Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
Josef Haltrich

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96. Der Fuchs überredet den Wolf, über den Köhlerbrunnen zu springen

Der Wolf hatte sich so vollgefressen, daß er rund war wie eine Kufe und sich nur langsam und wackelnd fortbewegen konnte; der Fuchs aber begleitete ihn. Da kamen sie an den großen Köhlerbrunnen im Wald. Der Wolf sprach: »Gevatter, ich kann nicht weiter, ich bin so müde.« – »Schämt Euch!« sprach der Fuchs, »Ihr solltet jetzt immer lustig sein, denn wann habt Ihr je ein besseres Mahl genossen. Man rühmt Ihr wäret der weiseste Mann; ich aber glaube es nicht, bis Ihr nicht einen Beweis ablegt; so springet einmal über diesen Brunnen.« Ehrenwütig und lobestoll, wie nur der Wolf ist, trat er gleich an den Brunnenrand und rief: »Elender, gleich wirst du sehen, daß man Wahrheit spricht«, und sprang, aber einen so jämmerlichen Sprung – ganz natürlich, denn zwei Schweine wiegen und ziehen etwas, und die Mattigkeit ist auch kein Flügel, sondern ein Bleischuh –, daß er plumps hineintrümmerte. »Gevatter!« rief der Fuchs von oben, »auf ein gutes Frühstück gehört auch ein guter Trunk; doch rate ich Euch, trinkt nicht zu viel!« und lief damit stracks auf die Kohlenbrennerei.

Als die Köhler ihn sahen, kamen sie mit Holzscheiten auf ihn; er kehrte um und lief langsam dem Brunnen zu, die Köhler hinter ihm her. Da hörten sie den Wolf im Brunnen heulen; sie ließen jetzt den Fuchs, und der lief vergnügt heim, und machten sich dran, den Wolf herauszuziehen. Dem hatte aber die Todesangst nicht nur den Schweiß, sondern auch alles Essen ausgepreßt. Als er nun emporkam, erhielt er noch seinen Teil von den Köhlern, und ganz blutig entging er noch mit genauer Not den mörderischen Schlägen.


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