Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. An meine Mutter

Konstantinopel, September 9, 1843

Ein Brief über den andren! – Immer denke ich: heute will ich das ganze Paket fortschicken, und immer lege ich noch ein Blatt hinzu. Heute, liebes Mamachen, könnte ich Dir wohl etwas Interessantes schreiben, denn ich war in der Sophien- und der Achmeds-Moschee; – allein zu flüchtig, und deshalb spare ich es mir auf. Ich muß durchaus die Sophia noch einmal mit Muße und noch mehr Moscheen überhaupt sehen. Du wunderst Dich wohl, wie mir dies so schnell gelungen ist, indem man dazu eines Firmans bedarf? Prinz Bibesko, der neue Hospodar der Walachei hat einen solchen, und sein Bruder, sein Gefolge, seine Landsleute benutzen ihn. Unter letzteren befindet sich ein liebenswürdiges Ehepaar, das in unserem Gasthof wohnt, und so machte es sich. Es war ein mächtiger Zug, alle Männer zu Pferde, einige auf sehr schönen mit goldgestickten Schabracken, andre auf Kleppern; ein Gewühl von Dienern, von Dolmetschern drum herum, denn jeder hatte den seinen mitgebracht, um über alles Auskunft haben zu können; andre Reisende, die sich ebenfalls anschlossen, als sie hörten wohin es ging; der Kawass allen voran. Das ist der Mann, den der Sultan als Wache bei solchen Gelegenheiten gibt, und den außerdem alle Gesandten haben, denn unter seinem Vortritt wird man respektiert.

