Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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31. An meinen Bruder

Kairo, Dezember 13, 1843

Gestern, Fratello, war ich auf der Pyramide des Cheops. Wenn das keine interessante Partie ist so weiß ich es nicht! Sie hat sich so lange verzögert des Wetters wegen, das ungünstig nämlich sehr windig war. In der Nacht vom achten zum neunten hat es geregnet und bis nachmittags blieb der Himmel trübe; sonst habe ich ihn nur sonnig gesehen. Aber der Nordwest, der uns schon seit El-Arisch verfolgt, weht ununterbrochen bald stark und bald schwach, und daher ist es morgens und abends ziemlich kühl, im Zimmer mehr als im Freien, sodaß ich die wattierte Mantille, die mir drinnen grade recht ist, draußen zuweilen lästig finde. Darauf beschränkt sich mein Winteranzug und der Strohhut kommt mir nicht vom Kopf. Vor meiner Ankunft, Ende November hat es einige Tage heftig geregnet, und die Häuser sind hier so gar nicht darauf eingerichtet, daß die Personen, welche im Hotel zwei Treppen hoch wohnen, mit Regenschirmen in ihren Zimmern gesessen haben – so stark hat es durch das flache Dach durchgetröpfelt. Von Kaminen oder Braseros wie in Italien und Konstantinopel ist hier nie die Rede. Die Sonne muß den Dienst tun. Vorgestern Abend hatte sich der Wind gänzlich gelegt, als wir von Abbas-Paschas Campagne in der Nähe von Schubra zurückkamen, deren Eingang uns übrigens nicht gestattet wurde: da beschlossen wir auf gestern die Exkursion zu den Pyramiden, und das Wetter war auch so schön und windstill wie man es nur wünschen kann, wenn man 428 Pariser Fuß über dem Erdboden auf dem Gipfel der Cheops-Pyramide steht. Du darfst ihn dir aber nicht wie die Spitze eines Kirchturms vorstellen, und als müsse man etwa auf einem Fuß stehend da oben balancieren.

Wir ritten vor sieben Uhr fort. Es war schneidend kalt bevor die Sonne uns zur Linken über die kahlen Höhen des Mokkatam emporstieg. Bei Fostat oberhalb der Insel Rouda setzten wir über den Nil nach dem Dorf Gizeh, und ritten nun zwei Stunden kreuz und quer der Überschwemmung wegen auf schmalen Dämmen, bald neben den Wasserflächen, bald neben Feldern von Rübsamen und Bohnen in voller Blüte, bald neben weiten Strecken, die mauerhoch mit Maisstroh bedeckt waren, bald unter Palmen, bald neben Dörfern die so versumpft waren, daß nur Frösche aber nicht Menschen in dieser Atmosphäre gesund sein können. Die Hütten bestehen aus getrocknetem Nilschlamm mit Kamelmist verklebt, der feuchte Nilschlamm haucht seine schädlichen Dünste aus, dazu dürftige Nahrung, Bohnen und Doura (Hirse, die übrigens geröstet auf eisner Platte ohne weitere Zutat sehr gut schmeckt) – der Mangel an Bekleidung, den ich in Gizeh vollkommen bei einem Mann sah, der sich zähneklappernd in der Sonne an einer Mauer zusammenkauerte; – wie soll da die Pest nicht wüten im Frühling, wenn die verderblichen Winde und die brennende Hitze diese Moräste plötzlich austrocknen. Noch einmal mußten wir über einen kleinen Kanal setzen, auch über eine große, ehedem sehr prächtige, jetzt halbverfallne Brücke mit arabischer Inschrift gehen, eine zweite ganz ruinierte bei Seite lassen, dann hört die Kultur des Bodens auf, und an ihrer Grenze, wie Denksteine zwischen Leben und Tod, zwischen Zeit und Ewigkeit, erheben sich aus Schutt und Sand die Pyramiden – nämlich drei, von denen die des Cheops die älteste, die größte, die leichtbesteiglichste und die durchforschteste ist, weshalb mein Hauptinteresse sich ihr zuwendete. Es ging mir mit ihnen wie mit den hohen Bergen: sie kamen mir aus der Ferne imposanter als in der Nähe vor. Von meinem Fenster in Kairo, vom Nachen im Nil gesehen, war es nie anders, als läge die ganze große Landschaft zu ihren Füßen. Und sie tut es auch! Aber je näher man kommt um desto mehr verliert man den weiten Blick über die ganze Landschaft, das Auge bleibt an ihnen allein hängen, und so verschrumpfen sie scheinbar, bloß deshalb weil man ihnen nicht mehr den allerausgedehntesten Maßstab anlegen kann.

