Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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32. An meine Schwester

Kairo, Dezember 16, 1843

Wie man sich an manchen Orten so ungemein angenehm angesprochen fühlt und an anderen, die eben so großes Interesse in ihrer Art bieten, durchaus nicht, das empfinde ich hier einmal wieder recht lebhaft, mein liebes Clärchen, besonders wenn ich an Jerusalem zurückdenke. Es war ein Etwas in der dortigen Natur, das mich eisig berührte. Das Wort Natur ist nicht umfassend genug! Ich meine nicht allein Boden, Kultur, Vegetation, menschliche Ansiedelung, nicht allein Charakter der Landschaft, malerischen Effekt, nicht allein Klima, Himmel und Luft, sondern das alles – und obendrein die gewisse geistige Atmosphäre, die sich um jedes Leben, wie die physische um unseren Erdball legt. Kurz, liebes Clärchen: mit der Anziehungs- oder Abstoßungskraft einer geistigen Atmosphäre, die aus unfaßbaren und unleugbaren Atomen um den Körper eines jeden Lebens gebildet ist, erkläre ich mir, was ich sonst nicht erklären kann. Wie ginge es sonst wohl zu, daß Kairo mir so ungemein gefiele! Eine weite Fläche, charakterlose Höhenzüge, unendlicher Sand, dann, auf dem kultivierten Boden, eine sehr reiche, ich möchte sagen köstliche Vegetation, welche aber, weil sie künstlich und mühselig hervorgebracht wird, die Einförmigkeit eines wohlgehaltenen Obst- und Küchengartens hat – wie denn zum Beispiel alle Palmenwaldungen in Reihen gepflanzt, und in jeder die Bäume gleich hoch sind; – das hat doch im Grunde nichts Reizendes. Dazu hat das Land die letzten drei Jahrhunderte unter türkischem Zepter geschmachtet und eine Reihe von früheren unter einem Regiment, das dem türkischen in brutaler Verwahrlosung der wichtigsten Interessen nicht nachstand, so daß Spuren traurigen Verfalls und tiefer Armseligkeit überall wie offene Wunden klaffen. Dennoch, wenn ich den Nil ansehe, den uralten, ewigen – und die Monumente auch so uralt und ewig: so habe ich Hoffnung für dieses Land und seine Zukunft. Es wird sich doch einmal alles was arabischen Stammes ist und arabische Sprache spricht vereinen und vom türkischen Reich in Asien so gut abfallen, wie die Rajahs in den europäischen Besitzungen von ihm abfallen werden, und die Herrscher in Europa, die es jetzt nicht gestatten wollen, werden es dann müssen, weil es für die Zukunft nicht haltbar ist daß der tote Kopf einen lebendigen Leib regiere: und dann kann Ägypten sich aufrichten. Doch solche Betrachtungen gehören der vergangenen und der kommenden Zeit an; die Gegenwart ist wie ich sie Dir eben beschrieben habe, und deprimiert mich doch gar nicht, was durch die von Jerusalem so sehr geschah. Elend ist zu lindern, der Not ist abzuhelfen, die Armseligkeit ist aufzurichten; unter günstigen und keinesweges nur chimärisch geträumten Verhältnissen, kann man sie sich außerordentlich gemindert vorstellen. Aber diese enge, steinerne Beschränktheit, die in Jerusalem herrscht, diese Verknöcherung des Geistes in Formen von Kirchen, Kapellen, Sekten, Riten, die statt in großartiger Mannigfaltigkeit mit-einander, nur in scharfer Sonderung neben-einander bestehen, und eben dadurch ihre engherzige Beschränktheit an den Tag legen – Clärchen, das ist allzu traurig! Dazu ein Land rings umher wie von Gott bezeichnet zu steinernen Schicksalen, und hier ein von Gott wunderbar gesegnetes, und gleichsam allen bösen Geistern der Verwüstung zum Trotz, herrlich gesegnetes Land, das lauter edle Dinge