Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Geisha

Man kann, bei großen offiziellen Festen, die sich in Theatern, Tempeln, auf der Straße (z. B. bei der Eröffnung eines Bahnhofes oder einer Straßenbahnlinie), in Parks, bei Banketten abspielen, der Geisha begegnen. Sie ist überall zugegen, wo Freude, Schönheit, Zeremonie und Tradition ihren Platz einnehmen in dem öffentlichen und privaten Leben der japanischen Gesellschaft.

Kleine Geisha

Kleine Geisha

Der Geisha ist im Leben des Volkes eine bevorzugte Stellung eingeräumt. Sie ist Schauspielerin, Tänzerin ebensogut wie Priesterin. Priesterin der japanischen Schönheit, die ja, immer mehr kommt mir das zum Bewußtsein, zugleich Japans Religion ist. Sie ist die Hetäre Japans, Verkünderin und Spenderin der Lebensfreude, des von den Göttern dem Menschengeschlecht zugedachten Genusses. Als Kind ist sie von ihren Eltern schon diesem Beruf geweiht – der jetzt, da die Tradition dem modernen Geist des Amerikanismus zu weichen beginnt, seinen Sinn und Bedeutung ändert.

Was ist die Geisha heute noch? Ihr Beruf hat bereits eine merkliche Beimengung von Prostitution erfahren. Aber dies ist im Grunde eine Profanierung des Begriffs Geisha, denn das Kind wurde ja von seinen 317 Eltern nicht verkauft, um den Lüsten irgendwelcher Mädchenjäger zum Opfer zu fallen, sondern es wurde seinem Beruf, der lange Vorbildung, Ausbildung und Durchbildung zur Meisterschaft erfordert, zugeführt, in die Hände gewiegter, kenntnisreicher und wohlwollender alter Frauen gegeben, ehemaliger Geishas, die Künstlerinnen waren und geworden sind und die nur so viel von der Kupplerin beibehalten haben, wie der Kunst der Schauspielerin, der Tänzerin von Erotik innewohnt.

Es ist eine lange, sehr lange Schulung nötig, um die sakralen Tänze, die vielen hundert Tänze der Tradition zu erlernen, den Gesang, das Samisen-Spiel, das feine, leise Sprechen, die Zeremonie des Tee, den Kult des Teeservierens, den geistigen Schliff, das zarte Schweigenkönnen bei Anwesenheit geistreicher, kenntnisreicher, vornehmer Männer.

Das Teehaus ist Klub zugleich, und nicht wenige offizielle Funktionen, Bankette, Besprechungen finden im Teehaus statt, in der Anwesenheit schöner, zarter, in herrliche Seidengewänder gekleideter Geishas, denen oft nicht verwehrt ist, ein Wörtchen mit ins Gespräch zu werfen, die nicht allein in den Pausen des Gesprächs oder während des Essens und des Ruhens hereingerufen werden, um ihre Tänze, ihre pantomimischen Spiele aufzuführen.

 

In Tokyo, von einem japanischen Studenten geführt, treten wir in eines der Teehäuser ein, die in der Nähe des Glückskwannontempels, unter Bäumen am Rande des Asakusaparks, sich aneinanderreihen. Wir lassen unsere Schuhe unten vor dem Eingang und werden in einen kleinen mit Matten belegten Raum hinaufgeführt, in dem nur ein niederes Tischchen und ein viereckiger, aus einem Baumstamm ausgekerbter Aschbehälter steht. Wir haben bei der Besitzerin des Hauses drei Tänzerinnen bestellt und hocken nun, unbequem auf dem Boden, ein bißchen frierend trotz der Glut im Aschbehälter, um das Tischchen, auf dem in einer zierlichen Schale heißer, die Zunge beizender Reiswein ist, Süßigkeiten, buntes, süßes Püree mit kleinen Schmetterlingspapieren, auf Zahnstochern in das Püree gesteckt, aufgebaut sind. Madame kommt und mit ihr eine ältliche Samisenspielerin, ein nicht sehr schönes, nicht mehr junges, in einen dunklen Kimono 318 gekleidetes Frauenzimmer, das leise vor sich hin hüstelt, teils infolge der Kälte, teils infolge des ausgiebig genossenen Reisweines.

