Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Himalaja

Himalaja

Donnerkeilsland

Ein paar Tage am Himalaja, an der Grenze von Nepal, Bhutan, Tibet, mit dem Blick auf die schneeige Dreifaltigkeit Kindschindschunga, Tschumulari und Davaladjiri, hinter der sich der eine, Gaurisankar-Everest, verbirgt im nördlichen Gebirge. –

Dieser Ort Dardjiling, hoch oben in den Bergen gelegen, ist auf einen weit und spitz in das Reich des ewigen Eises vorgeschobenen schmalen Bergkeil gebaut. Er gehört zur Provinz Sikkim, und die Bahn erreicht ihn, in beträchtlicher Steigung aus der fruchtbaren Ebene des Gangesdeltas über das Hochplateau von Siliguri und wild verschlungene Dschungel emporkletternd, von Kalkutta aus in 24 Stunden.

Den tibetanischen Namen, der dem Orte in Vorzeiten gegeben wurde, führt Dardjiling zu Recht, denn der langgestreckte Grat, der, in tropisch blühendem Grün mit rot gedeckten Häusern bestreut, hier so gewaltsam vorwärts stößt, stürzt auf allen Seiten jählings, gewalttätig steil in bodenlosen Abgrund hinunter, in neblig brodelnde Tälertiefen, und gleicht in der Tat einem schmalen Szepter, gebieterisch hinausgereckt in das ewig unbekannte, eisig unergründliche Geheimnis der hohen Berge.

Dardjiling. Geisterfahnen um das Heiligtum

Dardjiling. Geisterfahnen um das Heiligtum

An der Spitze des Keils stößt Observatory Hill empor, ein Hügel, auf dem tausend wehende Flaggenmaste kreisrund um ein buddhistisches Heiligtum gepflanzt sind. Tag und Nacht qualmen hier Opferschalen um einen alten unförmigen Stein, den die Jahrtausende abgeschliffen und seiner Form beraubt haben. Vielleicht war es ein Götterhaupt, vielleicht ein Meteor, es mag ein Lingam oder ein Opferblock gewesen sein. Heute schüttet jeder Gläubige, der Gebete murmelnd den steilen Hügel hinangeschritten und ins Bereich der wehenden Flaggen getreten ist, rotes Pulver über den Stein zu Ehren des tibetanischen Gottes, der dieses Reich beherrscht und dessen heiliger Ort jenseits der Eisgipfel, nur wenige Tagesmärsche von hier, über tiefe Täler, steil 185 emporschießende Berge und schmale, durch Felsen gehauene Gebirgspässe zu erreichen ist: Lhassa, die verbotene, selten betretene Stadt.

 

Rastende Dandi-Kulis

Dardjiling. Rastende Dandi-Kulis, Dardjiling

Unten auf dem Markt von Dardjiling hocken sie im Dunst ihres grünschwarzen Schmutzes auf Schaffellen zwischen Säcken, in denen sie aus Tibet drüben ihre Habe: allerlei Fetzen, Kräuter, Kürbisflaschen, Silbergerät und Knochen mitgeschleppt haben. Mongolische Bärte zotteln aus schlitzäugigen, olivfarbigen Gesichtern nieder; Zöpfe baumeln unter spitzen Pelzmützen. Mancher trägt einen Gürtel um den wattierten Flauschrock und einen großen, krummen, mit blauen und roten Steinen ausgelegten Säbel, besser gesagt ein scharfes Messer, den Kris, darin. Auch klirrt ein Gewimmel von Messingzeug, Pfeifenstopfer, Löffel, Eisenhaken, spitzer Dolch, Zungenschaber, Zwickschere an dem Gürtel herunter. Andere haben an einer Schnur um den Hals die schwere silberne Gebetmühle hängen. Die Frauen, sogar die elendste Kulifrau, trägt riesige Schmuckstücke, goldene Schachteln oder Büchsen, mit Türkisen und Filigran kunstvoll ausgelegt, die Amulette enthalten. Die Frauen der Lepchas, einer Mischrasse aus Indern und Tibetanern, haben Ketten aus goldenen, gerippten Kugeln, die mit roten Tuchstücken abwechseln, bis auf die Brust niederhängen; dicke Ringe an den Händen, an den Zehen, türkisbesetzte Reifen in den Nasenlöchern, große, dünne, mit Zauberzeichen beprägte Goldplatten in die Ohrläppchen, ja zuweilen in die Schläfen gepreßt. Braun und ungewaschen wälzt sich die filzhaarige Kinderschar auf den Steinen des Marktes in der Sonne herum. In den schattigen Ecken aber hocken Gruppen von Männern und Knaben beisammen, rauchen und spielen mit Karten, Würfeln, Münzen und Kugeln, spielen, spielen, schreien sich einmal an, vertragen sich bald wieder, schieben sich Geld zu, haschen nach dem Geld des anderen, die Münzen wechseln jeden Augenblick ihren Besitzer. Würdevolle Chinesen im wattierten blauen Mantel, Korallenknöpfe auf den schwarzen Seidenmützen, blauen Tuchschuhen mit hochgebogenem Schnabel an den schmalen Füßen, stehen da und sprechen leise, feilschen hartnäckig mit den aufgeregt gestikulierenden indischen Händlern. Sie haben beladene Karren sowie leere, die auf Beladung warten, in einem Winkel des weitläufigen Hofes stehen; große schwarze Yakbüffel sind an eine Krippe gespannt.