erzeugt: Zuckerrohr, Reis, Baumwolle, Seide, die süße Dattel, die aromatische Zitrone – ist das nicht wie eine Weihnachtsbescherung? Bei Fostat sind die köstlichsten Baumgärten, deren Kern wie gewöhnlich die Palme bildet, und die als Unterholz ein Dickicht von Bananen, Granaten und Orangen haben. Wenn das alles blüht und trägt muß es ein Pomp ohnegleichen sein. Dies Land ist wirklich wie ich zuerst es nannte, ein Garten Gottes, und außerdem mit einem solchen Schatz von Merkwürdigkeiten der Natur und der Geschichte, und mit so viel Originalität ausgestattet, daß man, wohin man sich wenden möge, durch Interesse irgend einer Art gefesselt wird – von den Pyramiden bis zu den Brutöfen in welchen Millionen von Küchlein alljährlich geboren werden. Im Februar werde ich sie besehen, wenn das Belegen der Brutöfen mit Eiern beginnt. Schöne arabische Pferde zu denen ich mich recht gefreut habe, sieht man ab und an prächtig aufgezäumt in der Stadt. In dem Gestüt von Schubra, das höchst grandios angelegt und mit einer Tierarzneischule verbunden ist, kamen sie mir nicht so gar schön vor, denn die Pferde sind wie manche geistreiche Menschen, die nach nichts aussehen, wenn sie so ruhig dasitzen, und prächtig wenn sie lebhaft werden. Es muß sich in der Freiheit tummeln sobald es sich vorteilhaft präsentieren soll. Diese Anstalten fallen mir ein, weil wir über sie den Umweg nach dem Dorf Matarieh, in dessen Nähe die Ruinen von Heliopolis liegen, vorgestern machten. Diese Ruinen sind Sandhügel unter denen Schutt und Steine liegen, und aus denen erhebt sich, wie ein gigantischer Wegweiser der aus der Gegenwart in die Vergangenheit deutet, der Obelisk, welcher einer der ältesten und vielleicht das allerälteste Monument dieser Art ist. Der Name des Königs Osortasen, der in Hieroglyphenschrift ihm eingegraben, soll der früheste Name sein, den man auf Denkmalen findet. Gegen 2000 Jahre über unsere Ära hinaus wird der Obelisk wohl schon hier stehen – ein hübsches Alter für so eine schlanke Nadel von rotem Granit! Ein Gärtchen von Aprikosen- und Orangenbäumen mit Einfassungen von Rosmarin, umgibt ländlich diesen Zeugen der Herrlichkeit der Sonnenstadt On, welche die Griechen Heliopolis nannten, und der mit einem Gefährten, den die Zeit zertrümmert hat, am Tempel des Sonnengottes Phre Wache hielt.

Die alten ägyptischen Priester lehrten so tiefe Weltweisheit über Grund und Zusammenhang der Schöpfung, besaßen so viel Kenntnis der Natur, Erd- und Himmelskunde, waren so erfahren in Erziehung und Bildung des Menschengeschlechtes, daß seit dem tiefsten Altertum und durch lange Jahrhunderte alle diejenigen zu ihnen pilgerten, welche den Ruhm und die Krone des klassischen Griechenlands ausmachten und bis auf unsre Tage die Größten und Weisesten unter den Großen und Weisen genannt werden. Wer Weisheit, Kunst und Wissenschaft studieren wollte, wer durstig war nach Erkenntnis, ging nach Ägypten und brachte das Samenkorn heim das im Erdreich seines Geistes zu entsprechenden Blüten erwuchs. Hier war nicht Herodot allein, nein! Orpheus, der wie die hebräischen Propheten zugleich Dichter und Seher war; Dädalus, der zauberisch kunstvolle Bildner; Homer, der Sänger von Göttern, Heroen und Menschen; die Gesetzgeber Lykurg und Solon; Pythagoras, Plato und Demokrit; der Astronom Eudoxus; alle wandten sich nach Ägypten, wie zum Quell des Lichtes, und in der Priesterstadt On, wie zu Saïs, bestand eine vorzugsweise besuchte Schule der Tempelweisheit. – Wo einst alle intellektuellen