Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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35. An meine Mutter

Assuan, Sonnabend, Januar 13, 1844,
auf dem Nil

Morgen geht's nach Nubien, Herzensmama! Zwischen den Wendekreisen muß ich doch einmal in meinem Leben gewesen sein um zu wissen, wie es denn eigentlich in der tropischen Zone aussieht, die man bei uns aus nichts als aus Gewächshäusern kennt. In alten Zeiten, nämlich 2700 Jahre vor unsrer Ära, lag nun freilich Assuan unter dem Wendezirkel des Krebses; da sich aber die Schiefe der Ekliptik immer vermindert und vermindert, so ist er seitdem dem Äquator näher gerückt, und Assuan hat seine alte Stellung verloren, wie seinen alten Namen – denn damals hieß es Syene. Nun gleichviel! Mit dem ehemaligen Wendezirkel kann ich noch nicht begnügen, Mamachen, und da wir in dem kleinen Hafenort Messid, ober den ersten Katarakten eine Barke gefunden haben, so verlassen wir morgen die alte, und gehen in der neuen nach Wadi Halfa. Wer keine gar zu große hat, und wem daran liegt die Fahrt durch die Katarakte selbst zu machen, behält die seine, und nimmt nur andere Mannschaft, die mit den Klippen und Strömungen des oberen Flusses bekannt ist. Aber meine Barke ist ein wahrer Walfisch, und die Katarakte zu befahren fällt mir nicht ein. Das ist gut für Männer die schwimmen und sich im Notfall selbst retten können. Ich müßte mich auf andre verlassen oder im Nil ertrinken – und zu beidem habe ich nicht die mindeste Lust. Du siehst daraus, daß die Katarakte kein Rheinfall sind. Der Fluß stürzt nicht in eine jähe Tiefe, sondern senkt sich nur rasch über, zwischen und durch Klippen.

Gestern Nachmittag kamen wir hier an, nachdem wir am neunzehnten Dezember von Fostat abgegangen, und vierundzwanzig Stunden in Tentyris gewesen sind. Eine ansehnliche Zeit für eine Strecke von 105 deutschen Meilen. In Europa würde man über diese Langsamkeit in Verzweiflung geraten; hier heißt die Fahrt eine recht gute. Hätten wir konträren Wind gehabt, so würde sie acht bis vierzehn Tage länger gewährt haben. Er war fast immer günstig, und fiel nur selten gänzlich – wo dann freilich das unendlich langsame Ziehen am Ufer, oder das Stoßen mit Stangen um die zahlreichen Sandbänke herum, uns nicht sehr förderte. Mit vollen Segeln, bei günstigem Wind und unter einem wahren Freudengebrüll unsrer Mannschaft langten wir bei Assuan an, das höchst malerisch auf dem hohen östlichen Ufer liegt: nämlich die jetzige Stadt hinter Palmen verborgen, was ihr sehr vorteilhaft ist, und die altarabische, die auf den Trümmern der römischen, so wie diese vielleicht auf der allerältesten ägyptischen liegt, auf einem hohen, schroffen Hügel am Fluß und ganz und gar in Ruinen. Die ungebrannten Ziegel mit denen die Araber bauten und noch bauen, bilden merkwürdige Ruinenformen, nämlich keine Schutthaufen, wie die gebrannten oder wie Steine, sondern mehr zerrissene, aufwärtsstarrende, einzelne Klippen. Das Gemäuer sieht aus wie von Riesenfaust zerkrallt, oder selbst wie starre graue Krallen die aufwärts drohen. Unweit Assuan sind die Granitbrüche, die den herrlichen roten Granit geben, welcher im Altertum so beliebt war, und nach seiner Heimat den Namen, Syenit, empfing, und auf der kleinen Insel Bidscha, Philä gegenüber, wird der noch zehnmal schönere Rosengranit gefunden, von dem auf Elefantine ein Tor, als Überbleibsel früherer Herrlichkeit prangt. Letztere Insel liegt Assuan gegenüber diesseits der Katarakte, die beiden anderen liegen jenseits derselben, ungefähr eine Stunde aufwärts. Zwischen ihnen wirbelt und kräuselt sich der Nil. Gestern besahen wir Assuan, an welchem eben nichts Sehenswertes außer der Lage ist. Heute früh ritten wir nach Messid und setzten von dort nach den Inseln Philä und Bidscha, und weiter nach dem linken Ufer des Nils über, wo man den Fall herrlich übersieht. Der Weg von hier nach Messid führt durch eine wahrhaft furchtbare Wüste – durch blendenden rieselnden Sand, der sich wie ein stilles totes Meer ausbreitet, und in dem Granitblöcke, bald in einem Klumpen, bald in zerschmetterten Massen, wie stille tote Inseln liegen. O welche Öde! Kein Baum, kein Strauch, nicht das armseligste Grashälmchen, nicht das dürftigste Moos auf den großen Steinmassen. Scharfer Wind zerwühlte den heißen Sand, der sich in Wirbelwolken aufjagen ließ und wie Pulver auf uns niederfiel, Kleider, Haar, Augen überschüttete. Der Nil bleibt zur Rechten, und fern; man schneidet seine Krümmungen ab indem man ihn verläßt und quer durchs Land geht. Zur Linken sind die Granitbrüche, die sich von den einzelnen Blöcken ankündigen lassen. Da liegt noch ein prächtiger Obelisk, ganz zugeschnitten, irgendeiner Bestimmung gewärtig. Aber kein Tempel harrt seiner. Vielleicht wandert er dereinst ins Abendland um dort einen Platz mit ödem Prunk schmücken zu helfen – nach England, nach Paris, was weiß ich! Allein das weiß ich, daß er zu unsrer Architektur gar nicht paßt, und nur daher in Paris auch gar keinen Effekt machte. In Rom wohl; das ist rechtmäßige Erbin von allem was im Altertum groß war, und ist selbst großartig genug um das Fremdeste in sich aufzunehmen und ihm den Stempel von Rom aufzuprägen. – Bei Messid kommt man wieder an den Nil. Eine große Sykomore und einige Palmen erquicken das Auge. Nackte schwärzliche Kinder mit Affenbewegungen sprangen um uns herum, herdenweise, und schrien mit stridenten Stimmen Bakschisch! mit einem Zusatz, den ich in ihrer Aussprache anfangs gar nicht verstehen konnte. »Mangiare niente« sollte es heißen; also bis Nubien ist die italienische Sprache gedrungen. Zu jenen Kinder gesellten sich auch Scharen von Männern, die ebenfalls Bakschisch schrien, etwa wie man guten Morgen sagt; und zuletzt noch Weiber, nicht bettelnd, nur neugierig und daher noch zudringlicher, affröse Geschöpfe mit blau bemalten Lippen und den einen Nasenflügel mit einem blanken Metallring oder Nagel durchbohrt, Hals, Busen, Arme überdeckt mit Schnüren von bunten Glasperlen und Glasringen. Wir konnten uns gar nicht ihrer erwehren, obgleich sie uns nichts zu Lieb noch zu Leid tun wollten. So ist hier das Volk – in der Art wie sein Vieh, Kamel und Esel, ohne Zaum und Zügel, gar nicht zu lenken, nur zu treiben.

