Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
Josef Haltrich

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59. Die drei lustigen Brüder (Sächsisches Lügenmärchen aus Schäßburg)

Es waren einmal drei Brüder; der eine war stockblind, der andere lendenlahm und der dritte splitternackt. Diese drei gingen eines Tages in den Wald, um Vogelnester auszunehmen. Als sie so im Walde hingingen, sah der Blinde plötzlich aus dem Gestrüpp einen Hasen hervorspringen. Kaum hatte er dies seinen Brüdern gesagt, war auch schon der Lahme wie der Wind hinter dem Hasen her und hielt ihn, eh' man's gedacht, an den Hinterbeinen. Nun aber wußten sie nicht, wie sie den gefangenen Hasen nach Hause schaffen sollten. Da sprach der Nackte: »Gebt ihn her!« und steckte ihn in seine Tasche. In der Freude über diesen Fang vergaßen sie, Vogelnester zu suchen, und gingen heimwärts. Auf dem Wege aber entspann sich ein Streit unter ihnen darüber, wem der Hase gehöre. Und das war nicht so leicht zu entscheiden, wie ihr denkt. »Ich habe ihn zuerst gesehen!« sprach der Blinde. »Was hilft das Sehen!« entgegnete der Lahme, »ich habe ihn gefangen, mir gehört der Hase.« – »Hätte ich ihn nicht in die Tasche gesteckt«, sagte der Nackte, »ihr hättet ihn im Walde müssen laufen lassen, der Hase gehört mir!« So stritten die drei Brüder untereinander, und keiner wollte nachgeben, endlich kamen sie auf den klugen Gedanken, den Streit durch den Richter entscheiden zu lassen; sie gingen schnurstracks zu diesem und fanden ihn auch zum großen Glück daheim. Dem mußte nun jeder von den dreien den Hergang der Sache erzählen, und als der letzte mit seiner Erzählung zu Ende war, sprach der Richter: »Ihr braven Leute! Ich höre, daß ihr alle drei gut lügen könnt, wer mir von euch die dickste Lüge sagen kann, dem soll der Hase gehören.«

Da hub der Blinde an: »Mein Vater hatte einmal gar viele Schafe, die mußte ich alle Tage zur Tränke treiben. Als ich sie einmal wieder austrieb an den Bach, da war dieser zugefroren. Ich stand lange ratlos am Ufer; ungetränkt durfte ich meinem Vater die Schafe nicht nach Hause bringen, und eine Axt, die Eisdecke durchzuhauen, war in der Nähe auch nicht zu finden. Ich dachte lange nach; endlich hatte ich's; ich legte mich platt aufs Eis und schlug mit meinem Kopfe eine große Lumme (en griß Leam) ins Eis, so daß alle Schafe sich satttrinken konnten. Als ich nun meine Herde heimwärts trieb, sah ich auf den Weidenbäumen, welche am Bachufer standen, Drescher, die droschen Erbsen, so daß die Körner weit umherflogen wie der Hagel. ›Gott greß ich, ir earetlich Drescher!‹ rief ich ihnen zu. ›Mer danken der, tea Ohnenhiwdijer!‹ war die Antwort. Verwundert und erschrocken griff ich mit beiden Händen nach meinem Kopfe und fühlte, daß ich keinen Kopf mehr hatte. ›Weh kann er dir nun nicht mehr tun, dachte ich; allein du kannst ihn ja vielleicht sonst noch brauchen. Wo solltest du ihn wohl gelassen haben? Sollte er dir nicht, als du damit das Loch in das Eis schlugst, heruntergefallen und in Gedanken da liegen geblieben sein?‹ Eilig (nor ni dich) kehrte ich um und sah zu meiner Freude schon von weitem meinen Kopf neben der Lumme auf dem Eise liegen. Es hatte mir aber inzwischen eine Henne, da der Mund offengestanden, viele Eier in denselben gelegt. Schnell setzte ich mir ihn wieder auf, kehrte um und gelangte wohlbehalten mit meinen Schafen nach Hause, und mein Vater war mit mir zufrieden, und siehe da, auch etwas Merkwürdiges ereignete sich noch. Die Eier in meinem Kopfe waren durch die Wärme ausgegangen, und flogen mir aus Mund und Nase die jungen Hühnchen heraus, und wir bekamen den Hof auf einmal voll Hühner, was meiner Mutter eine große Freude war.«

Als der Blinde geendet hatte, sprach der Richter: »Wenn das alles wahr ist, so ist es eine dicke Lüge! Doch wollen wir auch die andern hören.« Der Lahme begann hierauf: »Mein Vater hatte einmal ein altes Pferd (en alt Jep); das borgten von ihm die Nachbarn, sooft sie in den Wald gingen, um Holz zu holen. Einmal waren wieder zwei Nachbarn mit meines Vaters Pferd in den Wald gezogen. Sie banden das Tier an einen Baum und hieben nun auf den Baum, um ihn zu fällen, mit ihren Äxten gewaltig ein. Da entglitt dem einen die Axt und fuhr dem Pferd in die Seite. Von jähem Schreck ergriffen, stand der Mann vor dem getroffenen Pferd und betrachtete rat- und tatlos die blutende Wunde und rief: ›Ach härrje! Wäll dät nea net ist äfhiren!‹ – ›Habe keine Angst!‹ tröstete ihn der andere: ›Wir hauen Reiser und flechten (stiewen) ihm die Wunde zu.‹ Bald hatten die beiden einen ganzen Haufen Reiser zusammengehauen und flochten damit dem Pferde die Wunde zu. Damit war zwar das Pferd kuriert; es wuchs ihm aber über Nacht in der Seite ein so großer Wald, daß bald die Zigeuner: der Midi und der Dodi, der Tutzu und der Willa und wie sie alle heißen, kamen, um darin Holz zu stehlen, und daraus entstand meinem Vater große Not und viel Verdruß. ›So geht es‹, sprach er, ›wenn man sein Pferd ausleiht; ich will es aber nicht bald wieder tun!‹«

