Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
InhaltInhalt
- Josef Haltrich
- 1. Die beiden Goldkinder
- 2. Die drei Rotbärte
- 3. Der gerechte Lohn
- 4. Das wohlfeile Holz
- 5. Die Schwanenfrau
- 6. Der seltsame Vogel
- 7. Der goldne Vogel
- 8. Das Hirsekorn
- 9. Die Hälfte von allem
- 10. Das Zauberroß
- 11. Goldhaar
- 12. Unser Herrgott und der Kirchenvater
- 13. Der Federkönig
- 14. Der Erzzauberer und sein Diener
- 15. Lohn und Strafe
- 16. Der Wunderbaum
- 17. Der Eisenhans
- 18. Der starke Hans
- 19. Der Zigeuner und die drei Teufel
- 20. Der tausendfleckige, starke Wila
- 21. Der Knabe und die Schlange
- 22. Die Königstochter in der Flammenburg
- 23. Der Hünentöter
- 24. Das Rosenmädchen
- 25. Die beiden Geschwister und die drei Hunde
- 26. Der gute Peter und seine falschen Brüder
- 27. Der Königssohn und die Teufelstochter
- 28. Der listige Schulmeister und der Teufel
- 29. Des Teufels Hilfe
- 30. Die beiden Fleischhauer in der Hölle
- 31. Die Erlösung
- 32. Die dunkle Welt
- 33. Der Erbsenfinder
- 34. Von den zwölf Brüdern, die zwölf Schwestern zu Frauen suchen
- 35. Die beiden Mädchen und die Hexe
- 36. Das Zauberhorn
- 37. Die drei Brüder und der Hüne
- 38. Die drei Schwestern bei dem Menschenfresser
- 39. Von der Königstochter, die aus ihrem Schlosse alles in ihrem Reiche sah
- 40. Die Geschenke der Schönen
- 41. Die versteckte Königstochter
- 42. Verstand und Glück
- 43. Der Rohrstengel
- 44. Das Borstenkind
- 45. Der Hahn des Nachbars und die Henne der Nachbarin
- 46. Der Burghüter und seine kluge Tochter
- 47. Der Aschenputtel wird König
- 48. Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand
- 49. Der Kreuzträger
- 50. Die beiden Prahler und der Bescheidene
- 51. Der lateinische Junge
- 52. Der mißratene Gelehrte
- 53. Die drei schweigsamen Spinnerinnen
- 54. Der König und die beiden Mädchen
- 55. Die Geschenke der beiden Liebhaber
- 57. Die beiden Lügner
- 58. Lügenwette
- 59. Die drei lustigen Brüder (Sächsisches Lügenmärchen aus Schäßburg)
- 60. Der lose Knecht
- 61. Die tauben Hirten
- 62. Der Mann mit dem Zaubervogel
- 63. Der dumme Hans
- 64. Der siebenmal Getötete
- 65. Die törichte Liese
- 66. Der törichte Hans
- 68. Wie soll ich denn sagen?
- 69. Suche nur, es gibt noch Dümmere
- 70. Die faule Kathrin
- 72. Die Mär vom roten Hahn (Foppmärchen)
- 73. Vom alten Bauer[n], der hinter den Ofen ackern fuhr
- 74. Die Mär von den fünf Zehen
- 75. Die Mär von den fünf Fingern
- 76. Die Büffelkuh und das Fischlein
- 77. Tod des Hühnchens
- 78. Begräbnis des Hühnchens
- 79. Die Reise des Enteleins
- 80. Von dem Jungen, der immer schnupperte
- 81. Die kluge Meise und der Fuchs
- 82. Vom Kater Mitzpuf
- 83. Die Geiß mit ihren zehn Zicklein und der Bär
- 84. Der Fuchs und der Bär
- 85. Der Wolf und die alte Geiß
- 86. Der Wolf und das Menschenkind
- 87. Der Wolf als König, der Fuchs sein Minister
- 88. Der Bauer, der Bär und der Fuchs
- 89. Der Zigeuner, der Wolf, der Fuchs und der Esel in der Wolfsgrube
- 90. Der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Hase auf dem Medwischer Margrethi
- 91. Der Bär, der Wolf und der Fuchs
- 92. Die Füchse, der Wolf und der Bär
- 93. Der Johannistag der Wölfe
- 94. Der Wolf und der Fuchs beim Kürschner in der Beize
- 95. Der Fuchs verschafft dem Wolf das Fleisch von zwei Schweinen aus des Buschwirten Kammer
- 96. Der Fuchs überredet den Wolf, über den Köhlerbrunnen zu springen
- 97. Der Fuchs führt den Wolf in die Schafmeierei
- 98. Der Fuchs überredet den Wolf, ins verlassene Räuberhaus zu gehen
- 99. Der Fuchs betrügt den Bauern um die Fische, der Wolf frißt sie
- 100. Der Fuchs und der Wolf im Dorfbrunnen