186 Aus der hochgewundenen Landstraße tuten zuweilen Automobile herunter. Es sind auffallend schöne Wagen neuester Konstruktion. Sie kommen aus den Teeplantagen, die die Bergwände bis zu dreitausend Meter Höhe bedecken. In den rollenden Gefährten kann man breite schottische Pflanzer sehen, mit Whisky vollgesogen schon am frühen Morgen – so rächen sie sich an dem Leben, dem verpfuschten, das sie in diese wilde Einöde geworfen hat, zum alleinigen Zweck: den Teetrinkern aller Länder das sanfte Gebräu zu verschaffen!

Es ist schon spät im Herbst, nur vereinzelt jagt ein Fremder noch einer alten Kuriosität in den Bazarläden nach, in den Goldschmiedebuden des Ortes. Eine kleine Irrsinnige, ein ehemaliger Mensch, offenbar aus Europa stammend, mit Pfauenfeder auf dem alten, durch alle Gossen gespülten Tropenhelm, tänzelt schrecklich anzusehen vor den Fremden einher, will keinen Backschisch, will Liebe.

Verächtlich die Europäer messend, gehen Studenten in der Tracht der Mohammedaner Indiens zu ihrer Moschee quer über den Platz. Dort befindet sich auch eine Art Seminar.

Militär, riesige, dunkle, blaubärtige Sikhs, stehen unbeweglich und halten die Ordnung aufrecht. Ein Wagenzug kommt langsam dröhnend von der Bahnstation her, schwer beladene Karren, für Bergwege gebaut, mit riesigen Rädern, blaues und gelbes Tuch über Ballen geworfen; schlafende Menschen liegen mit hochgezogenen Knien auf den Decken. Schwer und bunt, tausendfältig in Leben und Tod, Schlaf und halbem Wachen, wahnerfüllt, beladen mit dem Rausch der mongolischen Wildnis, brennend vom Schneelicht der unnahbaren Eiseswelt, wälzt sich, wie durch einen Paß zwischen Gletscherspalten, ein Geisterzug unwirklich an mir vorüber. –

 

Auf einer Stufe des Postamts sitze ich und erwarte den Omnibus, der an die Grenze von Nepal fahren soll. Ich sitze bereits über eine Stunde da, bis ich erfahre, daß der Omnibus heute schon vor Sonnenaufgang die Händler zum Wochenmarkt nach dem Grenzort Singla gebracht hat. Aber ich bleibe trotzdem noch eine Stunde nach der anderen sitzen, von allerhand Neugierigen, Kindern, Rikschakulis umschwärmt, bis sie dann alle eingesehen haben, daß von mir nichts zu holen ist, daß ich nur da sitze, um zu sitzen, zu schauen, das einmalige, 187 unvergeßliche, unwiederbringliche Bild einer neuen, nie geschauten Welt. –

Um die Mittagsstunde wird es auf dem Markte ruhiger. Heftig scheint die Sonne herunter. Sie ist eine Tropensonne sogar in dieser Höhe! Die tropische Vegetation treibt sie mit ihrer Glut üppig aus dem felsigen Boden hervor. Der Marktplatz ist jetzt zu einem einzigen weißglühenden, schattenlosen Viereck geworden, inmitten der grünen Berglenden, auf die jenseits der Abhänge Schnee- und Eiswipfel niederschauen. –

