Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
Josef Haltrich

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Die Schwanenfrau

Eine arme Frau hatte einen Sohn, der war nun groß und stark und wollte in die Fremde gehen, um etwas zu verdienen. Er verdingte sich bei einem Herrn auf ein Jahr und sollte dessen Schafe hüten. Als er einmal zur Zeit der Ernte auf dem Felde war, sah er einen schönen weißen Vogel im Kornfelde; er lief hin, um ihn zu fangen; der Vogel aber erhob sich langsam und flog in einen Wald; der Junge lief ihm immer nach, doch es war umsonst, er konnte ihn nicht erreichen. Er wollte umkehren; aber er wußte sich aus dem Wald nicht mehr herauszufinden. Schon fing es an dunkel zu werden, da sah er in der Ferne ein Licht; er ging darauf los und kam in ein Schloß; da saß ein alter Mann am Feuer und kochte sich eine Suppe. Der Junge bat um Herberge und erzählte dem Alten, wie er in den Wald gekommen sei. »Wenn du mir ein Jahr treu dienst, so will ich dir zu dem Vogel verhelfen!« Der Junge willigte gern ein, um den Vogel zu bekommen.

Am folgenden Morgen sprach der Alte: »Jetzt gehe ich aus und kehre nur spät abends heim; sorge du hier; da hast du alle Schlüssel, in jedes Zimmer darfst du gehen, nur in das letzte nicht!« Der Junge folgte genau dem Gebot, und als der alte Mann abends heimkehrte, war er mit ihm zufrieden; so geschah es auch den andern und alle folgenden Tage, daß der Alte ausging und dem Jungen den nämlichen Auftrag machte. Lange Zeit dachte der Junge nicht einmal an das verbotene Zimmer; aber in der letzten Woche des Jahres kam ihn doch die Neugierde an: »Du bist ein ganzes Jahr hier gewesen und ziehst nun bald von dannen und sollst nicht wissen, was für Schätze dort sind«, sprach er bei sich, und es ließ ihm keine Ruhe. Am letzten Tage ging er bis zur Türe und wollte auch nicht. Endlich steckte er den Schlüssel ein und öffnete.

Da war ein großer Saal und in der Mitte ein blauer Teich und darüber der freie Himmel; im Teiche aber waren drei wunderschöne Schwanenjungfrauen, die badeten. Kaum hatten sie den Jungen erblickt, husch, flogen sie alle drei als weiße Schwäne auf und fort. Voll Angst kehrte der Junge zurück und hatte keine Ruhe. Als der alte Mann heimkam, fiel er gleich vor ihm nieder und sprach: »Herr, strafe mich, ich habe dein Gebot übertreten!« Der Alte sagte freundlich: »Weil du deinen Fehler gestanden hast und bereuest, will ich dir verzeihen; aber du mußt jetzt noch ein Jahr treu dienen, willst du den Vogel haben.« Da fiel es dem Jungen wie ein Stein vom Herzen; gern willigte er ein, und |von nun an hatte die Neugierde keine Gewalt mehr über ihn.

Als das Jahr vergangen war, trat der Alte zu ihm und sprach: »Jetzt folge mir!« Er führte ihn in das verbotene Zimmer, da waren die drei wunderschönen Jungfrauen und badeten. Alsbald aber verwandelten sie sich in weiße Schwäne, hoben sich aufwärts und flogen fort. Der alte Mann fragte den Jungen, welche ihm am besten gefallen habe. »Die Jüngste!« sprach er. »Wohlan, so gehe heute abends in jenes Zimmer; da findest du unter dem Bett drei Schachteln; bringe die, welche in der Ecke liegt, dann zu mir.« Der Junge konnte den Abend kaum erwarten, eilte dann hin und brachte sie. »So nimm jetzt diese Schachtel und gehe damit nach Hause, die auserwählte Jungfrau wird dir auf dem Fuße folgen; aber siehe ja nicht hinter dich, bis du zu Hause angelangt bist; dann magst du mit der Jungfrau bei deiner Mutter Hochzeit halten; aber besorge die Schachtel wie deinen Augapfel, und nicht unterstehe dich und gib sie deiner Braut in die Hand, wie sehr sie dich auch bittet, sonst verlierst du sie auf immer!« Der Junge versprach alles so zu machen. Das erste wurde ihm leicht; er sah nicht zurück, obgleich er gern gewollt hätte; denn er hatte ja für die Neugierde hart gebüßt, und daran dachte er jetzt.

