Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
Josef Haltrich

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100. Der Fuchs und der Wolf im Dorfbrunnen

Der Bauch war dem Wolf von den Fischen angeschwollen, und er bekam einen rasenden Durst – ihr wißt ja, daß Fische überhaupt schwimmen wollen! – »Fuchs, schaffst du mir nicht gleich zu trinken, so muß ich den roten Wein dir abzapfen!« – »Das hat keine Not, Gevatter, lasset das nur schön bleiben, ich weiß noch Rat.« Es war aber am Ende des Dorfes ein tiefer Brunnen, dahin rührte der Fuchs den Wolf: »Nun, Gevatter, steiget nur da hinunter, so könnt Dir auf Zeitlebens Euch satt trinken.« Der Wolf erinnerte sich an den Köhlerbrunnen und hatte böse Ahnungen, als aber der Fuchs fortfuhr: »Damit Ihr sehet, wie gut ich es mit Euch meine, will ich Euch zeigen, wie Ihr es anstellen sollt«, da verlor er alle Angst. Der Brunnen hatte zwei Eimer, der Fuchs setzte sich in den einen und sank darin hinab, dann rief er: »Gevatter, setzet Euch jetzt in den andern Eimer.« Der Wolf tat es und rollte hinab, da kam ihm der Fuchs entgegen, »Gevatter«, sprach der Wolf, »warum wartet Ihr nicht unten auf mich?« – »Der Anstand fordert von mir, Euch entgegenzukommen!« In den Bart aber brummte er sich: »Die einen steigen, die andern fallen.« Als er oben war, sprang er aus dem Eimer. Da hörte er den Wolf ins Wasser plumpsen. »Gevatter, trinkt nicht zuviel, es könnte Euch schaden«, und lief damit ein Stück ins Dorf hinein. Da kamen die Hunde und Bauern auf ihn los, er kehrte um und lief an dem Brunnen vorbei. Die Bauern hörten das Wolfsgeheul im Brunnen, sie ließen den Fuchs laufen und rollten schnell das Seil auf; der Wolf hielt sich am Eimer und wurde herausgezogen. Da schlugen sie auf ihn mit Dreschflegeln und Mistgabeln und klopften ihm das Wasser aus dem Pelz. Mit genauer Not entkam er noch und schleppte sich dann mühselig in sein Waldhaus fort. »Zweimal«, sprach er voll Verwünschung, »war ich im Brunnen, zum drittenmal bringt mich keiner hinein!«


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