Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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22. An meine Mutter

Jerusalem, Donnerstag, November 2, 1843

Liebe geliebte Mutter, die Pilgerfahrt ist glücklich und äußerst friedlich gemacht, und die heilige Stadt gestern nachmittag vier Uhr erreicht. Es ist ein ganz eigenes Gefühl an dem Ort sich zu befinden, wohin früher Millionen von Menschen mit Aufopferung von Gut und Blut und Leben gestrebt haben, nur um auf der einen kleinen Stelle die ein Stein bedeckt zu beten und am heiligen Grabe zu knien. Um diese Befriedigung zu erlangen, mit welchen Mühsalen wurde gerungen, mit welchen Anstrengungen gekämpft, welche Entbehrungen wurden ertragen – und welche Entzückungen lohnten dem Pilger! Jerusalem! Jerusalem! jauchzten sie wenn sie es von fern gewahrten, stürzten auf die Knie, dankten Gott und sangen Loblieder. Jerusalem! Nun waren sie am Ziel, auf der Stätte des Heils! Vom Grabe des Herrn quoll ein Strom von Vergebung, Segen, Friede und Versöhnung in die lechzenden Seelen, die mit der vollen wilden Glut der Jugend begehrten und erlangten. Unsere Zeiten sind alt und kalt geworden, unfähig solcher Ekstasen; dennoch ist wohl keiner imstande gleichgültigen Auges Jerusalem zu betrachten; ich gewiß nicht! Aber kopfüber stürze ich mich nicht hinein. Der Regen strömt mit jener sintflutähnlichen Gewalt vom Himmel, welche in dieser Jahreszeit die lange Sommerdürre ausgleicht; das ist mir sehr lieb. Ich werde heute nicht meine Zelle in der Casa nova der Franziskaner verlassen, und mich besinnen wo ich bin, und mich sammeln für alles was ich sehen werde, – auch inzwischen Dir meinen Reisebericht machen, der vier Tage umfaßt, aber nur sehr wenig was des Erzählens wert wäre, und nicht ein einziges Abenteuer! Ist das nicht beklagenswert, da wir uns doch so sehr darauf gerüstet hatten? In diesem Punkt ist unsre Reise wahrhaft komisch: immer wie auf der Flucht vor einem Feinde, der vielleicht gar nicht existierte. Zwanzigmal fiel mir jener Franzose mit seinem »Je ne crois pas aux tigres« ein. Das half aber nichts! Ich mußte vorwärts als ob ich sehr an sie glaubte. Am neunundzwanzigsten Oktober früh sieben Uhr, war also wirklich unsre Eskorte im Kloster. Worin bestand sie? In zwei Mann, Scheikh Nazir und sein Bruder in eigner Person liefen drei Tage zu Fuß neben unseren Pferden her. Ihre Waffen bestanden aus Flinten, die mich lebhaft an Nürnberger Spielzeug erinnerten. Damit wollten sie den Beduinenstämmen Abugosch, Beni Sachr, und wie sie heißen mögen, Respekt einflößen. Beduinen heißen nämlich die nomadisierenden Hirten, die mit ihren Herden und Zelten, Weibern und Kindern, die weiten Länder tief unten vom roten Meer bis zum Euphrat hinauf durchziehen und sich da niederlassen, wo sie Weide und Wasser finden, denn darauf beschränken sich ihre Hauptbedürfnisse. Die verschiedenen Stämme haben gewisse Bezirke inne auf denen sie sich herum bewegen, und aus denen sie Fehde- und Raubzüge in verfeindete machen. So haben es die Väter gehalten und so halten sie es, dies ist wohl das einzige Gesetz von dem sie sich gutwillig beherrschen lassen. Sie halten sich für die echten und einzigen Nachkommen Ismaëls und sind sehr stolz darauf. Die Verheißung die jenem ward: »Er wird ein wilder Mensch sein, seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn« – erfüllt sich an ihnen seit den Urzeiten. Sie sind meistens Wachhabi. Die Reformation des Islams, welche Abdul Wachhab um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Arabien unternahm indem er, behauptend er führe die Religion