Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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5. An meine Schwester

Konstantinopel, September 11, 1843

Zum täglichen Schreiben komme ich nicht, liebes Clärchen. Ich werde hier müde – aber müde auf eine foudroyante Weise! Die Entfernungen sind groß, die Anstrengung sich durch die Straßen mit heiler Haut zu arbeiten, ist noch größer. In den Kaiks sitzt ein europäischer Leib sehr unbehaglich, und noch weit mehr in einem hiesigen Fuhrwerk, und endlich, wenn man von mehrstündigen Streifzügen ganz matt ist, muß man noch diesen Berg von Pera zu guter Letzt erklimmen um nach Hause zu kommen. Pera liegt auf der Höhe eines Hügels, um dessen Fuß sich Galata und Tophana ausbreiten, wo sich Skalen, oder Aus- und Einschiffungsplätze befinden um nach der Stadt hinüber oder sonst wohin zu fahren. Bei der Vorstadt Cassim-Pascha ist wieder einer, und gestern wählten wir den, und fuhren einmal in den Hafen hinein, den wir bis jetzt nur seiner Mündung dem Bosporus zu, befahren hatten. Er macht eine wunderschöne Biegung ins Land hinein, und geht endlich in die »süßen Wasser« über, indem die Flüßchen Barbyses und Cydaris sich in ihn ergießen. Diese »süßen Wasser« auf der europäischen Seite sind am Sonntag eine ebenso beliebte Promenade für die armenischen Frauen, wie die »himmlischen Wasser« auf der asiatischen es am Freitag für die türkischen sind. Die Armenier sind ein eigentümliches, durch die ganze Levante als Bankiers und Kaufleute verbreitetes Volk, das namentlich hier durch große Reichtümer und große Geschmeidigkeit einen bedeutenden Einfluß erlangt hat, indem alle Geldgeschäfte des Staates durch die Armenier gemacht werden. Die Paschas geben z. B. ihre Statthalterschaften an Armenier in Pacht, welche deren Abgaben in die Staatskasse zahlen, und dann Gott weiß wie! sie wieder einzutreiben wissen, und natürlich mit Vorteil für sich. Man spricht nicht viel Gutes von ihnen. Sie sollen abgefeimt in allen Listen und Ränken sein und noch schlauer und gewandter als die Griechen. Es gab einst ein Königreich Armenien zwischen dem Kaukasus und Euphrat, das die Perser eroberten. Seitdem zerstreute sich das Volk, und hat im Äußeren ganz und gar türkische Sitten und Gebräuche angenommen: dieselbe Lebensweise, dieselbe Kleidung und Verschleierung der Frauen; – aber keinen Harem, denn sie sind Christen. Einige bekennen sich zur katholischen Kirche, die meisten zur armenischen. Sie haben ihre eigenen Kirchen und Klöster. Auf der Straße unterscheiden sich die Armenierinnen durch dunkelrote Pantoffeln von der gelben Beschuhung der Türkinnen und der schwarzen der Jüdinnen. Die Armenier tragen schwarze Kaftane und große schwarze kugelartige um die Stirn glatte Kopfbedeckungen. Ihre Häuser sind von außen dunkel angestrichen, um sie recht unscheinbar zu machen, während drinnen oft großer Luxus herrscht. Dies schicke ich voraus über die Armenier, von denen man grade jetzt viel reden hört, weil einer vor ungefähr vierzehn Tagen in aller Stille geköpft worden ist. Er ist nämlich zum Islam übergegangen und hat eine Türkin geheiratet; darauf ist es ihm leid geworden und er hat zum christlichen Glauben zurückkehren wollen, oder hat es wirklich getan. Dafür ist denn sein Kopf gefallen. Daß hier ein strenges Regiment herrscht, ist mir nicht so fürchterlich, als daß es dabei so still ist. Ein Mensch hat irgend etwas verbrochen – weg ist er man weiß kaum wie!

