Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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Theben! Liebste Emy, Theben übersteigt jedes Maß, übertrifft jede Vorstellung welche man in seiner Phantasie mitbringt. Die Anlage von Theben entsprang einem solchen Riesengeist, daß ich gern bereit bin ihn für einen Sohn des Amon zu halten. Auf dem rechten Ufer liegt Luxor und Karnak, auf dem linken Kurnu und Medinet-Abú: so heißen die Dörfer, die Hütten und die unermeßlichen Monumente und Ruinen welche sich zwischen Feldern und Wüsten im Bereich einiger Stunden zu beiden Seiten des Nils ausbreiten, und im Westen durch das totenblasse, flache libysche Gebirg – im Osten durch das entferntere aber grade hier ausgeprägte arabische begrenzt werden. Wo ich ging und stand hatte ich das Gefühl nicht auf untergegangenen Tempeln und Palästen, sondern auf den Überresten einer untergegangenen Welt zu gehen und zu stehen. Erwarten sie keine Beschreibung! Um eine solche faßlich zu machen müßte ich sie mit dem Maß, nach Fuß und Zoll geben, und mich dabei auf andere verlassen und berufen, und dennoch würden Sie schwerlich einen Begriff von dem Eindruck selbst empfangen; Ihre Einbildungskraft würde erliegen unter dem Gewicht der Zahlen. Können Sie sich den Saal in Karnak vorstellen, den man die Riesenhalle nennt, wenn ich Ihnen sage, daß 134 Säulen in Reihen verteilt seine Decke tragen, von denen 12 im Umfang 37 – und 122 noch 27 Fuß im Umfang haben? Und diese Halle ist nur ein Teil des Ganzen, an welchem alle Beherrscher Ägyptens von der siebzehnten Dynastie – wie man sie annimmt – bis auf die Römer gearbeitet haben, so daß der Bau einen Zeitraum von ungefähr 2000 Jahren umfaßt. Nach den uralten Priestersagen der Ägypter hatte Osiris Theben gegründet; vermutlich beeiferte sich jeder König in die Fußstapfen des göttlichen Vorfahren zu treten, oder seine Verwandtschaft mit ihm dadurch zu bestätigen, daß er das größte Heiligtum Ägyptens zu vergrößern und zu verherrlichen suchte. Darum kommt Einheit in die Idee; aber die Ausführung ist sehr verschieden, und so ungeheuer kompliziert, daß man sie überladen nennen würde, wenn sie nicht auf jenem Punkt der Großartigkeit stände, welcher gegen jeden Vorwurf dieser Art schützt, weil die hergebrachten Maße und Proportionen in dieser Ausdehnung ihre Anwendung nie gefunden haben. Sehen Sie diese Pylonen des Einganges! Der eine ist ein Schutthaufen – aus seinen Trümmern könnte man einen Palast bauen; der andre steht – wie eine Feste. In den Vorhof getreten hat man eine Perspektive zwischen einen Wald von Säulen durch eine Reihe von aufeinander folgenden Toren, welche zum Heiligtum führten. Dieser große Zugang ging durch die Riesenhalle. Aber Seitenzugänge, welche ebenfalls die herrlichsten Tore hatten, mündeten mit ihren Portiken von Säulen und Kolossen getragen in den Hauptweg. Nur diesen will ich verfolgen. Also durch die ersten Pylonen treten Sie in den ersten Vorhof, der zur Linken einen Portikus, zur Rechten einen abgesonderten Tempel hat, und gehen an einer einsam übrig gebliebenen Säule von riesiger Größe vorüber durch ein zweites ganz zusammengestürztes Pylonenpaar, vor welchem Kolosse Wache hielten, in die Riesenhalle. Die zwölf größten Säulen von 37 Fuß Umfang bilden deren Mittelschiff. Aus dieser Halle treten Sie durch zwei Obeliske wieder in einen von Kolossen getragenen Portikus; dann durch ein drittes Pylonenpaar, und abermals in einen Portikus von Kolossen mit zwei Obelisken, der zur Pforte des Tempelsaals führt. Ein drittes, kleines Obeliskenpaar – das erste ist 60, das zweite 70 Fuß hoch – steht am Eingang dieses Saals, und er umfängt das Heiligtum selbst wie die Nußschale den Kern, indem er es mit einem schmalen Gang umläuft. Das