Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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21. An meine Schwester

Kloster auf dem Karmel,
Sonnabend, Oktober 28, 1843

Und wieder auf dem Karmel! Da bin ich von Nazareth zurück und auch ganz wohlbehalten, jedoch in Verlegenheit wegen des weiteren Fortkommens. Ich bin entschlossen hier abzuwarten was sich am besten tun läßt. Aber nach Jerusalem will ich. Von Nazareth aus geht es jetzt nicht, der allgemeinen Versicherung zufolge. Die Beduinenstämme sind in solchem Aufruhr, teils unter sich, teils gegen die Regierung, daß sie kürzlich eine Truppenabteilung von 200 Mann zurückgejagt haben, welche der Pascha von St. Jean d'Acre in den aufrührerischen Distrikt von Nablus hat schicken wollen um Ruhe zu stiften. Selbst unter der Eskorte eines Beduinenscheikhs würde man nicht sicher sein, weil seine Autorität nur bei seinen Freunden nicht bei seinen Feinden gilt und weil man diesen so gut begegnen kann als jenen. Der Pater Guardian des Franziskanerklosters in Nazareth riet uns nach Kaiffa oder St. Jean d'Acre zurück, und von dort mit einem Segelschiff nach Jaffa zu gehen. Ich hatte eigentlich den heroischen Gedanken, so gut wie wir von St. Jean d'Acre nach dem Karmel, und vom Karmel nach Nazareth und wieder zurück, immer von verdächtigem Gesindel umkreist und umschlichen, und dennoch ungefährdet gereist sind: so sollten wir auch nach Jaffa gehen und Maschallah! sprechen. Allein diese tollkühne Idee hat keinen Beifall gefunden. Mein Reisegefährte wollte allein nicht verantwortlich für die möglichen Unglücksfälle sein, die guten Väter fanden es gänzlich unausführbar, und der »reiche Mann« schwor ohne Eskorte gehe er keinen Schritt vorwärts, er habe schon genug Angst ausgestanden – es sei denn daß ich ihm die Maultiere ersetzen wolle wenn sie geraubt würden. Das will ich aber ganz und gar nicht. Und so greifen wir zu dem Mittel, das in Nazareth verworfen wurde: ein Bote ist zum Scheikh eines benachbarten Dorfes gesendet um ihn als Eskorte zu begehren, wenn er sie übernehmen will. Tut er es, so sind wir gesichert, behauptet der Bruder Schaffner, der sich einmal in unruhigen Zeitläufen unter seinen Schutz begeben hat. Morgen werden wir schwerlich fortkommen, denn die Araber entschließen sich immer erst nach unendlich weitläufigen Reden. Man muß Geduld haben! Aber es fällt schwer, denn die Zeit ist gemessen: in der letzten Hälfte Novembers muß die Reise durch die Wüste gemacht werden, weil später das Wetter allzu unsicher werden dürfte. Einstweilen sind wir seit zwei Uhr Mittags wieder hier, in acht Stunden ohne Aufenthalt von Nazareth hergeritten, um wo möglich bis morgen die Sache in Ordnung zu bringen. Als wir gestern früh den Karmel verließen war es mir wirklich traurig den Ort zu verlassen, der mich mehr angesprochen hat als irgendeiner in Syrien. Den sehe ich nun nie wieder! Friede über ihn! Dachte ich, als wir den Berg langsam hinab, und in den trüben Morgen hineinritten, dessen Wolken und Schwüle ganz beklemmend waren. Unten zwischen den Ölbäumen sah ich mich nach dem Kloster um. Ein prachtvoller Regenbogen hatte sich über ihm gewölbt! Das freute mich. Wenn auch nicht mehr für mich – für andere wird es eine Friedenstätte sein.