Die Armenierinnen gelten für sehr schön, und da es ihnen gestattet ist, sich nach Belieben im Freien zu entschleiern, so hoffte ich viel Schönes zu sehen. Aber der Sonntag hatte nicht viele hinausgelockt. Eine große Gesellschaft saß beisammen auf Teppichen und auf den Polstern der Arraba, und ergötzte sich ungemein an einem Taschenspieler, der in Begleitung eines Possenreißers seine Gaukeleien trieb, und Becher- und Würfelspiele mit großer Geschicklichkeit machte. Fünf Minuten sieht man das nun wohl mit Vergnügen an; aber hier schien man sich stundenlang dafür eingerichtet zu haben, man trank Kaffee und aß Zuckerwerk, und die Männer rauchten so gravitätisch als ob sie Türken wären. Vielleicht weil sich Männer in der Gesellschaft befanden, war keine einzige Frau entschleiert. Ich kostete von dem Zuckerwerk, das überall feilgeboten wird, und das besser aussieht als schmeckt. Es ist meistens klarer Zucker in Platten und Kugeln, mit Rosen- und Orangenwasser versetzt und gefärbt, fürchterlich süß und fade. Dann Mandeln auf ein ganz dünnes Stäbchen gezogen und mit einer gallertartigen zuckrigen Masse umgeben – auch widerlich. Exzellent hingegen sind die in Zucker eingekochten Früchte. Man trägt sie aber nicht wie jene Sachen auf großen runden Holzplatten herum, sondern man stellt sie in den Buden äußerst zierlich unter Glocken von rosenfarbenem und weißem Flor mit Blumen geschmückt zur Schau. Den schwarzen bitteren türkischen Kaffee habe ich auch recht gern, besonders nach all solchen Süßigkeiten.

Endlich kamen wir an eine unverschleierte Frauengruppe, die sich allerdings malerisch genug ausnahm. An den starken Ästen einer Ulme war eine Schaukel von Stricken befestigt in der ein junges Frauenzimmer saß und sich von zwei Dienerinnen abwechselnd schaukeln ließ, während eine ältere auf einem bunten Teppich unter dem Baum kauerte, und gedankenlos mit kleinen Steinen spielte. Der Dragoman bat für uns um Erlaubnis näher treten und ihren Anzug besehen zu dürfen, was die Frau auf dem Teppich bereitwillig gestattete. Sie wälzte sich auf die eine Seite desselben, ich setzte mich zu ihr, die junge Person, die ihre Schaukel geschwind verließ, kauerte neben mir, die Dienerinnen hinter uns, und nun begann vermittelst des Dragoman eine Konversation, die sich mit Glück in irgend einem eleganten europäischen Salon hätte dürfen hören lassen: wir sprachen über Toilette. Was ihnen an der meinigen am besten gefiel, war mein blauer Schleier, und am meisten auffiel, mein Lorgnon, durch den sie mit einer Neugier sahen, als ob sie hofften plötzlich himmelblaue Bäume und einen grünen Himmel gewahr zu werden. Ihr Anzug war das Hauskleid aller türkischen Frauen: weite Pantalons, ein ganz enger, sehr langer, gleichsam in drei Schürzen zerschlitzter Rock, dessen Vorderteile durch den Gürtel gezogen werden und eine Art von Tunika bilden, sehr enge Ärmel, die gleichfalls aufgeschlitzt bis

zu den Knien herabhängen, aber auch durch Knöpfe geschlossen werden können, keine Schuhe, die eine mit Strümpfen, die andere mit nichts, und auf dem Kopf der rote Fez mit blauem Quast, und mit euer breiten, spitzenähnlichen Garnitur von gelbseidenem Filet, den glänzende Nadeln auf dem prachtvollen schwarzen Haar befestigten, das in halbgeflochtenen Zöpfen und teilweise ganz aufgelöst, über Nacken, Busen und Schultern fiel. Die Stoffe ihrer Kleider waren Zitz von den allergrellsten Farben, zitronengelb und rosenrot, und ein Zeug das in Brusa aus Seide und Baumwolle gewebt wird und stumpfere Farben hat. Da beide Frauen, besonders die ältere, auffallend schön waren, so kamen sie mir unter dem glänzenden Himmel, auf dem Rasen, von der Sonne bestrahlt, wie prächtige Tulpen vor. Die Altere hatte wunderschöne schwarze Augen, und einen sanften lebhaften Blick; ihre Züge waren fein und edel, aber ihr Gesicht, noch mehr ihre Gestalt waren fett und breit. Die Jüngere hatte keine regelmäßigen Züge, aber einen Teint wie Morgenrot frisch und zart; kleine hübsche hellgraue Augen, mit ganz feinen geraden schwarzen Brauen – doch einen Blick so hart und böse, daß man erschrecken konnte. Jene kam mir auch eigentlich nur wie eine Tulpe – diese, wie ein schönes wildes Tier vor. Ihre Haarnadeln und Ringe waren von schlechtem Metall, also waren sie selbst von niederem Stand. Im höheren soll es kostbaren Schmuck geben. Sie benahmen sich auch mit den Männern ganz unbefangen, und zuletzt boten sie mir an mich zu schaukeln. Daraus vermutete ich, daß die Konversation erschöft sei; – und wir gingen fort. Wären ein paar hundert solcher Frauenzimmer in den »süßen Wassern« und namentlich auf der herrlichen Wiese hinter dem Kiosk des Großherrn gewesen, so hätte man allerdings einen äußerst reizenden Anblick gehabt. Jetzt waren wenig Spaziergänger dort, und eine Viehherde weidete ungestört.

