Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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29. An meine Schwester

Kairo, Dezember 6, 1843

Ach Clärchen, hier ist es wunderhübsch! Das Hauptvergnügen besteht in Ausreiten. Eine Allee wie die von Kairo nach Schubra gibt es, so weit ich die Residenzen von Europa kenne, in keiner – über eine Stunde lang, so breit daß gewiß sechs Wagen neben einander fahren könnten, Sykomoren rechts, Lebbek-Akazien links, deren Äste sich oben fast berühren und einen Laubengang bilden, und immer grün! Einen einzigen der unzähligen Schutthaufen, welche die Stadt nach allen Richtungen wie ein Wall umgeben, hat Mehemed Ali abtragen lassen um damit den Weg zu erhöhen auf welchem er die Allee gepflanzt hat, und welcher nun vor Überschwemmungen sicher ist .Zu beiden Seiten ziehen die üppigsten Felder sich hin, Baumwolle, Zuckerrohr, alle Arten von Getreide, von Hülsenfrüchten. Andre Alleen durchschneiden sie, führen zu Gärten und Landhäusern, die von großen Zitronen- und Aprikosenpflanzungen umringt sind. Auf tieferen Stellen steht noch das segenspendende Nilwasser, als wüßte es, daß der Landmann nicht alle Arbeit auf einmal machen kann, und daß verschieden Pflanzen zu verschiedenen Jahreszeiten kultiviert sein wollen. Auf anderen Stellen arbeitet schon wieder die Sakyeh, das große von einem Ochsenpaar getriebene Schöpfrad, welches das Wasser zum Begießen der Gärten und Berieseln der Felder aus den Kanälen heraufschafft, die der Nil alimentiert. Sträuche von wilden Rosen und Akazien umgeben die Sakyeh, die Ochsen und deren Treiber als Schirm gegen den Wind, und zuweilen gibt ihr auch noch ein Sykomoren- oder Maulbeer- oder Johannisbrotbaum seinen kühlen Schatten gegen die Sonne. Die sieben Millionen Menschen, welche in alten Zeiten an den »Fleischtöpfen Ägyptens « schwelgten, dürften noch heute kommen und ihr Genügen finden, aber seit vielen Jahrhunderten nehmen sie ab. Brächte Mehmed Ali es dahin, daß die Bevölkerung stiege, so wäre sein Platz zwischen den großen kaum zweifelhaft; jetzt ist er es freilich sehr. Aber ich gönnte es ihm! Wenn nur die europäischen Mächte ihm gestatten wollten sich sicher zu setzen, wer weiß ob es nicht von selbst geschehen würde.

Schubra ist ein Garten am Nil mit einem Landhaus, das er liebt. Etwas Anmutigeres und Anspruchsloseres als den Eingang zu diesem Garten kann man sich schwerlich vorstellen. Das Tor hat eine ganz unregelmäßige Gestalt durch die Masse von Schlingpflanzen mit blauen Blüten bekommen, die es umranken, sodaß man wie unter zwei Bäumen eintritt. Der Garten selbst hat keine Ähnlichkeit mit denen von Ibrahim Pascha auf Rouda: er ist mehr orientalisch, d. h. ein Fruchtgarten, aber ganz anders gehalten und gepflegt als die Wildnisse von Damaskus. Feste, mit Muscheln und Steinen parkettierte Wege, die regelmäßige Vierecke aller Arten von Orangen und Zitronen umschließen und mit niedrigen geschorenen Hecken von Myrthen eingefaßt sind; schattige Bogengänge die bei Wasserbecken auslaufen; hochgelegene Kiosks mit der Aussicht auf den Nil, der wie mit einem wallenden Mantel von Silberstoff durch die Gefilde zieht; das sind die Hauptbestandteile; – nicht zu vergessen die große Fontäne, die wirklich süperb ist.