auf ihre ursprüngliche Einfachheit zurück, alle Tradition verwarf, alle Dogmen kritisierte, und eine Menge von Gebräuchen und Vorschriften für unnütz erklärte, war in zu großer Übereinstimmung mit dem freiheitsgewohnten Leben der Beduinen, war in zu tiefem Zusammenhang mit ihrem Charakter und ihrer Existenz, um nicht fast durchweg Eingang bei ihnen zu finden. Der orthodoxere Mohammedaner legt z. B. Gewicht darauf in einer Moschee sein Gebet zu verrichten, wogegen Abdul Wachhab lehrt: es komme auf den Ort nicht an. Bei seinem Nomadenleben hat der Beduine keine Moschee, folglich ist bei der neuen Lehre nur das eine zu verwundern, daß sie erst so spät sich entwickelte, denn die Religionen und ihre Bekenner stehen in Wechselwirkung zu einander, wie das nicht anders sein kann, wenn diese durch jene sich zugleich angeregt und befriedigt finden sollen. Jeder Stamm hat einen Priester der Khatib heißt und der einigermaßen verachtet wird, sollte er das Unglück haben lesen und schreiben zu können. Verachtet wird auch der Fellah, der ansässige Landmann, und dieser fürchtet wiederum außerordentlich den Beduinen. Unser Scheikh Nazir war das Oberhaupt eines Diebsdorfes, wie der Bruder Schaffner sagte; kein Beduine. Er trug auch nicht ihre höchst malerische, einfache Tracht: das weiße Hemd, den weiß und braun gestreiften Wollmantel, das gelbe Keffijeh mit einem Hanfstrick um die Stirn gegürtet und über Schultern und Nacken herabfallend – so wie wir im Libanon und in Damaskus einige sahen, er war nach Art des arabischen Landvolks in Syrien mit Hemd, Kaftan und einem schlafrockähnlichen Überwurf bekleidet, der von der formlosen Plumpheit des europäischen Paletot ist. Sämtliche Kleider sind so kurz, daß sie nur das Knie bedecken, und möglichst vertragen, verblichen und unsauber, weil sie sich immer damit auf der Erde herumwälzen, darin schlafen, und sogar den Turban höchstens nur abnehmen, um ihn als Kopfkissen zu brauchen. Der rote Tarbusch mit blauem Quast bildet den Kern eines Turbans, um welchen sich ein langes, zusammengedrehtes, weißes Baumwolltuch windet. Während der Kopf so gut bedeckt ist, sind die Beine nackt. Die Tracht bleibt dieselbe bis hieher; doch muß ich bemerken, daß der von mir sogenannte Paletot ein Prachtstück ist, das wohl ein Scheikh und sein Bruder – doch sonst nicht jeder besitzt. In den Städten ist die Tracht etwas anders; statt des Hemdes oder über demselben trägt man das weite türkische Beinkleid, das aber immer unter dem Knie aufhört, und dann Strümpfe oder Gamaschen oder auch nur an nackten Beinen ein Paar Pantoffeln; letzteres ist fast durchgehend die Tracht des gemeinen Mannes; zu Strümpfen und Gamaschen gehört schon Reichtum, Elegance und Vornehmheit, und dann verlängert sich der Kaftan bis zum Knöchel des Fußes, während er beim Volk zur Jacke verschrumpft. Da man möglichst bunte Farben liebt, dunkelrot, hellblau, oder gestreifte Zeuge, orangefarben und weiß, und dergleichen, so sieht eine solche Männergruppe, lebhaft sprechend und gestikulierend, recht gut aus, obgleich schöne Züge mir nicht aufgefallen sind. Feine schon eher, wie denn überhaupt der Ausdruck zuweilen recht listig sein kann. Wird er lebhaft, in Freude oder Zorn, so nimmt er wirklich eine tierische Wildheit an; aber allerdings – Physiognomie ist da. Unser Scheikh war etwas entstellt weil ihm die Vorderzähne fehlten. Diese auszureißen war das arabische Mittel um unter Ibrahim Pascha dem verhaßten Soldatenstand zu entgehen: man konnte nun nicht die Patronen abbeißen um das Gewehr zu laden. So ist mir gesagt worden; davon verstehe ich nichts.

