Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Dies ist die Stadt der Maya

Aus einem blutroten Torbogen taucht ein weißer Marmordom, ein Marmorminarett auf – hoch ragend, doch zart gegliedert – alles verdoppelt, in einem schmalen, in Marmor gefaßten Wasserlauf sich spiegelnd –, dies ist Taj Mahal – aus Marmor, schneeweiß, ein wenig wolkig, beim Näherschreiten ein bläulicher Schein hier und dort im Stein, auch ein wenig Rosa, zart durch den Marmor schimmernd, in der Mitte aber, über der weißen Terrasse, gerade im Mittelpunkt der Spiegelung, ein winziges schwarzes Loch – der Eingang in den Riesendom, groß genug, um einen schmalen Sarg ins Innere zu schieben, denn Taj Mahal ist ein Grabmal, in Agra gelegen, Akbars, Jehangirs, Schah Jehans, Aurengzebs Stadt, der Stadt der Mogulen, und das Domgrabmal, Taj, ist von Jehan seiner Geliebten gesetzt, die seine Frau war, mit ihrem Kosenamen Mumtaz i Mahal hieß, Mahal: Palast, Mumtaz: die Erwählte, Taj Mahal: der Palast des Todes und der Erinnerung.

 

Schah Jehan war ein mächtiger Herrscher, und der Taj ist so schön, daß die Moslims hierher kommen, um Allah anzubeten.

Und doch war die Mumtaz nur ein sterbliches Weib, keine Heilige; mit ihrem wirklichen Namen hieß sie Arjemund Banu, ihr Vater Asaf Khan Yamin ud Daula, sie wurde die Frau des Schahs und starb im Kindbett. –

Die Sonne scheint auf das Wunder des Taj; die Sonne löst das Marmorwerk, göttlich, als wäre es aus Mondstrahlen, Sterngefunkel, Milchstraßennebel erbaut, in eitel Licht auf. Taj ist wirklich eine Wolke 139 geworden, schimmerndes Phantom – nur das kleine dunkle Tor, nicht größer als ein Sarg, ist Wirklichkeit.

Sie war wohl jung, sie war jung, Arjemund Banu, Mumtaz i Mahal, die jüngste unter den Frauen des Schahs, dem das Land gehörte, Indien, mit allen Frauen, allen Schätzen, sein war Macht und Herrlichkeit der Erde.

Wie klein ihr Sarg, hinter dem Spitzenschleier aus Marmor, unter dem Baldachin aus Edelsteinen! Die Blumen, die den Marmor ritzen, Jasmin, Rose, Feuerlilie, Veilchen und Lotos, sind aus allen Edelsteinen, um den Duft der blühenden Blumen in das Schattenland des Todes zu verpflanzen; aus Beryll, Chrysopras, Aquamarin, Karneol, Koralle, Amethyst und dem seltenen Sung-Nakhud, den man im Fluß Kumaun findet.

Mumtaz i Mahals Grab

Mumtaz i Mahals Grab

Wie klein ist dein Sarg, Mumtaz, welch ein Riesendom für solch einen winzigen Sarg. Du warst sehr jung, die Frauen des Schahs waren alle in den Künsten der Liebe erfahren, sie kannten den Krampf, die Lockerung und Lösung, das Verzögern, die rauschende Überstürzung. Du kanntest nichts. Keine der zahllosen Stellungen des Genusses war dir bekannt, du warst aus königlichem Geblüt, der großen Nurmahal Lieblingskind, du warst jung, wie hättest du von den Künsten gewußt, du warst jung und klein, jünger als alle Frauen des mächtigen Herrschers, vielleicht hast du kindisch einen glänzenden Stern an einem seidenen Kettchen in deinem jungen Haar verborgen, das war dein einziges Geheimnis. Deine Hände waren zart, wie die Zehen des jungen Rehs, deine Lippen ganz klein und schmal und röter als die all der anderen Frauen, du warst so zart, Mumtaz, daß das Kind, das du gebären solltest, deinen jungen Leib zerriß. Wie zart war der mächtige, fächerbärtige Schah, als er sich über dich niederbeugte, um dich nicht zu zerreißen mit seiner Begierde, du legtest deine kleine Hand über deine Augen, den Handrücken über deine Augen, die Handfläche, die die Dienerinnen dir mit Blütensaft rot gefärbt hatten, nach außen gekehrt, du warst so jung, darum der überirdische Schmerz des Herrschers über Völkermillionen, darum dieses Wolkenwunder aus überirdischem Steinkristall, das sich im Wasser spiegelt – wärst du älter geworden, nie hätte Schah Jehan dir diesen Dom gebaut, nie aus dünnen Buchstaben von schwarzem Marmor die neunundneunzig 140 heiligen Namen Gottes in deinen kleinen, schmalen Sarg meißeln lassen! Wärst du älter geworden, Mumtaz, er hätte sich eine Jüngere gesucht, das ist der Lauf der Welt, und du wärst begraben, irgendwo, niemand kennt die Gräber der anderen, ja selbst Nurmahals Grab ist unbekannt, aber deines kennt die Welt des Islam, Indien, die ganze, weite Welt . . .