Nach allerhand Vorbereitungen wird endlich eine Wand des Zimmers beiseite geschoben, und es erscheint Miß Ja Jo I San, Miß Toku Jako San und auch No Siko San, die zarte, »das Zukunftskind«, ein zierliches liebliches Wesen von sechzehn Jahren, das aber wie dreizehn aussieht und das wir sofort und unwiderruflich »Baby San« benennen.

Diese drei kleinen Geishas kommen in unseren Raum, um zu tanzen. Sie knien vor der Türe nieder, mit dem Rücken gegen uns, und schieben die Türe zu. Immer wenn sie das Zimmer betreten oder das Zimmer verlassen, müssen sie niederknien, zart und leise, das ist die Form der Begrüßung und des Abschiedes, sozusagen eine Opfergebärde vor der Türklinke – die aber hier bloß ein ovales Loch in der Wand darstellt, in Brusthöhe, und in das man zierlich zwei Finger steckt, um die auf leichten Rollen gehende Wand zu bewegen. Dann drehen sich die kleinen Geishas nach uns um, berühren mit der Stirn die Erde und lächeln uns zu, als sie mit ansehen, wie wir täppischen Europäer diese Bewegung nachzuahmen versuchen.

Der Tanz der kleinen zarten Geishas ist ein leises Hin- und Hergleiten mit kleinen Gebärden, todernsten Gesichtchen, die Händchen, die Fingerchen Strecken, sich leise das Handgelenk, den Ärmel Betupfen, wieder Fingerchen Strecken, mit Händchen Winken, das Köpfchen schräg Biegen beim seitwärts Huschen, das kirschrot geschminkte Mäulchen Verziehen zum Spiel mit dem Fächer. Leises zirpendes Singen, ein wenig nur, kleine Zischlaute, kleines Glucksen, Schnurren, Schlucken und Schluchzen, ein paar kleine Kopftöne zum Samisengezupfe, unendlich zart, lieblich und dezent, ohne die Spur irgendwelcher Absicht, die Sinne zu reizen, ohne die Spur, daß Sinnlichkeit an der ganzen Handlung teilhabe! Dann setzen sich die Kleinen vor dem Tischchen nieder, nippen an unseren Reisweinschalen, stecken sich vorsichtig mit dem Schmetterlingszahnstocher süße violette Zuckerklößchen in den Mund, in dem Goldzähne blitzen, und beginnen dann ernst und mit scheuem Lächeln, das zu unseren europäischen Gesichtern herüberzuckt, allerhand kleine niedliche Dinge aus ihrem Täschchen zu kramen: kleinen Kamm, Lippenstift, Spiegelchen, Papierchen, 319 um sich darin zu schneuzen, Puderdöschen, winziges Visitenkartenetui, Zahnstocher – erstaunlich, wie viele Dingelchen solch eine kleine Geishapompadour enthält!

Anhaltendes Staunen unsererseits – über die Lieblichkeit, die Zartheit jeder Geste! Durch unsere gerührte Freundlichkeit ermutigt, gerät Baby San in leises zwitscherndes Plappern. Unser Führer übersetzt. Sie erzählt von einem deutschen Mädchen, das hier vor einem Jahr einen Monat lang im Hause gewesen sei. Es war Miß Doctor San, Tochter eines Arztes, dreiundzwanzig Jahre alt, sehr blond und hübsch, leider starb sie schon nach einem Monat. Baby San wünscht jedem von uns ein Täßchen, die kleinen Reisweinschalen, aus denen wir eben getrunken haben, als Andenken zu schenken. Wir nehmen dankend an, lächeln, ahmen die schlürfende Bewegung, den schlürfenden Laut nach, der die Höflichkeitsbezeugung der Japaner ist, ja unsere Stirnen berühren den Mattenboden, und als wir zahm und höflich probieren, Baby San, Ja Jo I San, Miß Toku Jako San einen vorsichtigen Kuß auf die weißgeschminkten Wänglein zu drücken, da halten sie uns vorsichtig und ganz leise und zart ihre kleinen Gesichtlein hin.