Indessen suche ich die Stadt doch auch nicht zu verabsäumen. Wir besuchten heute die Zitadelle, die auf einem Vorsprung des Mokattam liegt. Der große Saladin, der glückliche Gegner von Richard Löwenherz und von Philipp August, kriegerisch tapfer wie sie und ritterlich edler, erbaute diese Festung gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts. Der Jussufs-Brunnen verewigt noch seinen Namen. Es ist ein tiefer Felsenschacht bis zum Niveau des Nils in den Berg gebohrt und wiederum durch dessen Unerschöpflichkeit alimentiert. Ein Pulvermagazin das vor zwanzig Jahren in die Luft flog hat von dem alten Saladinischen Palast nichts übrig gelassen als einige schöne zerbrochene Säulen. Alle Gebäude sind neu, der Diwan, die Münze, eine Gewehrfabrik. – Von jener Bastion übersieht man vortrefflich die Stadt und die weite Ebene in der sie liegt. Diese Lage ist ungemein frappant, im Osten die Wüste in der vollen Bedeutung des Wortes bis Suez, im Westen das Niltal, und jenseits desselben die libysche Wüste gegen welche die arabische sich verhält wie ein Zwerg zum Riesen. In diese beiden unabsehlichen, mit dem Horizont verschmelzenden grellgelben Sandflächen ist das Nilbett eingeklemmt: der Fluß in der Mitte und zu beiden Seiten grüne Ufer, ein jedes vielleicht eine Meile breit. Ägypten, nämlich das kultivierte, bewohnte, der Zivilisation fähige Ägypten, beschränkt sich auf die grünen Streifen, auf das Flußgebiet des Nil. Denke Dir den seltsamen Effekt, wenn die Kultur der Rheinländer so begrenzt wäre, daß hinter Mainz zur Linken und hinter Frankfurt zur Rechten die Wüste läge. So ist es. Hörte durch irgend eine ungeheure Katastrophe im Innern von Afrika der Nil auf zu fließen, so würde Ägypten aufhören. Die arabische und die libysche Wüste würden allmählich zusammenrücken und die Vegetation mit Sand beschütten und erdrücken.

Woher die große Regelmäßigkeit im Steigen und Fallen des Nilwassers komme, hat noch niemand ergründet. Die ungeheuren und anhaltenden Regen, welche zwischen den Wendekreisen vom Sommersolstitium bis zum Herbstäquinoktium fallen, bewirken das Schwellen des Stromes – so heißt es; aber es scheint mir keine genügende Erklärung, weil der Prozeß der Überschwemmung mit einer Gleichförmigkeit und Ruhe von statten geht, welche ihm sonst nirgends eigen ist. Es wälzen sich nicht plötzlich rollende Fluten über das Land, sondern von Ende Juni bis Ende September, ungefähr, steigt und steigt der Nil, ganz langsam, ganz allmählich, zuweilen mehr oder minder bemerklich, doch nie tumultuarisch. Die ägyptischen Astrologen helfen sich zu einer Erklärung dieses Naturwunders durch ein anderes. Bis auf die Minute rechnen sie um die Mitte des Juni die Leylet en Nuktah aus, die Nacht des Tropfens, wo ein mit befruchtenden Kräften ausgestatteter Tropfen vom Himmel in den Nil fällt und dadurch das Schwellen der Gewässer bewirkt. Dies ist eine Festnacht für ganz Ägypten, das an sie seine Hoffnungen für die Ernten des kommenden Jahres knüpft. Allgemeine Gebete werden um diese Zeit angestellt für ein reichliches Schwellen des Wassers; eine große religiöse Zeremonie findet zu demselben Zweck statt an welcher alle Bewohner Ägyptens ohne Unterschied der Religion teilnehmen – natürlich erst seit Mehemed Alis Zeit – Araber, Türken, Griechen, Kopten, weil ihnen allen der göttliche Segen zugute kommt. Wird das Schwellen bemerklich, so beginnt das Volk Freudenfeste, die besonders in Oberägypten nach uraltem Gebrauch sehr wild sein sollen. Bis Anfang Oktober steigen in der Regel die Wasser, dann stehen sie, und werden vorsichtig von einem Punkt zum andern geleitet, so lange der Vorrat vorhanden, wenn der erste genugsam getränkt worden ist. Nach und nach verschwinden sie wieder und im April und Mai herrscht schon von neuem Dürre. Sieh so regelmäßig geht diese wunderbare Überschwemmung alljährlich von statten, so systematisch muß sie benutzt werden, und solch eine künstliche Kanalisierung bringt wie Blutgefäße Leben in den toten Körper Ägyptens. Der Nil ist die große Pulsader. In alten Zeiten, wo alle höheren Ideen und Kräfte personifiziert und dem Menschen sinnlich vors Auge gestellt wurden, ist es sehr natürlich daß der Nilgott einen Ehrenplatz eingenommen hat.

