Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Emek

Nach drei Jahren wieder in der Ebene!

Diesmal fahre ich durch das ganze Gebiet der Siedelungen nördlich von Jerusalem bis zum äußersten Punkt, das schon tief in syrisches Gebiet vorgeschobene Metullah. Aber auch die selten begangenen Wege zwischen dem Genezarethsee und dem Emek, das wilde Gebiet der Yarmukfälle und der Jordansenkung zu Füßen des hohen Betschan, weiß unser mutiger Chauffeur, so gut wie die von unzähligen Touristenautos durchflirrten Straßen zwischen Gilboalende und Karmel, zwischen Haiffa und Jaffa die Küste entlang.

Diese Fahrt vermittelt einen starken Eindruck – schlagende Widerlegung der Ansicht, daß Palästina, auch bei systematischer und extensiver Bebauung des Landes, keine Möglichkeit für die Ernährung und 51 die Unterbringung Hunderttausender bieten könnte. Ich erinnere mich und habe es geschildert, wie vor drei Jahren die Gegend um die Goliathquelle, die Siedlung, die damals Nurriß hieß, beschaffen war. Sumpf, Prärie, einige Zelte, Fieber. Ein Blick vom Hügel ob der Quelle zeigt heute endloses, reich und dicht bebautes, bepflanztes, aufgeforstetes Land, riesige Felder mit Gemüse- und Obstkulturen, Ackerboden, ein Wasserwerk an der Quelle, das den Wasserlauf reguliert, an den Berg gelehnt Baumschulen, weiter im Gebiet Eukalyptuspflanzungen, statt der Zelte eine hübsche, saubere Siedlung, gute, aus Holz gebaute Häuser, ein kleines, aber gut funktionierendes Elektrizitätswerk, einen Getreidesilo, Schule und Krankenhaus, Verwaltungsgebäude – keinen Schützengraben mehr, wie 1921. Es wohnen hier einige hundert Menschen. Die Siedlung führt jetzt den arabischen Namen En Charod.

Weit drüben, jenseits der Bahn, langgestreckte Reihen kleiner rotgedeckter Häuser – das ist Kfar Jecheskiel, eine jüdische Kleinbauernsiedlung.

Von En Charod nördlich aber, zwischen Bäumen, die Siedlung des Gdud Tel Josif, nach dem Märtyrer des palästinensischen Chaluz, Josef Trumpeldor, benannt; weiter noch nach Norden, auf einem Hügel, die Doppelsiedlung Beth Alpha, die die berühmte tschechoslowakische Intellektuellengruppe aus Chefzibah und den galizischen Kibutz beherbergt.

Diese drei Siedlungen, En Charod, Tel Josif, Beth Alpha, sind kommunistisch geführt. Alle drei leiden Not; Mangel, Krankheit, ja Hunger hausen unter den jungen Siedlern, den Erbauern der Heimat, Entwässerern der Sümpfe, denen, die das Land zur Blüte gebracht haben, das weite, unabsehbare, blühende Gebiet des Emek.

Es ist nicht zu leugnen, sie sind die Stiefkinder der zionistischen Machthaber, diese jungen, idealbesessenen Erbauer des Landes. Die amerikanischen Geldgeber wünschen nicht, daß der Siedlungsfonds ihre Dollars Leuten überweise, die kommunistische Experimente machen. Dem amerikanischen Geldgeber tönt das Wort Kwuzah, das heißt die »Große Gemeinschaft«, ebensowenig lieblich im Ohr wie »Bolschewismus«. Man versucht also, durch allmähliches Abschnüren der Wirtschaftsmöglichkeiten die Kwuzoth zur Preisgabe ihrer Radikalität zu zwingen. Die Siedler sollen die Form ihrer Gemeinschaft ändern oder eingehen.

