Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

26. An meine Mutter

El-Arisch, Mittwoch, November 21, 1843

Meine liebe Mutter, ich schreibe Dir, aber es ist eigentlich Unrecht, denn ich bin in einer Laune, die ich wirklich grimmig nennen muß. Denke dir nur, daß wir hier in Quarantäne sitzen! Leute die durch die Wüste nach Kairo kommen in Quarantäne, als ob nicht Ägypten der eigentliche Herd der Pest wäre! Und hätte man sie wenigstens an einem zweckmäßigen Ort eingerichtet, aber hier! Schlechtes Wasser ist hier, und kein Tropfen Milch, keine Zitrone um es zu verbessern kann man haben. Auf nichts kann sich das Auge ausruhen! Zusammengewehte niedrige Sandhügel beschränken den Horizont, und erklimmt man mühselig eine solche Anhöhe, so hat man einen weiten Horizont, jedoch immer auf die gleiche Weise begrenzt. Dazu die Jahreszeit! Es windet heftig Tag und Nacht, und der Sand wird so aufgewühlt, daß feiner Staub sich unwiderstehlich aller Gegenstände bemächtigt und sie durchdringt. Nachts stürzt auch mitunter ein tüchtiger Regenguß vom Himmel, ohne jedoch den geringsten Einfluß auf diesen unauslöschlichen Staub zu üben. In der Wüste ist es wirklich nicht gleichgültig ob man sechs Tage länger als man gerechnet hat unter dem Zelt hausen muß. Es existiert hier freilich ein Quarantänegebäude, so einige Lehmkasten um einen inneren Hof herum; aber die vier Franzosen, die seit Beirut immer vor uns herreisen, sind da bereits eingefangen mit ihren Leuten, ihren Kamelen und Kameltreibern, eine enorme Karawane! – Da kommt man denn leicht an frischer Luft zu kurz, und der Sand hat überdas den einen Vorteil, daß er höchst reinlich ist, daß wohl irgend ein harmloser Käfer, doch kein Ungeziefer in ihm haust, wie das bei vernachlässigten Gebäuden doppelt der Fall ist; – und darum zog ich das Zelt vor. In Gaza sagten uns die Kameltreiber es sei Quarantäne in El-Arisch und ob wir sie nicht umgehen und auf einem Nebenwege nach Kairo wollten. Wir trauten ihnen nicht. Diese Menschenart hat so eine Liebhaberei für Schleich- und Nebenwege, welche zuweilen kürzer, aber fast immer schlechter als die Hauptstraße sind. Der Dragoman hat seine verschiedenen Reisen in diesen Ländern zufällig immer so gemacht, daß er aus Kairo nach Gaza gekommen ist und da gibts keine Quarantäne, also konnte er nicht Auskunft geben. Er wurde mit meinem Firman demnach an den Gouverneur von Gaza abgesendet um sich bei einer zuverlässigen Behörde zu erkundigen, ob in El-Arisch Quarantäne sei oder nicht. Er kam mit der Antwort zurück, es sei keine, und wir glaubten natürlich dem Gouverneur mehr als den Kameltreibern. Was den Mann zu dieser falschen Versicherung bewogen hat, ist unbegreiflich! Mit den französischen Herrn hat er es genau ebenso gemacht. Ob er sich beschämt fühlt, daß die ägyptische Regierung eine solche Maßregel durchführen kann und die türkische nicht? – Genug, das erste und einzige Mal, wo ich durch meinen Firman recht empfohlen zu sein wünschte, hat er mir so angenehme Früchte getragen.