Heiligtum sieht aus wie ein ungeheurer in zwei Gemächer ausgehöhlter Block von rotem Granit. Die Decke ist hellblau mit goldnen Sternen, und trotz des edlen Materials sind alle Hieroglyphen bemalt. Jenseits des Heiligtums gehen Sie wieder aus einem Portikus in den anderen, bis zu dem Tor, welches hier das Tempelgebiet geschlossen hat, und welches den Eingangspylonen grade gegenüber sich befindet. Das alles klingt ziemlich einfach und verständlich, weil Sie wohl meinen es stände hübsch grade aufrecht, auf ebenem Boden. Aber ach! Die Riesenhalle ausgenommen wälzen sich Trümmer über Trümmer und Steinblöcke über Steinblöcke. Zwei Obeliske sind gestürzt, Kolosse zerschlagen, Wände, Mauern, Decken eingebrochen, Pfeiler, Säulen und Pforten umgeworfen, begraben im Schutt. Hügel türmen sich auf, teils von Geröll, teils von Sand, teils mit Erde beschüttet worauf Unkraut wuchert; Abgründe tun sich auf mit Binsen bewachsen; in diese muß man gleiten, über jene klettern; Kolosse ragen mit großen verstümmelten Gesichtern nur grade aus dem Sande; – ich versichre Sie man wird ganz betäubt, ganz verwirrt, ganz erschöpft von der Anstrengung in dies Chaos Ordnung zu bringen. Nun möchte man doch auch gern die Bilder betrachten, die Namensschilder aufsuchen, die merkwürdig erhaltenen bunten Hieroglyphen, namentlich am Gebälk der Riesenhalle genau ansehen; dann die übrigen Tempelreste innerhalb der großen Umwallung aufsuchen, unter denen auch ein Typhonium aus römischer Zeit und recht gut erhalten ist; endlich die wunderbar schönen Tore betrachten, welche durch die Umwallung in den Tempelbezirk führen und durch die glücklichste Verschmelzung des Anmutigen mit dem Grandiosen als Werke der Ptolemäer sich darstellen. Da ist besonders das eine, welches nach Luxor führt, und dann das Granittor – ich denke es sind die schönsten der Welt! Pforten sind es eigentlich, 60 Fuß hoch, triumphatorischen Ansehens! Außer diesen beiden stehen noch zwei andere aufrecht im gleichen Stil. Dieser ganze Tempelweltbau gegen den das Kolosseum zu Rom verschwindet, und St. Peter klein erscheint, ist mit Hieroglyphen und den hergebrachten Götterbildern, ferner auch mit den hergebrachten Kriegs- und Siegeszügen der Könige geschmückt. Nirgends ein Fleck, den ich mit der Hand hätte bedecken können, ohne daß Stift und Meißel auf ihm tätig gewesen wären! – Nun glaubt man alles gesehen zu haben, man tritt aus der Umwallung durch die nördliche Pforte – eine Allee von Sphinxen, fast ganz verstümmelt nimmt Sie auf, oder durch die südliche, die wunderschöne, die nach Luxor führt: 104 Sphinxe bilden hier eine Allee; oder durch die Granitpforte, welche in derselben Richtung liegt: da sind es gar 120. Dem Tempelgott Amon-Ra zu Ehren war es, daß sie das Symbol der Intelligenz, das Widderhaupt trugen. All diese Köpfe sind sorgsam abgesägt, und die Gestalten verlieren sich in Schutt, Sand, Binsen und Unkraut. Im Mondschein ritten wir nach Luxor zurück, wo unsre Barke lag, über einen sumpfigen, unbebauten Boden. Hier lag ein verstümmelter Koloß, dort ein mit Hieroglyphen bedeckter Block; da stieg ein abgebrochener Torpfeiler auf, da war einer umgesunken; hier häuften sich formlose Trümmer; dort lauschten Tierleiber aus dem Grase hervor, – plötzlich waren wir bei einer Gesellschaft von grauen Weibern, die beisammen im Kreis am grasigen Hügelabhang saßen, und sich heimlich Märchen aus ihrer Zeit erzählten. Ganz still saßen sie da, und rührten sich nicht, denn sie sind von schwarzem Porphyr und tragen Löwenhäupter – aber Fabel und Geschichte, Märchen und Wirklichkeit, kreuzten sich so in meinem Kopf, daß ich ganz ernsthaft sagte: »Wenn ich doch wüßte, was diese Waldweibchen sich so leise zuflüstern.« Das war Sonnabend, am 3. Februar.

