Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Siebzehn Pyramiden am Horizont

Da stehen sie, vor meinem Fenster! Die Zeit, der wehende Sand, der Wüstennebel, der Sonnenglanz hat von ihnen zehn, elf wie Schatten auf die silberhelle Atmosphäre gemalt. Die anderen sechs, sieben sind starr, dunkler, ihre Kontur ungebrochen. Es sind, durch mein gutes Zeißglas zu zählen, vom Norden in Gizeh bis zum Süden in Gergieh ihrer siebzehn. Mitten inne steht die Stufenpyramide von 27 Sakkara, fast genau gegenüber meinem Fenster. Die Stufen sind mit hellem Sand bestreut, die Spitze abgebrochen. Das Pyramidenbauen scheint vor siebentausend Jahren Mode gewesen zu sein, nach diesem Aufmarsch, der sich am Wüstenhorizont bis Assuan fortsetzt, zu urteilen! Schließlich hat man wohl jedem Pharaonenbalg, als er das Zeitliche segnete, solch einen Steinklotz über die Grabkammer gesetzt! Nicht alle sind so solid getürmt wie die des Cheops, des Chephren. Aus der Nähe besehen, sieht eine und die andere aus, wie aus zu groß geratenen, flachen Kieselsteinen zusammengetakelt. Manche ragen wie abgebrochene alte Krokodilzähne, Stümpfe, auseinanderfallende Haufen empor. Menschenkraft, Schweiß, Tränen, fruchtlose Arbeit, Totenkult als Luxus – an dem Schicksal der Masse, des unteren Volkes haben die Jahrtausende nicht viel gebessert. Welcher Unterschied besteht zwischen Schützengräbenausheben und Pyramidenbauen? Selbstherrlichkeit bedient sich durch Jahrtausende der Menschenkraft, Menschenschweißes, Menschentränen, Menschenblutes, Menschenohnmacht und -torheit.

Vor den Pyramidenschatten ziehen über die beiden tiefen Arme des Nils, die durch breitgelagerte Inseln aus Sand und spärlichem Riedgras voneinander getrennt sind, zartgeschwungene schneeweiße dünne Möwenflügel langsam an dem Blick vorbei. Es sind die Segelmaste der Nilkähne, der Arabiehs. Das silberne Schimmern des Stromes zittert nur undeutlich in der Atmosphäre. Hier und da eine kleine rasch vorwärtsziehende Rauchsäule von einem der flachen Nildampfer, die Touristen aus Kairo tief nach Afrika bis zum ersten Katarakt führen.

Noch näher zum Balkon meines Hotelzimmers sehe ich die Landstraße durch den Sand sich ziehen. Auf ihr »die Flucht aus Ägypten«, täglich viele Male wiederholt: der dunkle Mann, der Weib und Kind auf silbernem Eslein langsam und fromm über die Landstraße dahinführt.

Um das Haus breitet sich ein wunderlicher Garten aus, mit traumhaft hängenden Blütenzweigen; eine Woche Ausruhen mit Freunden, dem guten Dr. S. aus Jerusalem, einem Ordensbruder des heimlichen Bundes guter Menschen, der sich um den Gedankenkern »Zion« kristallisiert hat.

Hier, in dem Wüstenkurort Heluan, sind Kranke beisammen. In der brütenden Hitze des Chamsin, einer nordafrikanischen Abart des 28 Wüstensamums, in der drückend furchtbarsten Hitze sondert der Körper keinen Schweiß ab. Menschen mit zerschossenen oder kranken Nieren, die anderswo keinen Monat länger leben könnten, sind hier beisammen, in dem aus weiten Hallen aufgebauten, üppig an das Paschadasein des ehemaligen Besitzers gemahnenden Tewfik-Palace.

Frühmorgens weckt den Schläfer in seinem luftigen Käfig aus Moskitonetzen Vogelgeschrei, Vogelgesang – aber es ist das Gebet des Muezzin aus der unsichtbaren Moschee im Ort. Bald darauf surrt, orgelt und dröhnt der englische Flieger über das Hotel hinweg. Hier irgendwo ist der Flugplatz, aus dem die englische Weltmacht ihre bedrohlich schnell segelnden Flugzeuge weit hinein in die Wüste abschießt, täglich um Sonnenaufgang, damit die Völker der Wüste es nicht vergessen mögen, wer über ihnen ist und daß der gleiche, unerbittliche Wille jeden Morgen aufwacht! Im Nil ruht der Schlüssel der britischen Weltmacht, und unaufhörlich umkreisen diesen Schatz Luftschiffschwärme, dröhnend und orgelnd, in der trockenen, Laut bewahrenden Atmosphäre. In der Ferne beschreiben sie ihre Schleifen, Flugkunststücke, Stürze und akrobatisch witzigen Gleitpassaden um die siebzehn Pyramiden herum, folgen dem Lauf des Nils, meerwärts, kataraktwärts. Wem die Luft gehört, dem gehört der Strom, das Land, alles Leben.

