Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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3. An meine Mutter

Konstantinopel, September 8, 1843

Ich warf gestern die Feder fort, herzliebe Mutter, obgleich ich Dir kein eigentliches Bild gegeben hatte. Es ist zu groß, zu reich, zu bunt, um mit dem ersten Blick übersehen zu werden. Heute will ich es dennoch versuchen. Zwischen den letzten Ausläufern des Hämus oder Balkan zur Rechten, und des Taurus zur Linken, also zwischen zwei Bergufern, macht der Bosporus sieben Windungen vom schwarzen bis zum Marmora Meer. Ehe er in dies letztere mündet, reicht er mit einem Arm ins europäische Ufer tief hinein, und bildet dadurch den Hafen von Konstantinopel, der das goldne Horn heißt und der einem Fluß ähnlich ist. Auf der dreieckigen Landstrecke zwischen dem goldnen Horn und dem Marmora Meer oder Propontis, liegt die eigentliche Stadt Konstantinopel auf verschiedenen Hügeln – das Serai seewärts auf der äußersten Spitze. An der anderen Seite des goldenen Horns steigen die Vorstädte Galata und Pera – letztere ist das Frankenquartier – ebenfalls über Hügel zu beträchtlicher Höhe empor. Auf der asiatischen Seite, folglich durch den ganzen Bosporus getrennt, liegt die Vorstadt Scutari; und alle diese zu einem großen Ganzen verbundenen Städte sind so beschaffen, daß Du, so wie Du das Ufer betrittst, aufwärts steigen mußt und noch dazu recht steil. Es sind also verschiedene Berge, und diese verleugnen den Charakter des Bosporus nicht: sie sind grün! Sie sind bedeckt mit unendlichen Hainen von Zypressen, mit zahllosen Gruppen von Platanen. Über diesen erheben sich wie Schwäne über einem grünen See die glänzenden Kuppeln von ungefähr 300 Moscheen. Neben einer jeden steht wie ein überirdischer Wächter wenigstens ein schlankes weißes Minarett; häufig zwei, auch vier; sechs neben Sultan Achmeds. Unter und zwischen den Bäumen, gleichsam in einem gelichteten Walde, liegen die Häuser: – die Wohnungen der Gesandten in Pera und einige wenige Regierungspaläste abgerechnet, – alle von Holz, auch die des Großherrn, die Kasernen, die Kanonengießerei, die Wohnungen der Paschas; manche mit den allerhellsten Farben, weiß, blaßrot, hellgelb, mit bunten Verzierungen bemalt, andre von der Zeit gebräunt wie die Häuser im Berner Oberland; noch andre, namentlich die der katholischen Armenier, schwarz und dunkelgrau angestrichen. In schmalen krausen Gassen klettern sie die Hügel hinan, und jedes hat wo möglich seinen Garten; wenn nicht den, so doch eine Terrasse mit Blumentöpfen und mit einem Granat- oder Feigenbaum; und fehlt auch die, dann mit einem Weinstock vor der Tür, der sich zum Dach hinaufzieht, in flatternden Ranken wieder herabfällt und zuweilen über die Straße hinüber ein Rebengewinde wie eine festliche Girlande wirft. Da mit den Moscheen Schulen, Bäder, Armenküchen verbunden sind, so darf ihnen auch ein Garten, zur Erholung, nicht fehlen. Außerdem stehen im Vorhof immer die schönsten Bäume.

Die Stätten der Toten, welche hier fast ebensoviel Raum einnehmen als die der Lebendigen, die Gottesacker, liegen um und neben und zwischen den Straßen, und bilden die eigentlichen Zypressenhaine, denn alle türkischen Gottesacker sind reich mit Bäumen bepflanzt und nie mit einem andren. Gewiß ist die Zypresse, wie sie so unbeweglich nach oben zeigt, ein schönes Symbol an einem Grabe. Ferner gibt es kleine besondre Grabstätten, von berühmten Männern, von Gelehrten, Mönchen, Heiligen, von Privatpersonen mit ihren Familien: immer bestehen sie aus einem kleinen Zypressenhain mit vergitterten Arkaden umschlossen, so daß man durch die Gitter und über den Mauern das Grün sieht; – Du wirst es also begreiflich finden, wie bei der aufsteigenden Lage der Stadt das ganze gartenmäßig, lustschloßähnlich erscheint. Ich sage nochmals erscheint! – Stelle Dir eine Theaterdekoration vor, von Künstlerhand mit dem größten Geschmack gemalt: Du bist entzückt, hingerissen von der unvergleichlichen Szenerie, immer von neuem schauest Du sie an, kannst nicht satt werden zu bewundern, und jetzt führt man Dich hinter die Szene. Hilf!! Latten, Spanwerk, schmutziges Papier, Stricke, Ölflecke, grobe Leinwand: – so, aber genau so ist Konstantinopel.