Gegen acht Uhr setzten wir uns in Bewegung. Nachdem wir zum Meeresufer herab geritten waren, verließen wir es bis Jaffa nicht mehr, und sahen keine andre Landschaft, als zur Rechten die blaue Flut, zur Linken die weiße Kalkfelsenwand, und vor uns den Weg auf dem gelben Sande des Strandes, der zuweilen mit einer dichten Lage allerliebster bunter Muscheln bedeckt, zuweilen feucht und fest wie Parkett, und zuweilen so trocken und tief war, daß die Pferde weit über den Huf darin versanken und daß, so wie sie den Fuß herausgezogen, der rieselnde Sand die Spur gänzlich verwischte. Ruinen lagerten sich zuweilen zwischen uns und dem Meer, und unsere Nachtquartiere waren auch Ruinen. Ein blutarmer armenischer Pilger, der aus dem fernen Diarbekir nach Jerusalem wallfahrtete, und den ich beschützte, d. h. ihm zu essen geben ließ, weil er ein gutes Gesicht hat, hatte sich schon seit Sidon an uns geschlossen. Ein Araber zu Pferd, ein Freund unseres Scheikhs, und zwei Männer aus Kaiffa, die sämtlich nach Jaffa wollten, gesellten sich am Fuß des Karmel zu uns, so daß wir eine große Karawane bildeten. Wir begegneten auch genug Leuten, Reitern und Fußgängern, mit keulenartigen Stäben, Flinten oder Lanzen bewaffnet; dann lief der Scheikh oder sein Bruder voraus ihnen entgegen, begrüßtete durch einen Handschlag seine Bekannten, verständigte sich mit Unbekannten, erkundigte sich nach den »Arrab« – (nie anders als so habe ich vom Volk die Beduinen nennen hören) erhielt immer die Nachricht, daß sie da oben an den fernen Bergen von Juda sich herumtrieben; und ungestört zogen wir weiter. Ob wir nun ohne unsre Bedeckung von diesen Leuten etwas zu fürchten gehabt hätten – das mag Gott wissen! Ich glaube es nicht. Wir waren unangenehm überrascht, als der Scheikh uns um halb zwei Uhr mittags auf einem schmalen steilen Fußpfad die Kalksteinwand erklettern ließ und erklärte: hier, in dem Dorf Tentura müßten wir übernachten, denn auf den zwölf Stunden der morgenden Tagesreise sei keins. Was war zu machen? Wir blieben. Die Überreste eines alten Schlosses waren in einen Khan verwandelt, der größer als die gewöhnlichen Herbergen ist, einen Hofraum hat und einigermaßen geschlossen werden konnte. Da wurden die Zelte aufgeschlagen, und da nahm der Scheikh Nazir Cour an von seiner Verwandtschaft und Freundschaft, die ihn umringte und begrüßte. Zwanzig bis dreißig Menschen saßen binnen zehn Minuten auf den Fersen beisammen, plaudernd und gestikulierend, und er hockte kerzengerade in der Mitte. Ich ging über eine verfallende Treppe auf das flache Dach des Gebäudes, und sah mich um. Das Dorf war kahl wie die Hand. Eine weite unbebaute, doch gar nicht sterile Ebene erstreckte sich bis zu den Bergen von Juda, und am Meer hinauf und herab. Der jähe Absturz der Kalksteinwand beschützt sie vor dem Vorrücken des Meeressandes. Jetzt diente sie nur den Herden als Weide. Manche Stellen waren ganz schwarz von Ziegen, deren Milch hier vortrefflich ist, besonders auf dem Karmel. Die Rinderherden, die man auch ziemlich häufig sieht, bestehen immer nur aus Ochsen, welche man zur Feldarbeit braucht. Kühe gibt es nicht – zu meiner Verwunderung; denn wo kommen die Kälber her? – Und so gibt es auch keine Kuhmilch.

