Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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9. An meine Schwester

Konstantinopel, September 19, 1843

Manche Dinge, die anderer Entzücken ausmachen, kann ich hier wirklich nicht anders als unausstehlich finden, und darunter stehen obenan die Fahrten im Kaik, die ich fast täglich machen muß, und die mir immer mehr und mehr unbequem werden. Im Kaik wird man geschaukelt, und fühlt überdies den Stoß jedes Ruderschlages, weil der Ruderer sich mit Vehemenz rückwärts wirft, so daß man immer eine zweifache Bewegung spürt, dazu sitzt man kläglich am Boden, und wird ohne Rettung von der Sonne gebraten und von den Wellen bespritzt. Ich wenigstens bleibe dabei: ich kenne nur eine Art von wahrhaft entzückender Wasserfahrt, und das ist die in venetianischer Gondel. Will man den Kaik in seiner vollen Unbehaglichkeit genießen, so braucht man nur die Fahrt nach Bujúkderé zu machen – und die versäumt ohnehin kein Reisender – dann hat man drei Stunden lang Kaikfreuden.

Bujúkderé ist das bekannte und berühmte Dorf am Bosporus in welchem die meisten fremden Minister ihre Sommerlandhäuser haben, und zur Stunde sind sie auch noch alle draußen, bis auf den Internuntius. Der ist hier – Gottlob! Ach Ihr in dem guten Europa, Ihr könnt gar nicht begreifen wie das angenehm ist mitten auf dem Berg von Pera so ein europäisches Haus im ganz guten Stil zu finden! Abgesehen davon, könnte ich ohne den Internuntius gar nicht zu allem gelangen. Soeben gibt er mir die Nachricht, daß ich am nächsten Freitag den Harem von Rifát Pascha, dem Minister des Auswärtigen, besuchen darf. Ich bin in beständiger Relation mit ihm, und das wäre nach Bujúkderé hin gar so nicht möglich gewesen – namentlich in diesen Tagen, wo neben dem Regenwetter wütende Stürme geherrscht haben. Einige fünfzig Kaiks – anfangs hieß es 2.000! – sind im Bosporus zertrümmert, sechs größere Fahrzeuge sind untergegangen, viele Häuser am Ufer beschädigt, indem die Schiffsschnäbel in die hölzernen Wände gefahren sind, und man hat bereits über dreißig Leichen von Verunglückten gefunden. Die Äquinoktialstürme stellen sich ungewöhnlich früh ein! – Wir waren an einem schönen Tage nach Bujúkderé gefahren, wurden aber doch tüchtig bespritzt, da bei der Umschiffung der kleinen Vorgebirge die Strömung stets so heftig ist, daß Leute am Ufer laufend den Kaik am Strick hindurchziehen müssen. Wir hatten drei Paar Ruderer und dennoch dauerte die Hinfahrt drei Stunden; die Rückfahrt ist kürzer, weil man mit der Strömung geht. Bujúkderé liegt nördlich von Konstantinopel in der tiefsten Bucht, die der Bosporus ins Land hinein macht, und Hügel, Wiesen und Schluchten voll Platanen und immergrünen Eichen, gruppieren sich aufsteigend hinter dem Ort, aber nicht hoch genug um über den weiten Wasserspiegel zu herrschen.

Die Rückfahrt, welche dieselbe ist, die wir bei unserer Ankunft mit dem Dampfschiff machten, ist wunderhübsch, denn da fährt man in die immer schönere und schönere Gegend hinein, und man möchte hundert Augen haben um den ganzen bunten Reichtum auf einmal – und dann jeden einzelnen Punkt besonders betrachten zu können. Äußerst malerisch wie zwei vom Alter gebrochene Kämpen liegen die alten osmanischen Festungen, Anatoli hissar und Rumili hissar sich gegenüber. Mit ihrem Bau ängstigten und bedrängten die Sultane die byzantinischen Kaiser, welche umsonst dagegen Einsprache taten. Nun liegt ganz in der Nähe ein russisches unvollendetes Festungswerk und deutet auf die Zukunft, so wie jene auf die Vergangenheit deuten. All die schwarzen Häuser des Dorfes Jeniköi zeigen an, daß sie Armeniern gehören, die ihre Reichtümer gern in dieser Art von Schacht verbergen. Bunt wie die Blumen, und zwar in den allergrellsten Farben, sind hingegen die zahllosen türkischen Landhäuser. Mir kommen sie vor wie Kartenhäuser, durchsichtig und gebrechlich, hingestellt zum Schmuck des Bosporus, aber unbewohnbar für Menschen. Als Kinder hatten wir Häuschen von Pappe, worin wir Heuschrecken verpflegten – daran erinnern sie mich. Sie machen sich jedoch sehr gut, besonders als Kontrast wenn man von Bujúkderé und von den efeuumschlungenen ernsthaften Ruinen herkommt: das ist wie aus dem Herbst in den Frühling hinein.