Blicke ich nach Süden, so sehe ich eine ganze Reihe von Pyramiden, zunächst die von Gizeh, die großen, die herrlichen! In der scharfen Mittagsbeleuchtung weiß wie Marmor, dann die von Sakara, von Abusir, die einzigen Gebäude deren Linien aus der Landschaft in den Horizont emporsteigen. Sonst sind alle Linien horizontal und flach: das libysche Gebirg ein Strich, lang, gleichmäßig, kaum gewellt, das arabische etwas mehr, vielleicht weil man es näher sieht, aber auch ohne scharfe Formen. Über der Stadt selbst steht man zu hoch als daß ihre zahlreichen und wunderhübschen Minarette Effekt machen könnten; sonst sind sie, von der Ebene gesehen, ganz reizend und alle verschieden, mit Knäufen, Kugeln, Kronen, Spitzen und Galerien von einer Mannigfaltigkeit und Elegance, daß sie mich immer an Kandelaber von Silber- und Bronzearbeit erinnere. Fast am Ende jeder mäandrischen Wendung der Straßen, welche in dieser Art alles übertreffen, was ich bisher gesehen, schießt so eine elegante Säule empor, wie aus gelblichem Elfenbein geschnitzt, und manchmal mit abwechselnd weiß und roten Steinstreifen bekleidet. Überhaupt – Kairo und nur Kairo ist in meinen Augen die echt orientalische Stadt, mit ihren Formen und Anlagen an die Bilder aus Tausend und einer Nacht erinnernd, und mit ihrer Architektur ganz geboren vom arabischen Genius. Ihre Moscheen, ihre Grabmäler, ihre Fontänen, ja Clärchen, das sind die echten Geschwister der Alhambra! Konstantinopel, auf diesen Hügeln, an diesen Wassern, in dieser Lage auf der Grenze von Europa und Asien, frappiert unerhört die Phantasie und ist im Ganzen so unglaublich blendend, daß man die Disharmonie der einzelnen Teile nicht bemerkt, und überhaupt von dieser reizendsten aller Theaterdekorationen keine Einheit, keine Originalität begehrt, weil sie ihre volle malerische Wirkung auf uns geübt hat. Damaskus ist ein Fruchtgarten, in dessen Mitte sich ein Volk ländlich und einfach in schlechten Lehmhütten angesiedelt hat. Kairo aber ist die echte Kalifenstadt, die Erbin von Damaskus und Bagdad, die Stadt al-Mamouns und Saladins, arabisch-sarazenisch bis ins Herz hinein, daher originell wenn je eine es war, und malerisch in ihren einzelnen Teilen und von einzelnen Punkten, wie eine so große Stadt, die in einer völligen Ebene liegt, es nur sein kann. Die Straßen sind schmal und krumm, aber doch viel bequemer wie in jenen beiden Städten für den Fußgänger, weil sie nicht den abscheulichen Rinnstein in der Mitte haben und weil sie überhaupt gar nicht gepflastert sind. Der Boden ist fest, die acht bis zehn Regentage des Jahres verderben ihn nicht: so ist er einem schlechten Steinpflaster bei weitem vorzuziehen. Die kleinen Esel würden in einem solchen stecken bleiben, während sie jetzt einen ganz sicheren Tritt haben.

