Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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12. An meine Mutter

Konstantinopel, Montag, September 25, 1843

Dies ist der letzte Brief, Herzensmama, den ich Dir von hier schreibe. Alle Vorbereitungen zur Weiterreise sind gemacht und morgen nachmittag geht es nach Smyrna fort. Da freut es mich recht, daß ich noch heute früh des Sultans Palast von Tschiragan inwendig gesehen, nachdem ich ihn so oft von außen bewundert habe; und in aller Eile will ich Dir sagen wie sich das gemacht hat. Der Hofgärtner, welcher zu jenem Palast den Garten anlegen soll, ist nämlich ein Deutscher und kommt zuweilen zu Madame Balbiani. Da sah ich ihn vor ein paar Tagen, und er nahm es auf sich, mich ohne Firman in den Palast zu führen, und heute früh um neun Uhr brachte uns ein Kaik an die bestimmte Stelle.

Ich glaube schon früher gesagt zu haben, daß dieser Palast eine Agglomeration von verschiedenen und ganz ungleichen Pavillons ist, die durch Galerien zu keinem regelmäßigen, aber zu einem harmonischen Ganzen verbunden sind, bei welchem die Marmorstufen die der Bosporus bespült und die Marmorkolonnade die sich im Bosporus spiegelt, besonders anmutig und blendend ins Auge fallen. Das Innere ist nun weder das eine noch das andere, denn der seltsame türkische Geschmack, den wir nicht anders als geschmacklos nennen können, und dies ganze Baumaterial von Gips und Holz, treten da zu bedeutend hervor. Ein Hauptschmuck der Zimmer sind Spiegel und Uhren, vier, sechs, acht, in jedem. Unter den Pendülen befindet sich ein Spielwerk, und das erste was man zu unsrer Ergötzlichkeit tat war, daß man in dem einen Saal alle sechs Spielwerke auf einmal in Gang brachte. Wir sollten staunen, und in der Tat, wir staunten! Die Pendülen selbst waren fast alle aus Paris, und von der wunderschönen Bronze mit bunter Email, die man nur dort zu machen versteht. Man muß wohl in Konstantinopel von der europäischen Mode gehört haben, allerlei kostbare, kuriose und unnütze Sächelchen auf Tischen und Kamingesimsen herumzustellen, und hatte sie im Tschiragan-Palast in der Art nachgeahmt, daß man auf die Spiegeltische kleine elende Flacons, dürftige Porzellanvasen mit verblichenen Blumen, und allerlei schlechtes Porzellangeschirr gestellt hatte. Vor der einen Uhr lag z. B. eine große Forelle; triumphierend hob ein Diener die obere Hälfte ab, und zeigte daß es eigentlich eine Schale mit einem Deckel sei. In dieser Art war alles, was nicht Geschenk war; und auch diese z. B. zwei Porzellanvasen mit den Porträts vom Kaiser und der Kaiserin von Rußland, waren bei weitem nicht so schön und magnifik, als man dergleichen königliche Geschenke in Europa zu machen pflegt. Bunte Lithographien, Ansichten der Schweiz, und alle Hauptstädte Europas darstellend, hingen in goldenen Rahmen an den grellbemalten Wänden mancher Gemächer; hingegen standen in den meisten breite Sofas mit violetten oder purpurfarbenen Goldstoffpolstern. Ein Saal ist recht schön; er liegt im Pavillon mit der Marmorkolonnade: es ist der große Audienzsaal, in welchem bei feierlichen Gelegenheiten der Thron des Großherrn errichtet wird. Für gewöhnlich ist er ganz leer; aber der Raum ist groß und hoch, und die äußerst zierlich in Stuck gearbeitete Decke wird von Säulen getragen, die man auf den ersten Blick für Marmor hält, weil man's nicht glauben kann: draußen Marmor und drinnen Gips. Es ist aber dennoch so; sie sind von Gips, und jede ist von oben bis unten mit einer Ranke von Weinlaub ganz regelmäßig umschlungen. In einem andren Pavillon hält der Sultan sich am Morgen auf, nachdem er den Harem verlassen hat, in dem er schläft; – der Haremspavillon mit seinen vergitterten Fenstern wurde uns nicht gezeigt. – Hättest Du Dir vorgestellt, daß ich vom Serai des Großherrn eine so magere Beschreibung liefern würde? Es ist aber wahrlich nicht meine Schuld! Ich weiß nun einmal nichts andres von einem Gebäude ohne Geschmack, ohne Kunstschätze, ohne Erinnerungen zu sagen, und niemand kann es, wenn er der Wahrheit treu bleiben will. Ich hoffe, daß all meine Beschreibungen von Konstantinopel sehr der Wahrheit treu sind, weil ich ganz wie ein Neuling, ohne Vorurteil für oder wider, hergekommen bin. Das ist in Europa fast unmöglich! Auf irgend eine Weise interessiert man sich dort bereits lange vorher für das Land in das man reist; aber dieses ist uns im Grunde gänzlich fremd, oder war es wenigstens mir dermaßen, daß ich nicht weiß, ob schon irgend jemand eine Beschreibung von Konstantinopel gemacht hat. Nun, ich wünsche, daß Du keine kennen mögest, himmlische Mutter, dann hat die meine doch mindestens den kleinen Reiz der Neuheit für Dich.