Mehr noch als die fürchterliche Unsauberkeit fällt mir die fürchterliche Unordnung auf. Daß die Straßen sehr schmal, sehr krumm, sehr steil aufsteigend sind, ist ihr geringster Fehler; der Rinnstein in der Mitte ist bei ihrer großen Schmalheit schon viel unbequemer; aber welch ein Steinpflaster! Das von Sevilla ist dagegen ein köstliches Parkett. Dein Sonnenschirm bleibt alle drei Schritt zwischen diesen enormen, roh zusammengewürfelten Steinen stecken; Dein Fuß alle zehn Schritt. Weil die Gasse nach der Mitte zu abschüssig ist, so hast Du im Grunde nie einen sicheren Tritt, denn ihrer Enge wegen beginnt der Abhang unmittelbar an den Häusern. Du gehst also beschwerlich genug. Nun tritt nur ja nicht auf einen von diesen affrösen, räudigen, verwilderten Hunden, denen es nicht einfällt, Dir aus dem Weg zu gehen, die daher sehr oft getreten und gestoßen werden, dann mit ihrem Geheul die Luft erfüllen, und immerfort auf die widerlichste Weise Dir ins Auge fallen. Hier bringt eine Hündin ihre Brut zur Welt; da säugt sie sie; dort liegen ein paar tote; oder sie laufen Dir vor die Füße, oder sie beißen sich untereinander. Genug, wäre Konstantinopel nur von Hunden bewohnt, so würdest Du es schon schwer genug in diesen Straßen haben, wo Haufen von Kehricht, von Schutt, von Dünger, von Melonenschalen, von allem glaublichen und unglaublichen Material, besonders an den Ecken Barrikaden bilden. Aber nimm Dich in Acht! Da kommen Pferde, die auf jeder Seite einen Lederschlauch mit Öl gefüllt tragen, der auch von außen ganz eingeölt ist. O, nimm Dich in Acht! Hinter Dir kommt eine ganze Reihe von Eseln mit Baumaterial, mit Ziegelsteinen und Brettern schwer beladen. Weiche zur Rechten aus, vor diesen Männern, die große Kohlenkörbe auf dem Rücken tragen! Und weiche auch zur Linken aus vor jenen anderen, die zu vier, zu sechs, zu acht Mann so schwere Warenballen und Fässer schleppen, daß die zwei armdicken Stangen, woran die Last hängt, unter ihr sich biegen. Laß Dich nicht betäuben von dem Geschrei der Esel, der Zuckerwerk- und Kastanienverkäufer, der Hunde, der durch ihren Ruf warnenden Lastträger, und folge Deinem Dragoman, der fliegenden Schrittes mit der Hast der Geschäftigkeit und gewöhnt an diese Drangsale, Dir vorauseilt und bald im Gedränge – bald um diese oder jene Ecke Dir entschwindet. Du gelangst auf einen Gottesacker. Man kennt in Europa die Ehrfurcht, womit die Türken die Grabstätten behandeln, wie sie sie besuchen und nie gestatten, daß sie, wie dort, nach einer Reihe von Jahren wieder umgegraben werden. In der Idee ist das sehr schön; und stellt man sich Zypressenhaine vor, wo weiße aufgerichtete Leichensteine auf dem grünen Rasen stehen: so macht das ein edles, feierliches Bild. Jetzt betrachte es in der Wirklichkeit. Der Rasen ist abgetreten, die Leichensteine sind umgestürzt, abgebrochen, schief; einige holprig gepflasterte Straßen durchschneiden sie; hier weiden Schafe, da warten Esel, dort schnattern Gänse und krähen Hähne; auf diesem Fleck trocknet man Wäsche, auf jenem arbeitet ein Tischler; während von der einen Seite ein Zug Kamele daherschreitet, naht von der andren ein Leichenzug; da spielen Kinder, da beißen sich Hunde, da ist das gleichgültigste Treiben der Welt – eine wahre Profanation der Gräber. Aber allerdings! Wer seit 400 Jahren hier begraben ist, der liegt noch auf der nämlichen Stelle. Du kannst Dir denken, was das für Leichenäcker sein müssen, und welchen ungeheuren Raum sie einnehmen! Gestern war es nur wirklich merkwürdig! Um in das Hotel der Madame Balbiani zu kommen, das sich auf der höchsten Höhe von Pera in sehr gesunder freier Lage befindet: gingen wir über zwei Gottesacker, das Haus selbst liegt auf dem dritten, und unser erster Ausgang war nach dem vierten und fünften, dem sogenannten »kleinen und großen Totenfeld«. Von letzterem hat man eine herrliche Aussicht auf den Bosporus; aber alle Gebäude, die außer den Moscheen am meisten ins Auge fallen, sind Kasernen.

