Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Leben, Tod und Auferstehung in Indien

1
Bombay

Ist dieser Arc de Triomphe, den die Engländer aus schwerem Stein und protzig auf den Apollo-Kai hier unter meinem Hotelfenster hingestellt haben, um den Besuch ihres Königs Georg und seiner Königin zu feiern, wirklich die Pforte Indiens? Reisebücher behaupten es, und der Engländer, der auf dem Seeweg aus Europa in das Land eintritt, glaubt es ihnen wahrscheinlich.

Die Pforte Indiens aber ist viel eher das düstere, aus dem Granitberg gehauene Tor des Felsentempels drüben in der Bucht, auf der geheimnisvollen Insel Elephanta. Tritt man in dieses schaurige, von breiten Säulen getragene Heiligtum ein – ein Berg lastet auf diesen Säulen –, so löst sich aus dem Dunkel das ungeheure Dreihaupt: Brahma, der Schöpfer, Schiwa-Wischnu, der Erhalter, Schiwa-Rutra, der Zerstörer, langsam und todernst heraus; an den beiden Flanken im Fels reckt sich der Lingam, der steinerne Phallus, aus der Steinhöhlung der Felsenschale heraus, die den weiblichen Schamteil versinnbildlicht, aktive und passive Gewalt der Schöpfung vereint sich zum Glaubenssymbol, dem Kruzifix des Hindu.

Das Tor ins Allerheiligste dieses Mutterlandes der Religionen tut sich aus dem Dunkel der Erde auf, es führt in den Bergesschoß und hinunter in die brauende Legende des Weltschicksals. Leben und Tod stehen zu beiden Seiten nur wie die verstümmelten Torwächter aus Felsgestein, der Ruhende Gott und der Tanzende Gott, zweierlei Personifikationen des einen, rätselhaft Ewigen, an dessen Sinn sich das Vorstellungsvermögen des irdischen Hirns seit Urzeiten entzündet und zerstößt.

Leben und Tod und das Dritte, tief im Felsenberg Verborgene, von keinem Menschenwerkzeug je aus dem Innern der Welt herausgehauene 132 Mysterium der Auferstehung, – ich habe sie alle drei im Sonnenglanz unter dem flimmernden Himmel des heißen Landes erblickt, das Trimurti des irdischen Menschen, an der Pforte Indiens habe ich das geheimnisvoll lächelnde Dreigesicht aus der Höhle der Insel auftauchen sehen, übergroß, doch nicht schrecklich, aus dem Stein des Felseneilandes Elephanta in der Bai von Bombay.

 

Der Jaintempel ist ein kleines, verstecktes, ärmliches Heiligtum mitten in der geräuschvollen Bazarstadt des alten Eingeborenenviertels. Um ihn herum lebt das niedere Volk der reichen Stadt in einem Winkelwerk von engen Gassen und Gäßchen, zusammengepfercht in oft bis zu sieben Stockwerken emporgereckten Mietskasernen.

Die Jain sind eine den Buddhisten nah verwandte Glaubensgemeinschaft, die von der Fortdauer und Wiederverkörperung der Seele, nachdem sie alle Stadien der irdischen Prüfung durchlaufen, eine besonders innige Anschauung hat. Der Jainismus war es, der den Hinduglauben dermaßen beeinflußt hat, daß seine Befolger das Tieretöten und Fleischessen aufgaben (Ramakrischna ist noch ein gewaltiger Jäger!); ein milder Glaube.

Am Rande des Gebäudekomplexes, der zum Bezirk des Jaintempels gehört, ist ein kleiner Platz von fremdartigen, ganz kleinen Häusern und Höfen gelegen. Er fällt zuerst dadurch auf, daß um einen Brunnen in seiner Mitte und auf den Firsten der Häuser ringsum Tausende grauer Tauben sitzen, Körner pickend, mit den Flügeln schlagend, gurrend; es ist aber kein Markusplatz, die Tiere finden ihre Nahrung immer erneut aus den Händen der Armen, die in diesem Bezirk um den Jaintempel ihre Wohnstätten haben.