Als er endlich daheim war bei seiner Mutter, wandte er sich rasch um und sah die Jungfrau, fiel ihr um den Hals und küßte sie. Sie aber hatte ein schneeweißes Kleid an und war schön wie der heitere Tag, und der Junge konnte sich nicht sattsehen an ihr. Da wurde die Verlobung gehalten, und der Junge war ganz selig; aber die Jungfrau war traurig und niedergeschlagen. Der Junge gab sich alle erdenkliche Mühe, sie zu erheitern, doch umsonst. »0 was gäbe ich nicht dafür, wenn ich dich jetzt fröhlich sähe!« sprach er zuletzt. »So gib mir meine schönen Kleider, die in der Schachtel sind!«

Da wurde der Junge bleich vor Schrecken; wie hatte er so unbesonnen und töricht versprochen, was zu seinem Unglück führen sollte. Er zögerte lange, lange; endlich siegte die Treue und übergroße Liebe zu seiner Braut. Er überredete und tröstete sich auch: »Das wird doch nicht gleich ihr Tod sein!« sprach er bei sich, »und fort soll sie mir auch nicht können«, denn er verschloß vorsichtig alle Türen und Fenster. Kaum hatte er die Schachtel geöffnet und sie das Kleid hastig ergriffen und umgeworfen, so war sie sogleich ein Schwan und flog durch den Ofen zum Schornstein hinaus. Da ergriff den Jungen ein unendlicher Schmerz; er lief hinaus, sah dem Vogel nach und eilte in einem fort bis in den Wald zu dem alten Manne und klagte ihm seinen Jammer. »Ist sie nicht hier«, sprach er zuletzt, »so sage mir, wo ich sie finden kann; ich will sie suchen bis ans Weltende, denn ich habe sie gar zu lieb!« Da sagte der Alte; »Sie ist weit weg auf einer Insel über dem Meer und wird von einem siebenhäuptigen Drachen bewacht, und dahin ist schwer hinzukommen; wenn du aber auch hingelangen solltest, wird dich der Drache umbringen!« Aber der Junge ließ sich nicht abschrecken; er nahm alle seine Kleider und Schuhe mit und wanderte sieben Jahre lang in einem fort und hatte schon alle Kleider und Schuhe zerrissen und konnte vor Müdigkeit nicht weiter; aber noch war weit und breit kein Meer zu sehen. Er fiel an einem Hügel nieder und gedachte schon da zu sterben. Da hörte er nur einmal in der Ferne einen Lärm, der kam immer näher und näher; endlich sah er drei mächtige Hünen, welche einander hin und herzerrten. Er fragte sie alsbald, was Ursache ihr Streit hätte. »0h«, sagten sie, »es handelt sich um das Kostbarste in der Welt, um einen Mantel, der unsichtbar macht den, der ihn trägt, um einen Hut, der überall hinführt den, der ihn aufsetzt, und um ein Schwert, womit der alles besiegen kann, der es schwingt. Wer diese drei Stücke besitzt, kann die schönste Jungfrau, die auf der Insel über dem Meer gefangen liegt, erretten und mit ihr das größte Königreich erwerben.« Der Junge freute sich auf diese Nachricht wieder in seinem Herzen und hegte Hoffnung. »Wenn es euch recht ist, so will ich den Streit entscheiden; bringt her jene Stücke und kämpfet ihr dann miteinander.« Die einfältigen Hünen brachten sogleich Mantel, Hut und Schwert zu ihm hin und fielen nun einander in die Haare. Der Junge ergriff schnell das Schwert, warf den Mantel um und setzte den Hut auf und sprach: »Wäre ich doch nur gleich auf der Insel!« Husch! war er fort, und die dummen Hünen hatten das Nachsehen.

Als der Junge auf der Insel ankam, legte er Hut und Mantel ab, nahm nur das Schwert und ging auf die Burg los. Der Drache sonnte sich eben vor derselben, und die schöne Jungfrau mußte ihn lausen. Nur einmal roch der Drache Menschenfleisch, da brauste er auf und ringelte sich vor Wut. Aber der Junge kam unerschrocken heran und hieb ihm auf einmal alle Häupter ab. Er hüllte sich darauf schnell wieder in seinen Mantel, eilte ins Schloß, nahm die Schachtel mit den Kleidern und warf sie ins Meer, dann legte er den Mantel ab und zeigte sich der Jungfrau, seiner Braut, und die erkannte ihn auch gleich und war nun über die Maßen froh. Der Junge zog mittelst des Wunschhutes schnell zu seiner Mutter und brachte sie auch nach der fernen Insel in die Drachenburg; dann feierte er mit seiner Braut in Lust die Hochzeit und war König und Herr über alles Land und alle Schätze, welche der Drache besessen hatte.


 << zurück weiter >>