Kräfte gepflegt und entwickelt wurden, pflegt man jetzt Obstbäume, und statt der Blüte der Wissenschaft gedeiht nur noch der Rosmarin von dem ich mir einen großen, kräftig duftenden Büschel abpflückte. Die Hieroglyphen sind zum Teil nicht mehr zu erkennen, denn Wespen haben ihre kleinen Mörtelzellen in deren Vertiefungen hineingebaut, sie dadurch formlos gemacht und ein ergründetes Rätsel mit einem unergründeten zugedeckt. Die Hieroglyphen versteht man einigermaßen zu entziffern, nachdem man die sogenannte Tafel von Rosette gefunden hat, ein Monument auf welchem zwei Namen, Ptolemäus und Berenike in jener Schrift mit griechischer Übersetzung daneben, verzeichnet stehen, und nachdem gelehrte Männer ihr ganzes Leben diesem Studium, und den mit ihm verbundenen ungeheuren und mühseligen Forschungen gewidmet haben, indem sie jenen Schlüssel auch auf andere Zeichen anwendeten. – Ein paar kleine Häuser liegen winzig in der Nähe des Obelisken; von den Spuren der ehemaligen Stadt habe ich aber durchaus nichts Bestimmtes wahrnehmen können. Er steht in völliger Einsamkeit da. Durch das Dorf Matarieh mit seinen weitläufigen Orangengärten ritten wir auf die große Ebene hinaus, die zwischen Kankah und Kairo sich ausdehnt. Es war kalt und ziemlich spät, weil der Weg von Schubra nach Heliopolis durch die Wasser unwegsam gemacht war und uns fast das Doppelte zu reiten gab. Ein scharfer Wind fuhr uns schneidend entgegen, daher ließ ich mein vortreffliches Eselchen aus allen Kräften laufen, und ununterbrochen liefen die Treiber nebenher. Die Leute sind wirklich wie englische Rennpferde trainiert! Einer von ihnen war ein so kleiner Knabe, daß sein Kopf wenig höher als der Rücken des Esels war. Der Dragoman sagte ihm er möge doch zurückbleiben und sich ausruhen, aber nein! Er legte nur die Hand auf das Kreuz des Esels, und lief immer mit, obgleich die ganze Tour wenigstens vier Stunden betrug. Der Rückweg über die große Ebene nach Kairo ist langweilig und traurig. Als ich vor vierzehn Tagen anlangte, kam ich aus der Wüste: folglich machte die Halbwüste mir schon einen erfreulichen Eindruck. Hat man sich aber wieder an Leben in der Natur gewöhnt, so vermißt man es schmerzlich. Dennoch machten wir heute und gestern wieder Exkursionen in sie hinein, aber nicht in die Ebene, sondern da wo sie sich in und über den Mokkatam legt. Gestern zu dem Hügel den man Djebbel Achmar nennt, und von dem ich wie von einem ausgebrannten Vulkan hatte sprechen hören. Gewiß ist er das nicht! Er hat mehrere Spitzen und dazwischen Eintiefungen die eine schwache Ähnlichkeit mit einem verschütteten Krater zeigen mögen. Er besteht aus lauter Geröll von Kalkstein, das sehr hübsche Färbungen, wie Porphyr z. B. und eine glänzend dunkelbläuliche angenommen hat, so daß man meint auf Wunder was für Herrlichkeiten zu stoßen. Kleine Fragmente von Karneol und von glänzenden Quarzen haben wir öfter gefunden, doch nie etwas Schönes. Von vulkanischen Produkten keine Spur! – Die Aussicht ist hübsch von oben herab, denn Kairo präsentiert sich vorteilhaft mit seinen schönen Minaretten, und während man im Süden tief hinab zum Nil und zu entfernteren Pyramiden als die von Gizeh blickt, sieht man im Norden das fruchtbare Land des Delta zwischen seinen beiden Armen viel weiter sich erstrecken, als das Auge zu folgen vermag. Im Vordergrund erheben sich die mannigfaltigen zierlichen Formen der Gräber der Kalifen, durch welche hindurch der Weg zum Djebbel Achmar und zum versteinerten Walde führt. Da