Es soll 20.000 Esel in Kairo geben. Gewiß ist's, daß wenigstens ein Drittel der Menschen reitet, die man auf der Straße sieht. Das verbreitet eine große Munterkeit, aber manchmal ein schreckliches Gedränge, wenn Kamele, Pferde, Esel, mit Treibern, Seïs und Reitern in die wogenden Fußgänger von beiden Seiten der Straße hineindringen. Es hat aber jedermann die erforderliche Übung um sich glücklich heraus zu wickeln. Geht's nicht anders, so reitet man mit seinem Esel in die erste beste Haustür hinein, die hier wie in Damaskus zuerst in einem schmalen finsteren Gang und dann erst durch einen zweiten in den inneren Hofraum führt. Neben der Tür sind keine Fenster; das erste Stockwerk springt etwas vor, die übrigen nicht, denn manche Häuser haben zwei auch drei Etagen, sind aber selten breiter als zwei Fenster. Diese sind mächtig groß, dicht, zum Teil äußerst zierlich vergittert mit gedrechselten und verschränkten Holzstäben, die aber nicht auf dem Fenster aufliegen, sondern aus demselben herausgebaut sind, etwa wie bei uns ein Blumenfenster, sodaß man hinter diesem Gitter die Straße hinauf und hinab sehen kann. Zuweilen hat es in der Mitte noch ein besonderes Guckfensterchen. An gewöhnlichen Häusern ist es nur von gekreuzten Palmenstäben; an eleganten bildet es die zierlichsten Geflechte mit allerlei Zeichnungen. Ein Mittelding von Jalousie, Gitter und Balkon heißt es Muscharabieh. Die Türpfosten und Gesimse sind zuweilen mit sauberen Arabesken von Steinmetzarbeit, auch von Stuck bekleidet, und wer letzteres nicht haben kann und doch eine Verzierung wünscht, läßt sie in Streifen, rot und weiß anstreichen. So sind auch manche große Gebäude, Moscheen, Okels, wie man hier die Kaufhäuser nennt. Die Bazars sind höher, geräumiger und ansehnlicher, als irgend welche, und sind auch immer für einzelne Gegenstände bestimmt. Die Cafés sind eben so zahlreich wie in Konstantinopel und wo möglich noch einfacher. Auf dem Esbekyeh-Platz sind mehrere unter freiem Himmel, ein kleiner Herd, ein Tisch für die Nargilehs, ganz niedrige Schemel von Palmstäben die wie Vogelbauer aussehen, darüber die schattigen Äste einer Lebbek-Akazie: das ist das Kaffeehaus – wo man sich aber vortrefflich unterhält, denn den ganzen Tag sitzen da Geschichtenerzähler und Taschenspieler von einem höchst aufmerksamen Auditorium umringt. Auf dem Roumeyleh-Platz am Fuß der Zitadelle sahen wir heute auch mehrere dichte Gruppen, die sich schaulustig um Possenreißer und Tausendkünstler drängten. In Kairo macht es mir wahrhaft Vergnügen in der Stadt zu zirkulieren, weil ich mich nicht durchzukämpfen brauche und überall etwas Hübsches sehe, die Bauart der Häuser, die eleganten Minarette, die allerniedlichsten Brunnenhäuser, halbzirkelförmig an eine Mauer gelehnt mit feinem Gitterwerk zwischen schöner Steinarbeit, hie und da eine Palme, ein Orangenbaum im Hof der Moscheen, der Privathäuser, auch Gärten deren Grün über die Mauern blickt und die den Reichen und Vornehmen gehören; – von dem Menschengewühl in den besuchten Straßen gar nicht zu reden, das die Ohren dröhnen und die Augen flimmern macht und doch so wesentlich zur Umgebung gehört, daß einem die unbesuchten und einsamen Straßen lange so gut nicht gefallen. Und ist man der bunten Bilder müde, so reitet man hinaus nach Fostat, nach Boulak, nach Schubra, und hat da die Fülle tropischer Vegetation – und den Nil.


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