Scutari, mit seinem dunklen Hintergrund des berühmten Zypressenhaines der Toten, ist ein großer Schmuck des Bosporus, denn wie eine große Stadt, die es in der Tat mit seinen mehr als 100.000 Einwohnern auch ist, vervollständigt es das Kleeblatt von Pera mit seinen verschiedenen Anhängseln anderer Vorstädte, und von der eigentlichen Stadt Konstantinopel, so daß jede dieser drei Abteilungen für sich eine bedeutende Stadt bildet, während sie zusammen das heutige Stambul ausmachen. In der Mitte des Bosporus, Scutari am nächsten, liegt das Gebäude mit dem hübschen Namen und der trübseligen Bestimmung, der Leanderturm, das Lazarett der Pestkranken, auf einer Klippe. Zum Glück hat sich seit einigen Jahren diese schauderhafte Krankheit nicht in Konstantinopel gezeigt, und auch von verheerenden Feuersbrünsten ist es verschont geblieben. Aber im Jahr 1831 haben zu gleicher Zeit Pest, Cholera und eine Feuersbrunst gewütet, die 40.000 Häuser niedergebrannt hat, darunter die Hotels der meisten Gesandtschaften. Das englische steht seitdem als Ruine mitten in einem verwilderten Garten, und man denkt daran ein neues zu bauen. Das französische ist im Bau; das russische eben vollendet, doch noch nicht eingerichtet – ein wahrer Palast aus behauenen Steinen, von denen jeder einen Dukaten gekostet haben soll. Die Internuntiatur hat den venetianischen Palast inne: kein Prunkgebäude, aber ruhigstattlich, wie Österreich das immer und überall in seinem äußeren Auftreten ist und wie ich das bei Staaten und Menschen unbeschreiblich gern habe, ohne eine Spur von Ostentation. Mir gefällt es doppelt wegen der außerordentlichen Zuvorkommenheit seiner Bewohner. – Aber die Aussicht von den Terrassen und von der großen Kolonnade des russischen Palais kann sich mit den berühmtesten von Konstantinopel messen: mit denen vom Turm von Galata und vom Turm des Seraskiers, die wir gleich in den ersten Tagen bestiegen. Der erstere liegt auf dem Abhang des Berges von Pera, ganz nah bei der Mauer, die Galata rings umgibt und deren Tore bei Nacht geschlossen werden. Denn Galata, die von den Genuesen in Handelsinteressen gegründete Stadt, ward bald den ohnmächtigen byzantinischen Kaisern gegenüber so ansehnlich, daß sie ein eigener kleiner Staat mit eigener Gerichtsbarkeit und eigener Kirche, und nebenbei eine Festung mit crenelierten Mauern, mit Türmen und Toren, ward. Da die Kaiser nicht im Stande waren die Unabhängigkeit der Genueser zu hindern, so mußten sie deren Übermut in ihrer eigenen Residenz dulden, und nicht früher als mit Byzanz selbst ging Galata zu Grunde. Noch jetzt ist es die eigentliche Handelsstadt von Konstantinopel, wo die Kaufleute und Bankiers ihre Niederlassungen, Magazine und Comptoirs, haben – zuweilen in Häusern, denen man deutlich den halbabgetragenen oder verfallnen Turm ansieht. Aber dies ist nur ein Stückchen des großen Panoramas das sich um den Turm von Galata ausbreitet, und es liegt zu seinen Füßen.

Weiter verfolgt man die ganze Krümmung des goldnen Horns, welches vielleicht den schönsten Hafen der Welt bildet. Da liegen alle möglichen Fahrzeuge, Kaiks, Segelbarken, Dampfboote aller Nationen, Kauffahrteischiffe, Fregatten, Linienschiffe so bequem beisammen, wie auf der See, und doch ist über den Hafen eine verbindende Brücke von Galata nach der Stadt geschlagen, die freilich nur von Holz und bereits baufällig, keine Zier, aber doch eine große Bequemlichkeit ist. Wir zählten sieben türkische Fregatten im Hafen, sämtlich abgetakelt und im kläglichsten Zustand. Einige Linienschiffe sahen gerüstet aus. Auf kleinen natürlichen oder künstlichen Klippen sind durch den ganzen Hafen Schilderhäuschen verteilt, in denen Soldaten der Ordnung und Sicherheit wegen Wache halten, und sie selbst genießen wenigstens der vollkommensten und sichersten Ruhe, denn sie sitzen da und stricken Strümpfe – eine Lieblingsbeschäftigung der türkischen Soldaten. Niedlicher als diese guten Leute machen sich im Hafen die Möwen, die zu Millionen darin Aufenthalt haben, und weiß wie Schneeflocken auf Mastbäumen und vorragenden Balken sitzen oder auf den Wellen sich schaukeln. Jenseits des Hafens breitet sich die Stadt in ihrer ganzen Länge aus, von der Spitze des Serais bis an die Landmauer, und über diese hinweg die Vorstadt der Töpfer bis zur Moschee von Ejub mit ihren Platanen und Zypressen. Diese Moschee ist eine besonders heilige Statte, dem Ejub zu Ehren errichtet, welcher Fahnenträger Mohammeds war. In ihr geschieht die große Zeremonie der Schwertumgürtung des Großherrn, die ungefähr einer Königskrönung entspricht, und nie hat der Fuß eines Ungläubigen ihren heiligen Boden entweiht. Totenfelder von vergitterten Arkaden umgeben, von Zypressen beschattet, hie und da mit Rosensträuchern geschmückt, die dem kalten Leichenstein einen Hauch ihres lieblichen Lebens leihen, führen nach der Moschee; auf ihnen sind berühmte, gelehrte und heilige Männer bestattet.

