Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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13. An meine Mutter

Smyrna, Freitag, September 29, 1843

Jetzt bin ich in Asien, freilich nur in Kleinasien, aber doch wirklich und auch dem Namen nach aus unserem europäischen Weltteil heraus. Jetzt bitte ich Dich, Herzensmama, Dir vor allen Dingen recht fest einzuprägen, daß ich keineswegs gesonnen bin aus Jubel darüber in Asien zu sein, alles schön und herrlich zu finden was ich sehe. Durchaus nicht. Ich werde so Gott es will! immer mein gutes unbestechliches Auge behalten, und nur das schön finden, was auf mich diesen Eindruck macht, gleichviel ob es in Asien oder in Europa liegt und – dies vorausgeschickt – sage ich ganz beruhigt: Smyrna hat nichts Schönes als seine Weiber und seine Weintrauben. Doch ehe ich von Smyrna rede will ich dir erzählen wie meine Reise verlief, und doppelt gern, weil ich mich ungewöhnlich gut befand. Dann schöpfe ich immer Hoffnung und denke: »Nun habe ich für immer die Seekrankheit überwunden, nun kann ich ganz gewiß das Meer vertragen!« – Ob dem so ist wird sich heute abend zeigen, denn es ist heftiger Wind und wir gehen um sechs Uhr fort.

Dienstag am 26sten, Nachmittags vier Uhr, trug uns das sehr gute Dampfschiff Seri Pervas aus dem goldenen Horn durch den Bosporus in den Propontis, und so schnell es auch ging, konnte man Konstantinopel weit und mächtig ausgebreitet bis Sonnenuntergang herrlich beleuchtet, gewahr werden. Ich war die glückliche Alleinbesitzerin der Damenkabine, hatte Licht und Luft in ihr, und glaube auch diesen Umständen mein Wohlbefinden zuschreiben zu müssen. Mit der Nacht hob ein ganz konträrer Wind, Südwind und hohes Meer an, und wir behielten beides bis zur Einfahrt in die Bucht von Smyrna, d. h. über vierundzwanzig Stunden. Ich verbrachte sie fein ruhig auf dem Sofa in meiner Kabine liegend, das nenne ich schon Wohlbefinden auf dem Meer, und ließ mir erzählen bei welchen Punkten wir vorüberfuhren. Ach, lauter Punkte die zu Poemen geworden sind und lauter Namen die wie Lieder klingen!

Da ist Ilions Küste mit der Ebene von Troja, in der friedlich die Grabhügel der beiden Todfeinde, Hektors und Achilles nebst dem des Patroklos sich erheben, und von Jahrtausend zu Jahrtausend den eignen Ruhm und die Unsterblichkeit ihres alten blinden Sängers erzählen. Alter Homer! Wie müßtest du lächeln wenn du wußtest welche Mühe sich die Spekulation unserer kleinen hohlen Zeit gibt, um deine große volle Existenz in die bettelarme Sphäre des Zweifels zu ziehen. – Verläßt man die Dardanellen, die ehedem Hellespont hießen, und deren Küsten weit an Schönheit hinter denen des Bosporus zurückstehen: so sind die ersten Inseln des Archipelagus Imbros, Lemnos und Tenedos, dann Mitylene, das alte Lesbos. An die Küste von Lesbos kam das Haupt des Orpheus geschwommen, nachdem der wunderbare Sänger, der für seine Liebe die Unterwelt – und durch seine Lieder die rohen tierischen Gestalten überwunden hatte, von den thrazischen Mänaden ermordet worden war. Die Bewohner von Lesbos gaben seinem Haupt ein ehrenvolles Grab; dafür segnete Apoll die Insel mit den Gaben der Poesie, sie ward Arions und Sapphos Heimat, die des Alcäus und Terpanders, der die siebensaitige Lyra erfand – und überdas mit einer schönen und reichen Natur.

Und abermals wurde es Nacht, und als der Morgen wieder kam, lagen wir schon ein paar Stunden im Hafen von Smyrna vor Anker, und ich kam höchst gespannt aufs Verdeck. Mein erstes Wort war: »Aber ganz wie die spanische Küste bei Alicante und Carthagena!« und so ist es wirklich. Dieselben scharfen, nackten, gelbrötlichen Berge, die sich baum- und schattenlos schroff am Ufer erheben, in welches das Meer mit einem großen Golf hineingetreten ist: Smyrna selbst ist jedoch eine bedeutende Handelsstadt, wie das südliche Spanien keine mehr aufzuweisen hat, wo über 100.000 Menschen bequem leben und manche reich werden, und wo eine Art von europäischer Gesellschaft aus den Konsulfamilien aller Nationen sich gebildet hat. Das Frankenquartier am Meer, das zuerst in die Augen fällt und in dem sich natürlich auch die Gasthöfe befinden, sieht ziemlich europäisch aus, und ich glaubte schon mit Konstantinopel von der Unsauberkeit Abschied genommen zu haben, bis ein Gang durch die Stadt mich eines anderen belehrte. Frappant ist ihre Lage übrigens nie; am wenigstens wenn man von den grünen Ufern des Bosporus kommt.