An den offenen Läden des Marktes, die wie blaue Höhlen dunkel in das Weiß der Bazarhallen zurückweichen, geht ein großer gelber Bettler vorüber. Ich sehe ihn nur undeutlich in der Sonne flimmern, er ist am entferntesten Ende des Platzes. Ein feines harmonisches Geräusch umflirrt die Gestalt. Ich kann noch nicht erkennen, was es bedeutet, ahne nur, daß es von der Gestalt ausgeht. Plötzlich, mit einem Ruck, dreht sich der Mann um und kommt wie herbeigezogen durch den weiten Markt gerade auf mich zugeschritten. Es ist ein Lamapriester, ein wandernder Mönch, in rostrotem Filzrock, auf dem gelblichen, farblos ausgelaugten Kopf eine spitze, gelbe, wattierte Mütze. Er hat ganz durchsichtige, wassergraue Augen, Seheraugen, Augen, wie Blinde sie haben. Von fern schon sieht er mich an, lächelt im Näherkommen, als nahe er einem Bekannten, als hätten wir uns hier verabredet, als folge er einem Ruf. Sein starkes Wolfsgebiß leuchtet zwischen den dünnen, bärtigen Lippen hervor. In der rechten Hand hat er das Glöckchen, das jenen feinen Ton gab. Die linke hält mir ausgestreckt eine mit Reis gefüllte Schale entgegen, eine beinerne Schale, es ist ein entzweigesägter Menschenschädel. Kupfermünzen liegen zwischen dem Reis. Ich werfe eine silberne Rupie in die Schale. Da schwingt der Mönch das Glöckchen laut vor meinem Gesicht hin und her, faltet die Hände vor der Brust, indem er zwischen den Ellbogen die Schale mit dem Reisopfer preßt, und segnet mich mit singenden Worten, die er viele Male nacheinander wiederholt, die Augen in meine versenkt. Dann dreht er sich um und geht quer über den Markt zurück zu dem Laden, vor dem er gestanden hat, ehe er geradenwegs zu mir kam.

 

Nachts um zwei Uhr brechen wir vom Hotel auf, amerikanische Touristen und ich, um uns auf Tiger Hill tragen zu lassen.

188 Tiger Hill ist ein Berg, zu dem gewundene Pfade etwa fünf Kilometer weit emporführen. Man kann von seinem Gipfel aus Everest, d. h. Gaurisankar (die Engländer müssen jedem Naturwunder einen englischen Namen anheften; hier ist es der Name eines Feldvermessers!), im ersten Strahl der Morgensonne erblicken. Von Dardjiling aus bleibt er hinter der schneeigen Eisdreifaltigkeit verborgen. –

Eine Schar Kulis erwartet uns frierend, rauchend, schwatzend in der nächtlichen Kälte vor dem Hoteltor. Wie unsere kleine Gesellschaft ins Freie tritt, suchen die Kulis eifrig den leichtesten unter uns aus. Die Ungeschicktesten werden das Nachsehen haben, denn ihnen bleibt das schwerste Gewicht vorbehalten. (Das besitze offenkundig ich. Aber da die anderen Pelzmäntel anhaben, ich aber nur meinen Sommerpaletot, gehört schon ein geübter Blick dazu, es zu erkennen.)

Wir setzen uns in absonderliche Vehikel, die sofort von je sechs Kulis geschultert werden, und schwanken nun hoch über den bezopften Köpfen der Burschen die Straße entlang, die vom Hotel nach Tiger Hill etwa zwei Stunden Wegs aufwärts führt. Die Tragsessel, Dandis genannt, gleichen halbierten Kanus mit Leinwandwänden an den Seiten. Man sitzt in ihnen bequem, wenngleich ein wenig eingeklemmt. Vorn und hinten haben je drei Burschen die Tragstangen geschultert. Der dritte, ganz außen, hat die geringste Last zu schleppen, darum wechseln sie zuweilen ab, was nicht ohne viel Seufzen, Schnauben und Geächze vor sich geht, schon um das Trinkgeld zu erhöhen, das man nachher wohl zugleich mit dem ausbedungenen Lohn spenden wird.

An der ersten steilen Steigung des Weges verwandelt sich das Ächzen des einen und des anderen in der Karawane in rhythmisch artikulierte Weise; Worte entstehen aus dem Takt des Vorwärtsschreitens, des Schaukelns, pflanzen sich fort, von Gruppe zu Gruppe, zu leise gemurmeltem, allmählich stärker und lauter akzentuiertem Singsang. Bald singt die ganze Kulischar. Es ist lehrreich: auf diese Weise sind ja die ersten Sangesweisen, rhythmischer Ausdruck des Tragenden, Arbeitenden, Belasteten, entstanden. Die Mühseligen der Erde singen unter uns stumm und bequem Dasitzenden, die wir uns für ein paar Rupien zu der glorreichen Pracht des Sonnenaufgangs über dem 189 Himalajagebirge auf steilen Pfaden emporschleppen lassen können. Sie singen, und wir sind stumm. –