Sehr lange, bis in die frühen Morgenstunden, bleiben wir in diesem Teehaus am Asakusapark. Wie wir dann gehen, es ist bitter kalt, und es regnet, helfen uns alle drei kleinen Tänzerinnen, die Samisen-Spielerin und Madame unten in unsere Schuhe, und noch lange winken alle uns im Tore des Hauses stehend nach, wie wir, es ist das gar nicht so einfach, uns auf die Suche nach einem Auto machen.

 

In Kyoto, der herrlichen alten Stadt, lädt mich mein Freund, der gelehrte Professor der deutschen Literatur an der kaiserlichen Universität, ein, mit ihm den letzten Abend, ehe ich Japan verlasse, im Teehaus von Miß Sommer San zu verbringen.

Könnte ich einen anmutigeren Abschied von Japan feiern als diesen, am letzten Abend mit meinem japanischen Freund, dem Professor der deutschen Literatur an der Universität Kyoto im Hause der Dichterin Miß Sommer San zu sein?

Sie ist schon eine ältliche Dame, Miß Sommer San. In Japan kennt man sie. Viele junge Dichter, ältere Gelehrte, bildende Künstler und Studenten kommen in ihr Haus, denn sie ist ja Kollegin, und man weiß 320 außerdem, daß man hier die schönsten Räume, die zartesten Wandgemälde, die kunstvollst gebogenen Blütenzweige in den alten Porzellangefäßen, die herrlichsten Gewänder um die zierlichen Leiber der jüngsten und anmutigsten Tänzerinnen finden wird.

Der Raum, in dem wir um den Aschbehälter sitzen, ist schön und einfach. Auf einem hellen Eichenbord steht als einziger Schmuck eine dunkelgrüne Vase mit einem Blütenzweig. Nicht weit davon hängt ein Kakemono an der Wand, mit zwei zarten, hellrosa wie hingehaucht gemalten Krevetten. Auf dem Tischchen beim Aschbehälter steht die Kanne mit heißem Sake. Er schmeckt nach süßen Gewürzen, und auch die Cakes in der Schale sind süß und gewürzt. Wir sprechen, da die kleinen Tänzerinnen mit ihrer Toilette noch nicht fertig sind, von japanischer Dichtkunst und deutscher. Herr Professor übersetzt mir das berühmteste Gedicht von Miß Sommer San. Es beginnt so:

»Ein Zweig der Weide hat wie Frauenhaar das Wasser des Baches erreicht . . .«

Ein Haikai, die traditionelle Form des japanischen Gedichtes, drei kurze Zeilen. Herr Professor läßt sich ein Blatt, Tusche und Pinsel geben und malt mit kunstfertigen Strichen das Bild der Weide, deren Zweig wie Frauenhaar in den vorüberfließenden Bach hinunterhängt. –

Es ist sehr schön und leicht, Haikais zu verfassen. Ich strenge mich an und bringe eines zuwege, das ich aus Höflichkeit der Besitzerin des Hauses, der Dichterin Miß Sommer San dediziere:

»Haikai – –
In einer Zeile das Leid eines Lebens eingefangen,
Und dann verweht und vergessen . . .«

Herr Professor übersetzt.

Da wird die Schiebetür leise aufgeschoben, drei kleine, in die wunderbaren weit berühmten Kyotogeishagewänder gekleidete Tänzerinnen knien mit dem Rücken gegen uns vor der Tür nieder, die zugeschoben wird. Dann liegen die drei kleinen Mädchen mit den Stirnen auf dem Boden, einen Augenblick uns begrüßend auf den Matten, erheben sich lächelnd und kommen heran, um sich bescheiden und ernst um den Aschenbehälter niederzukauern. Sie heißen »Fräulein Pfirsichblüte«, »Fräulein Zweites Kind« und Moto San, d. h. »Fräulein Quelle«. 321 Fräulein Quelle ist kaum dreizehn Jahre alt. Sie ist die beste von den dreien. Fräulein Zweites Kind hat müde Äuglein. Wir schicken sie schon nach dem ersten Tanz ins Bettchen. Sie geht betrübt, vielleicht beleidigt hinaus. Aber sie wird nicht weinen, denn das verträgt die Schminke nicht. Sie wird nur leise schnupfen und sich das Näschen mit Papier wischen. Aber Fräulein Quelle tanzt mit Ausdauer und großer Kunstfertigkeit zum Samisen-Spiel der ältlichen Freundin von Fräulein Sommer San den lieblichen Tanz des dünnen Frühlingsregens Haru Same . . .

