Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Der andere große Mann Indiens

Ende November, noch ehe ich den Ausflug nach dem Himalajagebiet unternommen hatte, waren wir übereingekommen, daß wir Rabindranath Tagore in seiner Aschram Santinikétan gemeinschaftlich besuchen würden: ich und der deutsche Konsul von Kalkutta, Herr von Pochhammer, ein junger Diplomat der Art, wie man sie jetzt im Osten erfreulicherweise des öfteren antrifft, in Sowjetrußland an dem großen Gedanken der neuen Zeit gebildet und zum Dienst der Zukunft erzogen. Als Dritter schloß sich uns der junge Dr. Koester aus dem Konsulat an, und so fuhren wir an einem hochsommerlich heißen Morgen nach der etwa einhundert Meilen nordwestlich von Kalkutta gelegenen Station Bholpur, wo uns bereits der Autoomnibus erwartete. Zu früher Nachmittagsstunde kamen wir im Gästehaus von Santinikétan an, das inmitten eines Mangrovenhains zwischen den Schulgebäuden und den Wohnhäusern der Aschramstudenten und -studentinnen erbaut ist, mit einigem Komfort, denn es kommen viele europäische Besucher zum alten, weisen Dichter, die ihn hier an der »Stätte des Friedens« sehen möchten – das ist die wörtliche Übersetzung von Santinikétan.

 

Vor einer Woche habe ich in der kleinen Sackgasse an der Chitpore-Road, einer der geräuschvollsten Bazarstraßen der Eingeborenenstadt Kalkuttas, vorgesprochen und gehört, daß Tagore seine Krankheit, einen Anfall von Herzschwäche und Ohrenentzündung, überstanden habe und aufs Land gefahren sei.

Die Sackgasse, Dwarakanath Tagore-Lane, endet in drei rot getünchten, mächtigen Palästen, in denen die Tagores, eine vornehme, sehr begüterte Familie Bengalens, ihren städtischen Wohnsitz haben. Im Palast des Dichters legten Arbeiter marmorne Fußböden. Ich gab meine Karte ab und schrieb einen Brief an Tagore, der ihm nach Santinikétan nachgesandt werden sollte. Dann ging ich in den 177 gegenübergelegenen Palast zu den Neffen des Dichters, den Malern Abanindranath und Gaganendranath, hinauf, die ich in einem herrlichen Atelier antraf.

Abanindranath ist als der hervorragendste Maler des heutigen Indiens anzusprechen, ein ernster, schöner, hochgewachsener Mann in den besten Jahren, dessen Kunst von der alten Malerei Indiens, den Höhlenfresken von Ajanta und den persischen Miniaturen, die die Wände schmückten, beeinflußt ist, – während der ältere, beweglichere, lebhafte und witzige Gaganendranath augenscheinlich die Botschaft Picassos vernommen hat, es standen an den Wänden kubistische Tafeln herum, von denen einige aus dem Bauhaus in Weimar zurückgekehrt waren.

Rabindranaths Vater, Devanandranath war es, der Santinikétan für sich und die Seinen vor einem halben Jahrhundert aus einer wüsten Einöde in diesen schönen, mit Bäumen, Sträuchern und Blumen bunt blühenden Park verwandelt hat, als der sich die »Friedensstätte« jetzt dem Besucher darbietet. Die Sage geht, daß Devanandranath Tagore sich an dem Ort, an dem ihn Räuber überfallen hatten, zur Meditation niederließ – eine Marmorgedenktafel bezeichnet im Mangrovenhain diese Stelle. Unter dem Marmor ist auch das Grab des Alten gelegen.

Vom Hain zum Hause des Dichters führt ein schattenloser Pfad. Sind die Vorhänge an drei Seiten der Säulenvorhalle dieses bescheidenen, ebenerdigen Hauses in die Höhe gezogen, so sieht man weit über ein endlos flaches, kahles Gefilde. Der Vollmond verbreitet sein Licht schon über das abendliche Firmament, und doch ist es fast noch Tag.