Drei Dörfer um Smyrna teilen unter sich im Sommer die wohlhabendere fränkische Bevölkerung: Burnabad, Budscha und Sedikoi. Sie haben Landhäuser, Gärten, Bäume, eine reiche Vegetation, welche die Stadt selbst nicht hat. Man hatte uns Burnabad als das schönste genannt, und wir ritten auf friedlichen unlenksamen Eseln hinaus. Da ich nicht wie die türkischen Frauen à califourchon zu sitzen verstehe, so saß ich quer und mit dem rechten Fuß im Steigbügel auf meinem breiten Sattel, was allerdings nicht sehr bequem war. Indessen hielt ich mich doch ganz gut, und wir ritten zwei Stunden lang durch die von der glühenden Sonnenhitze ganz ausgedörrte, ich möchte sagen pulverisierte Ebene, die nur schattenlose Ölbäume und vertrocknete Bachbette hat; denn hier ist man noch im hohen Sommer, obzwar man ihn bereits seit fünf Monaten genießt. Burnabad liegt nicht am Meer und hat nicht einmal die unmittelbare Aussicht darauf. Jedes einzelne Landhaus ist samt seinem Garten von einer hohen weißen Mauer umzogen, so daß es sehr heiß und beklommen zwischen denselben ist, aber allerdings in ihnen recht freundlich – nur im ganz, ganz kleinen Stil, etwa wie ein Blumenparterre sich zu dem verhält, was wir einen Garten nennen. Man kann darin auf einem schattigen Plätzchen sitzen und sich am Anblick der Granatgebüsche und Zitronenbäume erfreuen; aber zu gehen, auf diesen schmalen graden, mit kleinen Steinchen oder Muscheln gepflasterten Wegen (um den Staub zu vermeiden) das ist wirklich sehr unerfreulich.

Der Dragoman brachte uns zuerst in das Haus eines reichen griechischen Kaufmanns, wo uns die Hausfrau äußerst gastlich empfing, uns erst in ihren kühlen hübschen Salon und dann in ihren heißen Garten führte. Die Aussicht vom Peristyl über der hohen Freitreppe vor dem Salon war die einzige anmutige die ich in Burnabad gefunden: über die Zypressen des Gartens hinweg und zwischen den heißen roten Bergwänden hindurch, sah man in der Ferne erquickend und kühlend das ewig unvergleichlich schöne Meer. Mit Kaffee, Konfitüren und frischem Wasser nach orientalischer Sitte zwei Minuten nach unserm Eintritt bewirtet, mit Blumen beschenkt, verließen wir nach einer halben Stunde dies gastliche Haus. Für unsereins, auferzogen in unsrer zeremoniösen europäischen Gesellschaft, wo kein Mensch mit dem andere spricht bevor er nicht wenigstens dessen Namen, noch lieber Herkunft, Stand, Ahnentafel kennt, ist es unbeschreiblich angenehm fremd in ein fremdes Haus zu treten und empfangen zu werden, als sei man ein erwarteter Gast. Ich kann mich nicht gleich besinnen wo der Spruch der heiligen Schrift steht: »Sei gastfrei; denn du kannst nicht wissen ob du nicht einen Engel beherbergst.« Aber dies Gesetz zieht sich noch immer durch das Morgenland, sogar hierher in die Levante, wie man das fränkische handeltreibende Morgenland zu nennen pflegt.

Langen Zügen von Kamelen begegneten wir bei der sogenannten Karavanenbrücke auf dem Heimritt, die ins Innere des Landes gingen. Sie schreiten alle langsam und leise hintereinander her, und folgen keinem andern Führer als einem Esel, der mit einem Glöckchen um den Hals den Marsch eröffnet. Die braun gebrannten Gesichter der Führer, die obendrauf saßen oder nebenher gingen, hatten viel bestimmtere schärfere Züge, als die welken türkischen Gesichter haben. Bei einem großen alten Brunnen am Wege wurden die genügsamen häßlichen Tiere getränkt, und jedes wartete geduldig bis die Reihe an ihn kam. Begegnet man in den äußerst engen Gassen von Smyrna solchem bepackten Zuge, so muß man entweder umkehren oder in ein Haus treten; denn zum Ausweichen ist kein Platz. Gegen fünf Uhr war es lieblich kühl geworden; da standen in der Frankenstadt all die wunderhübschen Smyrniotinnen vor ihren Haustüren und plauderten nachbarlich mit einander, oder saßen bei geöffneter Haustür in dem Vorsaal ihrer Wohnung en famille beisammen. Ja, die sind wirklich wunderhübsch! Prächtig dunkle, große, lebhafte Augen, und schöne regelmäßige, von Geist und Leben bewegte Züge. Sieht man sie an, so begreift man die alte ionische Schönheit. Dazu tragen sie ein Tuch ungemein graziös um die dunklen Haarzöpfe geschlungen, zuweilen von Seide, zuweilen von weißem Musselin mit bunten und goldenen Blumen in die Zipfel gestickt. Gott, wie lieblich ist die Schönheit! Ich habe ja nichts davon daß ich die Smyrniotinnen in der Abendkühle vor ihren Türen plaudern sehe, aber es stimmt mich ganz heiter.