Die Nacht war unruhig, der Raum zu eng für so viele Gäste, denn außer uns waren noch Reisende des Landes im Khan eingekehrt, unter anderen zwei Derwische auf der Pilgerfahrt nach Mekka. Draußen bellten die Hunde, diese Nachtwächter der Orientalen, und zum ersten Mal hörte ich das pfeifende Geheul der Schakale, welche raubsüchtig nachts die Dörfer umschleichen. Am dreißigsten war ich die erste wach in unserem kleinen Lager, und trieb zum Aufbruch von vier Uhr an, weil unsre zwölfstündige Tagesreise sich womöglich nicht über Sonnenuntergang ausdehnen sollte. Wir kamen freilich noch vor ihrem Aufgang, aber doch erst gegen sechs Uhr fort, weil in der Dunkelheit und Dämmerung das Ein- und Aufpacken noch langsamer als gewöhnlich von statten geht. Dazu hatte sich ein stürmischer Ostwind erhoben, der alle Sachen durcheinander warf, und Licht und Feuer auslöschte. In die graue Dämmerung, von erblassenden Sternen beschienen, sturmumbraust, zwischen Meereswellen und Wellen von aufgewühltem Sand, welche unter den Füßen unserer Pferde in einander wehten, setzten wir die Reise fort. Bei uns wäre sie in dieser Jahreszeit und unter diesen Umständen etwas unbehaglich gewesen; hier waren die Morgenritte am Meer so schön, so ganz wunderbar schön, daß sie immer zu meinen liebsten Erinnerungen gehören werden. Von Beirut bis zum Karmel fühlte ich mich nicht recht wohl; vom Karmel bis Jaffa reiste ich wie auf der Flucht und daher etwas geniert: dennoch war mir immer ganz wonnig zu Mut, wenn ich am Morgen auf meinem Pferd saß, unter diesem diamantenen Himmel fortritt, die balsamische Morgenluft einatmete, und das Meer mir mit seinen tönenden Wellen das Herz überrauschte. In Gedanken oder Betrachtungen vertiefte ich mich gar nicht! Ich kam nicht dazu. Ich fühlte nur die Stärke, die Frische, die belebende Kraft der Natur, und ließ mich von ihr forttragen wie ein sorgloser Schwimmer von den linden Wellen des Sees. Indessen gegen Mittag wenn die große Hitze kam, nachmittags wenn die Sonne blendend über dem Meer stand, und die Kreidefelsen und der Ufersand ihre Strahlen reverberierten – verschwand die Wonne sehr regelmäßig und machte der Ermüdung Platz. Besonders an jenem Tage. Denn als nach kurzer Zeit die Felsenwand sich wieder zu unserer Linken aufbaute, schützte sie uns gegen den Ostwind, und die Sonne brannte gegen Mittag wahrhaft zerschmelzend. Da lernte ich zwei arabische Worte in ihrem vollen Umfang schätzen »Bir« Brunnen, und »Moje« Wasser, und mittels derselben machte ich mit dem Scheikh Nazir, der sich immer ritterlich in meiner Nähe hielt, eine lebhafte Unterhaltung. Zuletzt löste sie sich darin auf, daß ich aus seiner Flasche trank – aber buchstäblich aus der tönernen Flasche. Die Bagage war etwas zurückgeblieben, und ich wollte durchaus nicht den Zug aufhalten, immer aus Sorge das Nachtquartier gar so spät zu erreichen. Darum frühstückte ich auch nur mit einem Stück Brot und Ziegenkäse, und auf dem Pferde sitzend, während wir sonst immer um Mittag eine halbe Stunde Halt machen. Ich fürchte wirklich, daß Du Dich in Gedanken ein wenig meiner schämst. Trinken aus der Flasche eines arabischen Halbbanditen! Essen ein Stück Brot und Käse im Sattel sitzend! Ja, Mamachen, und dazu zog ich meine Bluse gar noch aus und ritt in Hemdärmeln, weil die Hitze mich erdrückte. Das alles klingt bei uns unerhört, erschreckend, untunlich, weil es eben bei uns nicht vorfallen kann. Hier macht es sich von selbst, und wer nicht lernen kann aus der Flasche eines Arabers zu trinken, komme lieber gar nicht her; denn mit Ansprüchen an europäische Moden, Gebräuche und Sitten, ist man hier übel beraten. Das ist es eben: die Sitte ist anders, aber eben weil sie Sitte ist, kann es keinem verständigen Menschen einfallen daran Anstoß zu nehmen; nur die Unsitte verletzt. Mit einer unerzählbaren Naivität machen die Leute am Morgen ihre Toilette; mit der vollkommensten Unbefangenheit bringen sie ihre Gewänder in Sicherheit wenn sie durch die Flüsse gehen müssen; man kann das nicht unanständig nennen. Wer es tut darf nicht herkommen, wiederhole ich.