52 Es ist angebracht, noch ein wenig bei diesem Gegenstand zu verweilen. Man scheint also von den Chaluzim zu fordern, daß ihre Siedlungen sich endlich auf eigene Füße stellen, das heißt »rentieren«. Sie haben ihre Gesundheit geopfert, ihr Leben in den Boden gesteckt, jetzt behandelt man sie wie x-beliebige Bauern, Landarbeiter, vergißt, was sie geleistet haben, was sie, abgesehen von der physischen Arbeit, für das Judentum der Welt durch ihr Beispiel bedeuten. Man nennt sie Dilettanten, macht sie für die schlechte Ernte verantwortlich. (In diesem Jahre war die Ernte besonders ungünstig: Bohnen mußten ausgerissen und zu Dünger vermacht, Weizen und Roggen frühzeitig vor der Reife abgemäht und als Viehfutter verwendet werden.) Man hat sie, durch ungenügende, irreguläre Zuwendung von Beträgen aus dem Siedlungsfonds, zu provisorischen Maßnahmen gezwungen: rasch Baracken bauen, billig und überstürzt das Dringendste für die Wirtschaft, die Viehzucht besorgen; Unruhe, Unsicherheit bemächtigte sich der körperlich ohnehin Geschwächten, der in ihren Hoffnungen, Erwartungen Überschwenglichen; die Arbeit wurde gehemmt, litt, untergraben durch die Ungunst der äußeren Umstände.

Man will jetzt En Charod, Tel Josif, Beth Alpha auf die andere Seite des Emek, jenseits der Bahn verpflanzen, von der östlichen auf die westliche Berglehne setzen, weil dort der Boden gesünder ist, die Luft besser. Das vierte Jahr leben sie nun, auf dem ihnen von der zionistischen Behörde zugewiesenen Boden, heute noch von Malaria heimgesucht; sie haben die Sümpfe unter Lebensgefahr dräniert, den ungesunden Boden bepflanzt, ihre Baracken auf ihn gestellt. Wo waren die Sachverständigen, daß nicht gleich dort drüben, auf der gesünderen Hälfte, Land gekauft wurde? (Die Araber sogar haben ihrer Verwunderung Ausdruck gegeben, als sie die Juden sich auf der gefährlichen, ungesunden Seite niederlassen sahen – wo doch günstiger gelegenes Land leicht zu kaufen gewesen wäre!)

Und wer hat die Siedler beraten, als es hieß, den Boden ertragreich zu bebauen? Wo ist und wann kommt der oft herbeigewünschte geniale Neuerer, der hier lukrativere Methoden der Bebauung einführt? Den Emek endlich nach einer neuen Methode saniert? (Ein vornehmer Jude aus England hat herausgefunden, daß im Emek sehr wohl »Primeure«, das heißt Frühgemüse, Leckerbissen von Gemüse mancher Art gebaut 53 und nach England exportiert werden könnten, wo es auf den Märkten gewiß guten Absatz fände! Der Chaluz im Emek soll also die Luxusrestaurants in Piccadilly mit Frühtomaten, Spargel und Auberginen beliefern!)

Bei alldem sind die Chaluzim die »Dilettanten«! Sie selber sind schuld daran, daß in mancher Siedlung die Arbeitszeit um zwei Stunden gekürzt werden muß, weil die jungen Menschen zu unterernährt und krank sind, um den Achtstundentag oder die dem Landarbeiter vorgeschriebene Arbeitszeit einzuhalten! – Noch geht es den Kindern in diesen Siedlungen einigermaßen gut. Unter unsäglichen Opfern und Nöten, eigener Entbehrung, pflegt man die Kinder besser als sich. Aber in der heißen Jahreszeit müssen die Kinder doch wieder in neuen provisorischen Baracken in gesünderen Teilen des Emek, auf der Höhe von Nazareth untergebracht werden, in Baracken, die viel Geld kosten, bald abgebrochen werden müssen. Das Budget wird nicht besser durch solche Ausgaben!

Aber die Exekutive hat kein Geld, nicht genug Geld für den Chaluz, den »Dilettanten«, den »Experimentierer«, den »Bolschewisten«.

Der palästinensische Arbeiter hat sich mit dem Gedanken abgefunden, daß das Hereinströmen von Kapital, das heißt die Einwanderung von Leuten mit Geld, auch wenn sie Spekulanten und Wucherer sind, für Palästina unbedingt notwendig sei. (Eine merkwürdige Tatsache sei hierbei vermerkt: Kinder solcher Spekulanten fliehen gar bald ihre Eltern, die sich in Tel Awiw niederlassen, und gehen nach dem Emek, um mit den Chaluzim produktiv zu arbeiten! Ein Prozeß tröstlicher Art, einer von jenen geheimnisvollen Regenerationsprozessen, die das Väterland an der Rasse der Juden vornimmt!)

Man will also den Kampf aufnehmen. Ohne betonte Aggressivität vorläufig. Das heißt: man will abwarten, ob ein Einvernehmen mit dem Kapitalisten auch ohne ausgesprochenen Kampf zu erreichen sein wird. Sind sie denn nicht wie wir Juden? »Sind sie denn nicht, wie wir, von dem Heiligen Land angezogen, in die gemeinsame Heimat gekommen?« sagen die »Dilettanten« . . .