Die walachische Dame und ich, wir wurden trotz einigen Sträubens ehrenhalber in einem horriblen Wagen gesetzt, den man Coci nennt – (was die türkische Rechtschreibung betrifft, so lasse ich mich nicht auf sie ein, und schreibe nur wie ich die Worte verstehe) – das ist eine kleine gondelförmige Kutsche, die keine Federn – aber dafür vergoldete Gittertüren, keine Sitze – aber in allen vier Ecken einen ovalen Spiegel, keinen Schlag – aber eine rote Leiter hat. Auf dem flachen Boden, den ein wenig Stroh und ein dünner Teppich dürftig deckte, saßen wir lang ausgestreckt und schrieen Ach und Weh, denn wir fuhren nicht bedächtig nach türkischer Weise durch die holprigen Straßen, sondern europäisch im starken Trabe, um den Reitern nachzukommen, und ein Diener lief nebenher und hielt den Wagen an bedenklichen Stellen. Dafür hatten wir die Satisfaktion in einem vergoldeten, obzwar etwas schwärzlichen Wagen zu sitzen. Leider war unser gesamter Zug ein wenig zu tumultuarisch und ungeordnet. In die Sophia stürmten wir grade zwischen zwölf und ein Uhr, zur Zeit des Gebets, so daß wir gleich wieder fortgewiesen wurden. Der Kawass remonstrierte, aber umsonst! Ein alter Geistlicher hob wehklagend die Arme und rief »Allah! Allah!« – wir mußten fort. Ein Knabe wollte mich mit seinem Rosenkranz schlagen. Die Tochter meiner Mutter ist aber nicht geboren um sich schlagen zu lassen! Sie drohte so majestätisch mit ihrem Zeigefinger, daß der Bursche ganz erschrocken zurückfuhr – was mich sehr belustigte, da er doch schon zwölf, dreizehn Jahre alt sein mochte. Ich könnte es hier zu Lande auf die Dauer nicht aushalten – nicht die Verachtung ertragen, mit der der Muselmann auf den Giaur herabsieht. Ich bin nun einmal so: ist man fein artig, bin ich fein artig; ist man hochfahrend, bin ich zehnmal hochfahrender. Ich würde hier Händel haben. Als wir in unserem Coci dahin rasselten, blickten die türkischen Frauen neugierig hinein, und eine machte eine Pantomime verächtlichen Abscheus mit den Händen. In ein solches Land habe ich mich verstiegen! Nun, ich wollte die Türkei; dergleichen ist gewiß türkisch. – Also später von den Moscheen. – Unsre wilde Jagd durchsauste ein Gebäude, das wirklich in der äußern Architektur den idealistischen Vorstellungen entspricht, welche wir uns vom orientalischen Baustil machen: Sultan Mahmuds Grabmal ist feenhaft lieblich. Das Grabmal ist die große Angelegenheit der Orientalen. Es spricht sich darin das unabweisliche Bedürfnis des Menschen aus, über die Handvoll Jahre hinaus zu leben, die man das Leben nennt. Diese Sehnsucht nach Fortdauer hat allerdings einen zu materiellen Charakter, wenn man die ägyptischen Pyramiden, die kolossalsten aller Königsgräber betrachtet – das mag wohl sein! Aber hier nimmt sie doch eine gewisse geistige Wendung, und die rührt mich wo ich sie finde. Fast jeder der früheren Sultane hat eine Moschee erbaut, und seit Harun al Raschids Zeit war es ein Gesetz der Mohammedaner stets mit derselben eine Schule zu verbinden. Die osmanischen Sultane erweiterten es, stifteten Bäder, Wohnungen für arme Studierende, Küchen für Arme, Fontänen dazu, und erbauten zwischen diesen Wohltätigkeitsanstalten ihr Grab, das meistens aus einer Rotunde besteht. Die Gastfreiheit, die Pflege und Erquickung der Wanderer, ist ein Hauptgebot des Islams, so daß, wer einen Brunnen in der Wüste oder eine Fontäne in der Stadt stiftet, eine gute Tat getan hat, weil das Wasser im Orient etwas Seltenes und Köstliches ist. Sultan Mahmuds Grab ist nur mit einer Fontäne verbunden, aber es ist der graziöseste Bau in Konstantinopel! In der Mitte zwischen zwei achteckigen Pavillons steht eine runde Säulenhalle, die mit jenen beiden durch eine Galerie verbunden ist. Das Ganze ist um vier Stufen erhöht und besteht gleich diesen aus schneeweißem Marmor. Die Fensteröffnungen der beiden Pavillons, der Galerien, und die Räume zwischen den Säulen sind mit wunderhübsch gearbeiteten vergoldeten Eisengittern gefüllt, so daß Du an dem ganzen Bau nichts siehst, als Goldgewebe zwischen Marmor, und durch die Gitter hindurch, die Rosen-, Myrthen- und Jasminhecken des kleinen Gartens. In dem einen Pavillon steht Sultan Mahmuds Sarkophag; eine prächtige goldgestickte Samtdecke ist über den Sarg gebreitet, und sieben köstliche Shawls, vier gestreifte in allen Farben, und drei weiße à fond plein, liegen wiederum über der Decke. Der rote Fez mit blauem Quast und mit einer funkelnden Sonne von Diamanten, steht oben an dem Kopfende und um ihn herum, fast wie eine Krawatte, ist der achte Shawl gelegt, der schönste von allen, weiß mit zarten Blumengirlanden durchrankt. Eine Ballustrade von Perlmutter umgibt den Sarkophag. Noch einige in derselben Art, aber minder prächtig, kleiner, ohne Juwelen, Personen seiner Familie, Töchter, Schwestern enthaltend, befinden sich außerdem darin. Die Wände sind Marmor, und den Fries bilden Sprüche aus dem Koran, fußlange wunderliche, goldne Schriftzüge, die graziöseste Arabeske, auf grünem Grund – recht helles Apfelgrün; das ist die heilige Farbe, denn Mohammeds Farbe war grün wie der Erdball über den sie sich ausbreiten wollte. Der Fußboden ist mit einer feinen Strohmatte bedeckt. Aber etwas Unpassendes und Geschmackloses durfte nicht fehlen! Die Wölbung der Kuppel ist mit häßlichen, schreienden Farben ausgemalt, und zwei große braune Wanduhren stehen neben der Tür und gehen – auf dieser Stätte wo die irdische Zeiteinteilung ihre Wichtigkeit verloren hat.

Der andere Pavillon ist ein Kiosk – Gartenhaus – des Sultan. Die Halle in der Mitte ist über dem Quell errichtet, und fünf goldne Gitter zwischen Säulen schließen sie nach der Straße ab. An jedes dieser Gitter sind vier goldne Tassen mit goldnen Ketten befestigt, und jeder der trinken will reicht eine Tasse in die Halle hinein, wo ein Mann den ganzen Tag beschäftigt ist eine goldne Kanne am Quell – und aus ihr die Tassen der Durstigen zu füllen. Zum Dank soll man ein Gebet für Sultan Mahmuds Seele sprechen. Ich habe Dir dies kleine Monument so ausführlich beschrieben, weil es das erste ist, das ich im Geist wie in der Ausführung vollkommen orientalisch gefunden. In ganz Europa sah ich nichts, das auch nur mit einer Ahnung hieran erinnert hätte.