Plötzlich zog der Dragoman die Pistolen aus dem Gürtel, deutete in die Ferne und sagte: »Voilà des coquins Die Gewehre wurden gespannt, und allerdings zeigte sich eine Gruppe berittener und bewaffneter Araber. Ich machte mich auch schlachtfertig, d. h. ich trat in den Steigbügel und nahm die Zügel auf, die ich gewöhnlich aus Bequemlichkeit hängen lasse, um hübsch fest im Sattel zu sitzen für den Fall daß es ans Reißausnehmen ginge. Unnütze Vorsicht. Unser Zug, dem sich drei Wanderer mit den hier gebräuchlichen keulenartigen Hirtenstäben versehen, angeschlossen hatten, so daß er aus neun Männern bestand, war jenen vier Arabern zu überlegen um nicht unangefochten zu bleiben. Es waren übrigens wildblickende Gesellen, die einem einzelnen Reisenden schwerlich den Geldbeutel gelassen hätten. Nun begnügten sie sich, als wir an einander vorüber ritten einen der Leute zu fragen wer wir wären und wohin wir wollten, und dann zogen sie weiter. Ich trat wieder aus dem Steigbügel heraus. Darauf, liebes Clärchen, beschränken sich bis jetzt meine Fata mit den arabischen Horden, und es ist wirklich sehr unangenehm, daß andere gefährlichere gehabt haben, denn man läßt sich doch in manchen Projekten stören oder gerät in eine ärgerliche Stimmung, die alles Vergnügen raubt. Mir geschah beides in Nazareth. Ich wollte auf den Thabor und zum See von Genezareth, welche durch die Evangelien so interessant gemacht sind; mit Eskorte hätte ich dahin kommen können; da mir aber die Erreichung meines Hauptzieles Jerusalem durch die große Unsicherheit weitläufig und schwer gemacht wird, so entschloß ich mich lieber alles andre aufzugeben, und meinen Weg so bald wie möglich ohne Abschweifung und ohne freiwillige Verzögerung nach der heiligen Stadt einzuschlagen. Den Thabor sahen wir schon in der Ebene von Akka; die Araber nennen ihn Djebel Tor – wie sie denn alles zusammenziehen, abkürzen und verschlucken, weshalb es mir auch nicht möglich ist, Namen zu schreiben, die sie mir nennen; – gestern kamen wir ihm immer näher, als wir jene Ebene und das Flußgebiet des Kison verließen, und über einen Bergrücken gingen, der die Wasserscheide ausmacht zwischen dem Jordan und dem Meer. Nun waren wir in dem alten Galiläa. Um das Dorf Geida, wo wir frühstückten, gab es keine andre Pflanze, als baumhohe Kaktushecken, die als Schutzwehr gegen Schakale dienen, und dann das niedrige, dorn- oder distelartige Gewächs, das den ganzen Erdboden sehr unbequem für Fußgänger überwuchert, und das man Spina sancta nennt; – den botanischen Namen weiß ich nicht. Immergrüne Eichen, von kurzem gedrungenen Wuchs, bedecken als gelichteter Hain die Abhänge. Das Meer ist verschwunden, die wärmeren weicheren Bäume auch. Doch übt kein hohes Gebirge hier einen rauhen Einfluß; der Karmel ist 1.200 Fuß hoch, kaum 2.000 der Thabor; in dem Verhältnis sind sie alle; man betritt kein großartiges Gebirgsland mit weiten Tälern und Ebenen, die sich am Fuß hoher Berge ausbreiten, sondern ein von Schluchten, Kesseln und Abstürzen zerfurchtes Hügelland, dessen Kalk- und Kreideformation sich zugleich aufgewühlt und abgewaschen darstellt, so daß es von ungemein starrem und trockenen Charakter ist. In jenen Schluchten und Kesseln, zuweilen am Abhang, gewöhnlicher in der Tiefe, liegen die Ortschaften, aus dem Stein der Berge gebaut daher von einer Farbe mit ihnen; unansehnlich, denn die Häuser sind immer viereckige Kasten mit wenig Tür- und Fensteröffnungen; höhlenartig, denn sie sind niedrig und roh, lehnen sich oft an den Fels oder bohren sich wohl gar in ihn hinein, was der Kalk leicht macht, wozu er durch seine natürlichen Höhlen auffordert, möchte ich sagen. Zuweilen erhebt sich eine ungeschickte Kuppel über einem jener Kasten oder ein plumpes Minarett daneben; das ist dann die Moschee. Je nachdem die Beschaffenheit der Lage und besonders Wasser es gestattet, sind Pflanzungen um die Orte, meistens von Ölbäumen, mit Feigen- und Johannisbrotbäumen untermischt, und von Weingärten, deren Ranken am Boden zwischen Kohlköpfen fortkriechen. Dann verhalten sie sich zu der Umgebung wie Oasen zur Wüste. Sind die Pflanzungen spärlich, so machen sie einen unsäglich melancholischen Eindruck, weil dann die Natur so ganz steinern erscheint. Das ist der Fall bei dem in einem Bergkessel gelegenen Nazareth. So ist der Ort beschaffen in dessen Dunkelheit sich fast dreißig Jahre eines Lebens hüllen, das lichtspendend, segenvoll und glorreich wie nie ein anderes auf unserer Erde war. So war ich in Nazareth, so betrachtete ich die Kirche der Verkündigung, welche über dem Hause der heiligen Jungfrau klein und freundlich, mit geringem Schmuck erbaut ist und noch etwas altes Mauerwerk und eine alte Treppe im Felsen umschließt; so die Werkstatt Josephs und den Tisch an dem der Messias mit seinen Jüngern gegessen haben soll: eine plumpe Steinplatte. Dann gingen wir nach dem Brunnen, welcher der Jungfrau zu Ehren Brunnen der Maria heißt, und vor dem Ort liegt, einige Ölbäume liegen umher. Weiber mit ihren großen Amphoren von Ton auf der Achsel hatten ihn umlagert, zankten sich wütend um den Vortritt und waren drauf und dran sich in die Haare zu fallen. Im Ort, unter ihren Türen riefen sie mir zu: »Signora, buona sera! Come stà, Signorita?