 

»Your Honor,« sagt der junge Führer, der mich nächsten Morgen durch die Moscheen, die Paläste, die Trümmerstätten des Forts führt, der Festung von Agra – er heißt Aziz Khan, sein Beruf, er ist Führer –, »your Honor, wir steigen nun die Treppen hinauf zum Palast Schah Jehans. Mumtaz i Mahal war seine Lieblingsfrau, neben ihr hatte er zweihundertdreißig Sklavinnen – das ist viel, wenn man Akbars Genügsamkeit in Betracht zieht, wenig, wenn man bedenkt, daß Jehangir über tausend besaß –, aber Mumtaz, der großen Nurmahal leibliche Nichte, war seine Bevorzugte. Sie war sechsunddreißig Jahre alt . . .«

»Sechsunddreißig!!«

». . . . als sie starb, im Kindbett, nachdem sie ihrem Gatten bereits vierzehn Kinder geboren hatte . . .«

»Vierzehn!!«

». . . darunter Jehanara, die allzeit Getreue, die bei Schah Jehan blieb, als ihr Bruder, Mumtaz' Sohn, der mächtige, tückische Aurengzeb, seinen Vater hier in diese Festung sperren ließ, wo er sieben Jahre lang festgehalten wurde. – In einer Nacht, als sie den siebenten Monat schwanger war, weckte Mumtaz ihren Gatten und sagte: ›Das Kind weint in meinem Leibe!‹, und dann sagte sie noch: ›Oh, diese meine Augen haben einen lieblichen Freund gesehen, nur eine kurze Weile! Schmerz und Trennung ist unser Los, o mein Geliebter, weine Tränen von Blut, denn der Tag unseres Scheidens ist gekommen, ich höre das Kind weinen in meinem Leibe!‹ Und wenige Stunden später hatte das Kind sie getötet. Sie war von heiterem Gemüt, der Schah hat sie nie verschmerzt. Er hat einen Feldzug gegen das südliche Indien unternommen, aber nach Mumtaz' Tode mißglückte alles, Hunger und Pestilenz befielen das Reich, und er wurde ein Gefangener seines Sohnes. Als er zu sterben kam, bat er seinen Sohn, er möchte erlauben, daß man ihn auf einer Bahre zum Balkon über dem Fluß trage – nicht weit, nur drei Gemächer weit von der Kammer, in der 141 er so lange gefangen gesessen hatte –, um in der Ferne über dem Fluß den Dom noch einmal zu sehen, den er seiner Liebsten errichtet hatte, Taj, den Marmordom. Aurengzeb ließ dem Vater sagen, daß dagegen nichts einzuwenden wäre, und so starb Schah Jehan, in den Armen seiner treuen Tochter Jehanara, die Augen auf Taj gerichtet, den Dom in der Ferne.«

»Your Honor,« sagt Aziz Khan des weiteren, »es wird berichtet, daß Prinzessin Jehanara die Mitgift ausschlug, die ihr Bruder Aurengzeb ihr schenken wollte, fünf Lakh Goldrupien, damit sie sich ihrer hohen Geburt entsprechend verheiraten könne. ›Ich nehme von dir kein Geschenk an,‹ sagte Prinzessin Jehanara, ›ich bleibe meinem toten Vater treu!‹ Die anderen Geschwister aber hielten es mit Aurengzeb, denn er hatte die Macht!«

»Gehen wir unter diesen Kolonnaden über den Hof,« sage ich dem Führer, »denn die Sonne brennt sehr heiß herab!«