Messid ist der Hafen für alles, Menschen und Waren, das nach Wadi Halfa, und mit Karawanen weiter ins Innere von Afrika geht. Assuan hingegen ist der Hafen für alles was von dort kommt und nach Kairo geht. Die Katarakte sind für Handelsschiffe eine große Störung, denn es ist zu kostbar und zu unsicher sie hindurch zu schaffen. Transporte zu Wasser von Wadi Halfa nach Kairo müssen in Messid aus- und in Assuan wieder eingeschifft werden, nachdem Kamele sie von einem Hafen zum anderen geschafft haben. Goldstaub, Elefantenzähne und Straußfedern sind Hauptgegenstände des Handels aus dem inneren Afrika – erzählte uns ein französischer Kaufmann, der in Assuan etabliert ist, und eben mit einer Karawane von sechsundvierzig eigenen Kamelen aus Dongola zurückgekehrt war, wohin er alle möglichen europäischen Waren, Stoffe, Gerät Glas- und Bronzeschmucksachen gebracht hatte. Die schwarzen Sklaven sind ein vierter und wichtiger Artikel, für den es aber nicht soviel Kaufleute, als nur Händler gibt. Kamele sind in diesen Ländern unschätzbare Tiere; ohne sie könnte der Kaufmann wie der Reisende nicht vom Fleck. Ich schätze ihre Verdienste, bin aber herzlich froh sie für meine Person nicht mehr in Anspruch nehmen zu dürfen. Hier wie in Messid liegen sie in großer Menge am Ufer, Warenballen um sie herum, und Zelte oder Hütten von Palmenblättern daneben, in denen die Besitzer oder Führer wohnen, bis sie sich zur ferneren Reise angeschickt haben. Das gibt denn wieder echt orientalische Bilder – diese Kaufleute mit ihren Pfeifen unter den Palmen sitzend, die gelagerten Kamele, die Warenballen mit Spezereien und anderen schönen Sachen, unten am Ufer die Barken mit den langen Segelstangen, und dazu der Nil und die schwarzen Felsenmassen von Elefantine, Bab und Philä! – Oder es kommt eine Karawane von schlanken schwärzlichen Nubiern, denen die hochrote Farbe des Turbans, oder der weiße Shawl, den sie um Kopf und Schultern werfen, sehr gut steht. Sie haben scharfe, bestimmte Züge, Bart und schöne Gestalten, sind auf keine Weise mit den hidösen, bartlosen, spindeldürren Negern zu verwechseln, aber auch keine Araber mehr, sondern vom Stamm der Berber. Weiber waren mit ihnen, buntbemalt wie Tapeten, und Kinder von denen die kleinsten nackt und auf dem Bauch liegend auf dem Rücken der Kamele angebunden waren. – Die fremdartigen Gestalten machten die öde starre Gegend etwas bunt und passen zu ihr, denn hart und scharf sehen sie, auch im besten Fall, immer aus.