Am siebzehnten kamen wir erst gegen zehn Uhr zum Abzug von Gaza, denn es gab einen ungeheuren Zank zwischen dem Dragoman und dem Kamellieferanten, weil letzterer schlechte Tiere gestellt hatte. Natürlich nahm halb Gaza mit Wonne daran Teil. Ob sie umgetauscht sind oder nicht weiß ich nicht! Um all den Hader bekümmere ich mich nicht im geringsten, so wenig, daß ich nicht einmal nach dem Grund frage. Ich kann ihn ja doch nicht schlichten, der Dragoman versteht es aufs beste zu unserm Recht zu kommen, und hier mußte uns wohl Unrecht geschehen sein, denn er ging zum Richter. – Das Wichtigste wenn man zum ersten Mal auf einem Kamel sitzt ist, daß man nicht herunter stürzt, wenn das Tier sich erhebt, was es mit vehementen Zickzackbewegungen tut – erst halb auf den Vorderfüßen, dann auf den Hinterfüßen, und zuletzt richtet es sich vorn ganz auf. Beim Niederlegen ist es dasselbe: man schießt immer ein paar Fuß nach vorn und wieder rückwärts; aber ich klammere mich aus Leibeskräften an meinen Sessel, und jetzt bin ich schon daran gewöhnt. Die Kamele haben hier nur einen Höcker, und über demselben liegt eine Art von Dach aus rohem Lattenwerk zusammengesetzt und gefüttert mit groben Kissen, Decken, Baumzweigen, um das Tier nicht zu drücken. An das Sparrwerk dieses Dachs werden zu beiden Seiten desselben mit dicken Hanfstricken die Lasten befestigt, welche ungefähr gleich schwer sein müssen, damit sie im Gleichgewicht bleiben. So hängen denn auch unsre Sessel – der meine mit allerlei Gegenständen verbrämt um ihn zu erschweren – ungeheuer plumpe und nutzlos große Maschinen, für die untergeschlagenen Beine der Araber berechnet, die viel mehr Platz zum Sitzen brauchen als wir. Und so throne ich da oben in den Lüften, wenigstens sieben Fuß über dem Erdboden, aber nichts weniger als schwebend, sondern dermaßen gerüttelt und geschüttelt, daß ich etwas um die Besinnung komme und ein wenig stupid werde. Es ist zwar abgemacht, daß man nicht anders sprechen darf als: die erhabene Ruhe der Wüste – oder: die majestätische Stille und Einsamkeit der Wüste geben der Seele diesen oder jenen Schwung, aber ich kann nicht einstimmen. Ritte ich zu Pferd hindurch, oder nur zu Esel, so hätte ich vielleicht einen andern Eindruck; allein auf dem Kamel fühle ich mich grade wie auf einer Eisenbahn zu einem Warenballen erniedrigt, den man fortschafft. Dem Kamel ists ein Greuel sich niederzulegen, Gott weiß warum! Es tuts unter widerwärtigem Grunzen, vom Treiber gezerrt, geschlagen und auf eine besondere Weise durch einen knurrenden Ton dazu ermahnt. Sitzt man also einmal oben und hat man das Tier in Gang gebracht, so bleibt man schon gern sitzen! Doch nun darf man sich nicht selbständig bewegen, sondern muß Rücksicht auf das Gleichgewicht der Sessel nehmen, das leicht schwindet, wenn die Stricke sich ein wenig lockern. Wie der eine sitzt muß der andre auch ungefähr sitzen. Genug, durch die Wüste ists ein Transport und keine Reise – grade wie auf der Eisenbahn; und war's dies Zusammentreffen der äußersten Pole des Reiselebens durch Kamel und Dampfwagen ausgedrückt, welches mich nach Europa versetzte; war es, daß die Wüste mir wirklich gar keinen innerlichen Eindruck gab – – Du wirst nicht erraten was mich beschäftigte! – Die Gedanken waren ganz in Europa und ich dachte mir wieder eine Erzählung aus, die ich einmal schreiben will. Zum ersten Mal auf dieser Reise hatte ich solche Gedanken, und sie unterhielten mich sehr, während ich mich langweilte, wenn ich sie der Wüste zuwenden wollte.