Heute beginnt der Ramadan, das ist die große achtundzwanzigtägige Fastenzeit der Mohammedaner, die sie so streng halten müssen, daß sie von Sonnenauf- bis untergang weder einen Tropfen trinken, noch eine Bissen essen, noch einen Tschibuk rauchen dürfen. Im Moment wo die Sonne untergegangen, fällt ein Kanonenschuß; das ist das Zeichen um Nahrung nehmen zu dürfen, dann stürzt alles in die Kaffeehäuser und genießt doppelt nach der schweren Entbehrung. Fürs Volk, für die arbeitende Klasse, ist sie wirklich schwer! So ein paar Ruderer müssen z. B. nach Bujúkderé hin und her fahren, und dürfen kein Glas Wasser trinken wenn sie auch halb verschmachtet sind. Die Reichen haben es gut; die schlafen den größten Teil des Tages, und führen ein nächtliches Leben. Da die Türken kein Sonnenjahr, wie wir, sondern Mondjahre haben, so tritt der Ramadan alljährlich um elf Tage zurück, und nach einer Reihe von Jahren wird er mitten in die allerlängsten und heißen Sommermonate fallen und dann wahrhaft qualvoll sein. Am Schluß des Ramadan gibt es drei Tage Bairamfest, Jubel, Ergötzlichkeiten, religiöse Zeremonien in den erleuchteten Moscheen. Gestern waren die Minarette erleuchtet und die Schiffe; aber nicht sehr, und es war gerade sehr hübsch diese einzelnen wie aus dem Himmel gefallene Sterne so seltsam hier in der Luft, dort über dem Wasser schweben zu sehen. Wie schön hier überhaupt die verschiedenen Beleuchtungen, verbunden mit der wasserreichen und dennoch so grünen Umgebung wirken, ist gar nicht zu beschreiben, und habe ich es auch hie und da versucht, so ist es mir doch nicht gelungen und Du darfst glauben, daß Konstantinopel schöner als jede Beschreibung ist.

Neulich als wir nach Belgrad ritten war ich früher aufgestanden als meine Gewohnheit ist und sah nun ein wahrhaft entzückendes Bild: wogende Morgennebel deckten geheimnisvoll den ganzen Raum; hinter ihnen schossen Lichtstrahlen vom großen Sonnenherd aus um sie zu durchdringen, und um sie herum flog der Morgenwind mit starken Flügeln um sie zu verscheuchen und dem Licht den Weg zu bahnen. Allmählich sanken sie langsam, leise, hier tauchte eine glänzende Kuppel auf, dort ein weißes Minarett, und da noch eins und dort noch eine; und auf alles was sich aus dem nebligen Silberschaum emporhob, warf die Sonne ihre rosigen Frühstrahlen, ihren ersten, frischen jungen Liebesblick, und wie aus rosenfarbenem Marmor auf einer Basis von Perlmutter gebaut, lagen die anmutigen Gebäude da, ganz wie man es in Feenmärchen liest. Aber je höher die Sonne stieg, desto tiefer sanken die Nebel, so daß allmählich die höher liegenden Häusergruppen zum Vorschein kamen, dann Bouquets von Zypressen, dann Mastbäume der Schiffe, und endlich die ganze mächtige Masse der Stadt – die man eigentlich nur in der Ferne sehen müßte, wenn man nichts als bezaubert von ihr sein wollte. Betritt man sie – Illusion ade! Das ist keine Feenstadt, sondern eine Schmutzstadt, und nicht nur im Ganzen – auch das einzelne verliert so bald man nahe herantritt, wie ich das eben beim Tschiragan-Palast schlagend gewahr geworden bin. Dennoch, oder vielleicht grade deshalb, ist Konstantinopel außerordentlich sehenswert, weil die in die Augen fallende Vereinigung des Schönen und Widerlichen so schleierlos ist, und dem Ganzen ein Gepräge von Unordnung, Konfusion und Verwahrlosung aufdrückt, das wiederum charakteristisch für die inneren Zustände ist.

Zum Schluß etwas Komisches. Endlich habe ich den Firman bekommen, den ich zur Fortsetzung meiner Reise vom Ministerium des Äußeren – europäisch geredet, denn die türkischen Bezeichnungen kenne ich nicht – begehrt habe. Er soll unnütz sein, aber das tut nichts! In diesem Lande muß man sich für alle Fälle rüsten. Es hat aber Mühe gemacht ihn zu bekommen und der Sekretär, dem die Ausfertigung eines solchen Firman zukommt, hat nicht gewagt die Verantwortung allein über sich zu nehmen und ihn auszustellen, höhere Beamte sind zu Rat gezogen worden Und nun rate weshalb! – Weil noch nie eine Frau einen Reisefirman begehrt hat. Es war mir vorbehalten diesen in den Annalen des osmanischen Reiches unerhörten Fall herbeizuführen und ich werde nicht ermangeln dies außerordentliche Dokument mit mir nach Europa zurückzubringen, weil es vielleicht einzig in seiner Art auf der Welt ist. Übrigens sieht es ganz gemein aus und, wenn phönixselten, ist es doch mitnichten phönixschön.

Nun lebe tausend und aber tausend Mal wohl meine liebe Herzensmama, und wünsche mir eine glückliche Fahrt – denn wir haben Wind und unruhiges Wetter, und ich muß nun ungefähr acht Tage auf dem Meer zubringen. Ich küsse Deine Hand.


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