Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Haikara

Über seiner Larve trägt ein beträchtlicher Teil des japanischen Volkes noch eine andere. Oft glaubt man sich inmitten einer Nation von Lupuskranken zu befinden. Was fehlt diesem Volk, daß jeder Zehnte ein schwarzes Watte- und Pappeschild vor Nase und Mund gebunden hat? Bei dem großen Hiroschige finde ich diese abscheuliche Vermummung keineswegs, sie muß also jüngeren Ursprungs sein, und ich ahne auch, was sie im Grunde ist. Diese da haben vom Westen als eine Errungenschaft der Wissenschaft und Kultur die Bazillenfurcht übernommen und schützen sich mit ihren abscheulichen schwarzen Schilden vor dem Gesicht gegen herumfliegende Bakterien. So wie sie Grammophone in ihre trommelartig resonanzkräftigen Holzhäuser schleppen und wie sie auf ihre Holzhäuser Antennen schrauben und etliche weitere Fetische des Westens zu den alten Götzen in ihre Häuser stellen.

Ein Kapitel über die Hygiene des Ostens wäre gar nicht unangebracht. Man müßte es aber einem Soziologen, nicht einem Arzt überlassen, über die Angstzustände der Japaner zu schreiben, die den europäischen Fortschrittsbazillus verschluckt haben und noch unverdaut mit sich herumschleppen. Der Körper hat Gegengifte. Gut. Wer die übervölkerten Gebiete Indiens, Chinas, der Mandschurei und auch Japans bereist hat, muß ein fanatischer Gegner aller halben hygienischen Maßnahmen werden, solange die Geburtenzunahme durch natürliche Auswahl der Lebenstüchtigen und nicht durch Geburtenkontrolle geregelt und konterkariert ist. Die katastrophale Überbevölkerung des Orients! Und der Gespensterglaube an den Bazillus! Die Religion der Desinfektion! Trotz unglaublichen Mangels an den primitivsten hygienischen Vorkehrungen sind die Völker des Ostens geradezu aufgeschwemmt, platzen vor Übervölkerung. Die Gegengifte im Volkskörper!

307 Wunderbare Gebisse haben sie, diese Asiaten auf den japanischen Inseln. Sperrt aber einer oder eine den Mund zum Lachen auf, so sieht man das Geglimmer, Geglitzer von Goldzähnen. Auch dies der Westen. Warum Gold? Ein aufgesperrtes Maul mit Goldgeglitzer scheint hier nicht nur den Anforderungen der Hygiene zu entsprechen, sondern geradezu den Beweis für Wohlstand, Kultur und Kreditfähigkeit zu führen. Man schaut sich gegenseitig ins Maul und ist informiert.

Zwischen die Stäbchen, mit denen man im Restaurant seinen Reis, Fisch und Gemüse hinunterschlingt, ist in der Regel ein kleines Zahnstöcherlein gebettet, es sieht aus wie das Kind der Eßstäbchen. Nach der Mahlzeit glaubt man vor einem Vogelkäfig im Zoo zu stehen, solch ein Gezwitscher erhebt sich ringsum, und dann tritt sogleich das nationale Instrument der Japaner, der Zahnstocher, in Aktion.

 

»Haikara«, die große nationale Unsitte, »high collar« – der Stehkragen, besagt einiges, was den Europäer in dem Land mit der alten wunderbar bodenständigen Kultur befremdet und verletzt. Ringsum, auf den großen Plätzen von Tokyo, sieht man Statuen stehen; abscheuliche Gehröcke, auf denen sich Orden häufen, bügelfaltige Hosen aus Bronze um zu kurz geratene, nach außen gekrümmte Admiralsbeinchen. Zumeist sitzt die Bügelfalte dort, wo sie eigentlich nicht sitzen sollte. Die Taille des Bronzegehrockes, unter dem Staatsmannskopfe, der soldatischen Heldenbrust, sozusagen schief gewickelt. Es erfreut das Auge, wenn es hier und dort, in den Parks der Stadt, das Ebenbild eines auf mähneschüttelndem Roß dahergaloppierenden Samurai aus Bronze gewahrt, oder aber auf hohem Sockel einen Freiheitshelden, der seinen, einer Tonne nicht unähnlichen Körper im Kimono zur Schau trägt – ich meine jenen Freiheitshelden mit der Bulldogge an der Leine im Uenogarten. –

In einem der schönsten Privatgärten Tokyos, dem Hause des ehemaligen Präsidenten der größten Schiffahrtslinie Japans, kann man die bei Lebzeiten geformte Statue des Besitzers erblicken. – Kleiner Teich, geschwungene Brücken, lackierte Torii, Boskette aus Zwergbäumchen, gezackte Felsenstücke, ein Wasserfall – wunderbar japanisch dies alles, aber da steht er, Herr Asano, inmitten dieser Herrlichkeit, lebensgroß aus Bronze, im Gehrock, Stehkragen, Zylinderhut, 308 mit Handschuhen, Krückstock, ein leibhaftiges Konterfei der verlorengegangenen inneren Kultur des heutigen Japaners. Der Garten umfaßt das köstliche altjapanische Haus, voll der herrlichsten Schätze, aber es ist ein Museum, ein Schauobjekt für Fremde, nichts weiter, denn oben auf der Höhe des Gartens wohnt, in dem anderen, mit allen europäischen Scheußlichkeiten, Butzenscheiben, Plüschmöbeln, Messingkronen, Komfort der Neuzeit ausstaffierten modernen Hause die Familie Asano.

Im Museum, dem japanischen Haus, das, älteren Ursprungs, mit seiner wunderherrlichen Wandbemalung, seinen Seidenstickereien, intarsierten Hölzern, zartesten Kakemonos einen unerhörten Schatz altjapanischer Rüstungen, Masken, Bronzen, Brokatgewänder, Bücher, Netzukes, Porzellane bewahrt, steht das rührende Bronzedoppelbild der Eltern Mr. Asanos – rührend die Tradition, wie Japaner alte Menschen darstellen: den Greis mit einem Rechen, die Mutter mit einem Besen in der Hand, beide auf hölzernen Pantinen und in weitärmeligen Kimonos – der Sohn aber hat bereits den Kult des Stehkragens angenommen – ade altes Japan. –

 


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