- 101. Der Fuchs lehrt den Wolf fischen
- 102. Der Fuchs macht dem Wolf einen Zagel aus Hanf und Pech
- 103. Der Fuchs und der Wolf gehen durchs Feuer
- 104. Der Fuchs und der Wolf auf der Bauernhochzeit
- 105. Der Wolf und die zwei Bauern
- 106. Der Wolf und die Stute
- 107. Der Wolf und die beiden Böcke
- 108. Der Wolf und die Sau mit den zwölf Ferkeln
- 109. Der Wolf und die Geiß mit ihren zehn Zicklein
- 110. Der Wolf kehrt heim in sein Waldhaus und wird ein Büßer
- 111. Der Fuchs heilt des Raben Kinder von der Krätze
- 112. Der Fuchs und die Schnecke
- 113. Der Fuchs überlistet den Haushahn
- 114. Der Fuchs wird von den Gänsen überlistet
- 115. Der Fuchs macht den Hasen zu seinem Leibeigenen
- 116. Der Fuchs und der Igel
- 117. Der Fuchs verliert seinen Pelz und bereut dabei seine Sünden
- 118. Der Fuchs hangt geschunden am Baum und wird vom Hasen geneckt
- 119. Der Fuchs wird durch einen Sturmwind vom Baume los
Josef Haltrich
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110. Der Wolf kehrt heim in sein Waldhaus und wird ein Büßer
Voll Gram und Mißmut eilte der Wolf dem Walde zu. Er verfluchte das Schicksal, das ihn ganz nur dem Unglück geweiht habe.
»Kampf und Not
Sind dein täglich Brot!«
seufzte er, »steter Hunger und keine Sättigung, keine Ehre und keine Freude! Meine Voreltern hatten es besser als ich, sie hatten die fettesten Bissen vollauf, aber jetzt, ach, sind die Füllen rar!« Also haderte er lange mit Ungestüm gegen die Vorsehung. Zuletzt aber kam er auf wahrhaft reumütige Gedanken. »Wenn du's recht überlegst«, sprach er bei sich selbst, »so bist eigentlich doch nur du an allem deinem Unglück schuld: du wolltest Schauspieler sein und den Fuchs nachmachen, du wolltest Torbesvater (Feldhüteraufseher), Teilherr, Schulmeister, Pfarrer und Kantor sein, und weder hat dein Vater, noch Großvater, noch Urgroßvater von jenen Künsten etwas verstanden: Du stolzer Einfalt wolltest klüger sein als sie und die Verstellerei, Leserei, Feldteilerei, Tauferei und Singerei gar aus dem Grunde verstehen. Ja, du bist wert, daß unser Herrgott seine feurigen Pfeile auf dich herabschleudert!« Indem war er in den Wald gekommen, und ein Zigeuner, der ihn gesehen, hatte sich aus Furcht schnell auf einen Baum geflüchtet. Eben lief er unter dem Baum dahin, als er die feurigen Pfeile unseres Herrgotts auf sich herabwünschte; da ließ der Zigeuner in der höchsten Angst gerade seine Axt herabfallen, die traf den Wolf. »O Gott«, seufzte er, »du erhörst doch gar zu schnell; ich hatte es ja nicht so gemeint!«
Er war aber so zerknirscht, daß er sich vornahm, sein bisheriges Leben ganz zu ändern; zudem überfiel ihn auch die Mutterkrankheit (das Heimweh), und so nahm er sich vor, heimzukehren, obgleich ihm sein Zagel noch nicht wieder gewachsen war. Er wollte seinem Weibe daheim alle Liebe und Treue erweisen und seine Kinder ordentlich erziehen und ihnen an sich ein warnendes Beispiel vorhalten. Auch wollte er allen Fleischspeisen entsagen und hinfort bloß mit unschuldigen Waldbeeren und Eicheln das Leben fristen; nur Wurzeln sollten nicht mehr über seine Lippen kommen. Ferner wollte er sich täglich dreimal geißeln und auf alle Weise fromm tun. So hoffte er für seine Sünden damit genug zu büßen und einst selig zu sterben.
Weiter ist nichts bekannt vom Wolf als so viel, daß ihm der Zagel wieder gewachsen. Aber auch seine stolze Wolfsnatur muß damit zurückgekehrt und die Erziehung seiner Kinder muß ganz mißraten sein, denn alle Sprossen seines Geschlechts sind bis auf den heutigen Tag Diebe, Mörder und Waldräuber.
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