Der schöne, hohe Greis, wie ein Patriarch oder Prophet des Alten Testaments anzusehen, in weitem, braunem Talar und Sandalen, steht vor uns, ladet uns freundlich ein, an dem Teetisch Platz zu nehmen, der, mit kleinen Tellern voll indischer Süßigkeiten angenehm zugerichtet, schon auf uns gewartet hat.

 

Ich war, um es gleich offen heraus zu sagen, in den letzten Tagen einigermaßen befangen und schwankend geworden. Tagore teilte mir nach Empfang meines Briefes in einem liebenswürdigen Schreiben mit, daß er meinen Besuch erwarte. Ich schätzte den Dichter sehr als einen Mann, der, obzwar ihm von seiten der englischen Regierung 178 persönlich keine Unbill widerfahren war, dieser seine Auszeichnungen und den Titel Sir zurückgegeben hatte, weil er mit der britischen Indienpolitik sich nicht einverstanden erklären konnte. Und außerdem liebte ich ihn noch um seiner Vorträge willen, die er in Amerika gegen den Nationalismus gehalten hat. – Was sollte man aber nun davon halten, wenn man gleichzeitig mit der Nachricht von Mahatma Gandhis Fasten in den Zeitungen die Notiz las: der Dichter habe in seiner Aschram den Gouverneur von Bengalen, Lord Lytton, und sein großes Gefolge empfangen, mit Festspielen der Schüler, Tee im Mangrovenhain und allen Ehrungen, die einem solch illustren Vertreter der britischen Regierung zukommen – und außerdem war ein Dankschreiben Tagores an Mussolini abgedruckt, ein offizielles, in herzlichem Tone gehaltenes Schreiben: der Diktator hatte einen Faschistenprofessor mit einem Waggon italienischer Bücher nach Santinikétan entsandt, und Tagore hatte betont, daß damit ein Band zwischen zweien der für die Menschheit bedeutungsvollsten Kulturen geschlungen sei.

All dies stimmte nicht recht zusammen. All dies verstimmte beträchtlich.

 

Der römische Professor, ein junger, nervös beweglicher Herr, erschien auch bald an der Tafel, und nun sprach der Poet. Er sprach zunächst leise und müde, schien von seinem Leiden arg mitgenommen zu sein, aber zusehends wich seine Müdigkeit von ihm, als die Themen des Gesprächs anregender wurden, und wir durften nun dem Schwung der Worte des imposanten alten Mannes mit dem grauen Löwenhaupte und den seltsam eng beisammen stehenden, sich allmählich bis zu jugendlicher Frische belebenden Augen einige Stunden lang genießend folgen. –

Der gewissenhafte Chronist fühlt sich bemüßigt zu berichten, daß der Poet (»the Poet«, so nennt man ihn in Santinikétan wie in Kalkutta, an diesem letzten Orte vielleicht auch, weil es ja Maler und Gelehrte dieses Namens gibt) bei dem Konsul zunächst Erkundigungen nach einigen mondänen Damen einholte, die ihn in Berlin augenscheinlich für ihre Salons eingefangen hatten, und daß das Gespräch sodann durch die gegebene Ideenassoziation auf den Botschafter oder europäischen Statthalter des Poeten in Deutschland, den Grafen Keyserling 179 und seine von den Frankfurter Salons äußerst geschätzte Schule der Weisheit hinüberglitt. Ein Sammelbuch von Aufsätzen über die Ehe wurde aus der Bibliothek herbeigeholt, und ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang der Poet die Bemerkung fallen ließ, daß er sich in seinem Statthalter einigermaßen getäuscht habe. Bald aber kehrte sich das Gespräch von diesen persönlichen Präliminarien ab, und es kamen wichtigere Dinge zur Sprache. Und nun entfaltete der außerordentliche Mensch Tagore den Zauber seiner sinnlich bestechenden Persönlichkeit. Die schwingende Melodie seiner Worte, in einem sanft singenden hohen Tone vorgetragen, ließ seine Antworten zuweilen in phantastischem Bogen weit über die positiv formulierten Fragen, die einer oder der andere unter uns an ihn zu stellen hatte, emporschweifen. Unsere Fragen waren sozusagen nur das Plektron, das die Saiten dieser in der Phantasie beheimateten, beseelten Laute anrührte, und als wir Gäste nachher unsere Eindrücke von dem, was Tagore uns gesagt hatte, zu kontrollieren versuchten, erwies es sich, daß eben diese Melodie seiner vollendet schönen Sprache (mit einer leise argumentierenden, dozierenden Nebenschwingung) stärker in der Seele haften geblieben war als das, was er uns zu sagen hatte.