Von einer andern Schönheit Smyrnas habe ich allerdings etwas – denn ich esse sie, nämlich Weintrauben; Weintrauben wie man in Deutschland keinen Begriff von ihnen hat so groß, so saftig, so feurig, kurz – das Ideal von Trauben. Die Feigenzeit ist vorüber zu meinem tiefsten Bedauern. Für Feigen habe ich eine unglückliche Leidenschaft, denn ich kann sie gar nicht in Deutschland befriedigen, und hier ist ihre Zeit leider um. Die berühmten getrockneten werden auf eine höchst unappetitliche Weise präpariert: man macht die Hände mit Speichel naß und dann klatscht man zwischen ihnen die Feigen breit und packt sie in Tonnen fest aufeinander, so daß sie zusammen kleben. Bis sie nach Europa kommen sind sie so wie wir sie gern essen.

Die Gesellschaft von Smyrna macht, wie gesagt, noch ihre Villeggiatura, daher fand ich keinen der Konsuln an den ich Briefe hatte; aber heute kamen sie in aller Frühe in die Stadt. Der dänische Konsul erzählte mir: als er vor fast vierzig Jahren als ganz junger Mensch in seiner europäischen Heimat gewesen sei, habe er, ich weiß nicht durch wen, in Holstein einen alten Mann kennengelernt, der ihm durch seinen Geist und seine hohe seltene Bildung und seine Liebe für Astronomie einen ganz außerordentlichen Eindruck gemacht habe; und ob ich nicht mit ihm verwandt sei: es sei ein Herr von Hahn gewesen. Ich sagte ganz erfreut: das war mein Großvater, und auch er freute sich die Enkelin hier willkommen zu heißen. Aber es war mir recht merkwürdig nach so langen Jahren, an der Küste des ionischen Meeres, von einem mir ganz unbekannten Mann den Namen meines Großvaters so in Ehren gehalten zu finden.

Später machten wir einen großen Gang durch die Stadt und hinauf zu dem Berge, auf dem die enormen Ruinen des alten Schlosses liegen, das ehedem die Stadt beherrschte und zur römischen Zeit sehr prachtvoll war, jetzt aber nur noch aus wenig Gemäuer, aber unglaublich viel Schutt besteht. Da übersieht man Smyrna, dessen Türkenquartier an einem Abhang dieses Berges, ganz getrennt vom Frankenquartier, wie eine besondre Stadt gelagert ist; die Ebene, die wie ein Leopardenfell aussieht, gelblich mit dunklen Flecken – das sind die Gärten und die bebauten Felder; und dann das Meer von hohen Bergen umringt, die doch keine Mauer gegen den Sturm bilden, der es zerwühlt. Es war zu stürmisch da oben um sich lange aufzuhalten. Eine Schafherde stand ängstlich zusammengedrängt zwischen den Trümmern, nicht wagend nach spärlicher Nahrung umherzusuchen, und der bewaffnete Hirte der sie hütete, konnte auch nichts zu ihrem Schutz tun. Wir flogen wahrhaft bergab; und es tat mir sehr leid, daß ich hernach, durch den unendlichen Schmutz des Judenquartiers, nicht auch fliegen konnte. Vorher, in der Frankenstadt waren wir in einige Häuser getreten, die gar einladend aussahen. Der Vorsaal ist immer so breit wie die Haustür und so tief wie das ganze Haus, mit Fußboden von Marmor und breiten Sofas; in der Tiefe ohne Tür, sodaß man durch eine Veranda von Weinreben oder Rosen in ein Gärtchen hineintritt, das freilich auch nur wenig Ellen breit, aber bunt und duftig, und im Hintergrund meistens mit einem Fontänchen geschmückt ist. Wie das lieblich aussieht, von der Straße aus durch die Haustüren in die heimlich lockenden Gärtchen zu schauen, besonders wenn eine schöne Frau im kühlen, halbdunklen Vorsaal sitzt! – Plötzlich muß ich die Feder fortwerfen und an Bord. Ade! Ade!


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