Eine Häuserecke weiter tritt man durch ein breites Tor in einen weitläufigen Hof. Zuerst glaubt man in ein großes Schlachthaus gekommen zu sein, eher noch auf einen Schindanger – es ist aber genau das Gegenteil: es ist Pantschrapol, das jainische Altersheim für alte, kranke, ausrangierte Tiere; Pferde, Hunde, Rinder, viele Gattungen sind vertreten.

So ist da z. B., von Draht umgeben, ein kleines Bassin, in dem ein einsames, altes Stachelschwein döst. Es liegt ganz müde und stumpfsinnig da, hat noch alle seine Stacheln, benutzt sie aber offenkundig nicht mehr; es läßt die Welt in Ruhe und wird von ihr in Ruhe gelassen.

133 Aus einem der Ställe ringsum – er trägt in diesem Zoo eigener Art die erklärende Tafel: »Weakcattle« (»Schwaches Vieh«!) – kommt ein greiser, schwarzgrauer, ganz aus dem Leim gegangener Ochse herausgetrottet. Nachdenklich bleibt er vor dem schlafenden Stachelschwein stehen, wie ein alter Berufsgenosse, der einmal mit dem nun gleichfalls pensionierten Freund Erinnerungen auffrischen möchte; nach einer Weile aber macht er kehrt, trollt sich in seinen Stall zurück, wo er sich aufs Ohr legt, dem Tod entgegenzuschlafen.

(Weiß Teufel, warum ich plötzlich an das »Haus der Gelehrten« denken muß, das ich vor fünf Jahren im Winter an der Newa besucht habe?)

Nebenan trägt ein Stall die Aufschrift »Blind Cattle«. Sodann ist da ein Drahtverschlag, hinter dem ein halb Dutzend armer räudiger Hunde sein armseliges Leben fristet. Ein kleiner, ganz heruntergekommener Foxterrier sitzt da, mit rosigem Schorf über seinem zitternden dürren Leib, kann nur mehr blinzeln, während andere noch ziel- und zwecklos herumlaufen, sich zuweilen verzweifelt an dem Gitter wundreiben, sich ein wenig beriechen, wohl auch noch munter zu springen versuchen, bis sie sich dann müde in einer Ecke beim Futtertrog verkriechen. –

Ein Stall ist da, mit alten Kühen ohne Milch, und einer mit Rindern, die gebrochene Beine, ganz grotesk und schief zusammengewachsen, vor sich her schlenkern, von sich strecken oder hinter sich herschleppen. Und in einem anderen nebenan stehen, pathetisch anzusehen, alte Rosse, müde und stumpf.

Über all dies Vieh, das da seinem Nirwana entgegenträumt, braust der Lärm des geschäftigen Bazars hinweg. Das Klingeln der Wagen und Trams flattert in den Frieden der armen Kreatur herein, die die Ehrfurcht der Jain vor dem Geschlachtet-, dem Geschunden-, dem Gefressenwerden, dem Mord schützt. Leichtfertige Affen turnen im Geäst der Bäume von Pantschrapol; halbnackte Wärter der Tiere gehen zwischen den Drahtverschlägen auf und nieder, schleppen Futter herbei, fegen Unrat davon, heben grüßend die Hand zur Stirn, lächeln froh, wenn sie eine kleine Nickelmünze erhalten, wissen nicht, wo sie sie hinstecken sollen, so nackt und arm sind sie.

Unterm Torbogen, da ist eine Büchse, man kann Gaben in sie werfen, 134 für den Unterhalt der Tiere; und im Tempel der Jain, der mit goldgerahmten Porträts zeitgenössischer Stifter und Apostel der Sekte geschmückt ist, hat der Abendgottesdienst angefangen. Jawohl, man kann ihn fast einen Menschendienst nennen. Durch das Tor des weitläufigen Gebäudes neben dem Tempel strömen und stürmen unaufhörlich die Massen des Orientvolkes, Alte und Junge, jeder hat für sich zu sorgen, und bald bin ich von einer Schar staunender und gaffender Menschen umgeben, denn hierher verirrt sich selten ein Fremder, was hätte er auch hier zu suchen. Ich stehe selber wie ein altes müdes Vieh da und mache mir meine Gedanken – wer wird für mich sorgen, wo werde ich mich niederlegen dürfen, wenn ich nicht mehr weiter kann? Für unsereinen gibt's kein Pantschrapol.


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