Luxor hatten wir am Morgen gesehen, und überdies hat man es vor Augen, da es ganz nah am Nil liegt und hauptsächlich aus drei Säulenhallen, einer kolossalen und zwei kleineren besteht, welche in der Ferne einen größeren Effekt machen, als in der Nähe. In der Ferne, besonders vom anderen Ufer und in der Abendbeleuchtung, haben diese Säulenhallen mit dem arabischen Gebirg im Hintergrund und dem stillen breiten Nil im Vordergrund, den mythologischen Charakter eines Gemäldes von Claude Lorrain: man weiß nicht welchem Punkt der Erde es eigentlich angehört, in solchen träumerischen Duft, in so idealische Färbungen ist es gehüllt; – und dennoch meint man es könnte doch auf der Erde zu finden sein. – In der Nähe verschwindet Luxors Zauber durch die ekelhafteste aller ekelhaften Wirklichkeiten. Zwischen jenem Obelisken, der die Bewunderung aller Zeiten ist und sein wird, der in Granit und mit der Schärfe und der Reinheit einer Kamee ausgearbeitet ist – zwischen ihm, den vier Granitkolossen und den Pylonen, diesem königlichen Eingang zu den Palästen und Tempeln, bis zum Ende der Säulenhallen, hat das Dorf sich eingenistet, angeklebt, aufgebaut. Es ist ein Greuel durch welchen Unrat man steigen und sich winden muß, welche Besudelung Säulen, Tempel und Heiligtum erfahren. Bis über die Hälfte in Schutt begraben zu sein, ist unter diesen Umständen ein Vorzug. Der Obelisk ist frei; vielleicht hat man ihn bei der Gelegenheit als sein Gefährte nach Paris gebracht wurde, etwas aufgegraben. Ich bin wohl zwanzig Mal über den Platz de la Concorde gefahren, aber nie hat mir jener Obelisk einen anderen Eindruck gemacht, als daß er den Platz bunt überladen half ohne ihn zu zieren. Jetzt weiß ich warum: die ägyptische Architektur ist aus einem Guß; versinnlichen ihre Säulen und Pylonen, und die ganze Anlage ihrer Bauten Kraft, Dauer und Stärke, so zeigen die Obeliske, daß die Stärke auch Grazie haben könne, und erheben ihre schlanke Gestalt, als Monolithe von 60, 70 und 80 Fuß Höhe zierlich und klar neben jenen mächtigen, dunklen Formen. Aber bei uns, zwischen unseren Kirchtürmen, unseren Häusern von sechs Stockwerken, unserem Wirrwarr aller antiken und modernen Stile, unsrer geschmacklosen Nachahmung und Überladung, unsrer vollkommenen Haltungslosigkeit in Betreff der Architektur – was soll da so ein einfach edles Gebilde? – Es hilft die Musterkarte füllen. – Ich freue mich recht, daß ich den guten Geschmack hatte vor dem Obelisk in Paris nicht in Ekstase zu verfallen, weil er aus Theben stammt; denn er ist dort etwas so durchaus Ungehöriges, wie er hier in Harmonie mit der Umgebung ist. – Zwei Kolosse sind bis zur Brust verschüttet, zwei bis zur Kopfbedeckung. Die Pylonen sehen baufällig aus; eine Moschee und eine Kinderschule, wo Knaben sehr emsig mit taktmäßig wiegender Bewegung des Oberleibes lasen, lehnt sich an sie. Weiter bin ich nicht imstande den alten Plan der Gebäude zu verfolgen. Bald waren wir in einem Stall, bald in einem Hof, bald in einer Hütte um Säulen und Gemäuer mit Hieroglyphen zu sehen. Tauben und Hühner, Ziegen und Schafe, Kinder und Hunde verstörten wir bei dieser Wanderung, und was einen Menschenmund hatte schrie uns an um Bakschisch. Ein geringer Teil der Säulenhallen ist frei von Umbauung geblieben; er und der Obelisk halten über Luxor das letzte Abendrot seiner ehemaligen Herrlichkeit aufrecht.