Auf der letzten Hälfte der Tagesreise, also gerade als sie uns am notwendigsten waren, kamen wir an drei Brunnen vorüber. Ein Rand von roten Steinen ist immer um die Eintiefung herum gelegt. Ist diese nur gering, so deckt ein schwerer Stein die Öffnung, damit nicht Tiere das Wasser verderben. »Sie wälzten den Stein vom Brunnen«, kommt öfters im alten Testament vor, und der Gebrauch ist derselbe geblieben. Tiefere und größere Brunnen zu deren Wasser Tiere nicht gelangen können, sind offen und Stufen führen in ihren Schlund, damit man schöpfen könne. Roh ausgehöhlte Steine und Baumstämme, zuweilen nur Gruben in dem Boden wenn das Erdreich fest genug ist, liegen daneben als Tröge für das Vieh. Der Hirt füllt sie, und geduldig wartend trinkt nacheinander die Herde – auch noch genau wie zur Patriarchenzeit. An dem einen Brunnen fanden wir eine zahlreiche Herde gelagert; zu dem zweiten stieg eine andre die Felswand herab; – also muß oben in der Nähe der Dörfer kein Wasser sein. Welch eine Bewegung in der Karawane entsteht, wenn man einen Brunnen in der Nähe vermutet oder weiß, kannst Du Dir gar nicht vorstellen! Dazu muß man aber einen halben Tag im brennenden Sande und in der glühenden Sonne marschiert sein! Man zeigt ihn aus der Ferne, man verdoppelt den Schritt, einige laufen voraus, die Pferde drängen mit aller Macht dahin und verdrängen einander am Troge. Mein armer Pilger steckte seinen Kopf zwischen die Pferdeköpfe durch und trank aus dem Trog, weil er gar nicht zu dem umlagerten Brunnen gelangen konnte. In Tentura hatte sich unsere Karawane sehr vermehrt, durch Anschluß von Leuten, die entweder denselben Weg gingen wie die Derwische, oder die auf größere Gesellschaft warteten um ihn einzuschlagen; darunter ein Ehepaar. Die Frau ging rüstig um mit dem Zug Schritt zu halten unermüdlich zu Fuß, während der Mann auf dem breiten Sattel seines Esels höchst gemächlich seine Pfeife rauchte und sich bei derselben sogar noch von seinem Diener bedienen ließ, wo dann die Frau den Bündel mit kleinen Habseligkeiten tragen mußte. Auch das ist Sitte des Orients – und wenn auch die Füße der Frau müde wurden, die Zunge litt nicht darunter. Nur bei einem ziemlich tiefen Fluß, dessen Wasser den Männern an den Gürtel reichte, stieg der aufmerksame Gatte ab und ging hindurch, während sie sich auf den Esel hockte, aber doch tüchtig naß wurde.

