Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Yoshiwara

Die Yoshiwara ist ein sehr wesentlicher Bestandteil jeder japanischen Stadt. In der ersten, die ich sah, Schimonoseki, waren buchstäblich ganze Straßenzüge, Haus an Haus, Frauenstraßen. Die Schwesterstadt Moji, über dem Sund, hatte ebenfalls einen gewaltigen Stadtteil, in dem Frauenhaus an Frauenhaus sich reihte. – In Osaka, in Kyoto, in Yokohama, Stadtteile, Hunderte von Häusern – Yoshiwaras!

Die berühmteste von allen, die Yoshiwara Tokyos, ist beim Brande nach dem Erdbeben vollkommen zerstört worden. Sie ist an der alten Stelle wieder erstanden, zählt einige hundert Häuser aus leichter Holz- und Papierkonstruktion, unterscheidet sich aber von der alten Yoshiwara dadurch, daß die Frauen nicht mehr in Käfigen, unten an der Straße, den Passanten ausgestellt werden, sondern daß in jedem Flur große, sehr gute Photographien der in den Häusern tätigen Mädchen 323 aufgehängt sind. Zumeist ist unter diesen Photographien die kleine Steingutfigur eines Glücksgottes, des dicken langohrigen Glücksbabys der japanischen Göttermythe, inmitten von Blumen, Vasen, Zweigen und Goldfischbehältern aufgestellt. Im Tor eines jeden Hauses sitzt, in einer Art Loge, ein Hausknecht, der die Passanten mit Händeklatschen heranruft und mit dem man endlos feilschen muß, ehe man ihm das Eintrittsgeld übergibt, das von 7 Yen bis 100 variiert. In jedem der Häuser ist ein hübscher Garten, ein Brunnen mit Kupferbecken für das Säuberungsbedürfnis, alles ist zierlich, blank und neu, in zarten Farben mit viel Geschmack eingerichtet. Schiebetüren lassen, um die Galerie im Stockwerk, die einzelnen Räume sehen, in denen man unter den jungen und älteren, ernsten und lachenden, bunten mit komplizierten Frisuren, weiß und rot geschminkten Gesichtern, auf hohen Schuhen herantrippelnden Geishas seine Auswahl treffen kann.

Wie kleine Kinder sind viele von diesen Mädchen anzusehen, dabei verhüllt die japanische Tracht die Formen des Körpers so vollständig, daß Vollerblühte von Zarten und Unentwickelten nach dem äußeren Aussehen gar nicht zu unterscheiden sind. Etwas furchtsam, erst später vertraulicher werdend, aber ihrem Schicksal ergeben und dem starren Blick der Madame gehorchend, schreitet die kleine Dirne dem Fremden voran in das Lustgemach, in dem eine dicke, bunt gemusterte Daunendecke auf den Bastmatten ausgebreitet ist. Ein Kopfhalter aus bemaltem Holz zum Schutz der komplizierten Frisur des Mädchens und ein rundes Daunenkissen für das Ruhebedürfnis des Mannes machen die ganze Möblierung des Raumes aus.

Halt: noch etwas. In jedem Haus Radio, Lautsprecher in Tätigkeit. Die halbe Nacht, in all den Hunderten von Häusern, während die zehntausend Bewohnerinnen der Yoshiwara sich ihren Obliegenheiten unterwerfen, tönt es süß und schmelzend in italienischem Tenor:

»Che gelida manina . . .«

(in der Oper ist Stagione, man gibt Puccinis: »Bohême« . . .)

 

Und wieder beim Abschied das ganze Haus unten beim Tor; während der Kassiererhausknecht einem in die Schuhe hilft, tiefe Verbeugungen der Mädchen, tiefe Verbeugungen der Madame, tiefe Verbeugungen auch unsererseits!

324 Und dann kilometerweit durch die Straßen der Bordellstadt, die sauber, blitzblank und neu, von Doppelreihen von Bogenlampen erhellt, sich am Rande von Asakusa hindehnen.

 

In meinem Hotel, dem berühmtesten und vornehmsten Tokyos, ist Tanz. Um fünf Uhr nachmittags vollführen die Amerikaner und Amerikanerinnen vom gestern in Yokohama eingetroffenen Weltreiseschiff Foxtrott und Charleston. Staunend sitze ich daneben. Gegen diese Art zu tanzen ist alles, was ich bisher in Europa, ja in China und der Mandschurei gesehen habe, harmloses Kinderspiel. Japaner und Japanerinnen tanzen mit. Man sieht ihren Bewegungen an, daß sie sich Zwang antun; die asiatischen Körper sind für diese Negerverrenkungen ungeeignet. Jazz ist bei Gott eine Erfindung, die am anderen Ende der Welt gemacht worden ist. Man wird das bald zu fühlen bekommen! Denn schon am nächsten Tage spielen die Musiker in dem Saal um fünf Uhr nachmittags das Largo von Händel und das Ave Maria von Gounod!

Entrüstet erkundigt sich das Publikum bei dem Manager nach der Ursache dieser Wandlung. Gestern war Polizei da, hat die Namen der tanzenden Japaner und Japanerinnen aufgeschrieben. Heute aber, in aller Frühe, erschienen Beamte des Innenministeriums beim Hoteldirektor und drohten mit Konzessionsentziehung, falls sich der Nachmittagstanz in den Formen wiederholen sollte, die hier seit dem Auftreten der amerikanischen Weltumsegler üblich sind.

In den englischen, von amerikanischem Gelde gespeisten Zeitungen Tokyos wird lautes Gezeter erhoben: So ehrt ihr eure Gäste?! Das ist der Willkomm, den Japan seinen amerikanischen Freunden bereitet? Im Parlament, der »Diät«, aber: große Polemik, erregte Debatte, die Regierungsparteien verwahren sich gegen die Tänze, die die alte keusche Tradition des japanischen Volkstanzes schänden und zu vernichten drohen. Die Opposition entgegnet höhnisch: Seit wann seid denn ihr die Hüter der Moral des Landes? Seit wann sind die Heerführer eurer Partei solch keusche Verteidiger der japanischen Ehre? Bordellbesitzer, Interessenten an der Yoshiwara, hier in Tokyo, in Kobe, in Osaka, das seid ihr!!

Der Nachmittagstanz im Imperialhotel wird ein politischer 325 Skandal, reißt die Gardine von der japanischen Schande weg, so daß sie vor dem belustigten Europäerauge nackt und schamlos daliegt. Diese sauberen Parlamentarier, Bordellkonzessionäre und Yoshiwarastadtväter fürchten einfach die Schmutzkonkurrenz des Charleston, die ihren Geschäften Abbruch tun könnte!

 


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