Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
Josef Haltrich

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54. Der König und die beiden Mädchen

Ein junger König suchte sich einmal eine Frau und hörte, daß auf zwei Edelhöfen wunderschöne Mädchen seien. Weil er sie aber nach ihrem Herzenswesen genau wollte kennen lernen, so legte er seine prächtigen Königskleider ab und hüllte sich in die Kleider eines jungen Landedelmanns. So kam er zuerst an den einen Edelhof, wo ein schönes, aber hochfahriges Mädchen war. »Gott grüße dich, du schöne Jungfrau!« rief er beim Eintritt in den Hof. »Wer bist du?« fragte das Mädchen barsch, denn nach den Kleidern hielt sie ihn nur für einen unbedeutenden Menschen. »Ein Edelmann!« sprach der König, »mit einem ehrlichen Namen und der sein gutes Auskommen hat!« – »Dort auf die Bank!« gebot das Fräulein. »Ich will nicht sitzen, sondern nur um etwas bitten: Möchtest du mein Weib werden?« Da wurde das Mädchen bleich vor Schrecken und Zorn und rief: »Du Unverschämter! packe dich! Ich bin ein reiches Mädchen und warte auf einen Grafen oder Fürsten!« Der König ging weiter und kam zum andern Edelhof, da war ein schönes und bescheidenes Mädchen. »Gott grüße dich, schöne Jungfrau!« – »Schönen Dank, schönen Dank!« – »Darf ich ein wenig einsprechen?« – »Ich bitte auf diesen Stuhl!« – »Ich will nicht sitzen, sondern nur um etwas bitten: Ich bin ein armer Edelmann, aber mit einem ehrlichen Namen, möchtest du mein Weib werden?« Da wurde das Mädchen ganz rot vor Scham und konnte nicht gleich sprechen, endlich sagte es: »Wie komme ich zu der großen Ehre!« und ihre Augen sprachen: »Ja!« Da drückte ihr der König die Hand und sprach: »Bald komme ich wieder und hole dich ab!« Nun ging der König zurück in seinen Palast und legte sein Prachtgewand und die königliche Herrlichkeit an und kam nun wieder an den ersten Edelhof. »Gott grüße dich, schöne Jungfrau!« – »Ach schönen Willkomm, Herr König, ich bitte Platz zu nehmen auf diesem Kanapee.« – »Ich habe nur eine Frage: Möchtest du mein Weib werden?« – »Ei, ja freilich, ich bin ein reiches Mädchen und habe auf einen großen Herrn gewartet!« – »Du hast mich«, sprach der König zornig , »als ehrlichen Edelmann verschmäht, nun bist du des Königs nicht wert!« Damit ließ er die stolze Edel Jungfrau stehen, ging fort und kam zum andern Mädchen: »Gott grüße dich, schöne Jungfrau!« – »O wie gnädig ist unser Herr König, ich bitte Platz zu nehmen auf diesem Stuhl!« – »Ich habe nur eine Frage: Möchtest du mein Weib werden?« – »Ach, Herr König, ich bin ja nur ein armes Mädchen, ich wünsche mir nur einen armen, ehrlichen Mann zum Gemahl, und den habe ich schon gefunden!« – »Und das bin Gott sei Dank ich, du herziges Veilchen! Du wirst nun Königin, das kann nicht anders sein!« Da ließ sich's die Arme gefallen, und nicht lange, so saß sie auf dem Königsthron, aber in ihrem Herzen blieb sie immer das bescheidene Mädchen. Die stolze Edeljungfrau aber wartet bis heute noch vergebens auf den reichen Grafen oder Fürsten, und das ist ihr recht!


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