Die erste Tagesreise ging auch noch gar nicht hindurch, sondern das Land blieb ungefähr wie zwischen Ramla und Gaza, nur spärlicher bebaut und daher mit öderen Strecken. Wo gepflügt wurde geschah es mit Kamelen, was äußerst komisch aussieht. Gereckt und gestreckt wie es ist, kann es unmöglich zum Zugvieh bestimmt sein; aber hier fängt es schon an die höchste, gar einzige Habe des Volks zu werden, welches das Kamel so zu benutzen versteht, daß es leistet, was bei uns Pferd, Rind und Schaf zusammen. Es schafft Menschen und Lasten fort, es dient zum Ackerbau, das Haar wird zu Decken verwebt, die Milch getrunken, und der Dünger mit gehacktem Stroh vermischt und getrocknet, wird als Brennmaterial verbraucht. Bei dem lieblichen Geschäft dieser Vermischung, auf welches dann dasjenige der Ausbreitung der auf den Dächern der Häuser zum Trocknen folgt, findest Du in ganz Syrien in allen Dörfern Weiber und Kinder eifrig beschäftigt, und sie haben dazu kein anderes Werkzeug als ihre zehn Finger. Das Kamel ist der Gegenstand der zärtlichsten Sorgfalt des Arabers, und das Junge wird gepflegt wie ein Kind. »Mein Kamel« ist der Schmeichelname, welchen das Weib dem Manne gibt, und in ihrer Totenklage um ihn, wiederholt sich am häufigsten: »O du mein Kamel, wer hilft mir meine Last tragen!« – Ich finde das Tier widerlich! Geschunden, mit Schwielen, struppig behaart, von unförmlichem Gliederbau, gewährt es einen unerfreulichen Anblick, und als das unsre einmal seinen langen Hals wendete und an meinen Füßen schnoberte, zog ich sie mit einigem Widerwillen zurück. Der Treiber bemerkte es, und um nur zu zeigen wie man mit diesem Tier umgehen müsse, zog er dessen Kopf herab und küßte ihm das schlabbernde Maul. Ich war im höchsten Erstaunen – nicht daß er das Kamel küßte, das paßte für diesen Halbwilden – aber daß er überhaupt etwas vom Kuß wußte.

Gegen vier Uhr wurde schon Halt gemacht, auf freiem Felde, aber wie es sich hernach ergab in etwas gefährlicher Nachbarschaft. Ein großes und recht freundliches Dorf mit zwei Moscheen lag vielleicht eine Viertelstunde von unserem Lagerplatz, und wir hörten zahlreiche Flintenschüsse fallen, die wir auf ein Hochzeits- oder sonstiges Freudenfest schoben. Wir waren etwas der Richtung zugegangen, da pfiff es plötzlich ganz seltsam zischend neben uns und siehe, eine Kugel hatte sich nach dieser Richtung verirrt. Ich hatte gar nicht Lust als Opfer dieses Festes zu fallen, und am Ende ergab sich, daß es mit nichten ein solches, sondern daß das Dorf Hanyounis – wie die Araber es nannten – im vollen Aufstand begriffen sei. Dies ist etwas Alltägliches unter der türkischen Herrschaft. Erscheinen die Beamteten um den Tribut einzufordern – Aufstand! Und die Soldaten um Rekruten auszuheben oder besser gesagt einzufangen – Aufstand! Die türkische Staatsverwaltung beschränkt sich auf diese beiden Momente, und da das Volk weiter nichts von ihr hat, nicht Unterstützung, Hilfe, Vorteil, und sie also nur durch zwei ihm sehr lästige Verfahren kennen lernt: so widersetzt es sich gern. Hier sollte Tribut gezahlt werden; aber man wollte nicht, und suchte die Einforderer desselben zu vertreiben – wie es schien mit Glück, denn der jauchzende Zugharit der Weiber übertönte schrillend Flintenschüsse und Getöse. Ich bin aber schon ganz blasiert über arabische Aufstände. Seit Beirut höre ich nichts anderes. Die Schüsse störten nicht meinen Schlaf.