Vom Memnonium weiß man auch nicht, was es gewesen ist. Einige nennen es das Grab des Osymandias – aber wohl nur um überhaupt einen Namen zu geben; denn die Gräber der Pharaonen sind nicht in solchen Gebäuden zu suchen, und Osymandias ist ein erfundener oder ein verstümmelter Name. Eine Hälfte eines Portikus von 8 Pfeilern an welche Kolosse sich lehnen, ist das Vollständigste was übrig geblieben. Am Interessantesten war mir der gestürzte Koloß, ursprünglich aus einem Block roten Granits, dessen Trümmer den Vorhof füllen, und auf dem ich wie auf einem Berg herumkletterte. Ich trat auf seine kleine Zehe: meine beiden Füße nahmen zwei Drittel ihrer Breite ein! In diesem Maßstab war er ausgeführt. Das Gesicht ist zerschlagen; man hat auch angefangen einen Spalt hineinzuschneiden, ist aber bei der Arbeit ermüdet. Der Oberarm trägt den schön geschnittenen Namensschild des Remeses; also hat er wohl den Koloß seinem Vorfahren zu Ehren aufrichten lassen.

Die eigentliche weltberühmte Memnonssäule steht mit ihrem Gefährten in einem grünen Gerstenfeld. Warum man sie Säule nennt, weiß ich nicht! Es sind zwei sitzende Kolosse, Monolithe aus thebaischem Stein, der eine mit verstümmeltem Antlitz, der andere, die tönende Säule, mit zertrümmertem Oberleib, den man früher aus einzelnen Blöcken roh wieder zusammengefügt hat. Auf die Rückenlehne seines Thrones sind die Namensschilder Amenophis III. dreimal eingegraben. In seine Beine sind eine Menge griechischer und römischer Inschriften gemeißelt, welche diejenigen Personen haben machen lassen, die seine Stimme vernommen haben. Ich wartete keinen Sonnenaufgang an der Säule abdann soll sie singen; nur für Gläubige geschehen Wunder. Die Spötter, die Zweifler, die Neugierigen sind dessen nicht wert: ich wußte wohl, daß Memnon stumm für mich bleiben würde. Die Kaiserin Sabina ist zu ihm gewallfahrtet, Clelia und Cäcilia, vornehme Römerinnen; zahlreiche angesehene Männer der Kaiserzeit: sie alle hörten seine Stimme. Jetzt gehen keine Pilgerscharen mehr zu ihm! Er sitzt da, gen Osten gewendet, in unerschütterlicher Ruhe, mit den Händen auf den Knien: ein Zeugnis der Veränderung, welcher die Gegenstände der Andacht unterworfen sind. – Die Griechen machten aus Memnon den Sohn des Tithonus und der Aurora, der Theben erbaute, dem Apollo dabei hilfreiche Hand leistete und seine Leier so lange auf einen Steinblock legte. Seitdem erzitterte der Stein harmonisch, als Echo der göttlichen Berührung, wenn der Sonnengott allmorgendlich über ihm aufging: so meine ich die Sage einmal gelesen zu haben. – Ist man in Theben auf der Erde fertig, so beginnen die Expeditionen unter derselben; denn die Nekropolis umringte die Stadt, wie Sie das noch heutzutage bei jeder orientalischen Stadt mit mehr oder weniger Pomp verbunden sehen. Konstantinopel hat seine Zypressenwälder, Jerusalem seine Gräbergrotten, Kairo seine Mamluken- und Kalifengräber mit den anmutigsten Monumenten sarazenischer Baukunst geschmückt. So hatte auch Theben seine nachbarliche Totenstadt; so Memphis eine, welche jede andre übertrifft: die Pyramiden. Aber ich will Ihnen erst die übrigen ägyptischen Tempel nennen bevor ich die Gräber zusammenfasse.