Heute habe ich gleich eine der größten Kuriositäten von Konstantinopel gesehen: den Sultan, als er sich aus der Moschee von Beglerbey in den Palast gleichen Namens zurückbegab. Ein Sultan! Welch ein Inbegriff von Macht, von Gewalt, von Pomp, liegt in dem Wort. Um zu vergleichen inwiefern Abdul-Medjid dem Begriff entspricht, stand ich auf der Straße neben der türkischen Trommel – grade wie in Europa die Gassenjungen. Die Straße war mit Sand beschüttet, und ein Spalier von europäisch uniformierten Soldaten gebildet. Vier prächtige Handpferde des Sultans, von Dienern geführt, eröffneten den Zug; dann folgten wohl ein Dutzend alter Paschas oder Hofchargen, alle in dem bekannten braunen Überrock mit dem roten Fez, und auf schönen Pferden, unter ihnen ein wahres Scheusal, der Kislar Aga, der Chef der schwarzen Eunuchen. Dann eine Pause – und endlich ganz allein Sultan Abdul-Medjid, in einem langen dunkelblauen Mantel, über dem sich sein bleiches regungsloses Gesicht erhob. Er ritt ganz langsam, die Musik empfing ihn mit einem ohrzerreißenden God save the King, die Soldaten riefen ein mageres Vivat. Kein Lächeln trat in sein Antlitz, kein Blick belebte sein Auge; – von einem Gruß ist natürlich nicht die Rede! – Einige fanden seinen Blick fest und imponierend, ich fand ihn nur starr und glasig. Als er sich der Gruppe fränkischer Männer und Frauen nahte, karakolierte sein Pferd ein ganz klein wenig: vielleicht sollte das eine Beachtung ihres Grußes ausdrücken. Das Schönste an ihm waren unstreitig die funkelnden Diamanten an seinem Fez und auf seiner Brust. Ich höre er hat die fallende Sucht, oder Nervenzufälle, oder einen zu großen Harem. Genug, er sieht weder wie ein mächtiger Sultan noch wie ein blühender Jüngling aus.

Jener Palast liegt auf der asiatischen Seite, also mußten wir in einem Kaik hinüber fahren. Das ist nun freilich der unbequemste Nachen, der mir je vorgekommen. Erstens unsicher durch seine Bauart, und zweitens nur für türkische Figuren berechnet, die sich wie Taschenmesser zusammenklappen, sobald sie sich setzen – weshalb sie denn auch sämtlich krumme Beine haben. Man muß sich am Boden des Fahrzeugs auf einem dürftigen Teppich oder einem mageren Kissen zusammenkauern oder platt niederlassen, so daß man nur grade mit dem Kopf über den Rand hinausragt. Die Ruderer sitzen auf den Bänken in kurzen weiten Leinwandbeinkleidern und Hemden mit Musselinärmeln, denn ihr Handwerk ist schwer. Trotz der leichten Kleidung sind sie in Schweiß gebadet, und Gesicht, Brust und Beine der Leute sind dermaßen gebräunt von Luft, Sonne und Wind, daß der ganze Mann aussieht wie aus altem Eichenholz geschnitzt. Seine Züge sind damit in Übereinstimmung, hart, scharf, aber bestimmt ausgeprägt; nicht so breit und flach wie bei uns. Auf den Einschiffungsplätzen gibt es einen großen Tumult, weil fünfzig Ruderer ihre Kaiks anbieten, und weil man um den Preis handeln muß. Das ist so gut in der Türkei Sitte wie bei uns. Übrigens leben hier so viel Griechen, Slavonier, Ionier, Albaneser, Armenier, Juden und Franken, daß man sich nicht darüber wundern darf. Franke ist der allgemeine Name unter dem die Türken die Europäer – und Frankistan, unter dem sie sämtliche Länder Europas zusammenfassen. Rajahs nennen sie ihre christlichen Untertanen, z. B. Armenier und Griechen, und Giaur ist die verachtende Bezeichnung des Christen, dem Muselman, dem Gläubigen gegenüber.