waren wir heute. Er liegt ziemlich tief in einem Nebental des Mokkatam, das wie ein breites Flußbett aussieht. Sand ist darin auf Sand gehäuft; die Esel versanken bis über die Knie und fielen gar, weil sie kaum festen Grund finden konnten. Endlich hörte dieses Flußbett auf; Hügel schlossen es. Vielleicht war das Wasser einmal über diese Hügel herabgeströmt. Unter ihnen liegt der versteinerte Wald begraben, von Sand verschüttet, und manches große Stück, so wie eine Unmenge von kleineren und von Splittern, mit anderen Steinen vermischt, deckt die Oberfläche der Hügel, die sich in dieser Art noch stundenweit in die Wüste strecken sollen. Dergleichen Überbleibsel aus den uranfänglichen Bildungsepochen unserer Erde, interessieren mich über alle Maßen. Ich befrachtete mich mit einer schweren Ladung von Versteinerungen, unter denen ein großes Stück von einem Sykomorstamm mit all seinen Rindenringen nur besonders gefällt. Das wird einen soliden Pressepapier auf meinem Schreibtisch abgeben! – Enthielte die Wüste überall solche Merkwürdigkeiten, wäre sie überall der Sargdeckel eines großartigen untergegangenen Naturlebens: dann ließe ich sie mir gern gefallen.

Den Heimweg nehmen wir gewöhnlich mit einem Umschweif, damit die schöne Sonne bis zu ihrem Untergang genossen werde; und der heutige führte uns um die östliche Mauer von Kairo herum, durch die Nekropolis und die Schutthügel mit den Windmühlen, an den schönen Gärten von Fostat vorüber, deren ich vorhin erwähnte, und endlich zu einer Kirche der Kopten, die hier liegt. Etwas so Trauriges, Finstres, Beklommenes wie diese Kirche kann man sich schwer vorstellen. Der ganze innere Raum zerfällt in Abteilungen, die durch Gitter, Lattenwerk und Bretterwände umzingelt, und ganz für sich bestehend sind, denn bei der hier herrschenden Dunkelheit sieht man nicht was in ihnen geschieht. Der Altar steht in einem Verschlag, und vor demselben ist ein anderer, in welchem lesende Priester saßen. Rechts und links wieder andre, und hinterwärts auch; Gitter wohin man den Blick wendet – wie in der Kirche einer Strafanstalt; nirgends ein Bild, ein Schmuck, eine Verzierung, kein Altar zu sehen, nicht einmal ein Kruzifix! Rings umher unendliche Traurigkeit. Krücken auf die sich die Andächtigen in Ermangelung der Bänke beim langen Gottesdienst stützen, und die an den Wänden lehnen sollen, konnte ich nicht gewahr werden. Das muß nun vollends erbarmenswert aussehen! Dann kommt der Gedanke eines Krankenhauses zu dem eines Gefängnisses. O Himmel! Unsere hohen weiten herrlichen alten Dome und diese Klausen – können sie demselben Gott zum Dienst und zu Ehren erbaut sein? Ich meines Teils fragte mich heimlich, ob die Kopten nicht etwa lebendig gewordene Mumien sein dürften: für solche etwa könnte ich diese Kirche begreifen. – Ach ja! Woher der Name Kopten abgeleitet wird, wollte ich erwähnen. Entweder ist er das arabische korrumpierte Wort für Ägypter, oder für Jakobiten; und letzteres klingt nur sehr wahrscheinlich. Ich habe doch schon viele Kirchen und von vielen Konfessionen und Sekten gesehen; aber eine solche nie! – In Fostat sind noch mehr wie in Kairo die Quartiere, welche immer nur aus sehr wenigen Straßen bestehen, durch Tore abgesperrt, die nachts sämtlich geschlossen werden, und die man alsdann durch den Wächter öffnen lassen muß. Zum Glück hatten wir das nicht nötig, denn wir passierten heimkehrend mehr Tore, als sämtliche deutsche Festungen haben.


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