Eine Tagesreise von Theben nilabwärts liegen hinter dem Dorf Denderah im Sand der Wüste der schöne Tempel der Hathor (Aphrodite) samt einem der Isis und einem Typhonium auf der Stätte der alten Tentyris, schwarze Schutt- und gelbe Sandhügel rings umher. Er hat verhältnismäßig wenig von der Zeit gelitten, seine Bildwerke an den ganz wohlerhaltenen Außenwänden sind nicht durch Menschenhände beschädigt, sondern durch Wespen, die ihre Zellen in die Konturen geklebt haben. Seine oberen Gemächer sind zerstört; aus einem derselben hat man den bekannten Zodiakus von Denderah ins Pariser Museum entführt. Seine inneren Räume, namentlich die Vorhalle, dienen jetzt als Khan. Wenn Reisende des Landes mit ihren Eseln und Kamelen kommen, finden sie ein bequemes Nachtlager im Venustempel. Spreu bedeckt fußhoch den Boden, schwarze Asche liegt umher, von der freistehenden Eingangspforte bis zur Vorhalle sind zwei Lehmmauern gezogen mit Lehmtrögen um die Tiere zu tränken; – dennoch sieht das alles nur wie Zufälligkeit aus, und der Tempeleindruck bleibt vorherrschend. Er stammt aus den letzten Zeiten der Ptolemäer; Kleopatra soll seine Erbauerin sein. Vierundzwanzig Säulen, sechs in jeder Reihe, bilden die Vorhalle, und haben einen viereckige Knauf, der auf jeder Seite ein Frauenantlitz ganz en face trägt. Sah die ägyptische Venus so ernst aus, mit so strengen unlieblichen Zügen: so war es kein äußerer Reiz der zu ihrem Dienst führte! Und doch muß es wohl die Venus sein, denn alle Attribute mit denen man Isis darstellt, die Sonne, die Kuhhörner, fehlen ihr. Die inneren Wände sind mühselig und emsig mit einem zerstörenden Meißel ausgehämmert. Vielleicht begingen Christen hier einst ihren Gottesdienst und nahmen Anstoß an den Opferzügen und Göttergestalten. Ein Tierkreis ist noch jetzt in den letzten zwei Seitenfeldern der Decke ganz deutlich zu erkennen, obgleich etwas geschwärzt. Er beginnt mit dem Zeichen des Krebses, über dem ein Lichtball schwebt von dem ein Strahlenguß ausgeht. Das deutet ganz klar auf das Sommersolstitium. Dann folgen die Zeichen wie wir sie kennen, mit Sternen und symbolischen Gestalten vermischt; aber statt der Jungfrau ist hier eine Schlange. Die Schlange ist überhaupt ein sehr heiliges Symbol! Sie umwindet den geflügelten Sonnendiskus, sie trägt die königlichen Namenschilder, sie ringelt sich über der Stirn der Isis und der königlichen Opferspenderinnen, sie trägt in den Gräbern die Barke worin die Toten ins Jenseits geführt werden. Mystische Gaben und Kräfte scheinen diesem widerlichsten aller Tiere in Fülle beigemessen zu werden.

Der zweistündige Ritt vom Dorf el Beljenne nach den Trümmern von Abydos war durchaus unbelohnend, denn die berühmten genealogischen Tafeln der Könige sind fortgeschleppt. Am siebenten Februar waren wir in Abydos, und erst am achtzehnten erreichten wir Kairo, ohne auf der langen Fahrt andre Monumente zu finden als – Gräber. Die Vorstellungen welche die alten Ägypter vom Dasein nach dem Tode hatten sind mir nicht klar. Nach dreitausend Jahren kehrte die Seele auf die Erde und zu ihrer Hülle zurück, welche man in eine Mumie verwandelte, damit sie nicht in Staub zerfalle, sondern bereit sei den Geist wieder in sich zu beherbergen. Was sie aber vom Zustand der Seele in der Zwischenzeit glaubten, verstehe ich nicht, und der Gedanke drängt sich mir auf, daß sie selbst es nicht verstanden haben. Bald sind es Andeutungen von einem Jenseits, wohin Anubis, der Seelenführer, sie bringt und vor ein Gericht stellt; bald ist es als ob die Seele im Grabe hauste, und dort alles haben und sehen müßte, was sie auf der Erde gesehen und gehabt hat. Darum sind die Gräber so groß, so reich, so geschmückt und mit allen Ergötzlichkeiten ausgestattet, welche das Auge erfreuen können. Handel und Gewerbe, Tanz und Musik, Jagd und Ackerbau, Schiffahrt und Gottesdienst, Kriege und Spiele, alles Hausgerät, alle Eßwaren, sind an den Wänden der Grabkammern in bunten Farben dargestellt und teilweise aufs beste erhalten. Außerdem hat man in den Gräbern eine Menge von Schmucksachen, Idole, Amulette gefunden, welche den Lebenden wichtig waren, auch Wolle z. B. für fleißige Arbeiter. Die Anlage ist immer gleich, möge sie im Felsen oder in der Pyramide, die ein künstlicher Felsen ist, sein. Eine Pforte in einer mehr oder weniger tiefen Nische bildet den Eingang, der in einen Gang oder eine Halle führt, aus welcher oft ein ganzes Labyrinth von Gemächern nach allen Seiten sich verzweigt, und zuweilen Schächte in die Tiefe sich senken. In letztere bin ich nie hinabgestiegen; vermutlich wurden die Särge in sie hineingesenkt. Bei den ersteren enthielt das letzte Gemach, welches immer gewölbt war, einen oder mehrere Tote.