Wenigstens eine halbe Stunde vor unsrer Ankunft, sprangen zwei Beduinen in weißen Mänteln mit Flinten bewaffnet vom Grabenrand auf wo sie vielleicht die Nacht geschlafen hatten, und liefen mit uns. Dann kamen andre, und noch andre! Auch Fellahs verließen ihre Felder und gesellten sich zu uns, und die ganze Kompanie von wenigstens zwanzig Mann begehrte für die Ersteigung der großen Pyramide in unsere Dienste zu treten. Natürlich zankten sie sich untereinander auf donnernde Weise, und die Fellahs kehrten endlich zu ihrer Arbeit zurück. Statt dessen aber kam eine Kinderschar mit Wasserflaschen, sodaß wir mit einem sehr stürmischen Gefolge anlangten. Ich freute mich über meine Freunde die Beduinen, wie sie schön waren! Statuen von dunkler Bronze; – nie sah ich süperbere Menschen. Den leichten weißen Wollenmantel schlangen sie als Schärpe um Leib und Schulter und liefen vor uns her wie die alten Götter mit Flügeln an den Sohlen. Süperb! Es gibt gar keine andre Bezeichnung. Wie sie sich allendlichst untereinander wegen der Begleitung verglichen haben, weiß Gott! Fünf behaupteten sie wären für mich ganz notwendig: zwei und zwei abwechselnd um mich an den Armen zu halten und zu ziehen, und der fünfte um mich beim Heruntersteigen von den höchsten Stufen zu heben. Mir machte die ganze Partie so herzliches Vergnügen, daß ich mit allem zufrieden war. Nun warfen sie ihre Mäntel fort und drapierten sich in ihren Hemden, die ich des Wohlklanges wegen Tunika nennen will. Du fragst vielleicht wie sie das bei so geringer Masse der Gewandung anfingen? Das ist eben die Kunst! Sie streiften die Ärmel auf, sie schlangen den unteren Saum der Tunika in den Gürtel in jener eigentümlichen Weise, die man immer und nur bei den ägyptischen Statuen findet. Ich dachte Osiris sei in einigen Verkörperungen wieder auf die Erde gekommen. Ich trug, wie sich von selbst versteht, mein habit de gamin. Die Aszension begann. Die Pyramide ist aus Werkstücken von Kalkstein erbaut, die unten gegen vier, oben zwei Fuß hoch sind. Um die pyramidale Form hervorzubringen, tritt jede höhere Reihe etwas über der unteren zurück, sodaß in dieser Weise kolossale Stufen gebildet sind. Ehedem hat eine Bekleidung von Marmor oder geglättetem Granit den ganzen Bau wie mit einem abgeschliffenen Etui überzogen, sodaß die Besteigung unmöglich gewesen. Jetzt ist nicht die geringste Spur derselben vorhanden, und als man sie gewaltsam abgebrochen hat, mögen die Werkstücke selbst beschädigt worden sein. Nun haben sich an ihnen kleine Ungleichheiten und Vorsprünge gebildet, die das Klettern etwas erleichtern. Ohne die Hilfe der Beduinen, die auch ganz allgemein angenommen wird, mochte es wohl sehr schwierig, und abwärts auch gefährlich sein für Personen die am Schwindel leiden; aber mit ihr ist man so sicher, als würde man von einer Maschine gewunden. Ungefähr auf der Hälfte des Weges wird eine kleine Pause gemacht da, wo mehrere Werkstücke ausgebrochen sind und eine kleine sichere Terrasse sich gebildet hat. Dann geht es weiter, leichter wegen der niedrigeren Werkstücke, schwerer, weil man matt wird und weil die Beduinen je höher desto schneller steigen, weil jede Partie die Ehre haben will zuerst oben zu sein. Die meinen bewerkstelligten es, und als ich meinen Fuß auf die obere Fläche setzte, stießen sie ein lautes Freudengeschrei aus: so ist der Gebrauch. Nun war ich oben.