Ich sagte vorhin etwas Geschmackloses dürfe nicht fehlen, und das ist nicht unwahr. Dies Geschmacklose ist immer das Europäische: ein fremdartiges Element, das sich eingedrängt hat und nun seinen Platz behauptet – gleichviel wo. Wir besahen unter dem Schutz des Firmans auch die hohe Pforte, den Palast des Großwesirs, in welchem die Staatsgeschäfte besorgt werden. Der Name rührt daher: die alten morgenländischen Könige saßen zu Gericht, um einem jeden zugänglich zu sein, vor dem Tor ihrer Städte oder Wohnungen. Der Morgenländer, mit seiner Vorliebe für vergleichende Bilder, stellt sich den komplizierten Staat als ein Gebäude vor, dessen Ein- und Ausgang der Sultan beherrscht gleich jenen alten Königen; und daher für den ganzen Staat die kurze Bezeichnung Pforte. Die Versammlung des osmanischen Staatsrates heißt Diwán, d. h. Dämonen, Genien, weil den Staatsräten dämonische Klugheit und Tätigkeit beiwohnen soll. Auch die Gedichtsammlungen heißen Diwán, weil man voraussetzt, daß der Genius sie beseelt. Jener Palast der hohen Pforte ist ganz neu erbaut von Stein, mit Säulen und Freitreppen von weißem Marmor. Die innern Treppen, und alle Gänge und Fußböden sind mit feinen Strohmatten bedeckt, auf denen man leise und leicht, sehr angenehm geht. Die Zimmer sind meistens groß. Dem Eingang gegenüber sind die Fenster – eine wahre Fensterwand, wie in Treibhäusern – und unter ihnen zieht sich das Sofa hin, das aus einzelnen breiten Polstern zusammengesetzt wird, und mit schönen Stoffen von Seide, mit Gold, Silber oder Samt durchwirkt, überzogen ist. Außerdem befinden sich in ein Paar Zimmern ziemlich mittelmäßige Spiegel, und in den übrigen nichts – aber auch gar nichts. Das könnte nun etwas durch Einfachheit Grandioses haben, wenn nicht die Wände wie von schlechten europäischen Stubenmalern mit Landschaften bepinselt wären, die kleinlich und hart, unter den versilberten und vergoldeten Plafonds doppelt ärmlich, die Augen des Fremden immer auf sich ziehen, weil sie in so grellem Kontrast mit allen Umgebungen sind.