Die interessantesten Gräber sind für mich die der Könige im Tal Assasiff und in der Gebirgsschlucht Bab-el-Melek, im libyschen Gebirg, jenseits Kurnu. Jene sind schrecklich verwüstet, denn Landleute bewohnen sie, und wir traten auf Mumienknochen, Eselstreu und jungen Hühnern herum, um die äußerst zierlichen Skulpturen zu besehen, zwischen denen ich einen wirklich schönen Kopf, das Haar in nubische Zöpfe geflochten, fand. Ein Grab mit Außenpforte und Tür von Granit und sehr feinen Hieroglyphen zwischen denen wir Namensschilder des Thotmoses fanden, fiel mir auf, weil man unter die Pforte tretend, die schönste Aussicht auf Theben hat. Die dreitausend Jahr Grabesschlummer des alten Pharao müssen wohl verstrichen sein! Wenn er in einer stillen Mondnacht aus der langen Haft in der dunklen Klause unter den lichten Sternenhimmel hinausgetreten ist, und umgeschaut hat nach der heiligen Stadt der Könige und der Götter – ach, wie mag ihm zu Mut gewesen sein sie vertilgt zu finden! Ja, vertilgt! Denn Ruinen die niemand versteht, und Spuren einer Geschichte die niemand kennt: ist das nicht Vertilgung zu nennen? Es ist hart nach 3000 Jahren wieder auf die Erde zu müssen! Ich hoffe, daß er ohne Erinnerung zurückgekommen ist. Aber ohne Erinnerung, ohne Gedächtnis – ist er da noch derselbe Mensch zu nennen? Wer einmal im Grabe ist, bleibe im Grabe! – –

Die Gebirgsschlucht von Bab-el-Melek haben einst die Wasser gerissen. Wir fanden große versteinerte Muscheln und sonderbare Steine, die wie Blumenzwiebeln an die sich eine kleine Zwiebelbrut gesetzt hat aussahen; auch manche buntfarbige, zierlich gestreifte, die ich gar zu gern alle mitgeschleppt hätte. Vegetation fanden wir nicht, aber Stellen, die wohl aussahen, als ob ein armes hartes Kraut da leben könne, wenn einmal ein seltener Regenguß fallen sollte. Im Ganzen ist es jedoch ein fürchterlich totes Felsental in welchem man ungefähr eine Stunde reitet bis man zu der Stelle kommt, wo man sechzehn Gräber nach und nach entdeckt und aufgegraben hat. Die Namensschilder vom zweiten bis zum fünfzehnten Pharao aus dem Geschlecht der Remesiden will man an ihnen erkannt haben. Dasjenige welches man nach seinem berühmten Entdecker das Belzonische nennt, ist ohne Vergleich das Schönste und ich glaube auch das Größte von allen. Man tritt in eine ungeschmückte Felsenpforte und geht neunundzwanzig Stufen herab bis zu einer höheren Eingangstür über welche das allgemeine Zeichen der Gräber eingemeißelt ist: Anubis mit dem Hundskopf, der die Seele in das Armentis (Schatten- oder Totenreich, Orkus) führt, und ein Skarabäus, Symbol des Feuergottes Phtah; daneben die Namensschilder. Dieses Tor führt in einen mäßig gesenkten Gang, dessen Wände mit äußerst zierlichen Hieroglyphen bedeckt sind, welche sich in glänzenden bunten Farben von dem milchweißen Stein abheben. Man glaubt eine satinierte Tapete zu sehen. Darauf folgt eine zweite Stiege von sechsundzwanzig Stufen, und abermals ein gesenkter Gang, der in ein Vorzimmer ausläuft auf welches ein Saal von vier Pfeilern getragen folgt. Hier sind Farben von der schneidensten Grellheit und die Bilder so barock, daß ich mich wirklich entsetzte. Um den ganzen Saal läuft eine Schlange mit Menschenfüßen, die auf ihrem Rücken Mumien trägt. Darüber schwimmen reich verzierte Barken in denen Anubis mit vielen Ruderern Mumien schifft. Hunde in der Stellung der Sphinx bewachen sie aufmerksam. An den Pfeilern stehen Hand in Hand Isis und Osiris mit großen harten schwarzen Augen und sehen sich starr an. Sie trägt ein Kleid schwarz und feuerfarben gestreift, jeder Streif kaum so breit