»Sehr wohl, your Honor! Hier, sehen Sie, bitte, das Gold an der Decke – so war der ganze Saal geschmückt. Marmor die Wände, aus kostbaren Steinen eingelegt Blumen, dies ist der Jasminpavillon, weil lauter Jasminblüten in die Wände eingelegt sind, aus Topas, Elfenbein, Achat, Canaraporzellan und die Blätter aus Malachit. Hier, nebenan, in den kleinen dunklen Gemächern, waren die Bäder für die Frauen, die heißen, tiefen Marmorbassins, mit den zahllosen kleinen Spiegelchen in den Wänden, zwischen dem Gold und den Edelsteinblumen. Dort war das Gemach der Mumtaz – sehen Sie die Nischen im Marmor? In diese hinein legte sie ihre Armspangen, ihre kostbaren Halsgehänge, ihre Fußreifen, Ringe und Perlenschnüre. Wir treten jetzt in den kleinen Raum ein, bitte betrachten Sie hier diese aus dem Fußboden kunstvoll ausgeschälte Marmormuschel mit der Röhre in der Mitte: es war das Fußbad von duftendem Wasser, die Herrschaften wuschen sich erst die Füße, ehe sie nebenan in den Speisesaal gingen, von dem man – bitte treten Sie auf diese Seite – den Blick auf den weiten Hof hat, vor uns; aber betrachten Sie erst die Verzierungen an der Decke, an den Wänden des Saales, es sind die kostbarsten von allen. Hier stand die Tafel; als vor zwölf Jahren der Prinz von Wales, Seine Königliche Hoheit, das Fort von Agra mit seinem hohen Besuch beehrte, geruhte er, mit seinem Gefolge in diesem Saale einen Lunch einzunehmen.«

Schah Jehans Fußbad

Schah Jehans Fußbad

142 »Was sind das für Türen dort drüben in dem breiten weißen Bau, am anderen Ende des Hofes?«

»Das, your Honor, sind die Türen, hinter denen sich die Wohngemächer der zweihundertdreißig Sklavenmädchen befanden. Der Hof hier unter uns, mit dem Springbrunnen in der Mitte, es schwammen Goldfische in dem Bassin, hieß der Rebenhof, weil zierlich gebaute Rebenstöcke in ihm standen, Arabesken-Ornamenten ähnlich. Wenn die Herrschaften gespeist und die Mumtaz und die Töchter des Schah sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatten, dann traten aus den Türen dort drüben die zweihundertdreißig Frauen heraus und warteten. Hier aber stand Schah Jehan und wählte unter ihnen aus.«

Sie traten aus den Türen, dort drüben, angetan für die Nacht, welche preßten ihre Brüste an die Marmorbrüstung und warteten, andere hockten nieder auf seidene Kissen und hoben die Arme über den Kopf, um das Geschmeide in ihren Haaren zu ordnen, und noch andere standen still und warteten auf den Blick des Herrn, der drüben in der Marmorhecke stille stand und seine Augen von einer zur anderen wandern ließ.

»Das Schönste aber, your Honor, war der Baldachin, the Panoply, über dem Rebenhof: ein blaues seidenes Tuch, über den ganzen Hof gespannt, das die Sonne abwehrte; diese Decke war mit roten, gelben und weißen Blumen und Zieraten kunstvoll bestickt und benäht, wie berichtet wird, darunter war es kühl und schattig bei Tag, alles hatte ein blaues Licht und golden. Wenn die Nacht kam, dann wurde dies Dach fortgezogen, und der Sternenhimmel schien über dem Hof – hier aber sehen Sie die vielen ganz kleinen Nischen in den Marmorwänden, jede von einem Kranz aus eingelegten kostbaren Edelsteinblumen umgeben: hierher in die vielen kleinen Nischen stellten die Sklavinnen Lampen aus Gold, in denen wohlriechendes Öl brannte. Dann führten, auf jener Marmorestrade, die zum Rebenhof hinunter führt, Mädchen Tänze auf, die Musikanten aber saßen, unsichtbar, hinter jenem verdeckten kleinen Erker aus Marmor . . .«

 

Schah Jehan, Rebenhof, Marmordom Taj, wie könnte ich euch je vergessen, wie werde ich dich je vergessen können, wunderbares, wunderbares Indien! 143


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