Im Saal wo der Staatsrat gehalten wird, befindet sich in der einen Wand ein goldnes Gitter, das so aussieht, als ob es eine Loge verschlösse. Hinter diesem Gitter, auf einem rosenfarbenen Sofa unter silbernem Baldachin, wohnt der Sultan ungesehen den Sitzungen des Diwan bei. Es war glaube ich Suleiman der Große (1520 – 66) der auf diese Weise den Diwan belauschen und kontrollieren wollte, und später fanden es die Sultane bequem, und überließen ganz und gar den Vorsitz im Staatsrat den Großwesiren, so daß diese herrschten, nicht jene. Sultan Mahmud, in dem wenigstens der Trieb nach Tüchtigkeit war, soll wieder in eigener Person den Vorsitz übernommen haben. Allein Sultan Abdul-Medjid wird von seinem Harem wie von einer tausendköpfigen Hydra zu fest umschlungen um dem Beispiel seines Vaters zu folgen, und die Sultanin Walidé ist dem alten Zustand der Dinge geneigt, und hat großen Einfluß auf ihn. Das Weiberregiment ist hier nichts Neues. Die Sultanin Chasseki (Günstlingin) und Walidé (Mutter) – eine Sultanin-Gemahlin gibt es nicht, denn der Sultan hat nur gekaufte Sklavinnen, die sich durch Schönheit, Intrige, Geburt von Söhnen, zur Günstlingin und zuweilen zur einzigen Günstlingin emporschwingen – nun, jene zwei Klassen von Sultaninnen haben oft genug vom Harem aus das Reich gelenkt. Und nicht bloß unter schwachen Regierungen und in Zeiten des Verfalls, wie z. B. die reizende Venezianerin Baffa, Murads III. – und die hochsinnige Griechin Kössem, Achmeds I. Günstlingin, die beide im siebzehnten Jahrhundert ihre Gewalt mißbrauchten, und beide in Empörungen erwürgt wurden. Sondern auch Suleiman I., der Große, der Eroberer, der Gesetzgeber, war so ganz in den Fesseln seiner geliebten Russin Roxelane, daß er seine zwei Söhne von einer anderen Sklavin ermorden ließ, um dem ihren den Thron zu sichern. Vielleicht muß man als Sklavin so viel Ränke, Liste und Künste üben, daß man allendlich unzerreißbare Netze zu weben versteht, auf deren Schlingung man in freieren Verhältnissen nicht so eingeübt wird. Ich kann mir vorstellen wie ein Harem das Brutnest aller bösen Eigenschaften wird, deren Keime im Charakter des Weibes schlummern. Immer von Nebenbuhlerinnen umgeben, immer bewacht und umringt von diesen Scheusalen, den Eunuchen, immer unbeschäftigt, muß Eifersucht, Neid, Bitterkeit, Haß, Lust an Ränken, grenzenlose Gefallsucht als helle Flamme aufschlagen. Man will die gehaßten Nebenbuhlerinnen besiegen – das liegt in der Natur jedes Weibes! Und sage man immerhin, daß die Orientalinnen an den Harem gewöhnt sind und daß Gewohnheit alles erträglich, ja leicht mache, so ist das eine von den vielen halbwahren, abgebrauchten Phrasen. Ja, sie treten in das Joch des Harems, und dessen Form ist ihnen zur Gewohnheit geworden; aber gegen den Inhalt sträubt sich ihr Instinkt – ich will nicht sagen ihr Bewußtsein, denn das mag bei wenigen erwachen – nur der Instinkt, der unabweisliche, allmächtige. Da keine Geistes- und Seelenbildung ihn bändigt und regelt, wie sollte es da nicht zu den heftigsten Ausbrüchen, zu den tiefsten Gemeinheiten, zu den größten Grausamkeiten kommen. Der Harem ist die wahre Anstalt um den Charakter der Frau zu verderben, und es ist wohl schade, daß er für europäische Augen mit undurchdringlichen Scheiern umgeben ist. Denn ich hoffe zwar einen Harem zu besuchen, damit ich türkische Frauen unverschleiert, im eigenen Hause, und zugleich ihr Benehmen gegen Fremde sehe; aber wie es für alle Tage darin zugeht, wie die Weiber sich untereinander vertragen, wie weit die Herrschaft der rechtmäßigen Frau – denn außer dem Sultan haben die Türken eine oder ein paar rechtmäßige Frauen – über die Sklavinnen sich erstreckt, die doch auch bei dem Herrn zur Ehre der Günstlingschaft gelangen: das bleibt ein Rätsel! Vielleicht verbirgt es traurige und böse Geheimnisse! – In jedem Fall ist eine Frucht aus dem Harem erwachsen, die wesentlich dazu beitrug den Verfall des Reichs herbeizuführen, nämlich die Prinzenerziehung, oder eigentlich ihre Existenz in demselben. Um Bruderkriegen, Familienzwisten und Empörungen von Verwandten vorzubeugen, machte Mohammed II. die Hinrichtung von Brüdern und Verwandten bei der Thronbesteigung eines Sultans zum Staatsgesetz. So ließ Selim I. bei der seinen, 1512, zwei Brüder und fünf Neffen umbringen; so Mohammed III., 1595, neunzehn Brüder! Gar nicht aus besonderer Grausamkeit, sondern höchst gelassen nach dem Gesetz. Sie sollten das Reich nicht beunruhigen. Als nach dem siebzehnten Jahrhundert die Zeit etwas weniger bluttriefend und gräuelvoll wurde, hielt man die Prinzen von der Wiege an im Harem, damit ihnen ehrgeizige und hochherzige Gedanken zwischen Eunuchen, Weibern und Sklaven gründlich ausgerottet wurden und der Herrscher nichts zu fürchten habe. Ihr Gemach im Harem hieß der Prinzenkäfig. Aus demselben ging der Thronfolger hervor, wenn der regierende Sultan starb, natürlich vollkommen unerfahren, ohne Kenntnis von Menschen, Dingen und Verhältnissen, ganz bereit auf dem Thron zu vegetieren, so wie die übrigen Prinzen im Käfig bis zum Ende ihres Lebens fortvegetierten. Sultan Abdul-Medjid ist auch im Harem aufgewachsen; sein Vater hat keinen tüchtigen Nachfolger haben wollen, heißt es. Auf diesem Boden kann nichts Starkes, ich möchte sagen nichts Gesundes gedeihen.