Zu meiner großen Freude, vielleicht weil wir tüchtig marschiert waren, schrumpften die zwölf Stunden unsrer Tagesreise zu zehn ein, und wir erreichten um vier Uhr das Nachtquartier, ein kleines Dorf mit einer großen Moschee, Haram genannt, das wie Tentura in der Ebene über der felsigen Uferwand liegt. Den äußeren Vorhof der Moschee machten wir zu unserem Lagerplatz, was man uns willig gestattete, und ich weiß weiter nichts von Haram zu erzählen, als daß auf einem benachbarten Hügel Ruinen eines alten Festungsbaues liegen, und daß über Nacht die Schakale in großer Nähe heulten. Drei Stunden Küstenweg brachten uns am Morgen des einunddreißigsten nach Jaffa, dem biblischen Joppe. Wir hätten gern bis Jerusalem Scheikh Nazir zu unsrer Bedeckung behalten, allein er sagte, tiefer im Lande sei er unbekannt und uns daher unnütz. Vor dem Tor von Jaffa, unter einer großen Terebinthe, auf einem freien Platz wo Markt von Lebensmitteln, Früchten, Gemüsen, Hühnern und Eiern hauptsächlich, gehalten wurde, bekam er seine 200 Piaster und ein Bakschisch aufgezählt, und ein Zeugnis über unsere Zufriedenheit ausgestellt. Vorher hatte er ungemein geschickt ein paar Eier aus dem Marktkorb genommen, den eine Frau nach Landessitte auf dem Kopf nach Jaffa trug. Er war beschäftigt sie in seinem breiten Gürtel sorgsam aufzubewahren, als er bemerkte, daß ich die Szene beobachtet hatte. Ohne sich decontenancieren zu lassen machte er mir ein kleines Zeichen des Verständnisses, ging nach einem Weilchen zu der Frau zurück, gab ihr die Eier wieder, und ermahnte sie ihren Korb besser in Acht zu nehmen. Dann sah er mich selbstzufrieden an, um mich glauben zu machen, es sei ein angenehmer Scherz gewesen. Aber ich kenne das schon: fremder Leute Lebensmittel als Eigentum zu betrachten, ist auch Sitte des Arabers.

Jaffa hegt wunderhübsch, dicht umgeben von Orangengärten mit Granaten und Reben vermischt, so daß manche Bäume unter der Fülle von Weinlaub verschwinden. Große Plantagen von Zuckerrohr breiten sich weithin aus, und einzelne Palmen und Tamarisken sind in sie hineingestreut, während Hecken von Akazien und Kaktus sie umziehen. Um die unförmigen Arme des mißgestalteten Kaktus wand sich eine Fülle von Reben in graziösen Girlanden. Gemauerte Brunnen mit Kuppeln überwölbt spenden reichliches Wasser und helfen die Landschaft schmücken. Hier kann man sich lebhaft das gelobte Land »da Milch und Honig innen fließet« vorstellen, und mehr Menschen herwünschen um dieses Segens teilhaft zu werden. Als der Dragoman das Gesundheitzertifikat eingeholt hatte, welches am Tor von Jerusalem von den Reisenden gefordert wird, und nebenbei auch beruhigende Erkundigungen über die Sicherheit des Weges eingezogen hatte – gegen zehn Uhr ritten wir fort. Anfangs durch eine lange Strecke jener üppigen köstlichen Gärten. Die Zitronenbäume bogen sich unter der Last ihrer goldnen Früchte; für einen halben Piaster bekamen wir deren ein Dutzend. Die Granatäpfel röteten sich, die Bananen waren reif; an einigen Palmen hingen Dattelbüschel. Vom Karmel schrieb ich: auf dem Weg nach Nazareth begriffe ich die wilde Melancholie der alten Propheten; hier, liebe Mutter, begreife ich die weiche, glühende Üppigkeit des »Hohen Liedes«, das wie eine flammende, duftende Rose in die Weisheitskrone des weisesten Königs geflochten ist. Wo die Gärten aufhören beginnt das weite Gefilde, welches sich an der ganzen syrischen Küste bald breiter bald schmaler zwischen dem Meer und dem Gebirge lagert. Hier hieß es sonst: Ebene von Saron. Wir ließen nun das Meer im Rücken und ritten landeinwärts drei und eine halbe Stunde bis zu dem Städtchen Ramla, immer vor uns die Berge von Judäa, über die man nach Jerusalem