Singend und stumm, so geht es nachtstundenlang empor bis zur Spitze des Tiger, von wo wir aus dem Reiche des Ostens, dem mystischen China, die Sonne aufgehen sehen werden, mit östlichem Strahl die nach Norden geschweifte Kulisse Kindschindschungas streifend – die Wolkenbäusche von den Eisgipfeln fegend, über die glitzernd hohe Schneestürme brausen, mit dem Glase deutlich zu erkennen –, bis in der Ferne der Doppelfirn Everest zu leuchten anfängt, in durchsichtigem Glanz erstrahlt, daß sich die geblendeten Augen schließen wollen vor dem Wunder dieser Erde, dieser rätselhaften, tödlich unerforschten Erde. –

Unten im Keller des Aussichtsturmes wärmen sich, während wir auf dem Dach dem Sonnenaufgang zusehen, um ein flackerndes Feuer die Kulis. Die gelben Mongolenburschen sitzen mit hängenden, ausruhenden Schultern und Rücken schwatzend und rauchend da. Ihre kleinen Zöpfe baumeln von den schwitzenden Schädeln herunter. Sie haben sich über dem Feuer in einem alten Eisenkessel einen starken Tee gekocht und schlucken große, heiße Schlucke, an denen sich eine europäische Gurgel den Tod holen könnte, aus Blechschalen, die am Boden herumstehen. Auch ein paar Tommies aus der Garnison in Dardjiling sind da; nachdem sie den Sonnenaufgang genossen haben, setzen sie sich um das Herdfeuer, lachen und schreien sich an, in den Dialekten des schottischen Hochlandes, aus dem sie herkommen.

Auf dem Rückweg im Morgenlicht singen die Kulis wieder. Ihr Gesang ist nun lebhafter geworden. Die Worte scheinen harmonischer zu sein, als sie beim Aufstieg waren. Kein Wunder, es geht ja jetzt bergab, bald ist der Lohn in der Tasche. Oft kann einer kaum weiter vor Lachen, dann hört der Gesang für einen Augenblick auf, bis die anderen ihn wieder aufnehmen.

Es dauert aber nicht lange, und wieder ist der ernste, schleppende, schwere Rhythmus da, die Mühseligkeit hebt erneut an, denn es geht ja jetzt im Sonnenbrand steil bergab, es wiederholt sich der stumpfe, hingeächzte Refrain, den ich nun kenne, wie ich die Melodie und den Rhythmus erfaßt zu haben wähne und auch den Sinn – so daß ich 190 selber in den Pausen aus Eigenem, stumm zwar, aber im Innern laut, in den Wechselgesang einstimmen kann. –

Dies ist der Gesang der Kulis und meiner, auf den Pfaden der Berge zwischen Tiger Hill und Dardjiling.

Gesang der Kulis:

Schleppt, Burschen, schleppt!
Der schwere Fremdling hat Geld,
Wir haben keins,
Hätten wir's, wir ließen uns selber von ihm schleppen!
    Me – bi – lahhaja –
    Tach aschin – wala –
    We' auss – szeh!

Schleppt, Burschen, schleppt!
Wenn wir ihn niedersetzen, den Fremden,
Gibt er uns Geld,
Dann würfeln wir und liegen in der Sonne
Bis zur nächsten Nacht.
    Me – bi – lahhaja – –
    Tach aschin – wala
    We' auss – szeh!

Schleppt, Burschen, schleppt!
Der Wanst dieses Fremden wird immer dicker.
Am liebsten schmissen wir ihn
Hier übers Geländer den Berg hinunter,
Aber dann faßt uns die Polizei,
Und wir kommen ins Jail und müssen arbeiten
Für nichts und dürfen nicht würfeln
Und werden vielleicht sogar aufgehängt
Und unsere Zöpfe abgeschoren vorher.
    Me – bi – lahhaja – –
    Tach aschin – wala
    We' auss – szeh! 191

Schleppt, Burschen, schleppt!
Zu Hause wartet das Weib,
Sie hat eine heiße . . .
Da ist gut liegen,
Und auch eine heiße Suppe,
Und der Priester segnet das Haus.
    Me – bi – lahhaja – –
    Tach aschin – wala – –
    We' auss – szeh!

Schleppt, Burschen, schleppt!
Der Hotelbesitzer, der Schuft,
Behält das Geld, das der Fremde ihm gibt,
Und uns gibt er einen Dreck!
Aber das ist unser Los,
Denn wir sind Kulis, oh, du heilige Lotosblume,
Wir grüßen dich, kostbares Kleinod!
    Me – bi – lahhaja – –
    Tach aschin – wala
    We' auss – szeh!