« nämlich die Christinnen, die sich für die Anwesenheit einer fremden Glaubensgenossin interessieren mochten. Die Mohammedanerinnen lachten mich aus; ich fragte unsren Führer weshalb. Etwas betreten gestand er wegen meiner dünnen Finger. Ich mußte lachen. Die christliche Bevölkerung, Katholiken und Griechen, soll sich auf 1.200 Seelen belaufen und der mohammedanischen die Waage halten. Früher war sie weit stärker; aber das furchtbare Erdbeben, welches am ersten Januar 1837 Syrien verheert, Tausenden das Leben gekostet und ganze Ortschaften ruiniert hat, ist hier besonders heftig gewesen. Das Pilgerhaus des Franziskanerklosters das uns beherbergte, ist nach jenem Ereignis gebaut und liegt dem Kloster selbst gegenüber, welches mitsamt der Verkündigungskirche von Ringmauern, Toren und Höfen umgeben, wie eine Festung aussieht. Die Väter sind meistens Italiener mit einigen Spaniern vermischt. Durch die Schule erklärt sich die italienische Sprache in der christlichen Gemeinde, denn auch Kinder und Männer begrüßten uns in ihr. Der Pater Guardian gefiel mir ausnehmend gut. Diese milde, ernste Haltung sollte jeder Mönch haben, und haben sehr wenige. Sie und seine zarten Hände wie seine sanfte Sprache, gaben ihm etwas ungemein Vornehmes. Er sah jung aus und schön, wie ein Gemälde von Leonardo, mit dem farblosen lombardischen Kolorit und mit dem braunroten Kapuzinerbart. Das klingt abscheulich, – aber es ist merkwürdig schön und eine Eigentümlichkeit Leonardos. Jetzt sah ich es zum ersten Mal nicht im Bilde. Auch er riet zur Rückkehr nach dem Karmel. Drei Klosterbrüder, die nichts hatten als ihre Kutten, waren beraubt zwischen Nazareth und Nablus. Ich wurde ärgerlich, und zwar auf die europäischen Fürsten, die doch alle so gar fromm sein wollen, und doch nicht dafür sorgen, daß man ungefährdet zu den heiligen Stätten seines Glaubens pilgern kann. – Nun, ich war und blieb betrübt, und als wir heute früh fortritten, und als ich die Berge so schön und klar liegen sah, fielen mir die Worte des Psalmensängers ein: »Mitternacht und Mittag hast du geschaffen; Thabor und Hermon jauchzen in deinem Namen;« – aber ich selbst jauchzte gar nicht. Nicht nur daß ich Galiläa so wenig gesehen habe, Samaria werde ich gar nicht sehen, bloß Judäa, denn Peräa ist transjordanisch und für die christliche Geschichte wenig interessant. In diese vier Landschaften war Palästina zur Zeit Christi geteilt, und ihretwegen heißt Herodes in den Evangelisten der »Vierfürst«. In Rom muß man den Tacitus lesen; in Spanien Romanzen von Cid; hier die Bibel, die alten Königs- und Prophetengeschichten. Solche Bücher, welche den Charakter ihrer Zeit in den allerbestimmtesten Zügen, schärfsten Zeichnungen und unnuancierten Farben tragen, sind wirklich nur auf dem Boden der sie erzeugt hat, so recht zu verstehen. Im engsten Zusammenhang mit dem starren zähen Charakter des jüdischen Volkes finde ich die Natur seines Landes; und in diesen zerklüfteten Höhlen, auf diesen nackten Bergen, wo das Auge sich melancholisch von der steinernen Erde zu dem fast immer wolkenlosen Himmel emporhebt, meine ich die schwermütige, majestätische Wildheit seiner Propheten zu begreifen, die im tiefen Trauermantel, mit dem Flammenzeichen der Begeisterung über der Stirn zwischen dem Volk wandeln, welches die Verheißung Jehovas nie vergißt, immer in Anspruch nimmt, und doch nicht begreift. – – Jetzt, mein liebes Clärchen, habe ich mir das Herz ganz frei und leicht gesprochen. Gott, was ist es für ein Glück schreiben zu können! Das Papier hält die Gedanken fest, daß sie sich hübsch ruhig nach einander abrollen, was eine äußerst angenehme Beschäftigung und ein sichres Mittel ist um den Unmut zu vergessen.

Soeben, halb zehn Uhr abends, kommt unser Bote mit der Nachricht zurück: für 200 türkische Piaster, ungefähr 13 preußische Taler, habe der Scheikh unsre Begleitung bis Jaffa übernommen, und morgen früh werde er pünktlich sich einstellen. Geht alles gut, so müssen wir am ersten November in Jerusalem anlangen; so haben es uns die guten Väter ausgerechnet, denn unser Dragoman kennt diesen Weg an der Küste nicht, weil die Reisenden natürlich vorziehen den kürzeren und interessanteren zu gehen, welcher direkt von Nazareth nach Jerusalem führt. Ich bin nur froh, daß unserer Abreise morgen nichts entgegen steht. Lebe tausendmal wohl.


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