 

Der Tod, die Zeit aber gehört dem Sand, der tiefen rätselhaften Wüstenei, die sich dort drüben jenseits der beiden Nilarme erstreckt. Unsere kleine Karawane verläßt eines Morgens das Hotel, schwimmt auf Fähren über das Wasser, watet durch den Sand der Inseln, reitet und rollt von dem Nildorf Bedrachein landeinwärts der Stufenpyramide zu. Hinter dem Dorf, das eine fortgesetzte eklige Backschischplage ist – unser Sandwagen rollt wütend vorwärts, die Eselreiter traben wie besessen, um dem Geschmeiß von Kameltreibern, Bettlern, Fremdenführern aus dem Dorf zu entrinnen –, hinter dem Nildorf Bedrachein liegt unter schütteren Palmenhainen, tiefem Sand, verstreuten kleinen Häusergruppen begraben das sagenhafte Memphis. Aus einer Pfütze ragt, aus Alabaster geformt, eine anmutige, nur wenig aufgefrischte Sphinx; auf einem Hügel ist zwischen Palmen über dem Sand der gewaltige Torso einer Ramsesfigur gebettet. Zu beiden Seiten der 29 Straße, die über das begrabene Memphis hinausführt, in Sümpfen stehend halbnackte Männer, Frauen und viele Kinder. Auch Esel und Kamele stehen in den spiegelnden grünüberdeckten Feldern. Knietief arbeiten, von Fliegenschwärmen umsurrt, Menschen in den uralten Rieselfeldern, die den Reichtum dieses Landes ausmachen. Wie unsere Karawane von fernher sichtbar wird, patschen aus allen Gräben Kinder auf die Landstraße hinauf, um uns kilometerweit mit ausgestreckten Backschischpfoten nachzulaufen. Automobilkolonnen von Cook surren hoch oben auf dem Plateau vor den Pyramiden wie eilig dahinkriechende Raupenschwärme in unabsehbarer Reihe durch das Gelbgrau, verschwinden in einer Wüstenfalte, untiefen Mulde zwischen den grauen Sümpfen.

Jetzt sind wir über die verschüttete Welt, über die Lehmdörfer, die Rieselfelder, über Paris, London und Newyork der Vorzeit gerollt, geritten. Käme ein Erdstoß, ein Tornado, der die Decke von dieser jahrtausendealten Welt emporhöbe, über dem Erdteil zerstäuben ließe, Millionen Zellen einer phantastisch grausigen Herrlichkeit lägen bloß, jede in ihrem Glanz, in endlos erhabener Herrlichkeit aneinandergereiht, wahrscheinlich so unberührt und von leibhaftiger Gegenwart erfüllt, wie es die Mastaba des Ti ist, in die wir, in der Wüste von Sakkara, jetzt hinuntersteigen. –

 

In der Grabkammer des Ti lebt an den Wänden, in der zarten, unerhört bewegten Darstellung der Reliefs, das Dasein des alten Volkes. Leise Tönung, Farben wie aus frischen Pastellkästen umreißen die Konturen dieses Tagesseins! Fischer holen in Netzen Fische aus dem Strom, Sakiehs kreisen, von weitgehörnten Ochsen gedreht, Bäcker schieben Teig in Öfen, Schlächter schlachten Vieh und Hühner für den Markt, für des Pharao Tisch, Tänzerinnen werfen ihre feinen Glieder, strecken ihre süßen Hände in lotosgleicher Fingerhaltung wie die Wigman, Nacken und Kinn zurückgeworfen schreiten andere in andächtigem Reigen, Schuldner werden in Ketten vor den Richter geführt, Schreiber notieren auf Papyrosrollen Steuerlisten. Daneben stillsitzende, im Profil gezeichnete Statuen, von denen man nicht weiß, sind's Könige oder schon Götter? Wie waren in jener Zeit die Zeichen der Macht vertauscht, die Grenzen von Tod und Leben aufgehoben! 30 Welche Lebenssehnsucht, Lebensbestätigung in diesen Grabmälern, in denen kaum ein geringes Zeichen vom Grauen des Todes zeugt, alles aber an das Leben gemahnt, das der Tote so unwillig verlassen hat, daß er alle seine Vorgänge sich an die Wand malen, gravieren ließ, damit sie den noch unbekannten Zustand auf alle Fälle beleben sollten – wenn er doch nun einmal die paar Schritte weit unter die Erdoberfläche hinuntersteigen muß.

Ja, hübe ein Tornado die Sanddecke über der verschütteten Stadt in die Höhe – – in allen Pharaonensälen, allen Grabkammern würde man diese selben, monoton und doch millionenfältig verwandelt wiederkehrenden Darstellungen des täglichen Lebens des niederen Volkes wiederfinden. Es herrschte also doch, trotz Selbstherrlichkeit und Sklaverei, solch starke Verbundenheit zwischen dem niederen Volk und seinen Tyrannen, Gepeinigten und despotischen Peinigern! Sonderbar: in Sakkara an die Königsgemächer der europäischen Paläste zu denken, in denen hohle Kriegs- und Krönungsdarstellungen, auf die Herrscherherrlichkeit der Besitzer hinweisende, kunstverlassene Schildereien zu finden sind, nichts auf das Leben des Volkes Bezügliche wie hier, noch dazu in der höchsten Vervollkommnung der Kunstübung aller Zeiten!

Tiefer als die Mastaba liegt ein grauenhaft unmenschliches, überirdisch unausdenkbares Kultmal der niemals ergründeten, niemals ganz begriffenen Zeit – das Serapeum, Grabtempel der heiligen Stiere. In riesigen gewundenen Gängen, dunkel ins Innere der Erde hinunterlangenden, stehen die ungeheuren Granitsarkophage des Serapeums, Apis, das heilige Tier, aufbewahrend. –

Furchtbar, wie die Vorstellung des geheimen Kultes, die jahrtausendelang im Gedächtnis der Menschen weiterlebt, ist aber das gegenwärtige Erlebnis einer Wirklichkeit, einer Nacht in diesem heutigen Heluan, das ich bei der


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