Indien und Gandhi, die europäische Welt und dieses östliche strahlende Gestirn – das war es, worüber wir in der Hauptsache sprachen. Der großen materiellen Armut des indischen Volkes, der nur durch Geburtenbeschränkung gesteuert werden könnte, stellte Tagore die zunehmende seelische Verarmung des industrialisierten Westens zur Seite, in dem die äußeren Formen des Lebens von der Maschine zermalmt werden und das sich im Rekord seinen Götzen geschaffen hat, im Friedens so gut wie im Kriegshandwerk. Der Poet beklagte die Einwirkung dieser üblen Maschinenkultur auf das tiefe, allliebende, alles Lebende mit gleicher Inbrunst umfassende Wesen des Inders, das ganz offenbar durch den Einfluß westlicher Strömungen gefälscht und verdorben werde. Indien warte aber sehnsüchtig und begierig auf die Stimme, die es erlösen soll.

Gandhi . . .

Gandhi hatte der Poet vorzuwerfen, daß er mit der Scharka und dem Kaddarweben, mit der Verehrung und dem Schutz der Kuh dem Volke zu seinen alten neue Idole, Fetische, Götzen geschaffen 180 habe. Ein Idol, ein Fetisch aber sei der Ruin der Idee, die er verkörpern will. Die Idee verschwinde,: verflüchtige sich hinter dem Symbol, wenn dieses allzusehr ins Bewußtsein des primitiven Menschen eindringe. Symbole zerstörten die Einheit des Glaubens. Man dürfe sogar Indien, wie das jetzt geschehe, nicht als das anbetungswürdige Symbol des östlichen Gedankens als solchen preisen. Wolle man z. B. den Morgen immer wieder mit einer Blume vergleichen, so wäre man um ein Bild ärmer, um einen Gemeinplatz reicher.

Tagore betonte die (menschlich sehr begreifbare) Divergenz seiner Idee mit der Gandhis, den er aber sonst recht sehr anzuerkennen, ja zu verehren schien, obzwar er wie alle anderen behauptete, der Einfluß der »Legende Gandhi« werde jedenfalls, sollte er nicht bereits ganz erloschen sein, dieses Schicksal in kürzester Frist erleiden. –

Diese Anschauung, die ich nun, wie gesagt, fast stereotyp, mit den gleichen Worten wiederholt, des öfteren aus so vielen Mündern vernommen hatte, überraschte mich aus dem Munde des Poeten kaum. Wie sollte es auch anders sein? Gandhi und Tagore, das sind zwei tief verschiedene, vielleicht abgrundtief getrennte Welten. Beide zusammen ergeben, wie Rolland betont und in einem schönen Bild mit dem großen westlichen Indusstrom und dem östlichen heiligen Gangesstrom verglichen hat: Indien, das Land, die alte Heimat der Religion, der Dichtung und der Würde des Menschen.

 

Wir haben nun in einem schönen, neuen Hause, das, seltsam in der Form eines Ovals, ans Ende einer langen schattenlosen Straße mitten ins Feld gesetzt ist, mit den ausländischen Lehrern der Aschram das europäische Abendessen eingenommen. Es sind Schweizer, Engländer, Franzosen, auch ein junger chinesischer Professor da, der mir wertvolle Empfehlungsschreiben an chinesische Staatsmänner und Generale mitgibt. Die Wohnräume der Ausländer schließen sich an das Refektorium an, das den mittleren Raum des Ovals einnimmt. (Der Nobelpreis, der dem Dichter vor einem Jahrzehnt verliehen wurde, und Stiftungen reicher Inder ermöglichten Ausbau und Fundierung der Lehrstätte.)