Ich bin auf einen Abweg von meinem Panorama geraten, liebes Clärchen! Ich wollte nur sagen, daß die Stadt sich vor dem Turm von Galata in ihrer ganzen Ausdehnung hinbreitet, mit der glänzend schönen Spitze des Serais beginnend, mit der ernsthaft schönen Moschee von Ejub endend. Über die Stadt hinweg gewahrt man das Marmorameer, aber nur als schmalen Streif, begrenzt von der Bergkette Bithyniens, deren Olymp, seit einigen Tagen mit Schnee gekrönt, wie eine lichte Wolke am Horizont aufsteigt. Die übrigen Teile des Rundgemäldes bestehen aus der Ansicht des Bosporus, und aus den kahlen Hügeln, welche unmittelbar hinter dem Berg von Pera beginnen, und sich in das Land hinein, allmählich bis zum Balkan aufsteigend, wellen sollen.

Die Aussicht vom Turm des Seraskiers ergänzt jene von Galata, indem sie hauptsächlich die Vogelperspektive auf die Stadt selbst, und dann eine ganz herrliche Ansicht des Marmora Meeres mit den Prinzeninseln und der asiatischen Küste darbietet. Das Seraskeriat entspricht dem Kriegsministerium der europäischen Staaten, so daß der Seraskier etwa der Kriegsminister und einer der wichtigsten Männer der hohen Pforte ist. Auf einem außerordentlich großen und leeren Platz stehen die Gebäude des Seraskeriats, von denen allein der Turm ins Auge fällt, und auch der nur weil er eben ein Turm, nicht weil er schön ist. Von einem Polizeioffizianten begleitet ersteigt man ihn, und findet oben eine kleine Kaffeewirtschaft eingerichtet, und durch zwölf große weite Bogenfenster höchst bequem die Aussicht. Wir saßen dort lange, lange bald vor diesem, bald vor jenem Fenster. Wie und wo man den Propontis sehen möchte, immer ist er durch ein zauberisches Farbenspiel schön wie eine unvergängliche Fata Morgana; und die Vogelperspektive orientiert so gut in einer Stadt. Die große Menge überkuppelter Gebäude, die man in den Straßen gehend nicht gewahr wird, fielen uns auf. Es sind teils Khans, teils Imarets; dieses: Küche für die Armen, in so großer Zahl, daß mir schien halb Konstantinopel müsse in ihnen beköstigt werden können; jenes: Häuser in denen Kaufleute aus fremden Ländern zugleich Wohnung und ein Gewölbe für ihre Waren finden. So gibt es einen persischen Khan, in welchem die Magazine der schönsten Shawls sind; so einige armenische. Ein Khan ist immer von Stein, einen inneren viereckigen Hof umschließend, zwei bis drei Stockwerk hoch gebaut. Eine eiserne Pforte schließt ihn bei Nacht, so daß dessen Bewohner und ihre Waren sehr sicher und auch gegen Feuer so ziemlich geschützt sind. Diese Anstalt ist höchst notwendig in einem Lande wo es keine Gasthöfe gibt (nämlich keine für Türken, nur für Franken). Die Wohnung im Khan besteht aus einem ganz leeren Gemach. Darin breitet der Reisende seinen mitgebrachten Teppich aus, und hat nun alle Bequemlichkeit, die er braucht. Auf dem Teppich schläft er, sitzt er, ruht er, speist er, schreibt er, raucht er, ein Teppich genügt zu seiner Hauseinrichtung. Gott, was sind wir Europäer für verwöhnte Leute! Ein lichter Sonnenstrahl, der erste seit drei Tagen, lockt mich ins Freie. Auf morgen, mein Clärchen.


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