als ein Strohhalm, und allerlei Krimskrams von Schmuck an Busen, Armen und Haupt. In den schreienden Farben tritt die typische Mißgestalt in ihrer ganzen Verschrobenheit und Dürftigkeit hervor; aber mit religiöser Genauigkeit hat der Maler jedes Strichelchen auf jedem Pfeiler gewissenhaft auf dieselbe Stelle hingestrichen. Eine Stiege zur Rechten führt mit achtzehn Stufen wieder in einen fein und niedlich auf einen Grund von Mörtel bemalten Gang, der durch einen Vorsaal und einige Stufen in eine hohe gewölbt ausgehauene von vier Pfeilern getragene Halle bringt, in welcher der Sarkophag gestanden, den Belzoni nach England gebracht hat. Auch hier sind es wieder Götterzüge, Seelenfahrten, und die spazierende Schlange. In kleinen Nebengemächern sind Verehrungen des Apis und greuliche Darstellungen von Hinrichtungen: schwarze Männer knien mit gebundenen Händen, und ihr Kopf fliegt herunter; andere werden dieser Strafe entgegengeführt. Gemeißelt und bemalt ist alles vom Boden bis zur Decke, obgleich es die Bestimmung hatte mit der Mumie für immer begraben zu werden. Welche Ergötzlichkeit diese aber an den Darstellungen gefunden, das begreifen wir nicht mehr. Manche sind wahrhaft belustigend. Eine Steinbank läuft rund um die Wand eines Gemachs, auf der vielleicht Mumien gebettet worden waren. Unter die Bank sind zierliche Sofas mit Purpurpolstern und Tigerfellen gemalt, damit die Toten glauben könnten, daß sie auf den bequemen Sofas statt auf dem harten Fels lägen. Alle Gräber sind sich ähnlich und keines ist dem anderen gleich in Verteilung der Gemächer und Ausschmückung. In den meisten war ein solcher Modergeruch von verwesten Tieren, eine so dumpfheiße Luft, eine solche Masse von Fledermäusen, die wir mit unseren Lichtem verstörten, daß der Aufenthalt wohl sehr merkwürdig doch gar nicht angenehm war. Hat man es aber nicht gesehen, so kann man sich durchaus keine Vorstellung von dem kolossalen und mysteriösen Pomp eines solchen Grabes machen. Es ist mit seinen Stiegen, Gängen, Hallen, Pfeilern und Kabinetten in den rohen Felsen gehauen, und dann aufs Mühseligste von Meißel und Pinsel bearbeitet um für immer in der Doppelnacht des Grabes und der Vergessenheit zu verschwinden.

Viel älter und unvollkommener als die Königsgräber von Theben scheinen die von Beni-Hassan zu sein. Sie liegen unterhalb von Antinoe in einer Felswand des rechten Ufers, mehr als dreißig nah beisammen. Sie bestehen meistens aus einem einzigen Gemach an das sich in der Hinterwand zuweilen ein Kabinett mit Resten von sitzenden Gestalten schließt. Es sind vielleicht kleine Tempel über den Gräbern gewesen, denn in dem Boden jedes Gemachs befindet sich wenigstens ein Schacht, zuweilen zwei, drei, gar fünf. Die Wände der meisten sind ganz leer und die Decken dachähnlich in den Felsen gehauen. Einige werden von hübschen Säulen getragen, die gleichsam aus vier Baumstämmen mit Stricken zusammengebunden bestehen. In Luxor gibt es ähnliche Säulen, aber so enorm dick, daß mir erst hier die Ähnlichkeit mit Baumstämmen auffiel. In den ältesten Zeiten mögen wirklich solche Bündel von Stämmen die Bedachung eines Hauses oder Tempels gestützt haben, und die älteste Architektur ahmte dies nach. Diese säulengetragenen Gemächer sind sehr bemalt; da aber die Figuren nicht zuvor eingemeißelt worden sind, so erkennt man sie schwer, denn überall sind die Konturen verwischt und die Farben sehr verblichen. Ringerübungen in allen Stellungen, Kämpfe mit Bogen, Speer und Keule, afrikanische Jagden auf Löwen, Gazellen und Strauße, Viehherden in langen Zügen: das habe ich deutlich erkennen können.