Durch eine Kaserne flogen wir auch, von der ich nichts behalten habe, als daß im Stall sehr miserable Pferde standen, durch die Münze, die im Bau begriffen ist und zu deren Einrichtung man die Maschinen und Instrumente aus England kommen läßt; und durch ein Arsenal, worin seltene alte Waffen, die kostbaren Schlüssel von den Toren Konstantinopels, und Handwaffen früherer Sultane aufbewahrt werden. Es war einst die Kirche der heiligen Irene, und Kreuzform und Kuppeln haben sich den neuen Anforderungen fügen müssen; das Grabmal des heiligen Johannes Chrysostomus befindet sich in ihr. Es liegt samt der Münze schon innerhalb der Ringmauern des Serai, und man versuchte auch tiefer vorzudringen; allein es hieß, die Gesellschaft sei zu zahlreich um das Innere besuchen zu dürfen. Das war mir sehr unangenehm, und doppelt, weil es für neun Zehntel dieser Gesellschaft wirklich gleichgültig gewesen wäre, ob sie es gesehen hätten oder nicht. Sie hätten höchstens Vergleiche darüber angestellt ob es verdiene dem Schloß von Windsor oder dem Palais royal oder einem anderen königlichen Palast an die Seite gesetzt zu werden, und nicht daran gedacht, daß dies eben das Serai der Großherrn sei, und auf demselben Platze stehe, wo ehedem der große Palast der byzantinischen Kaiser sich erhob. Nun, ich konnte sie nicht wegschicken, und muß auf eine andre günstige Gelegenheit warten.

Außer diesem Serai, das der Winteraufenthalt der Sultane, und mit crenelierten Mauern umgeben ist, über welche sich prachtvolle Zypressen erheben, gibt es noch verschiedene andere großherrliche Paläste zum Sommeraufenthalt bestimmt, den von Beglerbey auf der asiatischen Seite des Bosporus, von Bekschischtasch – der im Bau begriffen – und von Tschiragan, der eben vollendet ist auf der europäischen; ferner Paläste von Sultaninnen Tanten und Schwestern – wobei es einem sehr auffällt, daß nie von einem Palast für die Brüder oder Vettern die Rede ist, bis man daran denkt, daß diese Ärmsten, wenn man ihnen das Leben gönnt, im Prinzenkäfig leben müssen. Der Palast von Tschiragan steigt auf weißen Marmorstufen und mit einer langen Säulenhalle von weißem Marmor, leuchtend aus dem Bosporus empor. Er ist kein regelmäßiger Palast, sondern eine Agglomeration von zahlreichen, unter sich ganz verschiedenen Pavillons, die durch Galerien und Terrassen verbunden sind. Aber diese fantastische Unregelmäßigkeit gefällt dem Auge, weil der Baumeister verstanden hat eine gewisse Harmonie, eine Übereinstimmung in das Ganze zu bringen. Und dann macht der weiße Marmor sich so schön zwischen dem blauen Vordergrund des Bosporus und dem grünen Hintergrund der aufsteigenden Hügel; und die beiden großen vergoldeten Eisengittertore sehen so imposant und zugleich so zierlich aus! Es kühlte meine Bewunderung etwas ab, daß ich erfuhr, dies wunderhübsche Gebäude sei von Holz, wie alle die der Großherr bewohnt. In der Ferne hält man es natürlich für Marmor. Als wir heute nah vorüberfuhren konnte man das Holz gewahr werden an den kleinen bunten Malereien, die auf einigen Pavillons angebracht sind, und an den allerliebsten spitzenähnlichen Galerien, welche sauber geschnitzt die Dächer von anderen umgeben. Der Holzbau ist hier der allgemeine. Man hält ihn für gesünder, weil der Bosporus feuchte Luft erzeugt, die in einem steinernen Hause – ohne Ofen, nach türkischer Sitte – der Gesundheit nachteilig sein würde; und bei den Erdbeben, die hier so häufig vorkommen, sind allerdings die leichten hölzernen Häuser weniger gefährlich.


 << zurück weiter >>