Die Wiese ist in ihrer ganzen Länge von einem schnurgeraden mit Stein ausgelegten Kanal durchschnitten, worin fließendes Wasser bis vor jenen Kiosk strömt. Dort fällt es über Marmorstufen in ein Bassin, über welchem sich auf beiden Seiten kleine Marmortempel mit Vergoldungen erheben. Die herrlichsten Bäume, Platanen, immergrüne Eichen, Ahorn, Ulmen, so groß und majestätisch wie unsere Buchen, fassen den Kanal ein und besäumen ringsum die Wiese. Die kleinen bunten Gebäudchen sehen niedlich wie Kinderspielwerk unter ihrem Schatten aus, und man möchte den Sultan beneiden, der alljährlich im Mai mit seinem Harem nach diesem Landhaus kommt. Aber siehe da! Was schwimmt denn dort auf dem Kanal? Welch eine unförmliche Masse wird von den kleinen rasch rieselnden Wellen gradewegs auf das Marmorbassin zugeführt? Ein gräßlicher Kadaver, ein totes Pferd, mein liebes Clärchen! Ja, daran mußt Du Gesichts- und Geruchsnerven gewöhnen. Tote Ratten, Mäuse, Katzen, haben ihre Grabstätte auf Schutt und Kehrrichthaufen, und wenn Du auf dem Bosporus fahrend an dem Spiel der Delphine Dich ergötzt, die Dir zur Rechten komisch springend ihr Rad schlagen, so mag Dir zur Linken der aufgeschwollne Leichnam eines Hundes schwimmen. Anfangs wollte ich mich entsetzen; aber das ist unnütz. Hier zu Lande ist's nun einmal nicht anders, Moder und Marmor gehen Hand in Hand, und sieht man einen Staat vermodern, so kann man auch wohl dasselbe an einem Tier sehen.

Ich stelle mir vor, daß das Reich an der Abzehrung langsam, langsam dahin stirbt, wie das immer den entnervten Organisationen ergeht. In diesem kläglichen Zustand kann es sich noch lange hinschleppen, umsomehr da den europäischen Mächten daran liegt, daß ihm das Leben gefristet werde. Ich muß lachen wenn ich höre daß aus Preußen Offiziere hier sind, aus Österreich Ärzte. Diese Herrn mögen große Verdienste haben und sich große Mühe geben, aber es ist »der alte Rock mit einem neuen Lappen geflickt«. Die fremde Disziplin, die fremde Wissenschaft gehen diesem Körper nicht organisch ins Blut, in den Lebenskeim über. Um abgestorbene Völker zu regenerieren ist die Einimpfung einer fremden Bildung nicht wirksam genug. Dazu gehören andere Lehrmeister! Revolutionen gehören dazu und umwälzende Schicksale – vorausgesetzt daß noch innerer Nerv als Anknüpfungspunkt vorhanden sei. Ich kann nur nicht vorstellen, daß die Türkei eine andere Zukunft haben könnte als in sich selbst zu vermodern: – Ach nein! Ich beneide den Sultan nicht um seinen Kiosk an den »süßen Wassern«.