Jetzt komme ich endlich in die Nachbarschaft von Kairo zurück und zu den imposantesten aller Gräber: zu den Pyramiden. Die beiden großen von Daschur sind die südlichsten, dann folgt die Gruppe von Sakaara, dann die von Abuzir, und endlich im Norden steht das Königspaar von Gizeh mit seiner kleinen Familie – alle auf dem linken Nilufer, während auf dem rechten die Zitadelle und die Minarette von Kairo schimmernd aus dem bläulichen Duft der Ferne auftauchen. Dies war das Gemälde, welches der letzte Abend auf dem Nil, Sonnabend der siebzehnte Februar, mir zeigte. Die Pyramiden – ja, sehen Sie liebes Herz, die überwältigen mich. Ich denke nicht an die immense Anlage, wenn ich sie erblicke, nicht an die geheimnisvolle Bestimmung, nicht an ihr Alter, nicht an ihr größtenteils unerforschtes Inneres; – ich sehe nur zwei Linien, welche von einer breiten Basis langsam, langsam aufsteigen und sich zueinander neigen wie zwei Hände zum Gebet bis sie sich zu einer Spitze vereinigen. Weiter ist es ja nichts; aber ich versichre Sie, es ist unbegreiflich schön. Die Dörfer Bedreschen, Mitraïneh und Sakaara sollen auf der Stätte des alten Memphis liegen, das Menes, der Urahn aller Pharaonen gründete. Durch die Lichtungen in den Palmenwäldern schauen bald da bald dort die Pyramiden hinein. Wie ernste Mahnungen an das Ziel jedes Lebens mögen sie einst auf das alte Memphis also geschaut haben. Die von Daschur, ungefähr anderthalb Stunden von Sakaara entfernt, sah ich nicht in der Nähe; gewiß gehörten sie zur Nekropolis der alten Könige, wie auch die von Gizeh, die in gleicher Entfernung liegen mögen. Gräber wohin man sieht, wohin man tritt! Pyramiden zu Schutthaufen eingesunken, in Sandberge verwandelt, Schachte die sich plötzlich auftun, brunnenähnliche Vertiefungen, Hügel von Lehmziegeln, von Kieseln, die stille brennende Wüste ringsum, und in der Mitte die Pyramide in fünf Stufen oder Absätzen erbaut – das sind die Pyramiden von Sakaara. Wir durchkrochen einige Gräber, was bei der Luft die drinnen herrscht immer eine peinliche Anstrengung ist. Ausgewüstet sind sie alle! Gebeine, Schädel und Lumpen der Mumien Hegen in Fülle hier wie in Assasiff umher. Idole werden zum Kauf angeboten, aber die Spekulation hat längst gelernt sie nachzuahmen und Falsches für Echtes auszugeben. – Bei Abuzir waren mir die Katakomben der Vögel am merkwürdigsten. Reihenweise an den Wänden aufgeschichtet stehen konische Gefäße von Ton, deren Boden man mit Mörtel festgemacht, nachdem man die kleine Mumie hineingeschoben hat. Wir zerschlugen zwei derselben. Aus dem einen Gefäß fielen unerkennbare Bestandteile heraus; aus dem anderen ein braunes, kegelförmiges Päckchen, das ganz fest schien, und der mumifizierte mit Bandagen umwickelte Vogel war, das sich aber auch bei der Berührung in Asche, Läppchen und kleine Federn, die gut erhalten waren, auflöste. Unbegreifliches Volk, dem der Körper so heilig war, daß es dessen Bestandteile, sogar bei Tieren, für die Ewigkeit sichern wollte, und dessen Wahn von der Zukunft durch die empfindlichste Entweihung gestraft worden ist! Aber jede Zeit und jedes Volk hat seinen Wahnglauben, und die entweihenden Hände sind ihm so gewiß wie sie den früheren waren. Auf welchen Gräbern der Taten oder der Gedanken werden bei uns künftige Zeiten entweihende Orgien halten? – Daß es auf unseren Gebeinen nicht sei – dafür sorgt die Administration der Gottesacker.


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