauchten auch für den Fall, daß sie erwischt würden, einen Milderungsgrund – und jetzt, beim Reinfegen des Hauses nach Saisonschluß hat man die Sachen alle im Keller gefunden! –

Was bleibt noch zu sagen übrig?

Dies:

In der Regel, jawohl, in der Regel hat bisher noch jeder, der mich geschädigt, verletzt oder bestohlen hat, früher oder später den verdienten Faustschlag oder Fußtritt erhalten und wird ihn, Gott mein Zeuge, fürderhin in Empfang nehmen;

den ehrenfesten, standesbewußten, entzückenden Mitgliedern der Kairoer Taschendiebsgilde aber,

die mir, ungeachtet der mageren Beute an barem Gelde,

den Erdball,

diesen unseren gemeinsamen Planeten so großmütig zurückerstattet haben,

spreche ich an diesem Wendepunkte meines Buches

und irdischen Geschickes aus tiefster Seele

meinen bis in den Tod unauslöschlichen Dank aus!!! 79

 


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