Stummer Gesang des Fremden in der dritten Dandi:

Wie herrlich, o Herr,
Ist die Sonne über deinen Bergen!
Sie wissen nichts von Mehrwert,
Diese armen Halunken.
Wir wollen es ihnen beibringen!
Nicht soll deine Sonne mehr über Schleppende
Und Geschleppte scheinen.
Wir wollen alle schleppen!
    Me – bi – lahhaja – –
    Tach aschin – wala – –
    We' auss – szeh!

Ich weiß nicht, was diese tibetanischen Worte bedeuten.
Verzeih, großer Geist, wenn sie ein unflätiger Fluch sein sollten, 192
Der deine Ohren verletzt –
Sie wissen's nicht besser, es sind ja elende Kulis,
Zum Schleppen geboren,
Lasttiere, Würfelspieler, Hurer, Säufer –
Wir sind alle deine Kinder, o Herr, o selige Lotosblume, unendliches Juwel!
    Om mani padme hum!

In diesem Lande lebst du,
O Herr, o Lotosblume!
Ein Chaos ist dieses Land geblieben seit der Schöpfung Tag
Und doch sinnreich geordnet, denn du bist so lebendig hier!
Wie sollte ich je deiner Sonne vergessen, o Indien!
Sie leuchtet jetzt über dem Ganges, über der Heiligen Stadt Benares, wie sie über diese Bergeswipfel leuchtet –
    Om mani padme hum!

Om, om!
Wie sie ächzen, die armen Burschen!
Schütze, o Herr, deinen teuren Sohn Mahatma Gandhi,
Und lasse deine Sonne auch noch lange leuchten über den schönen weißbärtigen Greis Tagore.
    Om mani padme hum!

Und mein Gebet geht auch noch weiter,
Ich will dir alle Namen nennen, die Wurzeln des heiligen Banyanbaumes,
Dessen Stamm verdorrt ist und verloren,
Aber seine Wurzeln sind von oben aus der Luft zurückgekehrt zur Erde, zu deiner Erde,
Und jede ist eine lebende Seele, und für jede habe du Liebe und ein glückliches Leben, Herr –
    Om mani padme hum!

Daheim, im kalten, gottverlassenen Europa, schenke deine Gnade der Geliebten, den Freunden –
Den Menschen, die gut zu mir waren und sind – 193
Nein – ich brauche dir ihre Namen nicht zu nennen,
Denn erstens kennst du sie, o allwissende Lotosblume, leuchtendes Juwel,
Und zweitens wäre es ihnen vielleicht unangenehm, denn dies wird ja gedruckt!
    Om mani padme hum.

Schleppt, Burschen, schleppt!
Heute gibt's ein gutes Trinkgeld.
Der schwere Fremde wird sein Gewicht aufwiegen,
Nicht in Gold zwar,
Denn er ist nur ein erbärmlicher Schriftsteller,
Aber in Kupfermünzen, und auch das dürft ihr nicht wörtlich nehmen –
Aber das Geld könnt ihr verspielen, versaufen, verhuren,
Was solltet ihr auch mit Geld anderes anzufangen wissen!
Ihr seid doch arme, unwissende Geschöpfe.
    Me – bi – lahhaja –
    Tach aschin – wala –
    We' auss – szeh!

Weiß Gott, diese Amerikaner da vor und hinter uns,
Sie werden euch auch Trinkgeld geben,
Aber sie werden euch ermahnen, es nicht zu verspielen, nicht zu versaufen, nicht zu verhuren,
Denn es sind gottesfürchtige Amerikaner!
Sie preisen in ihren Kirchen den Schöpfer jeden Sonntag von zehn bis elf,
Im Grunde aber ist ihr Gott der Dollar,
Der sie mächtig gemacht hat.
Es sind verdammte Egoisten,
Diese Dollartaschen, Dollarkruzifixe.
Aber laßt uns nur für euch denken,
Ihr armen Halunken!
Wir sind wohl die schwersten,
Aber wir wollen euer Los erleichtern. 194
    Me – bi – lahhaja –
    Tach aschin – wala –
    We' auss – szeh!

Nein, wir wollen nicht rasten, bis die Sonne,
Die jetzt auf eure Buckel scheint,
Die den Schweiß aus euren Zöpfen tropfen läßt,
Die eure Ohrringe glühend macht
Und die Türkisen in euren Ohrringen immer heller,
Nicht mehr über Schleppende und Geschleppte scheint,
Wegen ein paar Rupien mehr oder weniger.
    Me – bi – lahhaja –
    Tach aschin – wala –
    We' auss – szeh! 195

 


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