Beiläufig und ein für alle Mal, mein liebes Clärchen: auf türkische Namen und türkische Schreibart lasse ich mich so wenig wie möglich ein. Erstens kann ich sie nicht schreiben, und zweitens werdet Ihr sie nicht lesen können. Das h wird ausgesprochen wie ch, das o wie u; daher zahllose Verwechslungen für mein ungelehrtes Ohr. Übrigens denke ich ist's Euch auch lieber, wenn ich von dem Kiosk spreche, den Ihr kennt, als wenn ich von dem Köschk erzählen wollte – wie das Ding regelrecht auf türkisch heißt. Nun, wir durften dies Heiligtum betreten. Ein Zauberwort öffnete uns die Pforte, und da ich es schon öfter gehört habe, so habe ich es mir gemerkt; es heißt Bakschisch – auf deutsch Trinkgeld. Da die Türken anfangen der Zaubergewalt dieses Wortes zu verfallen: so wette ich darauf, daß in den nächsten zehn bis zwölf Jahren der Bakschisch die Pforten der Aja Sofia sprengen wird. Dies ist der einzige Zivilisationsfortschritt, dem ich eine glänzende Zukunft zu versprechen wage. Mittels eines Trinkgeldes von fünfzehn türkischen Piastern oder einem preußischen Taler verschaffte unser Dragoman uns Einlaß, und wir sahen bequem die innere Einrichtung. Nichts fiel mir so auf als die unerhörte Buntfarbigkeit und Buntscheckigkeit desselben! Diese Masse von kleinlichen Draperien, übereinander gewirrt und durcheinander geschlungen macht die Augen flimmern. Und die Vorhänge sind das Hauptmöbel in einem Zimmer. Nicht nur daß die eine Wand desselben einen Fensterreichtum wie ein Ananashaus hat: Eckfenster auf beiden Seiten, je mehr desto besser, gehören zur Elegance, und sie müssen natürlich mit Vorhängen versehen werden. Unter ihnen breitet sich das Sofa aus, das sehr breit und gut gepolstert, vom etwas höher als hinten, außerordentlich bequem ist. Feine glänzende Strohmatten bedecken den Fußboden. Die hölzernen Wände sind über und über bedeckt mit Landschaften, Blumen, Arabesken, als ob sie mit den europäischen al fresco gemalten Sälen rivalisieren wollten, und der hölzerne Plafond zeigt in ziemlich rohem Schnitzwerk vergoldete oder versilberte Rosetten und Muscheln auf rosenfarbenem oder maigrünem Grund. Europäische Sofas und Stühle von schlechtem Holz mit gelbem Utrechter Samt bezogen, standen in einigen Zimmern und erhöhten nicht eben deren Glanz. So sind die Salons beschaffen. Die Schlafzimmer sind von einer trostlosen Leere: ein Sofa, weiter nichts! Darauf liegt man bei Nacht wie man am Tage darauf gelegen hat. Nirgends im ganzen Haus findet sich ein Möbel, das an irgendeine Beschäftigung erinnerte, nicht einmal an die gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse – kein Tisch!, kein Schrank!, nichts. Himmel, wie muß man sich in diesen Räumen langweilen! Leicht und leise würde man auf diesen feinen Matten gehen, wenn nicht das ganze Haus so gebrechlich und knarrend gebaut wäre, daß jeder Schritt eine Art von Erdbeben verursacht. Die zahlreichen Fenster würden in dieser frischen Umgebung auch etwas recht Freundliches haben, wenn sie nur nicht außer der Sonne und dem Grün so entsetzlich viel Zugwind durch ihre klaffenden Fugen ließen. Kurz – nichts war gut, ordentlich, sauber gehalten, als einzig das Bad, von weißem Marmor mit der Kuppel voll Lichtöffnungen – ganz wie in der Alhambra. Im Erdgeschoß befanden sich die Frauengemächer, die sich durch nichts auszeichneten als durch ihre noch größere Vernachlässigung, durch vergitterte Fenster, und eine dumpfe beklemmende Luft. Nein, man muß draußen bleiben; dann sieht sich das alles recht gut an – wie Konstantinopel selbst am schönsten ist, bevor man den Fuß hineinsetzt. Das Innere ist durch und durch vermorscht.

Wir fuhren zurück. Da schaukelte sich noch die junge Armenierin, da trieb noch der Gaukler seine Possen, da wurde noch Zuckerwerk feilgeboten, und alles ging nach hergebrachter Weise im kindischen Treiben, ohne Intelligenz, ohne Idee, so fort.


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