Die Arbeiterschaft, die, nach berühmten Mustern, bereits eine Bureaukratie, eine Art Sowjetbourgeoisie, die in den Bureaus sitzt und auf die Kongresse reist, zu züchten begonnen hat, besitzt eine 54 Führerschaft von anerkanntem Wert. Um Männer wie Bin Gorion, Ben Zwi, Rubaschow, Kaplanski (sämtlich russischer Herkunft) kann jede sozialistische Partei der Welt Palästina beneiden. In einer Sitzung der Arbeiter-Zentral-Organisation, der »Histadrut Hapoalim« in Jerusalem, die wir, diese Führer und einige Arbeiter aus dem Emek mit dem Sekretär der Amsterdamer Gewerkschafts-Internationale Brown hatten und in der von der Rolle die Rede war, die die sozialistische und kommunistische Arbeiterschaft Palästinas innerhalb der Gewerkschaftsorganisationen in Zukunft spielen sollte, wurde auch von der Möglichkeit gesprochen, die Leute im Emek und die Leute in den städtischen Werken, die gesamte organisierte Arbeiterschaft Palästinas, von dem Druck, der Bevormundung und Willkür der Zionistischen Exekutive zu befreien, ihre Arbeit und die Fortführung ihrer ideellen Gemeinschaft durch proletarische Hilfe durchzusetzen. Die organisierte jüdische Arbeiterschaft der Welt sollte aufgerufen und ermahnt werden, das Schicksal der palästinensischen Arbeiterschaft als ihre eigene, als eine ihrer wichtigsten eigenen Angelegenheiten zu betrachten und die Beiträge zu garantieren, die der Arbeiterschaft Palästinas Existenz und Freiheit schaffen könnten. Das wäre freilich ein wunderbarer Beweis des Verständnisses und der Solidarität; Propaganda in diesem Sinne täte wahrlich not.

Denn es haben sich außer den im vorigen Kapitel erwähnten Erscheinungen des Verfalls, des Auseinanderfallens der Gemeinschaft, unter den Arbeitern Palästinas bereits andere, noch betrüblichere gezeigt, die eine rasch durchzuführende Sanierungsaktion des gesamten Körpers, soweit es sich um die organisierten Arbeiter handelt, zur dringendsten Notwendigkeit machen. So hat sich zum Beispiel in der (durch Verwendung arabischer Hilfsarbeiter und Zurückweisung chaluzischer berüchtigten) Kolonie Petach Tikwah eine Gruppe junger Genossen eingefunden, die durch Unterbietung ihrer von der Zentrale bestimmten Löhne die arabische Konkurrenz aus dem Felde schlagen will. Es wird hierbei das Prinzip der »Eroberung der Arbeit« verkündet; im Grunde aber ist der Vorgang ein gefährliches Symptom der Not, der die Organisationen ohne ihre eigene Schuld gegenwärtig unterworfen sind. Ebenso betrüblich ist es, daß gewisse neu eingewanderte begüterte Polen und Litauer, Industrielle und angehende 55 Landbesitzer, aus ihrer Heimat Arbeiter heranzuziehen und mit hereinzuschmuggeln suchen, die in Zeiten des Kampfes ein Element von Streikbrechern darstellen könnten!

Wie im Gdud, nistet sich im Emek unter den wertvollsten der Pionierschar allmählich Verzweiflung und Schmerz ein. Denen, die den Klassenkampf ablehnen, gehört mein freudiges Mitgefühl. Denn es ist ein Verbrechen, den Chaluz, nach dem, was er für Palästina geleistet hat, in den Kampf mit der neuesten unerwünschten Einwanderung, den unsauberen, unlauteren Elementen dieser Einwanderung zu drängen. Was wird aber geschehen, wenn diese jungen Menschen nicht gewillt sein werden, ihre Überzeugungen zu opfern, das Feld zu räumen, vielleicht in der wörtlichen Bedeutung das Feld, das ihnen kraft ihres Opfers von Rechts wegen gehört, zu räumen? Die im Lande zu bleiben gewillt und entschlossen sind, trotz ihrer Verzweiflung, Not, ihres Nichtmehrweiterkönnens? Die erwartete Krise könnte von derartigem Ausmaß sein, daß das Land durch sie unterminiert und gesprengt würde.