Nachher gehen wir unter dem Schein des herrlich aufsteigenden Mondes zum Mangrovenhain zurück, aus dem wir schon, aus der Ferne 181 herüberwehend, einen Chor von Frauenstimmen, dunklen, lang gedehnt und dann plötzlich ekstatisch wie Jubelschrei in die gestirnte Nacht emporsteigenden Gesang gehört haben.

Durch den Hain, dann hinaus auf die Felder, zurück an dem Grabmal vorüber und unter den Blumenbeeten wandelt eine Gruppe junger Mädchen. Es sind die Schülerinnen der Aschram, junge Inderinnen, aus vornehmen Familien des Landes stammend. Sie alle tragen die Schleier und Sâris der indischen Frau. Eng beisammen gehen sie und singen. Ich kann die Worte nicht verstehen, aber der süße, hingegebene Chorgesang, der von diesen schönen, dunklen Mädchen in leidenschaftlichem Aufschwung zum wunderbar leuchtenden Nachthimmel emporführt, ergreift das Herz und erfüllt es mit dem unnennbaren Zauber der östlichen Erotik.

Unsere kleine Gruppe bleibt am Wege stehen. Ohne ihren Gesang zu unterbrechen, schreiten die dunklen Gestalten der Mädchen an uns vorbei, verneigen sich vor uns, die wir uns vor ihnen verneigt haben, und bald tönt, durch die Bäume sich entfernend, ferner, verhallend, das Lied der Mädchen zu uns zurück.

Es ist aus der »Gitanjali«, und der Poet selber, der als ausgezeichneter Musiker gilt, hat die Melodie zu seinen Worten komponiert.

»Hört ihr nicht seinen leisen Schritt? Er naht, naht, ewig naht er.

Jeden Augenblick und in jedem Jahrhundert, jeden Tag und jede Nacht naht er, naht er, naht ewig.

Manchen Gesang hab' ich gesungen, in manchem Wechsel der Seele, doch jeder Ton verkündete immerdar: er naht, naht, ewig naht er.

In den duftigen Tagen des sonnigen April, über die Pfade des Waldes naht er, naht er, naht ewig.

Im Regennebel der Julinacht, auf dem Donnerwagen der fliegenden Wolken naht er, naht er, naht ewig.

In Kummer und Betrübnis fühle ich seinen Schritt mein Herz bedrücken. Die goldene Berührung seiner Füße aber macht meine Freuden höher leuchten.«

In sprühendem Bogen steigt der Vollmond über den Hain empor, über die Häuser der Friedensstätte. Es ist tiefe Nacht, der Gesang verstummt. In seinem kleinen Haus, draußen zwischen den Feldern, 182 liegt der alte kranke Dichter schlaflos. Jeden Abend hört er von fern den süßen, leidenschaftlichen Gesang der Mädchen, hört seine Worte, seine Melodie, den Widerhall seines Herzens. –

Und jeden Morgen vor Sonnenaufgang grüßen ihn aus dem Hain, bald nah, bald sich entfernend, Chöre junger Knaben, die singend der aufsteigenden Sonne entgegenschreiten. Ihre klaren Stimmen erheben sich zu inbrünstigem Gesang. Jeden Morgen grüßen die Worte des Dichters, aus diesen unverderbten Kinderseelen strömend, den aufgehenden indischen Tag.

 

Wie trifft es sich so glücklich: die Sonne geht über einem Feiertage auf!

In aller Frühe kommen die Schüler, die Lehrer, die Bewohner Santinikétans zum Glaspavillon am Rande des Mangrovenwäldchens, um den Poeten zu hören, der hier heute die Morgenandacht abhalten wird.