Die Pyramide mag ursprünglich noch zwanzig oder dreißig Fuß höher gewesen sein; ihre Spitze ist abgebrochen, einzelne Werkstücke liegen als Tische und Sofas auf dem Raum, der wohl so groß wie Dein gelber Salon ist. Du siehst daß man Platz hat. Wir waren oben mit acht Beduinen und mit drei oder vier Kindern, welche uns ihre Flaschen mit schlechtem Wasser aufdrängten; und noch ein Dutzend Menschen hätte bequem Raum gefunden. Von unten gesehen, meint man breiter als eine halbe Elle könne die höchste Spitze unmöglich sein. Mir war da oben ganz feierlich zu Mut. Auf dem höchsten Gebäude der Welt – da saß ich! Und welch ein Gebäude! Fremd unserer Zeit, unserer Sitte, unseren Gedanken, unserer Kunst, ist es übrig geblieben aus einer Welt welche diejenigen die alte nannten, welche wir jetzt die Alten nennen. Schon für Herodot, der im fünften Jahrhundert unsrer Zeitrechnung hier war und diese Pyramide beschrieb, war sie ein Werk aus verschollenen Zeiten, wie viel mehr für den Geograph Strabo, der unter Kaiser Augustus Herrschaft hier war. Mir dehnte sich die Weltgeschichte zu einer solchen Tiefe aus, daß unsere paar tausend historischen Jährchen mir nur wie der Schaum auf ihren Wellen vorkamen. – Ich kam mir vor wie auf einer Insel in den Wolken, ohne Zusammenhang mit allem was da unten die Herzen bewegt. Die Zeit riß eine Kluft um mich herum tiefer als die eisigen Schluchten im Hochgebirge der Alpen. Dazu kommt daß der Blick von oben herab – wie soll ich sagen? – so gewiß geistlos ist. In der großen Ebene tritt nichts hervor, sie macht durchaus den Eindruck einer geographischen Karte mit ihren bunt illuminierten Feldern. In Hunderte von kleinen Stückchen ist sie zerschnitten, die blaugrün, gelbgrün, saftgrün, je nach ihrer Kultur aussehen; dazwischen wie schwärzliche Punkte Palmenpflanzungen und Gärten; wie silbrige Streifen die Gewässer, wie schwarze die feuchten Dämme; fern und charakterlos die bräunliche, formlose Masse der Stadt von ihrem eigenen Qualm verhüllt, und endlich ganz nah die Wüste, die mir hier nicht schauerlich vorkam.

Die Beduinen ließen uns nicht lange Ruhe; sie marterten uns wegen des Bakschisch, und hätten sie es bekommen, so würden sie nicht zufrieden gewesen sein und uns um mehr gemartert haben. Das ist ein scheußlicher Charakterzug des Arabers und des Türken! Seine Gedanken, Wünsche, Träume, Handlungen, Gespräche, seine ganze Seele dreht sich dem Fremden gegenüber um Bakschisch, d. h. um Geld, welches er nicht verdient hat, denn das was einen Piaster wert ist soll der Fremde mit zehn, zwanzig bezahlen. Stundenlang sprachen unsere Kameltreiber in der Wüste zusammen von Bakschisch. Das Wort gellt mir förmlich in den Ohren! Nun vollends da oben! Wie blutsaugende Mücken die immer verjagt immer wiederkehren, ließen sie sich nur momentan zur Ruhe verweisen. Ein Messer um die Namen einzukratzen – dies Vergnügen mußte ich mir als echter gamin, ich glaube zum ersten Mal in meinem Leben machen – war unten beim Dragoman vergessen worden. Ein Beduine sprang sogleich dienstfertig hinab und wieder herauf, wollte das Messer aber erst nach dem Versprechen eines Extra-Bakschisches herausgeben. Als wir ihnen sagten, der Dragoman würde sie alle reichlich unten bezahlen, schrien sie: »No no no no! Giurgi no bono!« Das sollte bedeuten, daß sie uns für großmütiger hielten. Halb war es spaßig und halb ärgerlich. Mit italienisch konnten wir uns gegenseitig verständlich machen; aber sie waren mir schrecklich störend.