Am achtzehnten brachen wir bald nach sechs Uhr auf, und wenn sich jetzt auch noch einige Spuren von bebautem Erdboden zeigten, so sahen wir doch keine Dörfer mehr, und diesseits der Grenze zwischen türkischer und ägyptischer Herrschaft, welche ein großer Brunnen bezeichnet und welche wir um zwölf Uhr erreichten, wurde es gründlich wüst: Hügel die wie aus Sand zusammengeweht aussehen, und dazwischen flache Strecken Landes in welchem zwischen dem toten Sand doch noch so viel lebendiges Erdreich sich findet, daß der Regen des vorigen Winters ein ärmliches Pflanzengeschlecht, starr, stachlig und dürr, darin hat erzeugen können. Neben jenem Brunnen stand ein Trümmerhaufen, vielleicht ein ruiniertes Grabmal. Die Kameltreiber holten Staub aus den Ruinen und beschütteten ihre Tiere damit, als ob die noch nicht gründlich genug eingestaubt wären! Befragt weshalb? sagten sie, das wäre den Tieren gesund. Daraus schließe ich, daß irgend ein heiliger Schutzpatron der Kamele dort begraben ist. Der Islam hat keine Heilige wie die griechische und römische Kirche; aber die Mohammedaner haben Heilige, ungefähr wie die indischen Fakirs, Menschen die sich in extravaganten Kasteiungen, wie Simeon Stylites, gefallen oder die durch Verleugnung aller sinnlichen und geistigen Gaben Aufsehen machen und zu Ehren kommen wollen. Man nennt sie Santone, und sie werden nicht nur bei Lebzeiten sehr geehrt, so daß man zum Beispiel ihre Berührung für heilend und ihre Entscheidung für unwidersprechlich hält, sondern man schreibt auch noch ihren Gräbern Wunderkräfte zu. – Zwischen den dürren Pflanzen, auf einer großen, mattgewellten Fläche, machten wir um vier Uhr Halt. Was ich daran grandios finden soll, weiß ich wirklich nicht! Glaube mir, liebe Mutter, die Wüste ist langweilig! Wenn Du Dich erinnerst wie es zwischen Berlin und Strelitz war, bevor die Chausseen sich bis zur Ostsee erstreckten, so kannst Du Dir lebhaft die Wüste vorstellen: Sand, Sand und abermals Sand; und dazwischen wo Wasser ist, bei Oranienburg, bei Dannenwalde, eine grüne Oase, nur mit andrer Vegetation. Wüste bleibt Wüste! Was mich in der Mark angähnt, gähnt mich auch in Arabien an. Die meisten Menschen die hieher kommen sind so bewunderungsvoll sich auf einem Kamel in der Wüste Arabiens, auf der berühmten Landenge von Suez, die zwei Weltteile verbindet, zu finden, daß ihnen die ganze Situation höchst interessant vorkommt, und das verleiht der Wüste glänzende Farben. Ich erzähle Dir ungeschminkt wie sie ist.

Am neunzehnten gegen sieben Uhr zogen wir ab, und waren um zehn hier. Leute aus El-Arisch begegneten uns, schüttelten herzlich die Hand mit unseren Kameltreibern und versicherten, allerdings sei dort Quarantäne. Was sie von derselben hielten, bewies der Handschlag; was wir: eine Spekulation auf den Geldbeutel der Reisenden. Genug, wir sitzen da, in Sand vergraben bei lebendigem Leibe wie Leichen, aber so, daß ich bis zum Knöchel darin versinke, wenn ich nur den Fuß aus der Zeltwand heraus stelle, und mit dem Reis, dem Zucker, mit allem Eßbaren, eine tüchtige Portion verschlucke. Ein schöner Nabekbaum steht in der Nähe des Zeltes: es ist wahrhaft eine Naturerscheinung zu nennen, hier, wo kein Grashalm weit und breit steht. Die Kamele und ihre Führer haben sich unter und um ihn gelagert, und singen und brüllen um die Wette. – –

Herzensmama, nimm mir den Wüstenbrief nicht übel! Ich denke aber dergleichen muß auch auf Reisen geschrieben werden, damit die Lichtseite nicht zu einfarbig erscheine. Überdies habe ich die ganze syrische Reise so ausnehmend glücklich und angenehm gemacht, daß ich für Widerwärtigkeiten aus der Übung gekommen bin. Ich küsse tausend und tausend Mal die Hand.


 << zurück weiter >>