Leise, wie es sich im Tageslicht ziemt, tönt der Gesang der herbeischreitenden Mädchen. Sie und die Knaben nehmen rings um die gläserne Halle auf den Stufen des Pavillons Platz, wo auch uns unser Platz zugewiesen wurde. In der Halle hocken auf Teppichen die älteren Männer, Lehrer und Mitarbeiter der Aschram. Vorn aber, wo der Poet seinen Platz einnehmen wird, sind drei niedere Schemel aus hellem Stein auf den Marmorboden gestellt. Auf dem mittleren, niedersten liegen ein paar voll erblühte gelbe Tempelblumenkelche. Davor strömt aus einer kleinen Schale Weihrauch in die Höhe.

Der alte Poet erscheint auf den Stufen. Er hat seine Sandalen abgelegt. In den weiten, braunen Talar gehüllt, tritt er in die Halle ein, neigt sein Haupt hinter den gefalteten Händen auf die Fingerspitzen nieder, und die Versammlung scheint für Augenblicke mit ihm in stumme Verzückung zu versinken. Dann erhebt er Antlitz und Stimme und spricht in liturgisch singendem Tone einen Vers aus den Upanischaden. Und es ist abermals ein Gebet, dieser Vers.

Dann hockt er auf der Matte hinter den Opferschemeln nieder, faltet die aristokratisch schmalen Hände und spricht in seiner melodischen, hohen Stimme, die sich zuweilen bis zu Falsettönen versteigt, im bengalischen Dialekt, seiner Muttersprache: 183

über den Feiertag der Seele, die alles in sich aufnehmen muß, die ganze grenzenlose Herrlichkeit des Erschaffenen, um eins zu werden mit der Welt, der feierlichen Offenbarung des Einen Geistes. – Zuweilen steigert sich die Sprache des Poeten zu hymnischen Rhythmen. Da sind es wieder Verse aus den Upanischaden, die der Poet in seine Rede geflochten hat. Aber die Stimme sinkt, sobald es wieder eigene Worte sind, in denen er fortfährt, und der gewohnte harmonische Fluß der Rede setzt sich fort.

Andächtig sitzen die Hörer, die Frauen, die älteren Männer, die jungen Mädchen in und außerhalb der gläsernen, durchsichtigen Halle da, durch die Morgenlicht strömt. Nur zwischen den Knaben, die, wie es scheint, in der ganzen Welt das lange Stillsitzen schwer vertragen, spielt sich in artig gezügelter Weise allerhand versteckter Unfug ab.

Zum Schluß stehen wir alle mit dem Dichter geneigten Hauptes da, und eine Strophe aus den Upanischaden endet die Feiertagszeremonie.

Draußen vor dem Pavillon bleibt Tagore noch eine Weile stehen. In langer Reihe nahen die Schüler, die schönen jungen Schülerinnen, die älteren Leute auch der wunderschönen, hohen, löwenhäuptigen Greisengestalt. Einzeln bückt sich jeder und jedes zur Erde nieder, berührt die Sandalen des Poeten mit den Lippen oder mit der Hand, um dann die Finger zu den Lippen zu führen.

Wieder beschleicht mich das üble Gefühl einer Unstimmigkeit, eines Zwiespaltes, eines Bruches in dieser Erscheinung. Dasselbe Unbehagen wie beim Lesen des Mussolini-Briefes, des Berichtes über die Lyttonfeier.

Wozu dieses Brimborium, diese Prozedur nach der weihevollen Feier, dem Dienste des Höchsten Geistes? Sie erinnert mich, ich kann mir nicht helfen, an eine Szene im Lateran, an einen geilen alten Kardinal, vor dem die Kolonie der römisch-amerikanisch-englischen Damenwelt beim Osterfest auf Knien vorbeirutschte. Ein Akt der Anbetung, der, sollte er auch durch östliche Bräuche begründet sein, mir Europäer den schönen, ungetrübten Eindruck von Tagore in seinem Reich und den Stunden, die ich hier verbringen durfte, abschwächt und verwischt.

Eine halbe Stunde später fährt der Autoomnibus vor dem Hause des 184 Poeten vor. Herr von Pochhammer, Dr. Koester und ich haben dem Poeten unseren Abschiedsgruß und Dank abgestattet. Am Abend hat uns der Nordwest-Schnellzug aus Bholpur wieder nach Kalkutta zurückbefördert.

 


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