Sitzt man nun im Nachen und fährt zwischen den schwärzlichen Granitklippen hin, die den Nil einfassen und durchschießen, und von denen die eine ihrer Form wegen Bab, das Tor, heißt: so steigt bei einer Wendung plötzlich aus dem düstern Gewirr die Insel Philä auf, licht, klar und schön, trotz der Verwüstung, die sie umgibt und der auch sie selbst zum Teil verfallen ist. Schutt deckt ihren Boden, der einst zu weiter nichts bestimmt war als Tempel zu tragen. Eine Mauer steigt aus dem Nil auf, und schützte das geweihte Eiland gegen die Zerstörungen des Wassers; sie steht an manchen Stellen noch; an anderen ist der schroffe Abhang mit blühenden Bohnen bedeckt, eine beim Volk sehr beliebte Feldfrucht. Palmen schütteln tiefsinnig ihre Häupter über den edlen Ruinen; – sonst aber ist die Insel verschont geblieben, sowohl mit menschlichen Ansiedelungen als mit traurigen Versandungen, und daher sind ihre Tempel verhältnismäßig vortrefflich erhalten, während sich auf den Schwesterinseln Bidscha und Elefantine nur noch wüste Trümmer und wenig Überbleibsel der früheren Monumente finden. Philä aber, mit seinem doppelten Pylonenpaar, mit den langen säulengetragenen Portiken, welche sie verbinden und zu ihnen führen, mit den verschiedenen Tempelsälen, die zuerst hell und frei sind und dann, je näher dem Innersten, dem Allerheiligsten, immer dunkler und geschlossener werden – Philä könnte noch jetzt, wenn man den Schutt wegräumte, einiges ergänzte und den grandiosen Aufgang vom Nil bei dem Obelisken herstellte, die Mysterien der großen Götter feiern sehen, welcher dieser Tempel geweiht war. Er ist noch in seiner Verwüstung mit so feierlicher Majestät und so tiefsinniger Ruhe umgeben, seine Architektur ist von so ernster und erhabener Würde, daß seine Bildnereien von Göttern mit Sperberköpfen und Kuhhörnern mir dagegen wie kranke Fieberträume eines hohen großen Geistes vorkommen. Die Bildnereien sind genau die unschönen und ungelenken Gebilde, welche wir aus den Museen kennen und »ägyptisch« nennen, während wir von der Architektur keine Ahnung haben, noch haben können. Sie schmeichelt nicht dem Auge, sie gefällt ihm nicht; aber sie imponiert dermaßen, daß neben ihr jede andre gewiß klein und vielleicht kleinlich erscheinen würde. Sie sieht noch grandios in dieser Felsenwelt aus; ja, doppelt! Denn ihre Massen sind so gewaltig als ob sie nur der Hand der Natur entstiegen sein könnten, aber so harmonisch geordnet und zusammengestellt, daß der Menschengeist in ihrer Beherrschung einen seiner größten Triumphe feiert. Auf Elefantine sind ein paar Dörfer, Palmenwälder und größere Felder; aber von den Tempeln, die sie noch vor vierzig Jahren getragen haben soll, findet man nichts mehr als unendlichen Schutt, großes Mauerwerk am steilsten und höchsten Abhang des Ufers, eine sitzende Granitstatue, mumienhaft starr, am Kopf sehr beschädigt, und ein Tor von Rosengranit, so wunderschön als ob Aurora jeden Morgen durch dasselbe in die Welt hineinzöge und ihm etwas von ihrem Glanz ließe. Eine Kaserne und eines Paschas Landhaus sind aus den alten Werkstücken gebaut.


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