zieht. Ein Kloster der Terra santa, dessen Pilgerherberge von Philipp dem Guten, Herzog von Burgund, gestiftet ist und ein großes griechisches Kloster nehmen sich der Pilger an, welche noch immer zu Weihnachten und Ostern in großen Scharen nach Jerusalem ziehen. Auch wir, als wir uns ein wenig in Ramla umsahen wurden Nazareni genannt und Hadji, d. h. Pilger. Ich wollte nicht im Kloster einkehren, weil da der Aufbruch wenigstens eine Stunde später geschieht. Es war mir schon höchst unangenehm einen halben Tag in Ramla zu verschwenden; aber wir sollten uns einer Karawane anschließen, die um zwei Uhr nachts abging, und so hätten wir Störung im Kloster gemacht. Statt dessen wurden wir gestört, denn Flintenschüsse hörten nicht auf in der Ebene, die ganze Nacht! Die Leute, welche abwechselnd wachten, und der »reiche Mann«, der wirklich auch eine Art von Vogel Greif war, behaupteten das wären Räuber. Trat einmal eine Pause ein, so füllten Hunde mit verzweiflungsvollem Geheul und wütendem Bellen sie aus. Es war eine unheimliche Nacht, und mitten drin kam die Botschaft, die Karawane ginge nicht ab. Wir warteten noch ein paar Stunden, versuchten zu schlafen als gegen Morgen die Schüsse verstummten, waren aber um fünf Uhr schon reisefertig. Ich war in herzklopfender Erwartung als wir endlich gegen sechs Uhr abzogen. Ich trieb zur Eile aus freudiger Ungeduld; Giorgio, um die sicheren Berge zu erreichen, denn nur in Saronas Gefilden soll das Gesindel hausen. Es ging fleißig vorwärts. In drei und einer halben Stunde durchschritten wir die Ebene und eben so lange stiegen wir – aber immer durch eine Schlucht und über einen Kamm, und wieder in eine Schlucht und über einen Kamm, so daß man meint, man komme nimmer zum Ziel. Der Weg war belebt von Leuten des Landes, die uns ruhig ziehen ließen. Einmal griff ein Araber die Flinte meines Reisegefährten an, wahrscheinlich aus Neugier, weil ein doppelläufiges Gewehr eine große und herrliche Seltenheit bei ihnen ist. Auch einem europäischen Reisenden mit seinen Leuten begegneten wir, den ich mit meinen größten Augen ansah – nicht aus Freude über den Europäer, sondern weil er im schwarzen Frack zu Pferde saß, wobei der Foulard als Keffijeh unter dem Hut sich merkwürdig ausnahm. Ich habe in meinem Leben schon viel Auffallendes gesehen; aber einen Mann im schwarzen Frack zu Pferde doch noch nie! Es machte sich äußerst erbaulich in den Bergen von Judäa! – Endlich sagte der Dragoman bei dem recht ansehnlichen Ort Errit-el-Enneb wo wir ein Weilchen rasteten, jetzt wären wir oben! Allein das Steigen hinauf, herab, hört nicht auf.

Ich fing an ganz matt zu werden vor Erwartung und Ermüdung. Noch eine Berglehne ritten wir herauf, dann über ein schrecklich wüstes Steinfeld, das sich ein wenig hügelte. Der arme Pilger lief voran um zuerst die Nachricht zu verkünden, daß wir am Ziel wären. Wir waren es. Jerusalem lag vor uns. Hohe, feste Mauern, einige Kuppeln und Minarette, ein paar schwere unförmige Gebäude, dies ausgebreitet auf der öden Steinfläche, derselben Steinfärbung; einige Ölbäume karg verteilt in großen Entfernungen; nirgends Grün, nirgends Wasser; dürre Härte ringsum bis zu den Bergen: so zeigt sich Jerusalem. Mir wurde das Herz ganz schwer. Wir ritten weiter. Auf einem ebeneren Platz zur Seite des Weges, hielt der Pascha mit seinem Gefolge, und ließ einige Soldaten den Djerid reiten. Das Tor sah ganz festungsmäßig aus, gar nicht halbverfallen, wie sonst bei allen Städten des Orients, sondern auch streng und starr. Da mußten wir hindurch. Dann über einen wüsten Platz und durch einige schmale Gassen, und wir hielten vor dem Kloster von San Salvador – – –


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