Da wir auf der asiatischen Seite waren, so fuhren wir höher in den Bosporus hinauf, nach Göcksu, den »himmlischen Wassern«. Wo ein Flüßchen sich in den Bosporus ergießt, hat sich eine weite, etwas gewellte Wiese gebildet worauf die prachtvollsten Platanen, Ulmen und Eichen verstreut sind. Das sind die »himmlischen Wasser«, die Lieblingspromenade der türkischen Damen, die gestern, an einem Freitag, sehr zahlreich dahin kamen – die Vornehmen zu Wagen. Da sitzen sie auf Teppichen, die am Boden ausgebreitet werden, in Gesellschaft beisammen und unterhalten sich wie sie können, mit Zuckerwerk essen, plaudern, auch Tabak rauchen, jedoch immer unter sich, und bis auf Augen und Nasenwurzel verschleiert. Männer sind auch da, allein in geringer Zahl, die ebenfalls rauchend beisammen sitzen, und sich nicht um die Frauen zu kümmern scheinen. Indessen sieht man denn doch beide Geschlechter an öffentlichen Orten, so daß die Frauen nicht vollkommen von fremden Männern abgeschnitten sind. Diese Gruppen unter den Bäumen nehmen sich recht eigentümlich aus, besonders sollt' ich meinen im Bilde. In der Wirklichkeit, in der schönen freien Natur, sind sie etwas leblos und plump, denn ich finde dies ewige Kauern auf der Erde höchst ungraziös, ich möchte sagen monströs, weil man die menschliche Gestalt immer nur zur Hälfte sieht. Aber wohl den Frauen, wenn man sie nur sitzend erblickt! Welch ein Gang, welche krummen Beine, welche einwärts gekehrten Füße! Nicht einen Tanzmeister – nur einen Exerziermeister möcht' ich ihnen gönnen, damit sie nicht so gräßlich einher watschelten. Es ist schon besser, daß sie sich lagern! Dann werden die Ochsen aus den Wagen gespannt, damit auch die sich auf der Wiese lagern mögen. Ein wenig Mundvorrat wird ausgepackt und auf dem Teppich ausgebreitet, und so vegetiert man da draußen den halben Tag. Ungeheuer bunt aufgeputzte Kinder sind denn doch ein bißchen beweglicher als ihre Mamas, und Verkäufer von Naschwerk, von frischem Wasser, von Obst bieten schreiend ihre Waren feil, und wandeln zwischen den Sitzenden umher. Lustig sehen die Wagen aus, die man mit Ochsen bespannt und Arraba nennt. Mit allen Farben des Regenbogens sind sie bemalt, goldgelb und feuerrot herrschen vor. Man steigt von hinten mittels einer kleinen bunten Leiter hinein, und sitzt seitwärts auf Matratzen darin – zu acht bis zehn Frauenzimmern. Zwei weißgelbgraue Ochsen mit Spiegeln und Flitterwerk vor der Stirn ziehen diese schwerfällige Maschine langsamen Schrittes, indem sie unter einer Art von portativem Triumphbogen gehen, der zu ihrer Anspannung gehört und der mit zahlreichen feuerfarbenen Quasten geschmückt ist. Ein Diener mit einem Stecken geht nebenher und lenkt sie. Häufig begleitet ein andrer zu Pferde den Wagen. Auch Frauen aus dem Harem des Sultans kommen nach Göcksu in einer Arraba. Die Fahrt auf dem Bosporus führt fast ununterbrochen an Dörfern oder Häusern vorüber. Die zahlreichen mit ganz feinen Holzgittern verschlossenen Fenster derselben, geben ihnen etwas Käfigartiges. Klein sind sie sehr; die obere Etage springt meistens ganz, zuweilen aber auch nur erkermäßig vor der untere vor, so daß sie ungemein lustig aussehen. Im Winter müssen sie barbarisch kalt sein, denn schon jetzt ist der beständige Nordwind, der aus dem schwarzen Meer weht, recht frisch und durch die Brandung an manchen Punkten des Ufers so heftig, daß man, wenn man ihm entgegen rudert, einen Mann Vorspann nehmen muß, der am Ufer gehend den Kaik am Strick durch die Strömung zieht. – Nun liebe Mutter, war dieser Tag nicht schon recht hübsch und vollständig türkisch?


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