 

Fragst du die klügsten, mit schärfstem Zielbewußtsein begabten Führer der palästinensischen Arbeiterschaft: auf welche Weise sie ein Zusammenarbeiten, die Organisation der arabischen Massen zur gemeinsamen Arbeit und zum gemeinsamen Widerstand mit den jüdischen gegen den beide bedrohenden Kapitalismus, gegen Ausbeutung und Mißbrauch der Kraft bewerkstelligen wollen, so blickst du in ratlose Gesichter, oder du hörst das gefährliche Wort von den »Imponderabilien« in allen Fragen des Aufbaus Palästinas. Ein allzu billiges und bequemes Schlagwort, hinter dem sich oft Trägheit verbergen mag. Einzig und allein die »Mopsi«, das heißt die »Miphleget Poalim Sozialistim Iwriim«, die konsequenten Kommunisten Moskauer Richtung, haben über diese Möglichkeit ihre feste Anschauung. Diese aber, eine kleine Gruppe, von deren Existenzberechtigung man bei dem jetzigen Stande der Wirtschaft und der politischen Grundbedingungen gar nicht überzeugt zu sein braucht, besitzen gar keinen Einfluß auf die Entschlüsse und Erwägungen der Führer der organisierten Arbeiterschaft, sind in ihrer Wirkung gehemmt und systematisch mit größter Schärfe unterdrückt. Der Exekutive sind sie selbstredend ein Greuel, 56 die Regierung aber sperrt sie, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, unter allen möglichen Vorwänden ein, deportiert sie nach Herzenslust – als ob man eine Idee deportieren könnte! – Die Haltung dieser kleinen Gruppe, insbesondere in der Araberfrage, ist den Machthabern jedenfalls im höchsten Grade unbequem. –

 

Ich verbrachte in der Mehrzahl der Emeksiedlungen und in denen des nördlichen Galiläa nur Stunden. Stunden indes, die mir genügten, um mir ein Bild von dem schweren, oft bejammernswert schweren Los zu machen, das den jungen Menschen und ihrem Anhang beschieden ist. Ich habe von ihrer mageren Kost gegessen und in ihre Behausungen geblickt. In einer dieser Siedlungen war das Budget, das bis zum Ende des Sommers reichen sollte, bereits im März aufgebraucht. Man mußte Vieh, Gerät, notwendige Baulichkeiten beschaffen. Ich weiß, man wirft diesen jungen Menschen gelegentlich »Leichtsinn« vor, wenn einer oder der andere etwa seine alten Eltern aus der Galuthheimat nachkommen läßt und die alten Menschen an dem ohnehin mageren Budget als unproduktive Schmarotzer zehren. Auch gibt es hier und dort Zuzug, neue, produktive Genossen gesellen sich zu den alten in der Siedlung, deren Budget auf die vorhandene Zahl von Arbeitern, nicht auf eine vergrößerte berechnet ist. Leichtsinn, Disziplinlosigkeit, Sichhinwegsetzen über Vorschriften, Sich-nicht-nach-der-Decke-strecken-wollen und ähnliches wird den notleidenden Emeksiedlern vorgeworfen, natürlich zugleich mit dilettantischer Unfähigkeit, den Boden rationell zu bewirtschaften, und dem Experimentieren mit kommunistischen Illusionen.

Es soll nicht untersucht werden, inwieweit die Zionistische Exekutive verpflichtet wäre, trotz all dieser »Vergehen« den Chaluz gewähren zu lassen. Ihn ausgiebig zu fördern, statt unerfüllbare Forderungen an ihn zu stellen und ihn die wirtschaftliche Fuchtel im Nacken spüren zu lassen. In dem stürmisch intensiven Leben dieser jungen Menschen bebt der Pulsschlag, der das Judentum dieser Zeit erneut hat; man mag über Mittel und Wege sinnen, wie der Emek durch Anleihen und ähnliche ökonomische Bindungen der Arbeit und der Rentabilität saniert werden könnte, die Dankesschuld an diese Besten bleibt dadurch noch ungetilgt.

57 Im folgenden aber will ich von einer Strömung sprechen, die durch den Emek sich gegenwärtig Bahn zu brechen beginnt; hier kann man einmal mit Recht von einem palästinensischen »Imponderabile« sprechen; es muß sich erweisen, ob die Entwicklung, die diese Strömung hervorrufen wird, positiv oder zerstörend auf das gesamte Problem des jüdischen Palästina wirken kann.

 


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