»Haru same ni tschipori
Nu ru ru nu is no . . .«

»Die Nachtigall ist vom Frühlingsregen naß geworden . . .«

Herr Professor gerät allmählich in den seligen Zustand fortgeschrittener Lustigkeit. Leise singt er uns »Tipperary« vor, erzählt vom »Romanischen Café«, von einem Atelierfest in der Mommsenstraße, kopiert Moissi. Er ist nicht nur ein gelehrter Kenner der deutschen Literatur, sondern bewährter Freund der jungen deutschen Dichter. Es nützt nichts, daß ich ans Nachhausefahren mahne, denn es dürfte schon bald vier Uhr sein, und mein Zug geht in drei Stunden. Fräulein Quelle, Moto San, sitzt jetzt dicht neben mir, Fräulein Pfirsichblüte aber zart und hingeschmiegt im Arm von Herrn Professor. Ich wage eine indiskrete Frage, worauf ich die Antwort bekomme, daß »Knospenfrevel« ganze 500 Yen koste, eine Menge Geld! (»Knospenfrevel!!« Herr Professor beherrscht die deutsche Sprache bis in ihre zartesten Verästelungen!) Nachher telephoniert man an eine Garage, und, die lange, aus Holzhäusern bestehende Teehaus-Straße erschütternd, rattert ein Car durch die nächtliche Stille. Die gesamte Einwohnerschaft von Miß Sommer Sans Haus steht abschiednehmend vor der Tür. Von Segenswünschen und winkenden Tüchern begleitet fahren wir den kleinen Kanal entlang hinauf in das Viertel um die Universität Kyoto. Aber nicht nur Segenswünsche und Abschiedsgrüße, auch Geschenke und Andenken begleiten mich. Miß Sommer San hat mir einen großen weißen Fächer geschenkt, auf den sie ihr Gedicht mit zierlichen Pinselstrichen aufschrieb, die drei kleinen Tänzerinnen aber, Fräulein Pfirsichblüte, Fräulein Zweites Kind und die kleine Moto San, Fräulein Quelle, mit kindlich zagen Pinseln die Zeichen ihrer Namen 322 verewigt haben. Ich entfalte heute, nach Monaten, diesen Fächer. Bei jedem Namen finde ich einen kleinen roten Fleck – dort haben Fräulein Pfirsichblüte, Fräulein Zweites Kind und Fräulein Quelle mit ihren roten Mündchen das weiße Papier geküßt . . .

 

Es ist sehr schwer, mit Herrn Professor zu verhandeln! Ich möchte mich an den Kosten dieses schönen Abends beteiligen, denn ich weiß ja, akademische Funktionäre sind, wie Intellektuelle überhaupt, in Asien wie in Europa, ja auf der ganzen Welt nicht auf goldenen Bastmatten gebettet. Herr Professor will aber von einer Teilung der Kosten nichts wissen, denn ich bin ja sein Gast. Ich ahne, daß die Kosten außerordentlich groß sein könnten! Man schenkt im allgemeinen für die Stunde jeder Tänzerin und jeder Sängerin oder Samisen-Zupferin fünf bis zehn Yen, es waren ihrer vier Mädchen, und die Vergnügung dauerte etwa vier Stunden! Herr Professor aber behauptet, er könnte, selbst wenn er wollte, die Kosten nicht berechnen, denn er habe ja bei Miß Sommer San ein Jahresabonnement! . . . Er vertröstet mich darum mit der Aussicht, daß ich ihm in Berlin, in der Mommsenstraße etwa, Revanche geben werde!

 


 << zurück weiter >>