Abwärts ging es vortrefflich. Ich legte die Hände auf die Schultern von zwei Beduinen, ließ sie voransteigen und sprang dann nach. Wo die Stufen so ausgebröckelt waren, daß ich nicht festen Fuß fassen konnte, hob mich ein dritter, der hinter mir blieb, vorsichtig herunter. Hier soll vor zwei Jahren ein Engländer, der durchaus allein hat gehen wollen, schwindlig geworden und hinabgestürzt sein. Vielleicht ist es aber auch nur eine Beduinenfabel! Jedermann bedient sich ihrer Hilfe gern. Da ich kurzsichtig bin kenne ich den Schwindel nicht, und sah sehr gelassen zwischen meinen beiden Gefährten von Erz in die Tiefe hinab. Als wir so ganz munter herabsprangen und an eine etwas üble, nämlich sehr zerbröckelte Stelle kamen, hielt mich plötzlich der Beduine, der mich herabheben sollte in der Luft schwebend und sagte: »Bakschisch Signora! Bakschisch!« Dies war ein freundschaftlicher Beduinenscherz. Wie findest Du ihn, so in den Lüften zu hängen und, wenn auch nur ein paar Sekunden, keinen Boden unter den Füßen zu fühlen? Ich sagte bitterböse, er würde nicht einen Para bekommen, und mein großer Zorn machte Eindruck auf meine fünf Leute: sie schwiegen über diesen Punkt. – Nun kam eine unausstehliche Partie: das Innere der Pyramide. Da muß man zuerst in einen Schacht gebückt hineingleiten dann befindet man sich in einer Vorkammer, und dann muß man gebückt – was sage ich gebückt! – zusammengeklappt wie ein Taschenmesser muß man sechzig Schritt in einem anderen Schacht sich fortbewegen bis man zu einer zweiten Kammer kommt. Da war ich halb ohnmächtig. Draußen, im Licht, in der Luft, halte ich alles aus; aber zwischen diesen dicken Mauem, in fürchterlicher Hitze, in beklemmender Atmosphäre, in tiefer Finsternis, welche durch die Flamme von zwei Kerzen schwach gelichtet wurde, und vor allem: ohne irgend etwas zu sehen an Malerei oder Bildnerei – das war nicht auszuhalten! Und ob im Inneren der Pyramide noch andre Schachte und Kammern sich folgen, und ob in jenen, die ich nicht gesehen irgendeine Spur von Ausschmückung oder von Mumien und Sarkophagen sich findet – ich weiß es nicht! Ich gestehe ehrlich, daß ich ohne irgend etwas gesehen zu haben schleunigst wieder umgekehrt bin. Ach, die Wonne draußen! Frische Luft, Sonne, blauer Himmel! Der vierten Dynastie der ägyptischen Pharaonen schreibt man diese Pyramide und ihre beiden Gefährtinnen zu, deren eine, die des Chephren, noch ihre ganze Spitze, und um dieselbe eine Bekleidung von geglätteten Steinen hat die wie Porzellan glänzt und weiß und rot gefleckt aussieht. Ihre Höhe beträgt ebenfalls gegen 400 Fuß. Die des Mykerinos verschwindet förmlich in dieser gigantischen Nachbarschaft, obgleich sie gewiß die Höhe eines bedeutenden Turmes erreicht. Die Gebeine die in ihr ruhen, sind aber nicht gestört in ihrem ewigen Schlaf; man hat sie noch nicht geöffnet. Der Fuß dieser Pyramide ist weit hinauf mit Schutt und Sand bedeckt und aus dem Sande ragen wieder Felsblöcke und Überbleibsel von Bauwerk hervor. Einer von jenen ist in eine Sphinx verwandelt worden, deren riesiger Kopf und etwas vom Hinterteil aus dem Sande hervorragen. Der Leib und die Füße sind verschüttet und vor der Brust hat man eine tiefe Grube gegraben um dieselbe zu entblößen und um ihre starren Geheimnisse der Hieroglyphen zu enträtseln.

Zuletzt kehrten wir in einer Felsenhöhle ein, die von einem industriösen Araber in eine Herberge verwandelt worden ist, wo man frühstücken kann, was nach diesen angreifenden Unternehmungen sehr notwendig ist. Es versteht sich daß man sein Frühstück mitbringen muß. Während wir es verzehrten, zankte der Dragoman bis aufs Blut mit unsrer Beduinenbande, die wirklich ganz unbefriedigbar sich gebärdete, obgleich wir einen Napoleon unter sie verteilen ließen. Als wir herauskamen mußten noch ein paar Piaster zugelegt werden, und da gaben sie uns freundschaftlich eine Strecke Weges das Geleit. Dann blieben sie »Salam! Salam!« rufend zurück, und bald verschwanden die weißen Mäntel hinter den Dämmen. In drei und einer Viertelstunde ritten wir nach Kairo am herrlichsten Nachmittage zurück, von so vielen Vögeln umflattert und von solchen Wohlgerüchen der Felder umgeben, wie bei uns kaum im Juni. – Zum Schluß bekenne ich Dir, daß mir die Schultern vom Ziehen an den Armen auch etwas weh tun.


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