Also erzählte der Lahme. Der Richter aber rief: »Du hast ebenso wahr gesprochen als dein Bruder; nun wollen wir sehen, was der letzte von euch kann!« Da hüb der Nackte an; »Mein Vater hatte einmal unzählige Bienenstöcke, und alle waren voll mit Bienen; diese mußte ich jeden Abend, wenn sie vom Felde heimkehrten, zählen. Eines Abends hatte ich wieder die heimkehrenden Bienen gezählt, mußte aber meinem Vater melden, daß eine fehle, Zornig rief mein Vater; ›Gehe, suche die Biene, sonst geht es dir schlecht (licht).‹ Was war zu tun? Da war freilich guter Rat teuer, wohin ich mich wenden sollte. Ich lief ängstlich aufs Feld und suchte, und suchte auf sieben Hatterten, fand aber die verirrte Biene nicht. Endlich traf ich auf dem achten Hattert einen Bauer[n], der hatte eine Biene neben seinen Ochsen an den Pflug gespannt und knallte eben mit der Peitsche über das Zugvieh hin. ›Wie untersteht Ihr Euch‹, rief ich aufgebracht, ›mit fremdem Vieh zu pflügen (mät fremde Gettern ze ackern)?‹ Der Bauer bat um Verzeihung und erzählte mir, einer seiner Ochsen sei ihm gestürzt (gestäckt), da habe er zum guten Glück die Biene gesehen und gleich an die Stelle des fehlenden Ochsen eingespannt; er habe sie jedoch nicht als sein Eigentum behalten wollen, sondern nur gedacht, wozu solle sie so mir nichts, dir nichts müßig auf dem Felde herumirren; zum Danke dafür, daß er sie abends ihrem Herrn heimbrächte, könne sie ihm wohl auch einen kleinen Dienst verrichten.

Ich verzieh dem Manne zwar auf so gegründete Entschuldigung, er aber mußte mir die Biene sogleich ausspannen, und ich machte ihm aufs neue Vorwürfe, als ich sie näher untersuchte und fand, daß das Joch ihren Nacken ganz wund gerieben hatte. In solchem Zustande durfte ich meinem Vater die Biene nicht nach Hause bringen, denn ich wäre ihm schön angekommen; ich ging daher auf den Rat des Mannes, der sich unserer Biene bedient hatte, zu einem Nußbaum, um ein paar Blätter desselben als schnelles Heilmittel auf den wunden Nacken der Biene zu legen. In der Eile hatte ich mit den Blättern zugleich eine Nuß vom Boden aufgerafft und dieselbe samt den Blättern der Biene auf den Nacken gebunden. Davon wuchs über Nacht auf dem Nacken der Biene ein großer Nußbaum, und als die Nüsse reif geworden, da warfen die Knaben, wie das ja zu geschehen pflegt, so oft sie an meines Vaters Garten vorüber in die Schule gingen, mit Erdschollen nach den Nüssen. Das gefiel meinem Vater, wie man sich denken kann, nicht; allein es hatte doch auch sein Gutes. Die Knaben hatten nach einiger Zeit einen so großen Haufen (Tuppes) Erde in unsern Garten geworfen, daß mein Vater sagte: ›Warum sollen wir diesen Haufen (Tuppes) nur so unbenutzt lassen? Wir pflügen ihn um und säen darauf, wenn auch nur (mehr nor) Hafer.‹ Das geschah. Als nun der Hafer reif geworden, gab mir mein Vater die Sichel in die Hand und befahl mir, den Hafer zu schneiden. Das Schneiden und insbesondere das Haferschneiden ist nun keine so leichte Sache; deshalb lassen so viele unserer Landleute durch andere schneiden; allein ich mußte mich dazu bequemen, denn mein Vater war sehr streng; bei ihm galt keine Widerrede, und wehe dem, der nicht aufs Wort folgte! Kaum hatte ich jedoch begonnen, als neben mir zu meiner großen Freude ein Hase aufsprang. Da dachte ich mir's leicht zu machen; sofort (an em Witz) schleuderte ich die Sichei mit solchem Geschick und Glück auf meinen Hasen, daß der Griff durchs Hinterbein ging und stecken blieb und die Schneide wie zum Schnitt gerichtet hervorstand. Der Getroffene mußte mir nun das Haferfeld auf- und ablaufen, und im Nu war der Hafer bis auf den letzten Halm geschnitten!«

»War das«, fragte der Richter, »nicht derselbe Hase, den du heute in der Tasche hierher gebracht hast?«

»O ja!« antwortete der Nackte, »gerade derselbe.« – »Nun denn«, entschied der Richter, »so war und ist er auch fürderhin unbestritten dein Eigentum; aber willst du dich gütig erweisen, so gib davon jedem deiner Brüder auch einen Strempel; sie haben ihn auch redlich verdient!«


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