Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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34. An meine Mutter

Bei Denderah, auf dem Nil,
Montag, Januar 1, 1844

Gott segne Euch zum neuen Jahr mit irdischen und himmlischen Gaben, meine Herzlieben alle! Und denkt ein wenig an mich in meiner großen Ferne, und an die wundersame Umgebung in welcher ich den Jahreswechsel erlebe: auf dem Nil, zwischen zwei Wüsten, und dem hochberühmten Tempel von Tentyris gegenüber. Sie rivalisiert mit meinem Neujahrstag in Neapel vor fünf Jahren, wo ich den feuerspeienden Vesuv ersteigen wollte, und hernach auf dem Kai der Sta. Lucia sitzend der Eruption zusah. Da war die Natur in ihrer grandiosest zerstörenden Pracht. Hier ist das vollkommenste Gegenstück: der grandioseste Segen im Nil, die unerhörteste Vernichtung der Wüste; Pracht nirgends – als in jenem Menschenwerk: dem Tempel. Kontraktmäßig hat unsre Schiffsmannschaft zweimal im Monat einen Ruhetag um Brot zu backen. Heute war der eine, und wir legten daher morgens acht Uhr am rechten Ufer bei der Stadt Käne an, und gingen später zum linken hinüber, wo das Dorf Denderah unter Dommpalmen und zwischen einigen Saatfeldern liegt. Doch bald hören diese auf, und Weideland von unwirtlichem Ansehen, mit einer großen Herde von schwarzen Schafen und Ziegen besät, tritt an ihre Stelle und erstirbt endlich in der libyschen Wüste. Aus deren gelben Wellen ragt ein schwarzes Wrack in der Ferne empor, von kleineren Trümmern umringt: der Venustempel von Tentyris, den Kleopatra erbauen ließ, und auf dessen Wänden ihr und ihres Bruders Bild in unzähligen Wiederholungen vervielfältigt ist. Ach die Kleopatra muß glücklich gewesen sein! Königin – aber selbstherrschende Königin, nicht bloß Gattin eines Königs! – und so schön, so geistvoll, so mächtig und so allmächtig – das ist beneidenswert. Ich muß immer an sie denken, wenn ich auf meinem Lieblingsplatz liege und über die stillen Fluten dahingleite, während die Gedanken auch wie auf stillen Fluten in die Vergangenheit hineinziehen und sich die Tage und die Bilder vergegenwärtigen, die der alte Strom gesehen hat. Da taucht sie wie eine Fee auf, von talismanischen Zaubern umgeben, Circe im Purpur. Was kann eine Frau mehr wünschen! Etwas anderes vielleicht – aber mehr nicht. Sie hat die Macht und die Herrschaft geübt; das will man doch immer gern. Nun sah ich ihr Bild, schattenrißmäßig in den Stein gegraben, starr, ohne Grazie, ohne Leben, in welchem nichts Individuelles herrschte, sondern die ganze Eigentümlichkeit dem ägyptischen Formentypus unterworfen war. Ein Bild ist ohnehin nichts weiter, als der Schattenabriß eines Menschen; aber eine Kleopatra kommt bei dieser mageren Auffassung allzu kurz, weil ihre Schönheit noch in etwas anderem liegt, als in der feinen Nase und dem zarten Mund. Von dem Tempel selbst zu sprechen spare ich mir auf. Er ist jetzt in eine Art von Khan verwandelt, der Boden fußhoch mit Spreu bedeckt um die Esel oder sonstiges Vieh bequem zu betten, und vom Portikus zum äußeren Tor ziehen sich zwei gemeine Lehmmauern mit Tränktrögen hin.

Heute am fünfzehnten Tag unserer Abreise von Kairo, habe ich zum ersten Mal die Barke verlassen. Ich hatte bis dahin gar keine Aufforderung dazu; das Land macht sich besser aus der Ferne, als in der Nähe, wo man immer gar so bald gewahr wird wie mühselig es der Wüste abgerungen ist. Überdies haben wir fast beständig günstigen jedoch schwachen Wind, so wie ich es in meinem letzten Brief beschrieb. Da ist man denn recht froh wenn man ein wenig vorwärts kommt, und denkt an keinen überflüssigen Aufenthalt. Der Nil macht so krause Zickzacks, daß man nach allen Weltgegenden fahren muß, und daher scheinbar nicht von der Stelle rückt. Die Schiffer tun was sie können um die Fahrt zu verzögern, spannen nicht das große Segel auf, leugnen abends den günstigen Wind, und dergleichen mehr. Man muß einen enormen Vorrat von Geduld zu dieser Reise mitbringen, und ich bin wirklich ganz erstaunt, daß der meine so groß ist. Gestern vor acht Tagen war ich traurig; da war Weihnachtabend, und ich dachte an Tony und an die herzigen Weihnachtsbäume, die einen so lieblichen Glanz über den langen nordischen Winter verbreiten. Es wäre im Grunde einerlei ob man traurig oder fröhlich wäre, wenn nur nicht die Traurigkeit fast immer einen kleinen verdrießlichen Beigeschmack hätte, die sie für andere lästig macht. – Gestern war der Fluß ungewöhnlich belebt: es war Kurban-Bairam, das größte religiöse Fest des Islams. In den Dörfern sahen die Leute geschmückt aus, standen in großen Haufen um die Moscheen und saßen in Gruppen am Ufer, während ab und an ein kleiner Kahn den Strom durchzog, und Besuche von einem Ort zum andern brachte. Auch Fußgänger und Reiter belebten die Ufer. Das Fest wird zur Erinnerung an das Opfer Abrahams gefeiert, welches die mohammedanische Tradition auf den Berg Arafaat in Arabien verlegt, und Isaak in Ismael verwandelt. Die Ähnlichkeit des Islams mit der altisraelitischen Religion ist frappant. Im Tal Mina bei dem Arafaat wird alljährlich ein Bocksopfer dargebracht, welchem Tausende von Hadji beiwohnen, die zu dieser Epoche in Mekka versammelt sein müssen, und dann von ihren Sünden befreit und gleichsam geheiligt die Heimfahrt antreten. Das ist doch ganz wie jenes Bocksopfer, welches der Hohepriester einmal jährlich im Allerheiligsten vollzog, und darauf einen Bock mit den Sünden des israelitischen Volkes belastete und in die Wüste jagen ließ – (3. Moses, 16) – Die Sühne aller Schuld durch Blut – ist sie nicht allzu kriminalrichterlich?


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